Dienstag, 28. November 2023

„Oppenheimer“ – ein lärmendes Spektakel (Bluray-Review)

Von einigen Kritikern als Jahrhundertfilm gefeiert, von anderen schonungslos verrissen: wenn Christopher Nolan zuschlägt, ist die Aufregung immer groß. Auch im Falle von „Oppenheimer“, dem Film über den Physiker, der als Leiter des Manhattan-Projekts zum „Vater der Atombombe“ wurde und nach dem Abwurf von zwei A-Bomben auf Nagasaki und Hiroshima weinend gestand, dass er sich geirrt hatte.

Auch wenn es in „Oppenheimer“ zuallererst um ethische Fragen geht (oder gehen sollte), können die technischen und ästhetischen Qualitäten des Films nicht by the way abgehandelt werden. Erst recht nicht in einer Bluray-Review. Und so taucht ein Problem auf, das sich bereits lange vor „Oppenheimer“ angekündigt hat – nämlich die selbstherrliche Arroganz eines Autorenfilmers, der Hi-Tec-Standards definiert hat, die den Film im Heimkino zum Fiasko werden lassen. Von seinem Hauptthema erzählt Nolan dagegen mit überraschender Nachlässigkeit.

Man versteht kein Wort mehr

Vor drei Jahren wurde Nolan heftig kritisiert, weil „Tenet“ so abgemischt war, dass man die Dialoge ohne Untertitel nicht mehr verstehen konnte. Nolan schien es nicht zu kümmern, dass Bild und Ton sich eher an bombastische Effekten orientierten und weniger an der verschachtelten Story. "Wir haben beschlossen, dass wir keine Filme für Substandard-Kinos mehr mischen", erklärte Nolan bereits 2017. Ein arrogantes Urteil.
Nolans „Oppenheimer“ setzt ziemlich konsequent um, was der Filmemacher angekündigt hatte, nämlich dass der Film im Prinzip nur in wenigen IMAX-Kinos adäquat vorgeführt werden kann, in denen der Zuschauer das hören und hören kann, was dem Filmemacher vorschwebte.

Im Heimkino – egal, ob mit konventioneller Bluray oder UHD Bluray – führt dies zu einer formidablen Katastrophe. Aber die ist bereits seit mehr als zehn Jahren bekannt. Es geht um die Dynamic Range, auch Dynamikumfang genannt. Ein hoher Dynamikumfang hat zur Folge, dass der Unterschied zwischen dem leisesten und dem lautesten Ton groß ist.
Die Folgen sind nicht einfach zu beseitigen. Denn bei der Abmischung des Films ist die lauteste Stelle der Standard. Dialoge werden deutlich leiser abgemischt. Man greift also zur Fernbedienung, um die Dialoge lauter zu machen. Aber dann erwischt einen die nächste Explosion mit voller Wucht. Und das ist gewollt. Wer nicht mit den eingebauten Lautsprechern des Smart-TV den Ton konsumiert, wird auch in Nolans Film schon bei einfachen Soundbars mit einem nervigen Surround-Donner konfrontiert.

In „Oppenheimer“ wird der deutsche Ton in DTS 5.1 geliefert, die O-Töne in DTS HD-Master 5.1., ein Codec, der sich gegen Dolby True HD mittlerweile durchgesetzt hat. Doch die technischen Daten verraten nicht, was in der Praxis damit gemacht wird. In „Oppenheimer“ gibt es nur wenige Szenen, in denen Dialoge und sonst nichts zu hören sind. Die meisten Szenen, sogar nicht zusammenhängende Sequenzen, werden mit wummernder Musik und zusätzlich auch noch mit nicht identifizierbaren Originalgeräuschen überlagert, sodass der Zuschauer die heftigen Lautstärkesprünge von drei Audio-Quellen gleichzeitig verarbeiten muss. Ein Jahrhundert nach der Erfindung des Tonfilms ist die menschliche Sprache also nur noch in Geräusch unter vielen.

Die Bildqualität ist guter Standard

Da Nolan wieder einmal mit unterschiedlichen Bildformaten arbeitete, kamen 65 mm IMAX- und analoge 35 mm-Kameras zum Einsatz. Das Bild wechselt zwischen dem Vollbild-Format 1,78:1 und 2,20:1. Da der fast dreistündige Film auf eine 50 GB-Disk passen musste, waren Komprimierungseffekte nicht zu vermeiden. Gelegentlich tauchen Schwankungen bei der Körnung auf, selten auch Artefakte.

Angeblich soll die UHD-Fassung nahezu perfekt sein, aber diese Rezension beschäftigt sich nur mit der „normalen“ Bluray. Und die sah sowohl in den farbigen als auch in den Schwarz-Weiß- Sequenzen auch dort gut aus, wo es etwas dunkler wurde. Überhaupt halte ich den Mehrwert von UHD für überbewertet, da ich zu viele Filme gesehen habe, deren Bilder im sogenannten „True Cinema“- oder „Filmmaker“-Modus farbentsättigt und überbelichtet waren. UHD ist etwas für Hi-Tec-Aficionados, der Mehrwert gegenüber einer gut gemasterten Bluray ist für die meisten Konsumenten spätestens dann nicht mehr zu sehen, wenn sie 2 m entfernt vor ihren Smart-TV sitzen.

Inhaltlich ist Nolans Film alles andere als ein Meisterwerk

„Oppenheimer“ ist ein Biopic. Die haben oft die Angewohnheit, chronologisch zu erzählen. Christopher Nolan erzählt die Geschichte des amerikanischen Physikers J. Robert Oppenheimer dagegen non-linear. An sich nichts Neues bei ihm. Man kennt dieses Stilmittel auch aus anderen Nolan-Filmen wie Memento", Dunkirk" und Tenet". In Interstellar" wurde die Zeit allerdings durch ihre physikalischen Eigenschaften verzerrt.

„Oppenheimer“ besteht aus drei Handlungssträngen. Erzählt wird die Geschichte eines Physikers, der mit experimenteller Physik wenig am Hut hatte, aber dann die theoretische Physik entdeckte – und damit auch die Quantenphysik. J. Robert Oppenheimer war es zu verdanken, dass die Entdeckungen von Max Planck, Niels Bohr, Erwin Schrödinger und Werner Heisenberg in den USA Beachtung fanden. Aber die Ereignisse in dieser linear erzählten Erzähllinie sind tatsächlich Flashbacks, denn die Story wird aus der Perspektive von zwei weiteren Ereignissen erzählt, die in den Nachkriegsjahren Oppenheimers Leben dramatisch veränderten. Diese beiden Zeitlinien erzählen von zwei Anhörungen. In der einen wird die Wahrheit manipuliert, in der anderen enthüllt.

Wenige Jahre nachdem die Russen ihre erste Atombombe gezündet hatten, erreichte der Kalte Krieg mit der McCarthy-Ära ihren ersten Höhepunkt. In der zweiten Zeitlinie sind wir im Jahr 1954: Oppenheimer, der als Vorsitzender des Beratungskomitees der Atomic Energy Commisssion (AEC) fungiert, wird nach einer Anhörung durch einen Ausschuss die Sicherheitsfreigabe verweigert. Der Ausschuss, der offensichtlich bereits vor der Anhörung sein Urteil gefällt hatte, wirft dem Physiker vor, dass er Kommunist sei, zumindest aber auf verdächtige Weise viele Freunde und Bekannte in kommunistischen Kreisen hatte. Dazu gehörten Oppenheimers frühere Geliebte Jean Tatlock (Florence Pugh) und sein Bruder Frank (Dylan Arnold). Ein Mitarbeiter Oppenheimers, Klaus Fuchs (Christopher Denham), entpuppte sich zudem als sowjetischer Spion, was absurderweise Oppenheimer verdächtig machte. Der Wissenschaftler, der nach der Zündung der ersten Atombombe in den USA als Rockstar der Physik gefeiert wurde, hat in diesem Schauprozess, in dem keine Beweise vorgelegt werden müssen, keine Chance. Er verliert Job und Einfluss.

Der dritte Erzählstrang spielt im Jahre 1959. Der ehemalige Leiter der AEC, Lewis Strauss (Robert Downey Jr.), will im Kabinett von Dwight D. Eisenhower Handelsminister werden, wird aber in der obligatorischen Anhörung durch den US-Senat vom Kernphysiker David L. Hill öffentlich vorgeführt. Hill bezweifelt Strauss‘ Integrität, deckt Falschaussagen auf und Strauss wird auch aufgrund der Nein-Stimmen von John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson der Ministerposten verwehrt. Mittlerweile war es ein offenes Geheimnis, dass Lewis Strauss der Initiator von Oppenheimers Anhörung war. Der ehemalige und paranoide Bankier fühlte sich als einer der wenigen Nicht-Akademiker in der ACE durch Oppenheimer gedemütigt und war fest davon überzeugt, dass der „Vater der Atombombe“ in einem Gespräch mit Albert Einstein gegen ihn Intrigiert hatte.

Diese drei Erzählebenen montiert Christopher in farbigen Bildern und in Schwarz-Weiß. Nolan beschrieb dagegen nur zwei Zeitlinien: „„One is in color, and that’s Oppenheimer’s subjective experience. That’s the bulk (dts. Substanz) of the film. Then the other is a black and white timeline. It’s a more objective view of his story from a different character’s point of view.”
Dies erschließt sich aber nicht, wenn man sich den Film ohne Nolans Erklärung anschaut. In einem Biopic geht man normalerweise von einem Narrator aus und weniger von einer Binnenperspektive der Hauptfigur. Aber im Kern ist das nur eine Petitesse. Das Hauptproblem des Films ist ein anderes.

Das eigentliche Problem in Nolans neuem Film ist das Pacing, also der Montagerhythmus. Nolan verfasste das Drehbuch auf der Basis der von den Kritikern gefeierten Oppenheimer-Biographie „American Prometheus – The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“ von Kai Bird und Martin J. Sherwin. Im biographischen Prolog (1. Zeitlinie) packt Nolan die Laufbahn Oppenheimers wie in einem Rausch in schnell geschnittene Sequenzen, die hyperdramatisch von der Musik Ludwig Göransson und schwer identifizierbaren Geräuschen zugekleistert werden. Immer wieder taucht zum Beispiel ein Stakkato auf, das erst kurz vor dem Ende des Films erklärt wird. Es ist das begeisterte Fußgetrampel von Zuhörern, die einen Vortrag Oppenheimers frenetisch feiern. Was das Getrampel zuvor im Tonmix zu suchen hatte? Das weiß wohl nur Nolan.

Das Ganze wurde von dem wie immer exzellent arbeitenden Kameramann Hoyte van Hoytema mit packenden Bildern illustriert, aber besonders in der ersten Stunde wird der Zuschauer förmlich überrollt, wenn Oppenheimers Studium in Cambridge als Alptraum aus Angst und Zweifel skizziert wird und der berühmte Niels Bohr (Kenneth Branagh) in einem Kurzauftritt dem Physiknovizen zu einem Studium in Göttingen rät. Über die Quantenphysik erfährt man wenig, fünf Sekunden lang sieht man Werner Heisenberg (Matthias Schweighöfer), aber dieses Schaulaufen der berühmtesten Quantenphysiker ist kaum mehr als ein pflichtschuldiges Abarbeiten von biografischen Details im Eiltempo. Mehr nicht, denn wenn Nolan zeigen will, was im Kopf eines Physikers vorgeht, dann zeigt er halluzinatorische Visionen, in denen Fäden und Lichtblitze durchs Bild huschen. Dass auch andere Größen der Physik in dem Film auftauchen, erfährt man nur, wenn man die Besetzungsliste liest.

Nun kann man auch in einem dreistündigen Film nicht erwarten, dass man Heisenbergs Unschärferelation erklärt bekommt. Es hätte allein Einsteins Formel E=mxC2 gereicht, um anschaulich zu verdeutlichen, welche ungeheure Energie in einem einzigen Atom steckt. Immerhin taucht Einstein (Tom Conti) in Nolans Film auf. Einstein hatte sich 1939 nach der Entdeckung der Kernspaltung  für den Bau der Atombombe stark gemacht hatte. Entdeckt wurde sie 1934 durch Enrico Fermi und experimentell vertieft durch Otto Hahn und Fritz Straßmann. Eine theoretische Interpretation folgte durch Otto Frisch und die vor den Nazis geflohene jüdische Physikerin Lisa Meitner. Beide bezeichneten die Freisetzung von gigantischen Energiemengen als Fission (Spaltung). Einstein wurde mit seinem Appell nicht glücklich. In Nolans Film distanziert er sich ganz zum Schluss in einem Gespräch mit Oppenheimer sarkastisch von der Politik und einigen opportunistischen Kollegen. Es ist eine der besten Szenen des Films.

Das Dilemma in Nolans ist schnell erkennbar: Es soll alles genannt werden. Aber je mehr es wird, desto größer werden die Lücken. So wirkt „Oppenheimer“ wie gehetzt, die Figuren werden nur oberflächlich skizziert, auch Oppenheimers Frau Katherine (Emily Blunt) ist nur eine Randnotiz. Struktur bekommt der Film erst mit der Planung und Durchführung des Projekts in Los Alamos. Auch weil sich die Physiker mit einem Problem beschäftigen müssen: Kann eine Atombombe eine ungezügelte Kettenreaktion auslösen, in der die Atmosphäre verglüht? Nun bekommen nach gut einer Stunde auch die Flashforwards einen Sinn, die zeigen, welche moralischen Konsequenzen die erste Zündung einer Atombombe für J. Robert Oppenheimer hatten.

Das Hauptthema geht in dem Film fast unter

Das Thema kann und muss daher die Frage sein, inwieweit die Wissenschaftler eine Verantwortung für die Konsequenzen ihre Handlungen haben. Dabei handelt es sich nicht nur um ein ethisches Problem, sondern auch um ein politisches, denn letztlich – so auch in „Oppenheimer“ – sind es andere Mächte, die den Wissenschaftlern die Entdeckungen aus der Hand nehmen.

In Nolans Film wird besonders in einer der letzten Einstellungen deutlich, dass Oppenheimer ein genialer Physiker und ansonsten kaum mehr als ein naiver Hofnarr der Politiker und des Militärs war. Überzeugt davon, dass ein singulärer Einsatz der Atombombe so grauenhaft wäre, dass er Kriege in Zukunft verhindern würde, glaubte der Physiker, dass seine Arbeit den schrecklichen Missbrauch einer Massenvernichtungswaffe durch die Nazis verhindern könne und danach der Beginn einer globalen Phase des Friedens sein müsse. Nach dem Abwurf der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki erkannte Oppenheimer allerdings seine Naivität. Zum einen, weil sein Konkurrent Edward Teller (Benny Safdie) mit Unterstützung der Politik den Bau einer Wasserstoffbombe forcierte, zum anderen, weil in einer gelungenen Szene des Films Oppenheimers Gespräch mit dem US-Präsidenten Harry S. Truman zu einer Farce wurde. Während Oppenheimer dem Politiker die Gefahren einer atomaren Waffenentwicklung beschreiben will, hat Truman schon längst andere Visionen. Er komplimentiert Oppenheimer aus dem Oval Office und gibt seinem Mitarbeiter die Anweisung, diesen Narren nie wieder ins Weiße Haus vorzulassen.

Trumans Vorgänger Eisenhower war weitsichtiger als Oppenheimer und warnte vor dem „militärisch-industriellen Komplex“. Oppenheimers Hybris und sein Scheitern bestanden darin, dass er glaubte, seinen Ruhm in politische Einflussnahme verwandeln zu können und auch darin, dass er wissenschaftsethische Fragen intellektuell nicht durchdringen konnte. Aber ganz ehrlich: Um sich das bewusst zu machen, hätte man nicht drei Stunden Bombast und Effekthascherei benötigt. Eine wortgetreue Verfilmung von Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ (1962) hätte es auch getan, denn Dürrenmatt hatte erkannt, dass die Beziehung von Wissenschaft und Ethik zwangsläufig in die Paradoxie führt muss.
In seinem Theaterstück versteckt sich Möbius, der Entdecker der „Weltformel“, die geeignet ist, die gesamte Welt zur zerstören, in einer Irrenanstalt. Bedrängt wird er von zwei Physikern, die ihn ihm im Auftrag fremder Mächte zur Herausgabe der Formel überreden sollen, aber scheitern. Möbius hat seine Aufzeichnungen bereits verbrannt. Tatsächlich aber hat die Anstaltsleiterin diese Aufzeichnungen längst kopiert. Sie ist die einzige Person in Dürrenmatts Drama, die wirklich wahnsinnig ist, und nun zur Herrscherin und Zerstörerin der Welt werden wird.

Christopher Nolan gelingt eine ähnliche Schärfe bei der Analyse Oppenheimers nicht. Was aber nötig gewesen wäre, weil die Wissenschaftsethik sich angesichts der Entwicklung der Genetik und der Medizinforschung, der KI-Entwicklung, der atomaren Energiegewinnung und der drohnengestützten Kriegsführung mehr denn je mit der Verantwortung der Wissenschaftler beschäftigen muss. Doch die Erfahrung lehrt, dass alles, was man entdeckt, auch genutzt wird. Einstein soll gesagt haben: „Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren.“ Das bringt es auf den Punkt.

„Oppenheimer“ ist unterm Strich ein Überwältigungsfilm. Sowohl in technischer als auch inhaltlicher Hinsicht. Dazu gehört auch ein Cast, der mit über 60 historisch wichtigen Figuren völlig überladen ist. Physiker wie Richard Feynman (Jack Quaid), Kenneth Bainbridge (Josh Peck) und Enrico Fermi (Danny Deferrari) rauschen am Zuschauer vorbei. Das ist schade, weil in dem Film die Anzahl der OSCAR-Preisträger und OSCAR-Nominierten kaum zu zählen ist.
Von den Nebendarstellern wird nur Edward Teller (Benny Safdie) als Figur entwickelt und bekommt etwas mehr Screentime. Kenneth Branagh wird dagegen mit zwei Kurzauftritten abgespeist. Dass mit Kurt Gödel eines der größten mathematischen Genies des 20. Jh. in „Oppenheimer“ zu sehen ist, erfährt man wie gesagt nur dank der Besetzungsliste.

Andere hatten mehr Glück. Beim geerdeten und beeindruckenden Auftritt von Matt Damon als General Leslie Groves, der als Direktor des Manhattan-Projekt fungierte, kann man von einer gelungenen Figurenentwicklung sprechen. Auch der Auftritt von Robert Downey Jr. als verzweifelter und gleichzeitig narzisstisch-paranoider Schurke ist OSCAR-verdächtig.
Das gilt auch für Cillian Murphy, dessen Perfomance als J. R. Oppenheimer großartig ist und sehr facettenhaft eine tragische Figur zwischen Angst, Zweifel, naivem Optimismus und gelegentlichem Opportunismus verkörpert.
Trotz aller Kritik an Nolans Film ist dem Star-Regisseur („The Dark Knight“, „Interstellar“) zumindest bei der Darstellung Oppenheimers eine große Tragödie gelungen. In Sachen „Aufstieg und Fall“, aber auch bei der Dekonstruktion seiner Figuren, war Christoper Nolan schon immer ein Meister.

Der vermeintliche Höhepunkt des Films, die Zündung der ersten Atombombe, ist dagegen nicht überwältigend, sondern stimmt eher traurig. Denn fast 80 Jahre später fühlen viele Menschen aufgrund der aktuellen Kriege wieder einmal, dass das Damoklesschwert einer atomaren Vernichtung nicht verschwunden ist.

„Ich bin gefragt worden, ob es möglich ist, in den 20 größten amerikanischen Städten durch Atombomben in einer einzigen Nacht 40 Millionen Amerikaner zu töten. Ich muss leider die Antwort geben: Ja.“, stellte Oppenheimer später fest. „Die einzige Hoffnung für die Sicherheit unserer Zukunft liegt in der vertrauensvollen und wohlwollenden Zusammenarbeit mit den anderen Völkern der Erde.“ Er irrte sich. Heute besitzen Russland, die USA, China, Frankreich, Großbritannien, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea über 12.500 Atomwaffen.

Das Gesamtpakt stimmt aber – dank Bonusmaterial

Da dies keine Filmkritik, sondern eine Rezension der Bluray ist, muss auf die Hintertür hingewiesen werden, die sich dem Zuschauer öffnet: das Bonusmaterial der Bluray ist außergewöhnlich gut. Dazu gehört auch der Dokumentarfilm „Das Ende aller Kriege – Oppenheimer & die Atombombe.“ Dort sieht man auch den weinenden Oppenheimer – den gibt es bei Nolan nicht. Das Schlimmste ist jedoch, dass die Doku besser ist als der Feature Film.

Note: BigDoc = 3,5, Klawer = 3,5

 

Filmkritiken

"Oppenheimer" ist ein aufdringlicher, überfordernder Film, der unbedingt ein Event sein möchte, aber unter all seinem Getöse und seiner absichtlich komplizierten Form erschreckend hohl wirkt“ (Michael Hille, chip.de)

„(…) kam das moralische Dilemma, welches Oppenheimer fairerweise Zeit seines Lebens noch beschäftigte, angesichts der Relevanz im Leben des Wissenschaftlers viel zu kurz. An Fahrt, Spannung und positiven Eindruck gewinnt der Film dagegen jedes Mal dann, wenn das politische Konstrukt rund um das Manhattan-Projekt, Oppenheimer und dessen Verwicklung in kommunistische Aktivitäten behandelt wird“ (Andreas Engelhardt, kino.de).

Quellen

  • Dialoge im Film verständlicher wiedergeben (heimkino.de, 2015)
  • Warum Filme immer dunkler und akustisch unverständlicher werden (Der Standard, 2023)

Oppenheimer – USA 2023 – Buch und Regie: Christopher Nolan – nach dem Buch „American Prometheus – The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“ von Kai Bird und Martin J. Sherwin – Laufzeit: 181 Minuten – Kamera: Hoyte van Hoytema – Musik: Ludwig Göransson – D.: Cillian Murphy, Matt Damon, Robert Downey Jr, Emily Blunt, Rami Malek, Florence Pugh, Dylan Arnold, Tom Conti, Gary Oldman u.v.a.