Donnerstag, 21. März 2013

TV-Kommentar: "Unsere Mütter, unsere Väter"

D 2013 – Regie Phillipp Kadelbach – Drehbuch: Stefan Kolditz – D: Volker Bruch, Tom Schilling, Katharina Schüttler – Ludwig Trepte – Miriam Stein - FSK: ab 12
 

Eins hat der Dreiteiler des ZDF mit Sicherheit erreicht: fast acht Millionen Deutsche saßen beim 3. Teil vor dem Fernseher und haben sich eine Geschichtslektion verpassen lassen, die als Medienevent bereits vorab gefeiert wurde. „Unsere Mütter, unsere Väter“ war moralisch zweifellos korrekt, ob er alles erzählt hat, steht auf einem anderen Blatt.
 

Man kommt nicht darum herum – man muss den Film persönlich nehmen. Zumindest meine Generation wird dies tun. In meiner Familie erzählten nur die Frauen vom Krieg, also Großmutter und Mutter. Sie erzählten vom Tod der Brüder, vom Tod des Vaters, vom Tod der im „Volkssturm“ Verheizten, dann von der Vertreibung, von den harten Nachkriegsjahren in einem Land, das die aus dem Osten Geflüchteten nicht immer freundlich aufgenommen hat. Rüben-Eintopf gab’s, kein Fleisch. Es dauerte lange, bis man wieder eine Wohnung hatte und noch länger, bis man ein Fahrrad besaß und nicht mehr kilometerweit zu Fuß zur Arbeit gehen musste.
Der oder die Väter schwiegen indes. Meiner hat erst als Mittachtziger davon erzählt, wie er sich abenteuerlich durchgeschlagen hat, um der russischen Kriegsgefangenschaft zu entgehen. Vom Krieg selbst wurde nichts berichtet. Und vom Holocaust hatte man sowieso nichts mitbekommen, das erfuhr man erst nach dem Krieg.
 

Später, in der Schule wurde anders als heute ein großer Bogen um die Ereignisse gemacht. Die Geschichtslehrer waren eher daran interessiert, uns einzubläuen, dass die „sogenannte“ DDR gefälligst in Gänsefüßchen zu schreiben sei. Vom Nazi-Regime erfuhr ich in den Büchern, die ich mir besorgte. Die Fragen im Unterricht, warum denn so viele Nazis nach dem Krieg in höchste Ämter gelangten, wurden selten beantwortet. Noch weniger die Fragen aufgrund anti-semitischer Übergriffe, wie zum Beispiel in der „Nacht von Köln“, als 1959 jüdische Synagogen geschändet wurden. Beileibe nicht das erste Mal anderthalb Jahrzehnte nach Kriegsende.
Im Fernsehen erklärte Bundeskanzler Adenauer, dass die deutsche Nation überwiegend aus Verführten bestanden hatte, die von einer Handvoll Verbrecher ins Unglück getrieben worden sind, während Willy Brandt in einer Berliner Rede das Gegenteil behauptete: die Deutschen seien nicht in der Lage gewesen, sich ihrer Schuld und ihrem persönlichen Anteil an den Ereignissen zu stellen. 2011 wird dann der Historiker Götz Aly mit der These antreten, dass die meisten Deutschen sich im Dritten Reich bereichert haben, häufig auf Kosten der Juden, auf die man wegen ihrer Bildung und ihres wirtschaftlichen Erfolgs neidisch war. Rassenlehre und Sozialneid – eine unselige Allianz.
 

Einige Ungereimtheiten gab es schon

Nun konnte man sich im ZDF „ein Bild“ machen. Fünf Freunde werden vorgestellt, um aus unterschiedlichen Perspektiven das Elend des 1000-jährigen Reichs zu beleuchten. Auch die kleinen Karrieristen und Kriegsgewinnler kommen vor. Zwei Freunde werden nicht überleben, der Rest trifft sich nach dem Krieg in der alten Kneipe und mag sich über das Überleben (noch) nicht so recht freuen. Zuvor: eine auch für deutsche Verhältnisse aufwendige Produktion, die aus meiner Sicht nicht ganz an die vielzitierten „Band of Brothers“ heranreichte, aber deren explizite Gewaltdarstellung übernahm. 

Auffälliges? Ja, einiges. Weniger die der Dramaturgie geschuldeten unwahrscheinlichen Begegnungen der Freunde an den unmöglichsten Orten. Dafür anderes.
Beim ersten Teil fragte ich mich, ob die Beteiligung der Wehrmacht an den Aktionen der SS-Sondereinheiten unter den Teppich gekehrt wird. Gut, man sieht Ukrainer bei der willigen Zusammentreibung von Juden, aber dann ist es ein moralisch auftretender deutscher Offizier, der wenigstens ein Kind retten will. Später zeigt der Film immerhin, wie sich deutsche Soldaten an Vergeltungsaktionen beteiligen, eine der Hauptfiguren liquidiert ungerührt eine Zivilistin und erschießt später ein fliehendes Kind. Zuvor war er ein friedliebender Pazifist, nach drei Jahren Kriegseinsatz ist ein Killer geworden. Gut, der Krieg deformiert seine Kinder, aber ist das nicht in anderen Kriegen auch so? Aber meistens sind es die SS-Unholde, die die Menschlichkeit mit Füßen treten. Das hat ein Geschmäckle.
Dazu muss man nicht die berühmt-berüchtigte Wehrmachts-Ausstellung kennen, in der gezeigt werden sollte, dass die Wehrmacht im Osten nicht nur Massenmorde an der Zivilbevölkerung durchführte und beim Vormarsch auf Moskau trotz anderslautender Befehle die Höfe ausplünderte, sondern auch massenhaft Kriegsgefangene liquidierte und sich aktiv am Holocaust beteiligt hat. Es reicht zu wissen, dass einige Historiker glaubhaft belegen können, dass nach dem Scheitern des Blitzkriegs im Osten die militärischen Operationen nur noch das Ziel hatten, genug Zeit herauszuschinden, um die Beschlüsse der Wannsee-Konferenz umzusetzen. Gut: der gemeine Landser wird dies nicht gewusst haben, aber es hätte nur einiger Dialoge bedurft, um dies zumindest als These in den Film einzubauen.
 

Etwas, was mich besonders ärgerte, war eine der Schlussszenen: der Jude Viktor hat den Krieg überlebt und trifft im zerstörten Berlin ausgerechnet den nun in Zivil auftretenden ehemaligen Standartenführer Dorn, der eine Position in der von den Alliierten zusammengestellten Verwaltung bekleidet. Ich frage mich, wie heute jüngere Zuschauer auf das Schweigens des alliierten Offiziers reagieren, nachdem Viktor diesem fassungslos erklärt, dass dort hinter dem Schreibtisch ein hoher Nazi sitzt!
Diese Frage habe nicht nur ich bereits vor vierzig Jahren gestellt, auch „Unsere Mütter, unsere Väter“ bleibt die Antwort schuldig (wobei ich noch prüfen muss, ob die ZDF-Doku zur Serie darauf eingeht).
 

Nicht nur ästhetisch, sondern auch inhaltlich voll daneben ist die martialische Darstellung von Friedhelms Tod, jener Figur, die vor dem Krieg als Pazifist auftrat und sich aufgrund der Kriegsexzesse in einen zynischen, fast teilnahmslosen Killersoldaten verwandelt hat. Sicher, er rettet einer kleinen Volksturm-Gruppe, darunter auch Kinder, das Leben, indem er mit seinem Opfertod vorführt, was bei einem Angriff geschehen würde und es gelingt ja auch, denn besonders die Kinder haben das Sterben noch nicht gesehen. Aber muss man es so zeigen, dass der bereits mehrfach Getroffene immer wieder heroisch aufsteht, weiter marschiert und es eines Maschinengewehrs betraf, um diesen deutschen Landser endlich zu stoppen?
 

Und das Fazit?

Das Dilemma ist – und das ist keine Kritik, sondern einfach nur eine Feststellung – dass der ZDF-Dreiteiler weder auf die Jahre vor 1939 noch auf die nach 1945 eingeht. Das wäre auch ein anderes Format gewesen, man kann es den Machern nicht wirklich vorwerfen, aber die zeitliche Zäsur, die der Dreiteiler vornimmt und die sich an bewährten Eckdaten orientiert, ist selbst Teil eines größeren Problems. Die Verlängerung der Perspektive über den Mai 1945 hinaus wäre die einzig angemessene, denn der Krieg ging ja in den Köpfen und Seelen lange weiter. Besonders die inneren Verwundungen, das Schweigen. Aber dies haben nur wenige Filmemacher in Angriff genommen. „Der Vorleser“ hat dies in Buch und Verfilmung ansatzweise versucht, auch in der Heimat-Trilogie von Edgar Reitz wird man fündig.
So ist es nicht nur bei uns: das Kriegsende ist nicht das Ende des Kriegs.
 

Literatur, Presse, Quellen: