Sonntag, 13. Juni 2021

Im Netz der Gewalt (Crown Vic) – ein tiefschwarzer und zynischer Cop Thriller


Joel Souza ist bislang nicht mit spektakulären Filmen aufgefallen. Sein Handwerk als Geschichtenerzähler versteht er aber. Allerdings weiß man nicht so recht, ob es die soghafte Geschichte ist, die einen beim Zuschauen fesselt oder das blanke Entsetzen über die Gewaltexzesse im nächtlichen L.A.
„Crown Vic“ ist der Nickname für ein in den USA legendäres Polizeiauto, in dem zwei Cops in durch eine gewalttätige Nacht fahren und über das Leben als Cop sinnieren. Aber nicht nur jenseits der Windschutzscheibe geht alles den Bach runter. Billige Cop-Action ist das nicht, aber am Ende hätte sich Joel Souza die Botschaft des Films ersparen sollen. Die ist – gelinde gesagt – hässlich.

Die innere und die äußere Welt

Joel Souzas Film kommt schnell zu Thema. Nach einem Banküberfall liefern sich zwei Gangster ein blutiges Feuergefecht mit einer Handvoll Cops des LAPD. Kameramann Thomas Scott Stanton bietet dem Zuschauer dabei eine voyeuristische Kameraperspektive an: man sieht das Geschehen von der Rückwand des Fluchtwagens aus, beobachtet, wie die beiden Täter keine Deckung suchen und aufrecht stehend die Magazine ihrer AK-15 entleeren, ins Fahrzeug steigen und sogar durch die Windschutzscheibe Cops erschießen, während das Fahrzeug rückwärts durch eine schmale Gasse rast. Sie entkommen und „Crown Vic“ lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die beiden Hauptfiguren des Films einen finalen Showdown mit den suizidal agierenden Gangstern haben werden.

„Im Netz der Gewalt“ ist so gesehen nicht der schlechteste Verleihtitel. Allerdings ist der Originaltitel eine Spur raffinierter, denn die eigentliche Hauptrolle in dem Film spielt der Ford Crown Victoria, in dem Ray Mandel (Thomas Jane spielte den Detektiv Joe Miller in „The Expanse“) und sein Trainee Nick Holland (Luke Kleintank, „Midway“) sitzen. Die beiden Cops werden eine nachtlang zusammen in Los Angeles Streife fahren. Für den Rookie ist es der erste Einsatz, sein Kollege ist seit 25 Jahren auf der Straße. Nach all den Jahren, so erklärt es Ray seinem unerfahrenen Partner, wisse er, dass es zwei Welten gibt: das Innere des Autos, das durch etwas Stahl und Glas von der Welt draußen getrennt wird. Und in dieser Welt gelte es nicht nur, auf verdächtige Personen zu reagieren, sondern mehr noch auf jene da draußen, die unverdächtig erscheinen. Das sind die Lektionen, die Nick lernen muss. Der „Crown Vic“ ist also ein Mikrokosmos auf vier Rädern, und alles, was sonst noch existiert, ist bösartig und gefährlich. Der Originaltitel des Films besitzt also allegorische Qualität.

„Crown Vic“ könnte man als Variation oder gar als Remake von Antoine Fuquas „Training Day“ sehen. Aber ganz so einfach ist es nicht. In Fuquas Film geht es zwar auch um den ersten Tag auf der Straße, aber der von Ethan Hawke gespielte Rookie lernt schnell, dass sein Partner längst die Seiten gewechselt hat – eine der wenigen düsteren Rollen, in denen Denzel Washington mal nicht den Guten mimt.

Zwei Lektionen

In Souzas Film erzählt etwas Anderes: es geht in der ersten Lektion darum, dass Ray seinen jungen Partner im Schnelldurchgang sozialisiert und darauf vorbereitet, dass der Wahnsinn einer Nacht in L.A. den Ehrencodex der Cops nicht antasten kann und dass Nick herausfinden muss, ob er so ein Leben Nacht für Nacht im Crown Vic verbringen will. Und das bedeutet, so lautet die ungeheuerliche Botschaft des Films, dass Cops ihre eigene Moral haben und notfalls wie Vigilanten agieren müssen: sie sind Ermittler, Ankläger, Richter und Henker in einer Person. Die ist die zweite Lektion für den Rookie in „Im Netz der Gewalt“. Der Film ist also auch ein Lehrstück über das zivilisatorische Versagen, über Polizeigewalt und das alles durchdringende Irresein, das fast alle Protagonisten erfasst. Jedenfalls aus der Sicht eines Cops, der sich hard-boiled und illusionsfrei gibt.

Sequenziert wird der Film durch die Einblendungen der Polizeicodes. Jedes Ereignis, jeder Einsatztyp hat eine Nummer. Ray und Nick fahren durch die Nacht und während Nick sarkastisch, aber keineswegs feindselig, seinem Beifahrer die Gesetze der Nacht erklärt, spult Joel Souza, der auch das Drehbuch schrieb, zunehmend eskalierende Ereignisse ab.
Ein Stein landet auf der Windschutzscheibe, der mutmaßliche Täter wird verfolgt und festgenommen; eine Frau, die vermeintlich einen Einbrecher um ihr Haus schleichen sah, entpuppt sich als psychotisch Gestörte, deren Mann die beiden Cops unverzüglich mit einem Hammer angreift.
Und dann ist da Jack VanZandt (Josh Hopkins, „Quantico“). Ein vulgärer und sexistischer Zivilfahnder, der sich dank Speed, Amphetaminen und anderen Drogen in einem latent psychotischen Zustand befindet. Der muskelbepackte VanZandt prahlt damit, dass er mit einem frisch aus dem Gefängnis entlassenen Kleinkriminellen abrechnen will und dafür wochenlang im Gym trainiert habe. VanZandt lässt den Worten dann auch Taten folgen und Ray entdeckt den irren Cop und seinen loyalen Partner in einer Nebengasse, in der VanZandt im Begriff ist, sein Zielobjekt langsam und genüsslich totzuschlagen.

Stichwort Ehrencodex: Ray versucht es mit Zureden, Nick zieht dagegen seine Dienstwaffe. Der übel Misshandelte wird von den beiden Cops vor einem Krankenhaus abgelegt und es ist klar, dass Ray seinen irren Kollegen nicht hinhängen wird. Auch Nick wird dies nicht tun, denn er hat gelernt, dass das eiserne Schweigen der Cops und ihr unbedingter Zusammenhalt beinahe die einzige Lebensversicherung in einer Stadt ist, die so kaputt ist, dass John Carpenters „Assault on Precinct 13“ (1976) beinahe eine Light-Version des epischen Gewaltpanoramas ist, das Joel Souza auf seine tiefschwarze Leinwand malt.

Moral in der Finsternis

Thomas Jane, der nach dem 2019 entstandenen und bei Amazon Prime zu sehenden Cop-Drama bereits ein halbes Dutzend weiterer Filme auf dem Buckel hat, zeigt wieder einmal, das er nicht nur ein Film- und TV-Routinier ist, sondern auch ein exzellenter Darsteller, der mehr verdient hat als Rollen in B-Movies. Bereits in „The Expanse“ gab er seiner Figur ein charismatisches Noir-Flair, das den Rest des Sci-Fi-Ensembles fast an die Wand spielte.

In Souzas Film entwickelt er seine Rolle von einer sarkastischen Plaudertasche zu einem innerlich zerrissenen Mann mit Vergangenheit. Rays mysteriöses Verhältnis zu der massiv drogenabhängigen Tracy Peters (Bridget Moynahan, „Blue Bloods“) und seine Suche nach deren Tochter hat nicht nur etwas damit zu tun, dass Tracy die Frau seines erschossenen Ex-Partners ist. Vielmehr hatte Ray ein Verhältnis mit Tracy und das verschwundene Mädchen ist tatsächlich Rays Tochter. Und die Zehnjährige  ist in die Fänge einer Drogenbande geraten, die Kinder zum Drogenverkauf auf die Straße schickt und sie auf pädophilen Partys missbraucht. Ray wird die Sache auf seine Weise zu Ende bringen und Thomas Jane spielt dies mit einer eisigen Traurigkeit, die sehenswert ist.

Da hat es Luke Kleintank deutlich schwerer, seiner Figur eine vergleichbare Tiefe zu geben. Als Rookie streift Nick zwar seine anfängliche Unsicherheit ab, aber da er als moralischer Resonanzboden in der Geschichte zunehmend selbstbewusster, aber gleichzeitig auch hilfloser wird, kommt seine Figur irgendwann unter die Räder. Nick wird am Ende dem Ehrencodex folgen und einen Mord seines Partners decken. Dass das Finale mit den beiden Copkillern das Verhältnis der beiden nicht mehr ernsthaft auf die Probe stellen wird, zeigt, dass der junge Cop zu den eigentlichen Verlierern der Geschichte gehört.

Unklar bleibt trotz der suggestiven Stimmung des Films, was Joel Souza in dem von Alec Baldwin produzierten Film erzählen will. Der ist zweifellos spannend und entwickelt auch eine soghafte Atmosphäre. Aber der vom Souza übersteigert skizzierte Krieg auf den Straßen befreit sich von allen Ansätzen einer glaubwürdigen Reflexion über Polizei und Polizeigewalt, wie sie anderer Stelle ausgiebig in den USA stattfindet.

Wenn Ray und Nick nach einer Nacht, in der sie vermutlich mehr erlebt haben als echte Cops in einem ganzen Jahr, zurück zur Wache fahren, gibt es schließlich eine offene Antwort des Regisseurs und Autors. Ray fragt Nick, ob er 1984 gelesen habe. Leider erfährt man nicht, was die gemeinsamen Erlebnisse mit Orwell zu tun haben, denn Nick liefert sein Credo umgehend ab: es seien die harten Männer, die in der Lage seien, Gewalt auszuüben. Damit die Bürger ruhig in ihren Betten schlafen können, die aber die harten Männer dafür verachten, was diese tun müssen.

Das war’s? Das gibt Abzüge in der B-Note. Auf RogerEbert.com taxiert der Kritiker Glenn Kenny „Crown Vic“ als „fascist movie.“ Irgendwie bringt dies die Sache auf den Punkt.
 

Im Netz der Gewalt (Crown Vic) – USA 2019 – Buch und Regie: Joel Souza – Kamera: Thomas Scott Stanton – Laufzeit: 110 Minuten – D.: Thomas Jane, Luke Kleintank, Bridget Moynahan, Josh Hopkins u.a.