Samstag, 23. März 2013

"Cloud Atlas" für Deutschen Filmpreis nominiert

"Cloud Atlas" ist neunmal für den Deutschen Filmpreis 2013 nominiert. Drei Millionen Euro Preisgeld werden vergeben. "WELT"-Kritiker Hanns-Georg Rodek beschwert sich über acht Nominierungen für einen Film, in dem nicht Deutsch gesprochen wird.

Absehen davon, dass sich die Frage stellt, ob der von mir geschätzte H.-G. Rodek zählen kann oder nicht (es sind neun, ich habe nachgezählt (1)), stellt sich die Frage, ob denn die Kriterien der Deutschen Filmakademie erfüllt werden. Dies ist der Fall, selbst Rodek räumt dies ein. Allerdings macht er sofort einen Vorschlag, wie man dem Übel Herr werden kann: man ersetzt in den Richtlinien einfach ein "oder" durch ein "und". Und zwar in Punkt 1 der Richtlinie: "1. Die Originalsprache des Films ist deutsch oder der/die Regisseur/in ist Deutsche(r) oder dem deutschen Kulturkreis zuzurechnen."
Dass die Deutsche Filmakademie nicht einmal gegen ihre eigenen Regeln verstoßen hat, nennt Rodek "pervers". Was erzürnt ihn denn? Er bezeichnet den Umstand, dass ein Film, in dem kein Deutsch gesprochen wird und die Hauptdarsteller keine Deutschen sind, als "Größte Anzunehmende Unmöglichkeit" (GAU): der Film habe mit deutscher Geschichte und deutscher Kultur nichts zu tun.

Sehen wir davon ab, dass die semantische Neucodierung des Wortes GAU die Grenzen des guten Geschmacks zumindest streift. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, dass es sich bei "Cloud Atlas" um eine Literaturverfilmung handelt, an der ein deutscher Regisseur (vielleicht einer des besten) maßgeblich beteiligt gewesen ist: Tom Tykwer. Das sollte reichen, um die merkwürdige Deutschtümelei des WELT-Kritikers etwas zu bändigen. Das eigentliche kinematographische Politikum ist aus meiner Sicht ohnehin ein anderes: mit "Cloud Atlas" ist ein Film bei den OSCAR-Nominierungen durchgefallen, den zumindest ein Teil der Kritiker als "Jahrhundertwerk" bezeichnet hat. Ich selbst war dem Film trotz einiger Schwächen begeistert und halte ihn nach wie vor für einen den wichtigsten Filme dieser Dekade (2).
Selbstverständlich kann ich mich irren, ich wäre der Erste, der dies einräumt. Aber das in meinen Augen Anstößige an Rodeks Kritik ist, dass sein Lamento zwei Schwächen aufweist: der Appell, die deutsche Filmkultur energischer zu würdigen, stößt leider an Grenzen, denn Deutschland weist im Gegensatz zu seinen europäischen Nachbarn keine wirkliche Filmkultur auf. Deutsche Filme spielen im europäischen oder gar weltweiten Filmraum keine nennenswerte Rolle. Man muss nicht weit reisen, um zum Beispiel die französische und britische Filmtradition mit der unserigen zu vergleichen. Das Ergebnis spricht für sich.
Zum anderen rief Rodeks Kritik Geister auf den Plan, die er wie Goethes Zauberlehrling nicht mehr bannen kann. Wenn man den Unflat liest, der sich im Forum der WELT ergoss, kann sich nur die Augen reiben. Neben der üblichen Häme über verballerte Steuergelder verrieten auch andere Kommentare, dass bei den Verfassern nur wenig Ahnung über Filmförderung bzw. das Verhältnis von Förderungssumme und Einspielergebnis nachzuweisen ist.
Am schlimmsten waren jedoch die Kommentatoren, die "Cloud Atlas" nicht verstanden hatten. Ihre anonym vorgetragene Verständnislosigkeit wurde mit einem Jargon kombiniert, der beängstigend ist.
 

Nun gibt es zwei Optionen, wenn man einen Film (oder ein Kunstwerk) nicht versteht: 1) das Werk ist schlecht oder 2) man ist zu ignorant, zu dumm oder gar zu ungebildet, um einen komplexen Film zu verstehen. Punkt 1 ist diskursfähig, und Punkt 2 gehört zu ganz großen Tabus. Kein Filmkritiker oder Regisseur würde seine potentielle Zielgruppe mit derart üblen Verdächtigungen überziehen. Das Dilemma dabei ist aber, dass (wenn Punkt 2 stimmen würde) keiner der derart Angesprochenen sich davon überzeugen ließe. Es ist eine Konstante im menschlichen Verhalten, eigene Grenzen zu ignorieren und lieber das Fremde und Unverstandene für die eigene Schwäche verantwortlich zu machen.

Nun halte ich die Forumsschreiber, die sich auf Rodeks Seite geschlagen haben, nicht für dumm oder ungebildet, aber für ignorant. Ein Beispiel: ich habe "Letztes Jahr in Marienbad" nie verstanden, aber ich käme nicht auf den Gedanken, dem Regisseur vorzuwerfen, er habe "Dreck" oder "Schund" produziert. Allerdings käme ich auch nicht auf den Gedanken, mich als dumm oder ungebildet zu verstehen. Man akzeptiert stattdessen einfach derartige Dinge und geht zur Tagesordnung über, man kann halt nicht alles 'verstehen'!
Für ein derartiges Verhalten gibt es übrigens ein schönes Wort: Toleranz. Die kann man nicht oft genug anmahnen und sie wäre auch ein guter Beitrag zu der von Rodek beschworenen deutschen Kultur (3). Und so hätte H.G. Rodek gut daran getan, den Mäusen etwas weniger Speck hinterherzuwerfen und sich stattdessen lieber die Frage stellen sollen, ob es für die globale Filmkultur nicht ein Zeichen wäre, wenn die Deutsche Filmakademie einen Film auszeichnet, der in 10, 20 Jahren vielleicht in irgendeinen Filmkanon aufgenommen wird.

(1): http://www.deutsche-filmakademie.de/uploads/media/Nominierungen_2013.pdf
(2): http://bigdocsfilmclub.blogspot.de/search?q=Cloud+Atlas
(3): http://www.welt.de/kultur/kino/article114684254/Cloud-Atlas-Favorit-fuer-die-Lolas-Ein-Skandal.html

Donnerstag, 21. März 2013

TV-Kommentar: "Unsere Mütter, unsere Väter"

D 2013 – Regie Phillipp Kadelbach – Drehbuch: Stefan Kolditz – D: Volker Bruch, Tom Schilling, Katharina Schüttler – Ludwig Trepte – Miriam Stein - FSK: ab 12
 

Eins hat der Dreiteiler des ZDF mit Sicherheit erreicht: fast acht Millionen Deutsche saßen beim 3. Teil vor dem Fernseher und haben sich eine Geschichtslektion verpassen lassen, die als Medienevent bereits vorab gefeiert wurde. „Unsere Mütter, unsere Väter“ war moralisch zweifellos korrekt, ob er alles erzählt hat, steht auf einem anderen Blatt.
 

Man kommt nicht darum herum – man muss den Film persönlich nehmen. Zumindest meine Generation wird dies tun. In meiner Familie erzählten nur die Frauen vom Krieg, also Großmutter und Mutter. Sie erzählten vom Tod der Brüder, vom Tod des Vaters, vom Tod der im „Volkssturm“ Verheizten, dann von der Vertreibung, von den harten Nachkriegsjahren in einem Land, das die aus dem Osten Geflüchteten nicht immer freundlich aufgenommen hat. Rüben-Eintopf gab’s, kein Fleisch. Es dauerte lange, bis man wieder eine Wohnung hatte und noch länger, bis man ein Fahrrad besaß und nicht mehr kilometerweit zu Fuß zur Arbeit gehen musste.
Der oder die Väter schwiegen indes. Meiner hat erst als Mittachtziger davon erzählt, wie er sich abenteuerlich durchgeschlagen hat, um der russischen Kriegsgefangenschaft zu entgehen. Vom Krieg selbst wurde nichts berichtet. Und vom Holocaust hatte man sowieso nichts mitbekommen, das erfuhr man erst nach dem Krieg.
 

Später, in der Schule wurde anders als heute ein großer Bogen um die Ereignisse gemacht. Die Geschichtslehrer waren eher daran interessiert, uns einzubläuen, dass die „sogenannte“ DDR gefälligst in Gänsefüßchen zu schreiben sei. Vom Nazi-Regime erfuhr ich in den Büchern, die ich mir besorgte. Die Fragen im Unterricht, warum denn so viele Nazis nach dem Krieg in höchste Ämter gelangten, wurden selten beantwortet. Noch weniger die Fragen aufgrund anti-semitischer Übergriffe, wie zum Beispiel in der „Nacht von Köln“, als 1959 jüdische Synagogen geschändet wurden. Beileibe nicht das erste Mal anderthalb Jahrzehnte nach Kriegsende.
Im Fernsehen erklärte Bundeskanzler Adenauer, dass die deutsche Nation überwiegend aus Verführten bestanden hatte, die von einer Handvoll Verbrecher ins Unglück getrieben worden sind, während Willy Brandt in einer Berliner Rede das Gegenteil behauptete: die Deutschen seien nicht in der Lage gewesen, sich ihrer Schuld und ihrem persönlichen Anteil an den Ereignissen zu stellen. 2011 wird dann der Historiker Götz Aly mit der These antreten, dass die meisten Deutschen sich im Dritten Reich bereichert haben, häufig auf Kosten der Juden, auf die man wegen ihrer Bildung und ihres wirtschaftlichen Erfolgs neidisch war. Rassenlehre und Sozialneid – eine unselige Allianz.
 

Einige Ungereimtheiten gab es schon

Nun konnte man sich im ZDF „ein Bild“ machen. Fünf Freunde werden vorgestellt, um aus unterschiedlichen Perspektiven das Elend des 1000-jährigen Reichs zu beleuchten. Auch die kleinen Karrieristen und Kriegsgewinnler kommen vor. Zwei Freunde werden nicht überleben, der Rest trifft sich nach dem Krieg in der alten Kneipe und mag sich über das Überleben (noch) nicht so recht freuen. Zuvor: eine auch für deutsche Verhältnisse aufwendige Produktion, die aus meiner Sicht nicht ganz an die vielzitierten „Band of Brothers“ heranreichte, aber deren explizite Gewaltdarstellung übernahm. 

Auffälliges? Ja, einiges. Weniger die der Dramaturgie geschuldeten unwahrscheinlichen Begegnungen der Freunde an den unmöglichsten Orten. Dafür anderes.
Beim ersten Teil fragte ich mich, ob die Beteiligung der Wehrmacht an den Aktionen der SS-Sondereinheiten unter den Teppich gekehrt wird. Gut, man sieht Ukrainer bei der willigen Zusammentreibung von Juden, aber dann ist es ein moralisch auftretender deutscher Offizier, der wenigstens ein Kind retten will. Später zeigt der Film immerhin, wie sich deutsche Soldaten an Vergeltungsaktionen beteiligen, eine der Hauptfiguren liquidiert ungerührt eine Zivilistin und erschießt später ein fliehendes Kind. Zuvor war er ein friedliebender Pazifist, nach drei Jahren Kriegseinsatz ist ein Killer geworden. Gut, der Krieg deformiert seine Kinder, aber ist das nicht in anderen Kriegen auch so? Aber meistens sind es die SS-Unholde, die die Menschlichkeit mit Füßen treten. Das hat ein Geschmäckle.
Dazu muss man nicht die berühmt-berüchtigte Wehrmachts-Ausstellung kennen, in der gezeigt werden sollte, dass die Wehrmacht im Osten nicht nur Massenmorde an der Zivilbevölkerung durchführte und beim Vormarsch auf Moskau trotz anderslautender Befehle die Höfe ausplünderte, sondern auch massenhaft Kriegsgefangene liquidierte und sich aktiv am Holocaust beteiligt hat. Es reicht zu wissen, dass einige Historiker glaubhaft belegen können, dass nach dem Scheitern des Blitzkriegs im Osten die militärischen Operationen nur noch das Ziel hatten, genug Zeit herauszuschinden, um die Beschlüsse der Wannsee-Konferenz umzusetzen. Gut: der gemeine Landser wird dies nicht gewusst haben, aber es hätte nur einiger Dialoge bedurft, um dies zumindest als These in den Film einzubauen.
 

Etwas, was mich besonders ärgerte, war eine der Schlussszenen: der Jude Viktor hat den Krieg überlebt und trifft im zerstörten Berlin ausgerechnet den nun in Zivil auftretenden ehemaligen Standartenführer Dorn, der eine Position in der von den Alliierten zusammengestellten Verwaltung bekleidet. Ich frage mich, wie heute jüngere Zuschauer auf das Schweigens des alliierten Offiziers reagieren, nachdem Viktor diesem fassungslos erklärt, dass dort hinter dem Schreibtisch ein hoher Nazi sitzt!
Diese Frage habe nicht nur ich bereits vor vierzig Jahren gestellt, auch „Unsere Mütter, unsere Väter“ bleibt die Antwort schuldig (wobei ich noch prüfen muss, ob die ZDF-Doku zur Serie darauf eingeht).
 

Nicht nur ästhetisch, sondern auch inhaltlich voll daneben ist die martialische Darstellung von Friedhelms Tod, jener Figur, die vor dem Krieg als Pazifist auftrat und sich aufgrund der Kriegsexzesse in einen zynischen, fast teilnahmslosen Killersoldaten verwandelt hat. Sicher, er rettet einer kleinen Volksturm-Gruppe, darunter auch Kinder, das Leben, indem er mit seinem Opfertod vorführt, was bei einem Angriff geschehen würde und es gelingt ja auch, denn besonders die Kinder haben das Sterben noch nicht gesehen. Aber muss man es so zeigen, dass der bereits mehrfach Getroffene immer wieder heroisch aufsteht, weiter marschiert und es eines Maschinengewehrs betraf, um diesen deutschen Landser endlich zu stoppen?
 

Und das Fazit?

Das Dilemma ist – und das ist keine Kritik, sondern einfach nur eine Feststellung – dass der ZDF-Dreiteiler weder auf die Jahre vor 1939 noch auf die nach 1945 eingeht. Das wäre auch ein anderes Format gewesen, man kann es den Machern nicht wirklich vorwerfen, aber die zeitliche Zäsur, die der Dreiteiler vornimmt und die sich an bewährten Eckdaten orientiert, ist selbst Teil eines größeren Problems. Die Verlängerung der Perspektive über den Mai 1945 hinaus wäre die einzig angemessene, denn der Krieg ging ja in den Köpfen und Seelen lange weiter. Besonders die inneren Verwundungen, das Schweigen. Aber dies haben nur wenige Filmemacher in Angriff genommen. „Der Vorleser“ hat dies in Buch und Verfilmung ansatzweise versucht, auch in der Heimat-Trilogie von Edgar Reitz wird man fündig.
So ist es nicht nur bei uns: das Kriegsende ist nicht das Ende des Kriegs.
 

Literatur, Presse, Quellen:

Montag, 18. März 2013

TV-Tipp: Howl - Das Geheul


"Howl", USA 2010; Regie: Rob Epstein und Jeffrey Friedman; Darsteller: James Franco, Aaron Tveit, Jon Hamm; 84 Minuten

Gestern zeigten die Öffentlich-Rechtlichen zu nachtschlafender Zeit, dass sie ihren Mumm nicht ganz eingebüßt haben: ausgestrahlt wurde eine filmische Hommage an den lyrischen Vorreiter der Beat Generation Allen Ginsburg. "Howl" wird heute abend auf EinsFestival um 20.15 Uhr wiederholt - eine Perle der Filmkunst.

"Howl" wurde 2010 von Rob Epstein und Jeffrey Friedman gedreht, die für "The Times of Harvey Milk" einen OSCAR für den besten Dokumentarfilm erhalten haben. Erzählt wird vom Prozess gegen den Verleger Lawrence Ferlinghetti, der Mitte der 1950er Jahre den ersten Lyrikband des weitgehend unbekannten Dichters Alan Ginsburg veröffentlichte. Besonders das Gedicht "Howl" wurde in der durch die McCarthy-Ära bereits stark beschädigten amerikanischen Gesellschaft als "obszön" eingeschätzt, wobei sich die Staatsanwaltschaft durchaus als Repräsentant der schweigenden und keineswegs moderne Gedichte lesenden Mehrheit verstand.

"Howl" (Das Geheul) ist kein Courtroom-Drama, sondern schafft es, durch ein kongeniales ästhetisches und formales Konzept, ein Gedicht, das mittlerweile zur Weltliteratur gehört, visuell umzusetzen. Der Film erzählt auf mehreren ineinander verflochtenen Ebenen: zum einen über das Gerichtsverfahren, in dem Jon Hamm ("Mad Men") als Ferlinghettis Anwalt gegen die Zensur kämpft, zum anderen sehen wir Ginsbergs (James Franco) berühmte Lesung im Club Six Gallery (San Francisco 1955), die durch Zeichentrickssequenzen von Eric Drooker (dritte Ebene) eine ungemein verdichtende Visualisierung erfährt. Als prosaisches Biopic (vierte Ebene) tritt der Film dann auf, wenn in einem nachgestellten Interview mit Ginsburg Autobiografisches erhellt wird.

"I saw the best minds of my generation, destroyed by madness."

"Howl" gilt nicht nur als Bekenntnis Ginsburgs zur seiner Homosexualität, sondern auch als poetische Reflexion des American Dream, den Ginsburg als alles zerstörende Egomanie kennzeichnet, als Moloch - Frank Schirrmachers "Ego" lässt grüßen.
Als Beat Generation wird eine Richtung der US-amerikanischen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren bezeichnet. Bekannte Beat-Autoren waren Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs. Diese sub-kulturelle Strömung beeinflusste nicht nur die US-amerikanischen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern buchstäblich ("beat" = müde, ermattet, geschlagen) auch das Lebensgefühl einer ganzen Generation zwischen 1948 und in den 1950er Jahren. Bekannte Beat-Autoren waren Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs.
Etwas unbekannter ist dagegen einer der großen Inspiratoren der Bewegung, Neal Cassady, der Vorbild für die Hauptfigur des Dean Moriarty in Jack Kerouac's Roman "On the Road" war.

Empfehlenswert ist John Byrums "Heart Beat" (Herzschläge, 1980), in dem Nick Nolte überaus gelungen Neal Cassady ein Gesicht gab. Leider gibt es diesen Film nur in der Originalfassung, einen Anbieter der deutsch synchronisierten Fassung konnte ich nicht finden.

"Howl" ist ein überwältigend guter Film. Nur rate ich bei den langen Rezitationen des Gedichts dringend davor ab, sich mit Fragen à la "Was hat das zu bedeuten?" allzu lange zu beschäftigen. Stattdessen sollte man sich dem Sprachfluss Ginsburgs (die deutsche Übersetzung ist durchaus adäquat) überlassen. Emotional findet man wesentlich schneller einen Zugang.

Mittwoch, 13. März 2013

TV-Kritik: "Der Minister"

Deutschland 2013 – Länge: 93 Minuten – Regie: Uwe Janson, Drehbuch: Dorothee Schön – D.: Kai Schumann, Johann von Bülow, Katharina Thalbach, Alexandra Neldel
 

Am Anfang ist „Der Minister“ eine sympathische Buddy-Story. Franz Ferdinand von und zu Donnersberg und sein Jugendfreund Max Drexel bilden ein gut funktionierendes Team: Max kann schreiben, ist aber ein echter Sozialphobiker, der nicht öffentlich sprechen kann; „Donnie“ hat als Spross eines altehrwürdigen Adelsgeschlechts das freie Sprechen von Kindesbeinen an üben müssen, kann aber die blankpolierte rhetorische Fassade nicht in fundiertes Denken zurückführen. Wenn beide sich helfen, können sie einiges erreichen. Eigentlich sogar alles.
Und so beginnt „Donnie“ eine steile Karriere als Politiker und wird mit seiner auch nicht gerade intellektuell aufreizenden Gattin Viktoria zum königlichen Ehepaar der Yellow Press und bei den Fans zur Pop-Ikone. Rasch geht es ins Kabinett von Angela „Murkel“, zunächst als Wirtschaftsminister und dann – durchaus ein Himmelfahrtskommando – als Verteidigungsminister. Und immer, wenn Donnie nicht ein noch aus weiß, und das kommt eigentlich täglich vor, souffliert ihm sein persönlicher Referent Max, was zu tun ist.
Erst als Franz Ferdinand in die Fänge des „Blitz-Kurier“-Chefredakteurs Jan Breitmann gerät, fällt ein langer Schatten auf die Freundschaft von Minister und Ghostwriter, von Herr und Knecht.


Rise and Fall eines Windbeutels

Das ist nur eine Seite der SAT 1-Produktion „Der Minister“. Allerdings eine Spannende, denn man mag sich manchmal nicht ausdenken, wer hinter all den souverän vorgetragenen politischen Statements unserer Volksrepräsentanten steckt. Nicht vergessen: erst unlängst deckte eine Umfrage auf, dass die Volksvertreter bei einer Abstimmung über den „Rettungsschirm“ nur ‚Bahnhof‘ verstanden hatten!
Vor dem Hintergrund einer Männerfreundschaft geht es also auch um die Hybris, die maßlose Selbstüberschätzung, die eine gut funktionierende Freundschaft und Kompetenzgemeinschaft ruiniert und am Ende dafür sorgt, dass der stille Max nicht mehr im Hintergrund bleiben kann und den Sturz des politischen Überfliegers aus Gewissensgründen inszeniert. Von und zu Donnersberg als Bundeskanzler? Shit happens, aber das geht dann doch zu weit!
Das ist die emotionale und moralische Essenz der Geschichte, der wirklich saukomische politische Rest ist eine pointensichere und ziemlich detailsichere Rekonstruktion der „Guttenberg-Affäre“, die alle wichtigen Stationen des Freiherrn bis zum bitteren Ende nacherzählt. Wenn der von Drehbuchautorin Dorothee Schön („Der letzte schöne Tag“) erdachte und Regisseur Uwe Janson (u.a. „Tatort: Schleichendes Gift“) flott inszenierte Komödienstadl endet, sehen wir die für Bildung und Wissenschaft zuständige Bundesministerin zusammen mit der Bundeskanzlerin. Beide stehen im Fotogewitter auf einer Treppe, jene berühmt-berüchtigte Szene, in der Frau Dr. S. jene SMS zu lesen bekommt, die vom Rücktritt des Verteidigungsministers berichtet. Ihr selbstgefälliges Grinsen darüber ist mittlerweile schon selbst ein Stück Realsatire geworden.
 

Was Herrn Guttenberg und Frau Schavan eint, ist: sie haben beide bei ihren Doktorarbeiten abgekupfert und damit betrogen. Was sie trennt: Frau Schavan wird bald vergessen sein, der Superstar der breiten Masse, Karl-Theodor zu Guttenberg hat einen seiner Titel verloren, 20.000 € an die Kinderkrebshilfe gezahlt und mischt auf internationalem Parkett als Distinguished Statesman (deutsch: „angesehener Staatsmann) wieder dezent mit.
Der Mann ist nicht unterzukriegen und wer sich angesichts eines möglichen Comebacks fürchterlich echauffiert, sollte ins Archiv gehen und nachlesen, mit welcher Distanzlosigkeit noch vor zwei Jahren namhafte Publizisten über den Polit-Star geschrieben haben und weitgehend selbst Opfer des Guttenberg-Hypes wurden. Nicht ohne Grund, denn weißgott nicht alles, was der Freiherr getan und gesagt hat, ist nun und in Zukunft als unsäglich abzutun. Auch akademische Betrüger gehören nicht auf einen Scheiterhaufen.
 

Und wenn die Realität schlimmer ist als die Satire?

Ein Unwohlsein beschleicht einen schon, wenn man erkennt, dass die Macher ziemlich unverhohlen mit der Politikverdrossenheit des sogenannten ‚kleinen Mannes‘ kokettiert haben. Dass Politiker einfach nur Knallchargen sind und eine Kabinettssitzung bei Frau Dr. Murkel so aussieht wie der Werbeclip eines großen Sparkassen-Unternehmens – nämlich als Ansammlung von Windbeuteln ohne Meinung und Kompetenz – greift tief in den Fundus fest verwurzelter Vorurteile. „Der Minister“ – nur eine Klamotte?
Aber kann man es aber wirklich so einfach auf einen Genrebegriff herunterbrechen?
DIE WELT hat angedeutet, dass es problematisch ist, wenn eine Satire möglicherweise durch die Realsatire ausgeknockt wird. Nur was wäre denn, wenn es zutrifft? Wird die Satire dann zu Recht ausgehebelt oder ist sie vielmehr das Gebot der Stunde?
Das ist nicht leicht zu beantworten, aber die Unsäglichkeiten der noch laufenden Affären (im Film ruft ja irgendwann ein „Herr Wuff“ den Blitzkurier-Macher an) lassen den Unwillen von ‚denen da draußen‘ mehr als verständlich erscheinen. Die peinliche Raffgier derer, die Dialoge organisieren, um sich die Taschen zu füllen, die Lobbyisten-Heere in Berlin und Brüssel, die keine Möglichkeit versäumen, um legislative Prozesse zu manipulieren und die endlos erscheinende Unfähigkeit, gigantische Bauprojekte ohne irrwitzige Budgetüberschreitungen fertig zu stellen, muss jeden mittelständischen Unternehmer mit seriösen kaufmännischen Grundsätzen in den blanken Zynismus treiben.
 

Unterm Strich bleibt eine durchaus gelungene Polit-Satire mit gut aufgelegten Darstellern. Kai Schumann gibt seinen Franz Ferdinand durchaus als nicht völlig unsympathischen Aufschneider und politischen Gernegroß, auch Johann von Bülow überzeugt dann, wenn es gelegentlich ernst zugeht in dieser knallbunten und leicht klamottigen Überzeichnung Berliner Verhältnisse. An die Wand werden alle gespielt von einer grandiosen Katharina von Thalbach, die als „Angela Murkel“ die treffsichersten Lacher erzielt und erkennen lässt, warum Frau Merkel im richtigen Leben häufig richtig böse zu ihren Bubis ist. „Barbie lebt“, stellt „Frau Murkel“ lakonisch fest, als sie zum ersten Mal dem Freiherrn und seiner Gattin begegnet. So viel Einsicht traut man unserer realen Bundeskanzlerin auch zu.

Freitag, 1. März 2013

Bedroht neues Leistungsschutzrecht die Blogger? (UPDATE)

Heute verabschiedete der Bundestag das neue Leistungsschutzrecht. Internet-Suchmaschinen wie GOGGLE müssen demnächst Gebühren an Presseverlage bezahlen, wenn sie Teile oder Ausschnitte von Pressetexten auf ihren Seiten verwenden.

Die schlechte Nachricht: 18% der Oppositions-Parlametarier blieben der Abstimmung fern. Auch das ist tätiges Handeln.
Die gute Nachricht: Noch hat das Gesetz den Bundestag nicht passiert. Netzexperte Nils Klingbeil (SPD) kündigte an, dass seine Partei die endgültige Verabschiedung des Gesetzes verhindern will.
Wait and see...

(Update 22.3.: Meine Skepsis war berechtigt. Heute kündigte die NRW-Ministerin für Bundesangelegenheiten Angelica Schwall-Düren (SPD) an, dass die NRW-Landesregierung den Antrag der rot-grünen Regierung in Schleswig-Holstein, nämlich den Vermittlungsausschuss anzurufen, nicht unterstützen wird. Auch andere SPD-Landesregierungen wollen sich verweigern. Und so wird den eigenen Genossen von hinten durch den Kopf geschossen...)

Es soll aber Ausnahmen geben: Zum Beispiel die einfache reine Verlinkung von Artikeln. Aber die schwammige Ankündigung, dass Presseartikel im Rahmen der Zitierfreiheit weiterhin genutzt werden können, alarmiert dann doch - besonders die Blogger. Denn niemand vermag die exakte Länge der sogenannten "Snippets" benennen. Sind es einzelne Wörter (völlig sinnfreier Vorschlag) oder kleine, kleinste oder klitzekleine Textausschnitte, die weiterhin unentgeltlich genutzt werden können?

Und genau diese Ausnahmen waren nicht einmal im Gesetzentwurf vorgesehen!

Was hat dies nun für Folgen (wenn das Gesetz den Bundesrat passiert)?
Ich müsste mir als Blogger genau überlegen, ob ich in Zukunft an die Kritiken noch einen Pressespiegel dranhängen darf oder ob in diesem Fall die Abmahnanwälte bereits auf meiner Türschwelle stehen.
Selbst kurze Zitate von kollegialen Unmutsbekundungen über einen Film, die ich im Fließtext anführe, könnten mich um Kopf und Kragen bringen.

Zu paranoid?
Nein, genau dass wurde bereits in ersten Stellungsnahmen von Netzexperten befürchtet. Natürlich stemmte sich GOGGLE bereits in einer ersten Erklärung gegen die drohenden Folgen, aber zu Recht wird darauf hingewiesen, dass GOGGLE ein große Rechtsabteilung hat. Und jetzt kommt es: Ich habe keine!

Verfolgen wir also das Geschehen weiter. Ich verzichte bereits auf Fotos, aber als Kritiker, der früher selbst professionell in diesem Gewerbe gearbeitet hat, ist die Einschränkung der Zitiermöglichkeit mit einer Beschneidung der Debattierfähigkeit gleichzusetzen. Dafür gibt es ein passendes Wort: Zensur.