Montag, 13. November 2023

Bosch: Legacy - Staffel 2 ist exzellente Krimiunterhaltung

Wenn Titus Welliver als Hieronymus Bosch im Kampf um Recht und Gerechtigkeit im Schattenbereich von Legalität und Illegalität unterwegs ist, dann weiß man, dass er sich im Zweifelsfall für die Gerechtigkeit entscheidet.

Das scheinen die Zuschauer zu mögen, denn dank Wellivers exzellenter Interpretation der Rolle entstand in den Jahren 2014-2021 eine Cop-Figur, die zu Recht als ikonisch bezeichnet werden konnte. In sieben Staffeln war Bosch für das LAPD als Detective auf den Straßen von Los Angeles unterwegs. Dann verließ er den Polizeidienst. Das Sequel „Bosch: Legacy“ erzählt nun davon, wie Bosch als Private Eye seinen Kampf gegen das Böse fortsetzt.

Eine der erfolgreichsten Serien im Amazon Prime-Kosmos

Michael Connelly hat mittlerweile 38 Romane geschrieben. 74 Millionen Bücher gingen über den Ladentisch und die Romane, in denen Hieronymus Bosch häufig die Hauptfigur ist, wurden in 40 Sprachen übersetzt. Dass der Cop den Namen eines berühmten holländischen Malers trägt, ist kein Zufall: Hieronymus Bosch (ca. 1450-1516) malte erschreckende Bilder über die Sünden der Menschen, die das Böse sichtbar machen sollten, gleichzeitig aber auch die religiösen Bezüge allegorisch und symbolisch verschlüsselten. In Connellys Büro hängt nicht zufällig das 1505 entstandene Bild „Die Hölle“ (The Hell): der Teufel und seine Dämonen foltern grausam die Sünder – eine ewige Pein. Anfang des 16. Jh. sollen einige von Bosch‘ Zeitgenossen nach der Betrachtung dieses Schreckensszenarios ihren Lebenswandel geändert haben. In Connellys Krimis tun sie dies nicht.

Im 21. Jahrhundert ist in der „Stadt der Engel“ davon auch nicht auszugehen. Der Buchtitel „The Wrong Side of Goodbye“ ist eine Hommage an „The Long Good-Bye“ von Raymond Chandler und Ross Macdonalds „The Goodbye Look“. Sowohl Chandlers Philip Marlowe als auch Macdonalds Lew Archer waren Privatdetektive, die mit einer gehörigen Portion Zynismus in die Abgründe von Korruption, Gier und Boshaftigkeiten schauten. Die Krimis, die Chandler und Macdonald schrieben waren hard-boiled. Ihr Blick auf L.A. machte aus der „Stadt der Engel“ einen Sündenpfuhl, der häufig genug keine Fiktion war, sondern eine realistische Beschreibung der Verhältnisse. Dass dies immer noch so ist, erzählen die Showrunner Eric Overmyer und Tom Bernardo zusammen mit Michael Connelly so clever und erfolgreich, dass ihre Neo-Noir-Krimis zu den erfolgreichsten Serien im Amazon Prime-Kosmos gehören.

Das liegt auch daran, dass die Showrunner und ihr Writer’s Room – anders als in den meisten Noir-Krimis – es bei der Plot-Entwicklung mit der Komplexität nicht allzu sehr übertreiben. Im Gegenteil: die zweite Staffel des Sequels kommt aufgeräumt daher. In den „Bosch“-Episoden war dies nicht immer der Fall.

Die Vergangenheit holt alle ein

In der neuen Staffel geht es um die Verfilmung von Connellys Roman „The Wrong Side of Goodbye“. Ein Großteil der Ereignisse wurde bereits in der ersten Staffel von „Bosch: Legacy“ erzählt. Dazu gehörte auch der Nebenplot um den berüchtigten „Screen Cutter“, einen Mann, der Frauen entführt und brutal vergewaltigt.
Die zweite „Legacy“-Staffel ist eine Fortsetzung dieser Story. Dies erklärt auch, dass die unmittelbaren Folgen der ersten Staffel Bosch nun mit großer Härte treffen. Aber nicht nur ihn, sondern auch die von Mimi Rogers gespielte Staranwältin Honey Chandler. Beide hatten zuvor die Grenzen der Legalität überschritten, um einen mächtigen und sehr gefährlichen Schurken zur Strecke zu bringen. Nun ist ihnen das FBI auf den Fersen, das bei der Wahl der Waffen ebenfalls nicht zimperlich ist. Das macht es Quereinsteigern nicht einfach, einige Teile des Plots zu verstehen. Es lohnt sich also, zunächst die erste „Legacy“-Staffel zu sehen, zumal der Cliffhanger zeigt, dass Bosch‘ Tochter Maddie (Madison Lintz), die Rookie beim LAPD ist, vom „Screen Cutter“ entführt wurde.

Wer das nicht will, wird durch den zweiten Hauptstrang entschädigt. Einleitend wird in den ersten beiden Episoden zunächst der Fall um den „Screen Cutter“ zu Ende erzählt. Der hat Bosch‘ Tochter in einen Sarg verpackt und der Wüste vergraben, um einen Deal mit der Staatsanwaltschaft auszuhandeln – für den Fall, dass er auffliegt. Ab der dritten Episode geht es um einen neuen Fall, nämlich die brutale Ermordung von Alexandra Parks, der Frau eines Deputy Sheriffs, und die Verhaftung des verdächtigen David Foster (Patrick Brennan), der von Chandler vertreten wird und offenbar unschuldig ist. In den Fokus von Chandler und Bosch geraten zwei korrupte LAPD-Cops, die ihre Haupteinnahmen aus Prostitution Erpressung beziehen und ihre Aufdeckung mit zahlreichen Morden skrupellos verhindern wollen.
Einen „Whodunit“-Crime Plot erzählt die zweite Staffel nicht. Die Schurken sind bekannt, es geht nun darum, wie man die beiden gewieften Cops zur Strecke bringt. Das erweist sich alles andere als einfach und am Ende kommt Bosch nur dank der Schießkünste seiner Tochter mit einem blauen Auge davon.

Die Beziehungen werden immer fragiler

Der eigentliche Mehrwert der Serie besteht in der äußerst spannenden Figurenentwicklung, die von einem fein gesponnenen Netzwerk sehr ambivalenter Beziehungen erzählt. Da ist die schwierige Vater-Tochter-Beziehung zwischen Bosch und Maddie, in der Bosch emotionale Probleme damit bekommt, seine fürsorgliche Rolle als Über-Vater zu überwinden. Erst recht, nachdem er Maddie eigenhändig aus dem Wüstensand gebuddelt hat, kurz bevor sie erstickt.

Maddies brutale Erfahrungen mit dem „Screen Cutter“ haben die taffe junge Frau massiv traumatisiert. Obwohl Maddie schnell Karriere macht und Mitglied der CRU-Einheit (Crisis Response Unit) wird, zeigt sich bald, dass die Entführung dafür verantwortlich ist, dass ihre sozialen Beziehungen zunehmend fragiler werden. Auch die zu ihrem Vater, denn beide wissen, dass ihre Arbeit sie immer mit dem Tod konfrontieren wird – auch dem eigenen. Madison Lintz und Titus Welliver spielen dies emotional auf hohem Level, auch weil Vater und Tochter sich nie ganz öffnen können - die Angst um den jeweils anderen ist zu beherrschend. Dass sie sich in der zweiten Staffel gegenseitig das Leben retten, bringt sie etwas weiter, ohne dass die Angst verschwindet.

Auch die Performance von Mimi Rogers als abgebrühte Anwältin sorgt für enorme Spannung. Der Zuschauer weiß nie so ganz, ob Honey Chandler empathiefähig oder lediglich eine Frau ist, die ganz nach oben will. Dass beides denkbar ist, macht die Figur schillernd. Auch weil Chandler zunächst ganz tief unten aufschlägt, als sie vom FBI in Handschellen abgeführt wird. Wie Chandler dann mit einer brillanten Strategie das FBI vor Gericht auseinandernimmt, das ist schon ein ziemlich grandioses Courtroom-Drama.

Genauso grandios wie Freisprechung ihres Mandanten David Foster, gegen den der zuständige Bezirks-Staatsanwalt aus rein politischen Gründen einen Prozess führen will, obwohl die Beweislage erdrückend und glasklar die Unschuld des Verdächtigten beweist. Dass Chandler ihren Kontrahenten brutal erpresst, scheint der einzige Weg zu sein, ein moralisch marodes Rechtssystem wieder in die Spur zu bekommen. Dies bleibt die einzige Szene, in der die die Showrunner Overmyer, Bernardo und Connelly unverhohlen politisch Stellung beziehen: Gerechtigkeit verlangt gelegentlich, dass das formale Recht gebrochen wird.

Auch die Nebenfiguren bekommen in der neuen Staffel mehr Raum. So auch das Hacker-Genie Maurice „Mo“ Bassi, toll gespielt von Stephen Chang. Auf „Mo“ wird eine Undercover-Agentin des FBI eingesetzt, die ihm gehörig den Kopf verdreht und ihn zu einer fingierten Straftat verleitet. Am Ende warten auf „Mo“ lange Jahre im Knast, es sei denn, er bringt Bosch und Chandler zu Fall. Nach dem verlorenen Prozess ist „Mo“ das letzte As im Ärmel des FBI, doch auch hier kommt alles anders: Mo, scheinbar geschlagen und zum Verrat bereit, trickst seine Kontrahenten noch cleverer aus als es zu Chandler gelang. Eine gute Idee, denn der ausgezeichnet spielende Stephen Chang hat sich diese bitter-süße Plotline über Liebe, Verrat und Loyalität verdient.

Auch wenn am Ende einiges geschmiert für Bosch, Chandler und Bassi läuft, wirkt es angesichts der massiven Waffen, die gegen das Trio eingesetzt werden, doch gelegentlich etwas märchenhaft. Das mindert die Qualität und Glaubwürdigkeit einer durchgehend gut erzählten Geschichte aber nicht. Überhaupt fühlt man sich nach neun Staffeln als Zuschauer beinahe wie Teil der Bosch-Family. Nicht wegen der Crime Plots, sondern wegen der Figuren, die nie langweilig werden. Dazu gehören auch die Veteranen-Cops Gregory Scott Cummins als Carte und Troy Evans als Barrel. Und wer wie der Rezensent genauso wie der Ex-Cop Hieronymus Bosch Modern Bebop mag, freut sich immer wieder über seinen Hund „Coltrane“ und über die Szenen, in denen Bosch nachts in seinem auf Stelzen gebauten Haus hoch über L.A. sitzt und Jazz hört, während ihm das glitzernde Los Angeles zu Füßen liegt.


Postskriptum:

Die dritte Staffel von „Bosch: Legacy“ war bereits vor der Produktion der Zweiten eine ausgemachte Sache. Das ist auch gut so, denn der Cliffhanger der zweiten Staffel scheint die Beziehung zwischen Bosch und seiner Tochter unwiderruflich zu zerstören. Man muss einfach erfahren, wie es weitergeht. Und hoffentlich wird dies nicht anderthalb Jahre dauern, zumal der Schauspielerstreik in der USA nach vier Monaten am 9. November mit einem Kompromiss endete. Wenn Schauspieler von einer KI durch einen digitalen Avatar ersetzt werden, erhalten die die gleiche Gage, als wenn sie selbst gespielt hätten. Trotzdem: einen Bosch-Avatar möchte ich so schnell nicht sehen. 

Eine Rezension der 7. Staffel gibt es hier.

Note: BigDoc = 1,5

Bosch: Legacy 2 – Amazon Studios 2023 – 10 Episoden – nach dem Roman „The Wrong Side of Goodbye“ von Michael Connelly - Showrunner: Eric Overmyer, Tom Bernardo, Michael Connelly – D.: Titus Welliver, Mimi Rogers, Madison Lintz, Stephan Chang, Max Martini, Guy Wilson, Guest Appearance: Lance Reddick als Ex-Captain Irvin Irving.