Sonntag, 27. Juni 2021

Bosch Staffel 7 – das Ende ist der Anfang

„Bosch“ gehört auf dem Streaming-Portal von Amazon zu den am höchsten bewerteten Krimiserien. Dass es nun nach sieben Staffeln vorbei sein soll, entpuppte sich allerdings als Halbwahrheit. Vielmehr folgt die aktuelle Staffel einer Entwicklung, die auch in den Romanen von Michael Connelly stattfindet: Bosch quittiert den Polizeidienst und wird danach als Private Eye um Gerechtigkeit kämpfen. Ein Spin-off wurde bereits angekündigt, es wird bei dem Amazon-Ableger IMDb TV zu sehen sein.
In der 7. Staffel kann man nun erfahren, warum das Karriereende der Polizeilegende Harry Bosch unausweichlich ist. Die Geschichte, die nur oberflächlich auf Connellys Roman „The Burning Room“ (2014) basiert, führt Bosch mitten in Verschwörung, an der nicht nur das FBI, sondern auch das Los Angeles Police Department beteiligt ist. Und wieder einmal streicht der Moralist Harry Bosch das Wort „Kompromiss“ aus seinem Vokabelschatz.

Everybody counts or nobody counts

Silvester 2019: Alles beginnt mit einem Molotow-Cocktail, der von einem lokalen Gangmitglied in ein Wohnhaus geworfen wird, während auf den Straßen die Menschen feiern. Offenbar hatte das Management des Apartment-Gebäudes eine zu lästige Anti-Drogenpolitik verfolgt. Als Harry Bosch (Titus Welliver) am Tatort auftaucht, ist ein halbes Dutzend Menschen tot, darunter eine schwangere Frau und ein zehnjähriges Mädchen, das jämmerlich erstickt ist, weil die Fluchttür aufs Dach abgeschlossen war. Nachdem Bosch das tote Kind gesehen hat, wird der Fall für ihn persönlich: „Everybody counts or nobody counts.“

Die Ermittlungen führen Bosch und seine Partner Jerry Edgar (Jamie Hector) nicht nur zur lokalen Drogenfürstin „La Mayorista“, sondern auch zu dem brutalen Gangster Mickey Pena (Gino Venro) und seiner Gang. Als Bosch zwei Handlanger des Gangbosses verhaften kann, schnappt ihm das FBI ausgerechnet jenen Täter weg, der Pena als Verantwortlichen des Brandanschlags belasten kann. Und weil hinter jedem Verbrechen ein noch größeres steckt, läuft am Ende alles auf eine Konfrontation mit Police Chief Irving (Lance Reddick) hinaus, der aus ganz anderen Gründen die Suche nach Penas Handlanger sabotiert.

Die Straffung von zehn auf acht Episoden hat der Serie gutgetan. Die ersten sechs Staffeln folgten in bester Neo-Noir-Tradition sehr komplizierten Handlungsstrukturen, die locker einen Noir-Kinoklassiker wie „L.A. Confidental“ alt aussehen ließen. Die 7. Staffel hat nun ein klares und überschaubares Pacing, obwohl es wie immer zwei Hauptplots und einige Nebenplots zu sehen gibt. Doch diesmal hat Showrunner Eric Overmyer die abgespeckte Episodenanzahl genutzt, um eine stringente und deutlich temporeichere Handlung zu kreieren. 
Obwohl Bosch als Ganzes als Procedural konsumiert werden kann, gibt es eine staffelübergreifende Metaebene, die einen Quereinstieg etwas erschwert. Nicht nur, weil Vergangenes immer wieder auftaucht, sondern auch, weil die Figuren des Main Cast sich seit dem Serienstart im Jahre 2014 sich alles andere als eindimensional entwickelten. Und dabei prallten Moral und Politik zwangsläufig aufeinander.

Ränkespiele

Pars pro toto: Der farbige Irvin Irving kämpfte sich im Lauf der Jahre durch die politischen Ränkespiele innerhalb des LAPD, schaffte es aber, Chief of Police zu werden. Nun wird er damit konfrontiert, dass die von ihm zuvor unterstützte latinoamerikanische Bürgermeisterin ihn offenbar wie eine heiße Kartoffel fallenlassen will. Irving, der aus dem Kampf um das Bürgermeisteramt ausgestiegen war, erkennt, dass eine Verlängerung seiner Amtszeit auf dem Spiel steht und geht daher mit dem FBI eine Quid pro quo-Deal ein: die „Feds“ liefern ihm belastendes Material, mit dem Irving die Bürgermeisterin erpressen kann, dafür erhält das FBI nicht nur den Belastungszeugen, sondern auch Mickey Pena, der als heimlicher Informant der Bundesbehörde bei einem großen Schlag gegen die Kartelle eine Schlüsselrolle einnehmen soll.

Im Mittelpunkt eines Subplots steht diesmal Detective Commander Grace Billets (Amy Aquino), die unmittelbare Vorgesetzte von Harry Bosch. Billets ist Lesbierin und gerät in den Fokus von zwei jungen Streifenpolizisten, die sich als Incels (unfreiwillig Zölibatäre) entpuppen und aus nichtigem Anlass Billets Karriere vernichten wollen. Damit verheddert sich Billets in ein heimlich überaus aktives Netzwerk von Frauenhassern, die das LAPD kontaminiert haben. Auch hier helfen am Ende keine kriminalistischen Methoden, und obwohl Billets das Netzwerk sprengen kann, muss sie Chief Irving elegant nötigen, um ihre eigene Macht im Polizeiapparat auszubauen.
Dass die 7. Staffel fast schon pflichtschuldig ein Frauenthema aufgreift, wirkt allerdings nicht so, als würde die Serie auf billige Weise einem Trend folgen. Von der Verzahnung zwischen Polizeiapparat, Administration, Politik und soziokulturellen Verwerfungen hatte bereits „The Wire“ intelligent erzählt. „Bosch“ tut dies beinahe zurückhaltend, deutet aber an, dass die Ausbreitung dieser Subkultur nicht vor den Zentren der Macht haltmachen wird.

Die Balance zwischen den Haupt- und Nebenplots nicht zu verlieren, scheint bei reduzierter Episodenanzahl alles andere als einfach gewesen zu sein, aber der Writer’s Room hat seinen Job überzeugend hinbekommen. Nicht leicht, denn auch der zweite Hauptplot entpuppt sich als Babuschka-Puppe: auf der kleinsten stecken größere und wenn man unter anfängt, sieht man das große Ganze nicht. 
Im Mittelpunkt steht die – gelinde gesagt – ehrgeizige Anwältin Honey Chandler (Mini Rogers), in deren Kanzlei „Maddie“ Bosch (Madison Lintz), die Tochter von Harry Bosch, arbeitet. Chandler hat die Verteidigung eines kriminellen Finanztycoons übernehmen, der Tausende Kleininvestoren gelinkt hat und sich mit einem Deal vor einer Gefängnisstrafe bewahren will: er will den Bundesbehörden einen noch größeren Fisch hinhängen, der mit Insidergeschäften astronomische Millionenbeträge abgezockt hat. Doch der lässt sich nicht so einfach ans Messer liefern, sondern engagiert mithilfe der Mafia einen Profikiller, der bald darauf eine Blutspur in L.A. hinterlässt. Als alles vorbei zu sein scheint, wird klar, dass als letzte Mitwisserin auch Maddie auf der Abschussliste des Killers steht.

To serve and protect

Dieses Credo des LAPD taucht reichlich oft in der neuen Staffel auf. Das ist nur zum Teil ironisch gemeint. Overmyer und Welliver haben in einem Interview mit der Los Angeles Times deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nichts mit den medialen Bemühungen am Hut haben, die distanzlos Cops als Helden vorführten. Das zielt vermutlich auch auf die Serie „Cops“ ab, eine der erfolgreichsten Reality-TV-Shows in den USA (33 Staffeln seit 1989). „Cops“ wurde 2020 auch aufgrund des gewaltsamen Todes von George Floyd von Paramount Network ersatzlos gecancelt: zu oft waren die in der Serie gezeigten Täter Farbige oder Latinos.
„We’ve never done that“, kommentierte dies Titus Welliver lakonisch.

Aber im Kern will „Bosch“ immer noch die Geschichte von Akteuren sein, die sich im Laufe der Jahre biografisch verändern, weil sie einen eigenen moralischen Kompass haben und ihren eigenen Weg gehen. So ist Harry Bosch auf seine Weise ein Unikat geworden, eine Figur, die in einem Noir-Krimi eben nicht zynisch geworden ist, sondern auf fast altmodische Weise darauf besteht, dass Werte wie Ehrlichkeit und Integrität um jeden Preis gewahrt werden müssen. Ohne Grenzüberschreitungen geht dies nicht. Titus Welliver hat dies auf unnachahmliche Weise gespielt, mit subtiler, unaufgeregter Mimik, immer auf der Hut davor, seine Emotionen offen zu zeigen, auch dann, wenn es in ihm brodelte.

In der letzten Staffel wird dies besonders durch die Buddy-Geschichte zwischen Bosch und seinem Partner Jerry deutlich, denn der scheint innerlich zu zerbrechen, nachdem er in der 6. Staffel den Mörder seines Onkels erschoss, obwohl dieser sich bereits ergeben hatte. Nun lässt sich Jerry volllaufen, er ist depressiv und de facto dienstunfähig und muss von Bosch immer wieder gedeckt werden.

Jerry Edgar befindet sich damit in einer ähnlichen Situation wie sein Partner, der in der 1. Staffel im Verdacht stand, einen Verdächtigen liquidiert zu haben. Und Bosch deckt Jerry, obwohl er weiß, dass dieser Richter und Henker zugleich gewesen ist. Die Hauptfigur der Serie ist also auch ambivalent, eigentlich ist Bosch sogar ein Moralist mit Macken. Aber die Verletzlichkeit von Harry Bosch, der selten viele Worte machte, war halt nicht nur das Ergebnis eines fragilen und am Rande der moralischen Korruption agierenden Police Departments, sondern auch die Summe seiner biografischen Erfahrungen und Traumata.
Welliver spielte dies mit einer emotionalen Selbstkontrolle, die zeigt, dass man zerbricht, wenn man sie aufgibt oder zu viel darüber redet. 
Das war nicht einfach, denn wenn man genau hingeschaut hat, musste man im Laufe der Jahre erkennen, dass es weniger die politischen Affären waren, die Bosch in emotionale Grenzsituationen brachten, sondern die Gewalt, die bereits in seiner Kindheit seine Familie erreichte: die ermordete Mutter, deren Mörder er jahrelang suchte, später die Ermordung seiner Ex-Frau.
Und dann waren das noch die namenlosen unschuldigen Opfer: misshandelte Kinder, getötete Immigrantinnen, sexuell Missbrauchte. Menschen, die in der Polizeistatistik landen und schnell vergessen werden. Bosch besitzt daher die Empathie, um Jerrys persönlich motivierten Rachegefühle zu verstehen und die Erfahrung, um zu wissen, was eine traumatisierte Biografie aus einem macht.

Und wenn man ehrlich ist, dann wird man „Bosch“ nicht wegen der raffinierten Crime Plots so gerne gesehen hat, sondern weil er zu den Menschen gehört, die man im echten Leben nur selten kennenlernt. Ich habe „Bosch“ auch gemocht, weil das Haus der Hauptfigur hoch oben auf den Bergen steht und sie wortwörtlich auf L.A. herabblicken konnte. In seinem Refugium hörte Bosch Jazz, nichts Modernes, sondern Jazz aus den Fünfziger und Sechziger Jahren. In den 7. Staffel hörte man auch einiges, darunter auch ein Stück aus John Coltranes „Coltrane for Lovers“ – so ziemlich das Atypischste, was der Tenorsaxofonist in diesen Jahren spielte. Es verrät einiges über Harry Bosch, aber noch mehr über die bemerkenswerte Liebe zum Detail, das die Macher in den letzten sieben Jahren immer wieder unter Beweis stellten. Vom Spin-off erwarte ich nicht mehr und nicht weniger.


Note: BigDoc = 1


Bosch – Season 7 – 8 Episoden – Showrunner: Eric Overmyer – nach Motiven aus den Romanen von Michael Connelly – D.: Titus Welliver, Jamie Hector, Amy Aquino, Lance Reddick, Madidon Lintz, Mimi Rogers u.a.


Die 7. Staffel ist seit dem 25. Juni 2021 bei Amazon Prime zu sehen.