Donnerstag, 12. Februar 2015

Foxcatcher

Steve Carrell gilt als heißer Oscar-Kandidat. Die Darstellung eines mental gestörten Millionärs auf der Suche nach Anerkennung ist ein kleines Lehrstück in Sachen Manipulation und Selbstzerstörung und Carrell spielt dies beängstigend gut. Gerade weil er keine Miene dabei verzieht.

Über dem Film liegt Frost. Geredet wird stockend. Gefühle bleiben im Verborgenen. Wenn John du Pont seinem Schützling Mark Schultz eine Rede einbimst, dann trifft ein innerlich erkalteter Professor Higgins auf eine männliche Eliza Doolittle, deren Zunge mit einer kräftigen Ladung Kokain gelöst werden muss. Derart gepusht wird Schultz bei einer Sportgala die Laudatio auf seinen Freund und Mentor zwar hinbekommen, Enthusiasmus sieht aber anders aus.

Channing Tatum spielt den Ringer Mark Schultz, der zusammen mit seinem Bruder David (Mark Ruffalo) bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles Goldmedaillen gewonnen hat und nun von dem reichen Sportmäzen du Pont in einem von ihm gesponserten top-professionellen Ringercamp auf neue Großtaten vorbereitet werden soll. Foxcatcher Farm heißt das Camp, in dem sich die gesamte US-Nationalmannschaft versammeln soll. Der Fuchs, der gefangen werden soll, ist die nächste Medaille für die USA. Und dann die nächste, denn zur Agenda des ehrgeizigen Millionenerben gehört auch der Nationalstolz.
Aber John du Pont will nicht nur Mäzen, sondern auch Mentor und Teamcoach sein. Mark Schultz hat zuvor mit seinem Bruder David in schäbigen Turnhallen trainiert, die nicht gerade den passenden Rahmen für Olympiasieger abgeben. Da kann man das Angebot, in Pennsylvania unter optimalen modernen Bedingungen und für ein üppiges Gehalt zu trainieren, nicht so einfach ablehnen. Davis wird dies aber tun, Mark nicht. Channing Tatum spielt den verschlossenen Sportler mit größtmöglicher Intensität. Und die besteht darin, dass man eigentlich nie weiß, was in ihm vorgeht. Ein schlicht gestrickter Sportler, der sich nur mühsam Sätze abringt und in dem selbsternannten Mentor eine Vaterfigur erkennt. 


Intensives Fremdschämen

Und die spielt ausgerechnet ein Komiker, der damit ebenfalls gegen sein Rollenfach antritt. Aus Steve Carrell („Evan Allmächtig“, 2007, „Crazy, Stupid, Love“, 2011) hat das Maskenbild einen Mann mit mächtiger Nase und einem noch größerem Ego gemacht. Bennett Miller charakterisiert den reichen Mäzen als verzweifelten und dennoch gefühlskalten Einzelgänger, der vergeblich um die Anerkennung seiner abweisenden Mutter (Vanesssa Redgrave) buhlt: Wrestling ist Sport für die Unterschied, befindet die in jüngeren Jahren erfolgreiche Reitsportlerin. 

Wenn John den jungen Ringer in ein komplexes Beziehungsgeflecht hineinzieht und dabei die Konkurrenzbeziehung der Brüder geschickt als Motivationskrücke nutzt, gefriert der Film zum Portrait einer schizotypischen Persönlichkeitsstörung. Umständliche Sprache, Argwohn, affektive Flachheit – all das spielt Carrell mit einer maskenhaften Distanz, die zunehmend unheimlich und abstoßend wirkt. Du Ponts Versuche, eine emotionale Beziehung zu Mark aufzubauen, und Marks wachsendes Einverständnis, sich in die zugewiesene Rolle einzufügen, wirkten wie die Allianz zweier gefühlsmäßig retardierter Menschen, die erst noch gemeinsam einüben müssen, was für die meisten Menschen selbstverständlich ist: Empathie.
Du Pont kann sich bestenfalls verdruckst mit seinen Ringern in gespielten Kämpfen vor der prallen Pokalvitrine herumwälzen. Alle machen in gespielter Heiterkeit mit. Money rules.

Dass du Pont auch sonst ein armes Würstchen ist, wird in „Foxcatcher“ sichtbar, als er während eines Besuchs seiner Mutter im Ringercamp spontan eine Trainingseinheit improvisiert, in der er sich als kompetenter Trainer zu präsentieren versucht. Tatsächlich führt er nur banale Grundtechniken vor, denen die finanziell abhängigen Ringer mit peinlichem Schweigen zuschauen. Du Pont, der Bücher schreibenden Ornithologe und bekannte Philatelisten, will halt auch ein großer Sportler sein. Aber er hat keine Ahnung vom Ringsport.
Es ist nicht die einzige Szene in „Foxcatcher“, die Beklommenheit auslöst. Wenn Carrell lange schweigt, bevor er zu reden beginnt, dann trifft dies den Kern einer Persönlichkeit, die scheinbar alles in Kopf drehen und wenden, prüfen und abwägen muss, bevor sie spricht. Man könnte Fehler machen, man könnte ja auch überlistet werden.
Das Sparsame und Reduzierte in Steve Carrells Performance ist tatsächlich grandios, auch oder weil es beinahe zwangsläufig intensives Fremdschämen provoziert. Und wenn es ein Gegenstück zum Overacting gibt, dann wird es „Foxcatcher“ nicht nur von ihm, sondern auch dank Channing Tatums überraschend guten Leistung konsequent auf den Punkt gebracht.

Im Team Foxcatcher läuft zunächst alles nach Plan. Mark gewinnt bei den Ringer-Weltmeisterschaften 1987 eine Goldmedaille. Du Pont lässt sich nun von seinem Vorzeigesportler duzen. Die Klimax der Beziehung zwischen Nähe und Distanz wird erreicht, als John wegen einer banalen Änderung des Trainingsprogramms Mark in aller Öffentlichkeit brüskiert und ohrfeigt, um danach dessen Bruder David als sportlichen Leiter ins Camp zu holen. Eine Demütigung, die zerstörend ist.

Mark Ruffalo spielt Marks älteren Bruder als pragmatischen und selbstbewussten Mann, der alle frühere Anwerbungsversuche du Ponts abgelehnt hat, nun aber wohl aus finanziellen Gründen nachgibt. Das macht Ruffalo richtig gut. Er ist in dem fragilen Trio so etwas wie die Verkörperung des Realitätsprinzips, ein warmherziger und loyaler Mann, der sich den krampfigen Annäherungen seines Brötchengebers höflich entzieht.

Die neu aufgestellte Hierarchie im Team macht Mark indes immer verschlossener. Unfähig, seine Wut zu artikulieren, zieht er sich zurück und trainiert allein. Als ihm nur mit großer Mühe die Qualifikation für das Olympiateam gelingt und er anschließend bei den Spielen in Seoul erfolglos bleibt, verlässt er 1988 das Team.

David bleibt, hält John du Pont aber weiterhin menschlich auf Distanz. Während der Dreharbeiten zu einem Imagefilm über den reichsten Mann Amerikas bringt er nur wenig Lobhudelndes über seinen Chef hervor. Später sieht man du Pont, der sich den fertigen Film scheinbar ungerührt in seinem Arbeitszimmer anschaut. Dann fährt der Multimillionär mit seinem Leibwächter zum Haus Davids, fragt ihn, ob er ein Problem mit ihm habe und erschießt den Wehrlosen. Auch das ziemlich ungerührt.


Sportfilm oder Psychodrama?

Bennett Miller hat bereits in „Capote“ (2005) Lügen, Manipulation und Selbstzerstörung zum Thema gemacht. Für die Darstellung des berühmten Journalisten Truman Capote, der aus egoistischen Motiven einen in der Todeszelle sitzenden Mörder emotional austrickst und anschließend depressiv wird, bekam Philip Seymour Hoffman einen Oscar. Ins Genre des Sportfilms wechselte Bennett dann im Jahre 2011 mit „Moneyball“, einem Film, der sich ebenfalls auf ein reales Vorbild stützt: der durch computergestützte Spielerstatistiken ausgelösten Revolution im amerikanischen Baseball.
 Mit „Foxcatcher“ werden beide Themenkreise zusammengeführt: erneut geht es um Lebenslügen und Figuren mit affektiven Beschädigungen, um Manipulation und Verführung, und erneut werden die menschlichen Tragödien im Spiegel des Erfolgshypes reflektiert, der in der Welt des Sports – wir kennen es nicht erst seit Oliver Stones „Any Given Sunday“ – den Schein nötiger hat als das Sein.

Aber geht es Bennett Miller wirklich um eine kritische Auseinandersetzung mit der Psychodynamik des Sports? Besitzt „Foxcatcher“ die erforderliche historische Authentizität? 

Vor drei Jahren wurde Miller vorgeworfen, in „Moneyball“ mit den Fakten ein wenig herumgespielt zu haben. Auch „Foxcatcher“ nimmt sich einige Freiheiten heraus. So geschah der Mord an Davis Schultz tatsächlich 1996, also acht Jahre nachdem sein Bruder das Team Foxcatcher verlassen hatte. Einige Quellen (1) deuten auch an, dass John du Pont möglicherweise an einer paranoiden Schizophrenie gelitten hat. Der Film verzichtet allerdings auf allzu Exzentrisches und ist möglicherweise nur ein mildes Abbild der tatsächlichen Ereignisse. 

Der Multimillionär John du Pont wanderte für seine Tat ins Gefängnis, wo er 2010 starb. Ob er tatsächlich eine gestörte Beziehung zu seiner Mutter hatte, ist unklar. Ob er erst in späteren Jahren zum pathologischen Paranoiker wurde, kann nur vermutet werden. 


In dem stilistisch unauffälligen und eher spartanisch gedrehten Film bleiben auch Millers Intentionen unklar: Soll „Foxcatcher“ die Rekonstruktion einer bizarren Episode sein, die vor fast 20 Jahren für großes Aufsehen sorgte, oder variiert Bennett Miller noch einmal seine Themenwelt aus „Capote“ und „Moneyball“?
Was „Foxcatcher“ tatsächlich ist, kann man an seiner Wirkung ablesen. Es ist die Atmosphäre eisiger Kälte und sprachlicher Verarmung, die sich schleichend im Kino breit macht. So etwas muss zwar nicht zwangsläufig zu einer Gewalttat führen, hält aber immer einen derart explosiven Ausbruch bereit. Steve Carrell spielt diesen manipulativen Charakter als Opfer seiner Obsessionen, als eindimensional Fixierten, der nie den Eindruck macht, alles perfide geplant zu haben. Carrells Figur ist vielmehr jemand, der trotz seiner vorgetragenen Selbstkontrolle eigentlich nur improvisieren kann, weil er sich selbst nicht verstehen kann.


Ob man den Film als Psychogramm des ego-fixierten Sports lesen möchte oder als psycho-pathologische Studie, ist eigentlich egal. Beides wird wohl in gewisser Weise zutreffen, deutet aber auch einen Mangel an Entschlossenheit in Millers Film an. Mir der bekannten Dramaturgie amerikanischer Sportfilme, ihren Ups und Downs vor dem Höhepunkt, dem großen Triumph, hat „Foxcatcher“ ohnehin nichts zu tun. Das ist konsequent. Das Zuschauen im Kino hält dann auch keine Katharsis bereit, es wird vielmehr zur Tortur – so unerträglich präzise tickt das Uhrwerk und genauso unausweichlich steuert die Tragödie auf ihren letalen Höhepunkt zu. „Foxcatcher“ ist ein Film, den man kein zweites Mal sehen möchte. Und das ist tatsächlich dann doch noch so etwas wie ein Kompliment.


Noten: BigDoc = 2,5

(1) DIE ZEIT: In der Online-Ausgabe gibt es auch den erwähnten Imagefilm zu sehen.


Foxcatcher – USA 2014 – Regie: Bennett Miller – D.: Steve Carrell, Channing Tatum, Mark Ruffalo, Vanessa Redgrave – Laufzeit: 129 Minuten – Altersfreigabe: ab 12 Jahren.

Mittwoch, 11. Februar 2015

DVD-Review: Oz - Hölle hinter Gittern

Tom Fontanas Gefängnisserie „Oz“ (1997 – 2003) gehört zu den TV-Serien, die dazu beigetragen haben, dass heute meistens HBO gemeint ist, wenn von „Quality TV“ gesprochen wird. Dieser Markenkern von HBO besitzt mittlerweile mythische Qualitäten. „Oz“ trug zum Branding von HBO bei. Umso trauriger ist es, dass die erste deutschsprachig synchronisierte Staffel nun in einer katastrophalen DVD-Edition auf den deutschen Markt geworfen wird.

Fontanas Idee für „Oz“ war einfach: Was wird eigentlich aus den Verbrechern, die in einer Cop-Serie verhaftet werden?
Als HBO auf der Suche nach neuen Stoffen war, konnte Tom Fontana diesen Kernplot erfolgreich pitchen. Das „Oz“-Universum konzentrierte sich folglich sehr stark auf Personen, in denen sich die verschiedenen Facetten des öffentlichen Strafvollzugs widerspiegelten: Resozialisierung vs. Bestrafung, Moral vs. Verrohung. 

Letztere scheint in „Oz“ fast immer zu den Siegern zu gehören. In einer Parallelgesellschaft, in der neben der italienischen Mafia auch die Aryan Brotherhood und afro-amerikanische Gangs bestimmen, wo es lang geht. Gewalt und Mord bestimmen das Leben im fiktiven Hochsicherheitsgefängnis Oswald Maximum Security Penitentiary, in der nur die muslimische Gruppe um ihren charismatischen Führer Kareem Said (Eamonn Walker) so etwas wie ein politisches Bewusstsein entwickelt. 
Der Machtkampf zwischen Gefängnisleitung und Insassen, Gangs und Außenseitern, besteht aus pausenlosen Intrigen und Verschwörungen bis hin zu offenen Revolte. Die persönlichen Schicksale in dieser "Hölle hinter Gittern" werden exemplarisch an Figuren wie dem wegen fahrlässiger Tötung verurteilten weißen Anwalt Tobias Beecher (Lee Tergesen) durchgespielt . Beecher wird in der ersten Staffel von einem Anführer der arischen Fraktion zum Sexsklaven gemacht und solange gedemütigt, bis er „lernt“, dass nur brutale Gegengewalt ihn länger überleben lässt. Mit der Märchenwelt von Oz hat dies wenig zu tun.



Warum „Oz“ die TV-Serie revolutionierte

Das hatte man im US-Fernsehen so noch nicht gesehen. Der Realismus der Serie ging bei der sehr expliziten Darstellung von Gewalt weit über das hinaus, was sich die großen Networks erlauben durften.
„Oz“ war aber kein Brutalo-Trash. Die Figurenzeichnung war sehr differenziert, Flashbacks zeigten nicht nur den persönlichen Hintergrund der einzelnen Figuren, sondern auch die sozialen und milieubedingten Ursachen der kriminellen Vorgeschichte. 
Fontanas herausragendes Stilmittel war aber eine Figur, die ähnlich wie in griechischen Tragödie oder in Lehrstücken von Bert Brecht die Handlung kritisch, zynisch oder emotional kommentierte: Der im Rollstuhl sitzende Häftling Augustus Hill (Harold Perrineau, „Matrix“) wurde so die einzige Figur in einer barbarischen Umgebung, die offen über ihr Innerstes spricht, dabei die „Vierte Wand“ durchbricht und sich immer direkt an das Publikum wendet.

„Die Geschichte ist simpel“, resümiert Hill. „Ein Mann lebt im Gefängnis und stirbt. Wie er stirbt, ist nicht schwer zu erzählen. Das Wer und Warum ist der komplizierte Teil – der menschliche Teil ...“

Ohne „Oz“ keine „Sopranos“. Der Erfolg von Tom Fontana als Showrunner von „Oz“ machte HBO mutiger. Dennoch waren es in erster Linie extreme und technisch bedingte Marktverwerfungen gewesen, die bei dem Cable Network Mitte der 1990er Jahre einen Boom von Eigenproduktionen auslösten. Um das Pay-TV-Modell des Kabelfernsehens wirtschaftlich zu retten, setzte HBO in der Ära von CEO Jeffrey Bewkes auf selbst produzierte Inhalte. Serien sollten den Zuschauer wieder fester an HBO binden.
Ein Formatwechsel macht aber noch lange nicht eine neue Marke. Mit dem kreativen Tom Fontana setzte HBO auf einen Macher, der wie gewünscht die Grenzen auslotete, dabei aber qualitativ ein neues Erzählniveau etablierte: Diese Mischung aus hochwertig erzähltem Drama und explosiver Brutalität machte „Oz“ zu einer TV-Revolution. Möglich wurde dies allerdings nur, weil die US-Zensurbehörde FCC (Federal Communications Commission) lediglich frei empfangbare Networks wie ABC, NBC, CBS, FOX und CW reglementieren kann. Cable Networks wie AMC, FX, HBO oder Showtime unterliegen nicht der FCC. Ein Wettbewerbsvorsprung, den HBO (mittlerweile auch im Satelliten-TV und als Streaminganbieter engagiert) nicht nur bei „Oz“ nachhaltig nutzte.



Die deutsche DVD-Box ist ein miserables Produkt

Im deutschen Fernsehen war „Oz“ nicht zu sehen, obwohl ein Sender bereits mit der Synchronisation begonnen hatte. Dies wurde eingestellt: Fontanas Serie war zu „heikel“. 2014 wurde OZ dann neu synchronisiert und auf Sky Atlantic HD gezeigt.
Nun hat Paramount Home Entertainment im vergangenen Dezember die deutschsprachige 1. Staffel von „Oz“ veröffentlicht und herausgekommen ist ein erbärmliches Missverhältnis zwischen Preis und Leistung. Bereits nach wenigen Minuten ist klar, dass die im Framing von 4:3 produzierte Serie (Ton: Digital Dolby Mono) für den deutschen Markt nicht restauriert worden ist. Was auch immer für die Herstellung des Premasters herangezogen wurde: es ist minderwertig in Schärfe und Kontrast, die Farben sind verwaschen. Die miserable Qualität zeigt sich besonders bei Kameraschwenks, die fast immer von üblen Nachzieheffekten begleitet werden. Dies schließt ein digitales Quellmedium beinahe aus. An einer Stelle (in der finalen Episode der Staffeln) bricht das Bild sogar für mehrere Sekunden komplett zusammen.
Nach technischen Erklärungen oder Lösungen zu suchen, kann nicht die Aufgabe einer Rezension sein. Ebenso wenig ist für den Konsumenten das Herumbasteln an den Einstellungen des heimischen Flatscreens eine Alternative. Man beurteilt das, was man sieht. Und wenn es schlecht ist, kann man nur selten den Verbraucher dazu überreden, die Technik schönzureden, weil der Inhalt so exklusiv ist.
Um es deutlicher zu formulieren: „Oz“ sieht aus wie die Direktkopie eines VHS-Bandes. Und tatsächlich erschienen die Staffeln 1 und 2 in den USA auch auf VHS. Diese Qualität angesichts der Bedeutung der Serie für die Serienkultur nur als „lieblos“ zu bezeichnen, wäre sträflich. „Oz“ ist vielmehr komplett vermurkst worden.

Fazit: „Oz“ ist in dieser Verfassung nicht einmal ein Drittel des aktuellen Kaufpreises wert. Umgerechnet auf den Episodenpreis liegt dieser sogar deutlich über dem einer brandaktuellen Serie im VoD-Portfolio des Anbieters. Das Ganze wird noch dadurch passend abgerundet, dass die 1. Staffel ohne Bonusmaterial veröffentlicht wird. Übrigens im Gegensatz zum Region 1 Release in den Staaten. Paramount hat vermutlich den deutschen Markt als schwach eingeschätzt und so wenig wie möglich in das Produkt investiert. Im März erscheint die 2. Staffel – zu einem noch höheren Preis. Hier hilft nur der Griff zur britischen Komplettbox, deren Preis angemessen erscheint.

Freitag, 6. Februar 2015

Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Sollten Sie jemals in Ihrem Leben Stimmen hören, dann erzählen Sie es keinem. Erst recht nicht Ihrem Psychiater. Der würde Sie wegsperren lassen. Sollten Sie zu den seltenen Fällen gehören, deren Stimmen real sind und die Ihnen von Ihrer einstigen Existenz als Superheld berichten, dann erzählen Sie es recht keinem. Denn Sie sind womöglich tatsächlich einer. Und dann bekommt man ebenfalls Probleme. Alejandro González Iñárritu hat aus diesem Aufeinanderprallen von Schein und Sein, Kunst und Realität einen Film gemacht, der Kinogeschichte schreiben wird.

Michael Keaton ist Birdman, aber auch der Schauspieler Riggan Thompsen. Für seine Rolle als gefiederter Comic-Held war er einst weltberühmt. Er verdiente viel Geld damit, daran erinnert ihn Birdmans Stimme in seinem Kopf immer wieder. Dann hängte er nach dem dritten Teil der Comic-Verfilmung die Traumrolle an den Nagel. Jahrzehnte später versucht Riggan als Regisseur und Hauptdarsteller eine Bühnenadaption von Raymond Carvers Kurzgeschichte „What We Talk When We Talk about Love“ auf die Theaterbühne zu bringen. Der zwei Tage vor der Premiere bereits sichtlich gereizte Theaternovize gerät aber endgültig aus der Bahn, als einem wichtigen, aber talentfreien Nebendarsteller eine Bühnenlampe auf den Kopf fällt. Zufall?
 Die Vorpremiere sollt abgesagt werden, aber Riggans Freund und Produzent Jake (Zach Galifianakis) schafft es, in letzter Minute einen bekannten Broadway-Star zu engagieren, den exzentrischen Mike Shiner (Edward Norton). Und der krempelt bereits bei der ersten Probe alles arrogant, aber genialisch um. 



Nervenzusammenbruch ante portas

Die Beziehungen zwischen Fiktion und Realität werden in Alejandro González Iñárritus („Amores Perros“, „Babel“, „21 Gramm“, „Biutiful“) Film gleich auf mehreren Ebenen gedeutet, verdoppelt oder gegen den Strich gebürstet. Etwa in der Vita der Darsteller, von denen nicht gerade wenige in Comic-Verfilmungen aufgetaucht sind. Zum Beispiel Edward Norton und Emma Stone. Und wie die fiktive Figur des Riggan Thompsen war Michael Keaton in den 1990er Jahren als Batman-Darsteller zu Weltruhm gelangt, dann stieg er nach dem zweiten Teil aus. Keaton drehte danach etliche Filme, doch außer seiner Rolle in „Jackie Brown“ und einem Galaauftritt in dem Thriller „Desperate Measures“ ist mir nur wenig im Gedächtnis geblieben. Für seine Rolle in „Birdman“ wird der 64-jährige Michael Keaton nun mit Preisen und Anerkennung überhäuft, bei den Academy Awards gilt er zu Recht als heißer Oscar-Kandidat.

Und Keaton spielt tatsächlich die Rolle seines Lebens. Seine Performance als gestresster, übernächtigter und von der inneren Stimme gequälter Mann beeindruckt er von der ersten bis zur letzten Minute. Hinter dem alten Mimen liegen eine weggeworfene Karriere und eine immer noch einfühlsame Beziehung zu seiner Ex-Frau Sylvia (Amy Ryan), die ihm klarzumachen versucht, dass es einen Unterschied zwischen Liebe und Bewunderung gibt. Wohl vergeblich. 
Denn mittendrin befindet sich der längst nicht vergessene Blockbuster-Star, den es zur Kunst zieht, in fragilen Beziehungen zu seiner Ex Lesley (Naomi Watts), die in seinem Stück mitspielt, und seiner aktuellen Freundin, der Schauspielerin Laura (Andrea Riseborough). Konfusion und Chaos der Gefühle. Woody Allen hätte seinen Spaß daran.

Und als würde dies alles nicht reichen, verachtet ihn seine drogenabhängigen Tochter Sam (Emma Stone) für alles, was er tut und seine Unfähigkeit, sich in den sozialen Medien zu präsentieren. Dass es für Riggan nicht nur virtuell, künstlerisch und wirtschaftlich, sondern auch privat um die letzte Chance seines Lebens geht, steht ihm schweißtreibend ins Gesicht geschrieben. Was sucht er? Liebe, die doch zum Verzweifeln ist, oder doch Anerkennung? Um was wird ihm das Publikum zu geben haben, die Kritiker, die Kollegen? Später wird er halbnackt unter dem Blitzlichtgewitter der Handyknipser durch die Straßen laufen. So wird er unfreiwillig zum angesagtesten Twitter-Event des Tages.

Iñárritu zeigt, wie durchgeknallt und bizarr die Welt des Theaters und die Willkür der Medien und Kritiker in einem Hexenkessel wie New York ist. Struggle for success: Riggan ist bereits kurz vor der Premiere ein nervlich ruinierter Künstler, aber als die einflussreiche Kritikerin Tabitha Dickinson (Lindsay Duncan) ihm sein Todesurteil mitteilt, ist er endgültig vernichtet: egal, was er mache, sie wird über sein Stück und seine Performance die vernichtendste Kritik ihrer Laufbahn schreiben. Blockbuster sind irgendwie pornographisch und einer wie er habe auf der Bühne nichts zu suchen. Dass dies nicht weit von Iñárritus Meinung über die Hollywoodschen Supermachtphantasien entfernt ist, ist eine kleine, aber feine Nebenpointe.

Überleben oder Untergehen, Genie oder Wahnsinn, Liebe und Verlassenwerden: der Film kreist um diese Thesen und dekliniert sie sowohl in der privaten wie auch öffentlichen Wahrnehmung der Hauptfigur durch. Und die schonungslose Gangart diktiert dem Mimen der sensationsgierige Fokus der skeptischen Medien. In einem Interview wird Riggan von einem schnöseligen Journalisten mit den Thesen des französischen Philosophen Roland Barthes provoziert, während die hippe Redakteurin eines Cable TV-Senders die tumbe Frage stellt, in welchem Teil von „Birdman“ denn dieser Barthes mitgespielt habe. Gleichzeitig beginnt ein japanischer Journalist überglücklich zu stammeln, als versehentlich von einem vierten „Birdman“-Film die Rede ist. Bereits am Rande des Wahnsinns wird Riggan klar, dass die Welt der Kunst ihn genauso wenig akzeptieren wird wie einen Sylvester Stallone als Hamlet. Willkommen im Jahrmarkt der Eitelkeiten und der Boshaftigkeit, der Kultfilme und der Kunstwelten.

Zu Riggans Nemesis wird der Method Acting-Star Mike Shiner. Shiner ist ein in Broadway-Profi, der beiläufig feststellt, dass er im wirklichen Leben nur Rollen spielt und lediglich auf der Bühne authentisch ist. Nur zu der nicht weniger beschädigten Sam wird er eine einigermaßen ehrliche Beziehung aufbauen. Sie ist besonders dann intensiv, wenn Sam und Mike nachts hoch über den Dächern der Stadt „Wahrheit oder Pflicht“ spielen.
Aus Riggans Bühnenrolle quetscht Shiner zusätzliche Emphase heraus, während einer der Vor-Premieren präsentiert er eine echte Erektion, zu der er sich im wahren Leben nicht imstande sieht, fordert von einer Mitspielerin realen Sex auf der Bühne, schmeißt eine Vorpremiere, als in der Wodkaflasche nur Wasser ist und will in der Schlussszene nicht von einer Requisite, sondern von einer echten Pistole bedroht werden. 
Edward Norton spielt Riggans Antagonisten mit zynischem Charme und so überwältigend gut, dass es nicht wundert, dass er dafür eine Oscar-Nominierung als Bester Nebensteller erhielt. Dass Riggans Bühnencharakter sich am Ende von Carvers Vorlage eine Kugel durch den Kopf schießt, wird noch für eine bitterböse Pointe gut sein, den Premierenerfolg sichern und Shiners manische Realitätsfixierung mit schwarzem Humor quittieren.



Die Entfesselung der Bilder

Dass alles könnte man als eine Medien- und Theatersatire am Rande des Absurden Theaters goutieren. Aber Iñárritu, der bislang für verschachtelte Geschichten bekannt war, hatte offenbar im Sinn, seine Erzählung diesmal kompromisslos linear anzulegen. Schnitte (die gibt es tatsächlich) sucht man im Film vergeblich. Dies liegt nicht nur daran, dass sie wie in Alfred Hitchcocks „Rope“ (Cocktail für eine Leiche, 1948) ziemlich gut versteckt sind. Nein, es sind die gleitenden und zum Glück wackelfreien Bilder der Steadicam, die einen beim Zuschauen derart in einen magischen Sog hineinziehen, dass man vergisst, nach den Tricks zu suchen.

Die Bildgewalt der mit Handkamera und Steadicam aufgenommenen Plansequenzen von Emmanuel Lubezki („The Tree of Life“, „Gravity“) stellen das klassische Montagekonzept Hollywoods kreativ auf den Kopf. Plansequenzen sind an sich nichts Innovatives, Brian de Palma hat bereits Atemberaubendes gezeigt. In „Birdman“, der auf der Theaterbühne und in verwinkelten Backstage-Bereichen spielt und überwiegend aus langen Dialogen besteht, definiert Iñárritus Konzept allerdings völlig neue Lösungen für die Auflösung einer Szene. Wo sonst alles im Gegenschuss-Verfahren gezeigt wird, löst Lubezkis Kamera Dialoge mit Bewegung und Schwenk auf, ergänzt durch die sich ständig im Raum neu arrangierenden Darsteller.

Der Ertrag dieses verblüffenden visuellen Konzepts ist immens: nicht unterbrochen von Reverse Shots fährt die Kamera buchstäblich wie ein Vergrößerungsglas der Emotionen an die Darsteller heran und um sie herum. Grandios der Wutanfall von Riggans Tochter in der Theatergarderobe, der im einem Rutsch gespielt wird, während man ständig einen angeschnittenen Over-Shoulder-Shot von Keaton antizipiert. Keaton kommt aber erst dann ins Bild, als Emma Stone sich in dessen Rücken bewegt und Lubezkis Kamera sich mit ihr.
Entsprechend aufwendig waren die Dreharbeiten. Im Studio wurden die Backstage-Aufnahmen, im New Yorker St. James Theatre die Bühnenszenen minutiös geplant. Takes mussten nach dem kleinsten Fehler abgebrochen werden, in der Regel waren sie erst nach 15-20 Versuchen im Kasten.

Diese ungewohnte Ästhetik wird für den Zuschauer sicher zur Herausforderung. Sie wird durch den Drive des vorantreibenden Perkussions-Soundtracks von Antonio Sanchez noch verstärkt. Dass Iñárritu den Drum Score mit Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ und Musik von Ravel, Tschaikowsky und Rachmaninoff ergänzt hat, brachte indes Ärger – die Nominierung bei den Academy Awards wurde vom Komitee zurückgezogen, da nur Originalmusik zulässig ist. Petitessen, die in den Staaten heftig diskutiert werden (1).



„A thing is a thing, not what is said of that thing“

Über all dem schwebt in seltenen Momente der Gelassenheit Riggan Thompson. Nicht metaphorisch, sondern tatsächlich. Im Schneidersitz, ein Meter über dem Boden. Es ist eine der ersten Einstellungen des Films und sie kündigt den enigmatischen Teil der Story an. Denn Thompson, so zeigt es „Birdman“ in einem bilderberauschten letzten Akt, scheint tatsächlich ein Superheld zu sein, der zudem noch telekinetische Fähigkeiten besitzt. Gegenstände werden wie von Zauberhand bewegt und Thompsons innere Birdman-Stimme wird an ihn appellieren, in jene Welt zurückzukehren, in der sich Riggan Achtung und Respekt erworben hat. Dort interessieren sich die meisten Menschen eben nicht für Kunst, sondern für Popcorn. Und so hebt Riggan ab und fliegt wie Spiderman durch die Straßenschluchten der City.

Nun ist Alejandro González Iñárritu alles andere als ein Freund der Superhelden: „I think there’s nothing wrong with being fixated on superheroes when you are 7 years old, but I think there’s a disease in not growing up. The corporation and the hedge funds have a hold on Hollywood and they all want to make money on anything that signifies cinema. When you put $100 million and you get $800 million or $1 billion, it is very hard to convince people. (...) I always see [superheroes] as killing people because they do not believe in what you believe, or they are not being who you want them to be. I hate that, and don’t respond to those characters. They have been poison, this cultural genocide, because the audience is so overexposed to plot and explosions and shit that doesn’t mean nothing about the experience of being human…“ (2)

Ist Iñárritus Spiel mit dem Genre angesichts dieser Aversion ein persönlicher Exorzismus oder drastische Ironie? Der Zuschauer wird es nicht leicht haben, eine Antwort zu finden. Wenn Emma Stone (The Amazing Spider-Man, 1 und 2, 2012-2014) während ihrer nächtlichen Treffen mit Edward Norton on the top of the roof ihre Füße über dem Abgrund baumeln lässt, kann man das als Ironie interpretieren: Springt sie in die Tiefe oder fliegt sie auch davon?
Nicht nur in dieser Szene spielen Iñárritu und seine Co-Autoren Nicholás Giacobone, Alexander Dinelaris Jr. und Armando Bó Pingpong mit dem verhassten Popcorn-Genre. Der Film lässt den Zuschauer dann aber phantasievoll zwischen allen Stühlen sitzen. Nie wird klar, was Riggan wirklich ist: ein Mann, der halluzinierend mit einem Fuß in einer handfesten Schizophrenie steckt oder ein mit mächtigen Gaben ausgestatteter Superheld von der Sorte, die Iñárritu so hasst. Beide Optionen werden bis zur letzten, erstaunlichen Einstellung virtuos bedient und es funktioniert wie mit den vom Himmel regnenden Fröschen in „Magnolia“. Wir wissen, dass es so etwas nicht gibt, aber wir trauen den Bilder und fragen, ob vielleicht nicht doch ...

Dem steht etwas Pragmatisches entgegen: A thing is a thing, not what is said of that thing. Den Spruch hat sich Riggan an den Garderobenspiegel geheftet. Bei der Sache zu bleiben bedeutet, nicht auf das Geschwätz zu hören. Und die titelgebende unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit ist halt der Moment der Entzauberung, der die Ausweglosigkeit und das mögliche Scheitern erkennen lässt, aber auch die Ignoranz erzeugt, die nötig ist, um danach weiterzumachen. Der mexikanische Regisseur entpuppt sich dabei als intelligenter Unreliable Narrator, der uns in einer furiosen und magischen Elegie über Liebe, Anerkennung und Besinnung am Ende mit Staunen zurücklässt. Ein Trickser, der mehrere Ende antäuscht – und doch geht es weiter und weiter. Obwohl am Anfang und Ende des Film ein Meteor mit einem riesigen Flammenschweif auf die Erde zusaust. Noch ein Rätsel.

Der doppelbödige und dezent surreale „Birdman“ wird in einigen Jahren möglicherweise als einer der besten Filme aller Zeiten gehandelt werden. Das bedeutet aber nicht, dass er auch nur einen einzigen Oscar erhält.

(1) Zur Musik in "Birdman"
(2) Interview mit deadline.com

Note: BigDoc = 1, Klawer = 1,5, Melonie = 2


Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) – Birdman or (The Unexpected Virtue of Ignorance) - USA 2014 - Laufzeit: 119 Minuten - Regie: Alejandro González Iñárritu - Drehbuch: Alejandro González Iñárritu, Nicolás Giacobone, Alexander Dinelaris, Jr., Armando Bo - Darsteller: Michael Keaton, Zach Galifianakis, Edward Norton, Andrea Riseborough, Amy Ryan, Emma Stone, Naomi Watts - Musik: Antonio Sánchez - Kamera: Emmanuel Lubezki - Schnitt: Douglas Crise, Stephen Mirrione - Freigegeben ab 12 Jahren.

Sonntag, 1. Februar 2015

Noah

Die Sintflut ist im Zeitalter der Digitalisierung ein prächtiges Thema für einen krachenden Katastrophenfilm, wäre da nicht sein biblischer Ursprung. Dies hat aus unterschiedlichen Gründen für Verstimmung gesorgt. Darren Aranofskys „Noah“ geht sowohl wütenden fundamentalistischen Christen als auch empörten Muslimen unter die Haut. Dabei ist der Film nur auf den ersten Blick ein archaisches Mainstream-Vehikel, am Ende entpuppt er sich überraschend als Versuch einer gender-korrekten Bibelumdeutung. Beruhigt hat es die Gemüter nicht.

Am Anfang ist nicht das Licht, sondern ein Mord. Der junge Noah wird Zeuge, wie sein Vater Lamech von dem Clansführer Tubal Cain getötet wird. Tubal Cain ist an den Bodenschätzen auf Lamechs Land interessiert. Noah überlebt und kann fliehen. Jahrzehnte später wandert Noah (Russell Crowe) mit seiner Frau Naama (Jennifer Connelly) und seinen Söhnen Sem, Ham und Japhet durch eine ausgebeutete und verwüstete Landschaft. Dort finden sie unter den Opfern eines blutigen Massakers ein verletztes Mädchen, Ila, das sie in ihrer Familie aufnehmen. Noah wird bald von Visionen einer großen Flut bedrängt, die er als Offenbarung und Auftrag des Schöpfers interpretiert: Er soll eine Arche bauen, um die Tiere der Erde zu retten. Nach einer Konfrontation mit riesigen Steinmonstern kehrt einer der „Wächter“ zurück und beschließt Noah zu helfen. Die anderen werden folgen. Von seinem Großvater Methusalem (Anthony Hopkins) erhält er ein Samenkorn, das sich nach der Einpflanzung in einen Wald verwandelt – das Bauholz für die Arche. Die Menschen, so will es die Prophezeiung, sind indes dem Untergang geweiht: sie sollen von einer großen Sintflut dahingerafft werden. Und Noah soll im Auftrag des Schöpfers (das Wort „Gott“ wird nicht genannt) dafür sorgen, dass nach dieser Reinigung der Garten Eden aufs Neue entsteht.

Mythologien von der Entstehung der Welt gibt es im Kino zuhauf. Stanley Kubricks „2001“ unterscheidet sich mit seiner Evolutionsgeschichte deutlich von Filmen mit biblischen Einsprengseln, wie sie etwa Terrence Malick in „Tree of Life“ mit seinen Referenzen an das Buch Hiob präsentierte. Beide Filme waren und sind Auslöser von nicht enden wollenden Deutungsversuchen und Missverständnissen. Darren Aronofskys „Noah“ unterscheidet sich wirkungsgeschichtlich kaum von diesen Filmen, der Film polarisiert, ist aber filmisch konfus und überrascht schließlich mit einer originellen Schlusspointe. 


„Noah“ ist der erste Superheld

Das Genre der Bibelfilme hat sich selten mit der Geschichte der Genesis, dem 1. Buch Mose, auseinandergesetzt. Nun galt es mit den Mitteln von FX und CGI die Lücke zu schließen, denn ökonomisch waren Bibelfilme eine sichere Investition für die Filmindustrie. Das blieb nicht immer so, dann aber schlug Mel Gibson vor zehn Jahren mit „The Passion of the Christ“ zu. Angesichts von 100 Mio. evangelikalen Christen konnte der Absatzmarkt also klar adressiert werden. Aber ausgerechnet den potentiellen Kunden schmeckte Aronofskys Film überhaupt nicht. Trotzdem spielte „Noah“ bei einem Budget von 130 Mio. US-Dollar bereits 360 Mio. $ ein.

Dass die Filmbranche bei der Produktentwicklung und –platzierung in diesem Genre natürlich mehr an einer globalen Massenkompatibilität interessiert ist als an einer filmischen Bibelexegese, dürfte auch den blauäugigsten Kinogängern klar sein. Diese Coda schließt enggefasste Versionen aus. Trotzdem wurde Darren Aronofsky das Projekt in die Hände gelegt, der als Regisseur trotz „The Wrestler“ nicht gerade im Ruf steht, glattes Mainstream-Kino zu machen. Aber man weiß nie, was man an ihm hat: Ist er ein Intellektueller oder eher ein Künstler, der mehr auf die Kraft der Bilder als auf ein stringentes inhaltliches Konzept setzt? 
Aronofsky hat in „Noah“ nur wenig experimentiert, aber dennoch einige kunstvolle und symbolhafte Sequenzen entwickelt, die den Film von Dutzendware unterscheiden. Im Kern aber hat der Regisseur, der zusammen mit Ari Handel auch das Drehbuch verfasste, seine Comicbuch-Serie „Noah. Wegen der Bosheit der Menschen“ (1) verfilmt, die er mit Ari Handel und Niko Henrichon realisiert hat. Bei der Realverfilmung sind seine Intentionen wohl auch in diese Richtung gegangen, denn in einem Interview rümpfte er die Nase darüber, dass das Potential mythischer Figuren zurzeit unterschätzt wird: „Für mich ist Noah der erste Superheld überhaupt!“ Also ein Comic.

Das sieht man dem Film an. Die erste halbe Stunde katapultiert den Zuschauer in eine Welt, die zwar nicht nach Mad Max aussieht, wie einige Kritiker mutmaßten, das trostlose Set Design ist aber apokalyptisch genug. Die steinernen Monster, die ungelenk wie die Decepticons und Autobots aus den „Transformers“ durch diese kargen Landstriche wanken, hat man natürlich schon in anderen Fantasyfilmen gesehen, zum Beispiel in „Die unendliche Geschichte“. Oder halt in Comics. In welchem Film ist man eigentlich gelandet?

„Noah“ ist tatsächlich ein Comic- und Fantasyfilm. Aronofsky lässt visuell keinen Zweifel daran, dass „Noah“ neben diesem Crossover aber auch eine ökologisch korrekte Interpretation der Genesis sein soll. Sein Noah ist ein „Grüner“, der sorgsam mit der Natur und ihren Erzeugnissen umgeht, sich am liebsten von Pflanzen ernährt und Tiere ungeschoren lässt. Dass er mit seiner Familie durch eine industriell versehrte Landschaft marschiert, hat zwar eine aufdringliche Symbolik, ist aber aus grüner Sicht konsequent und beileibe kein Schwachpunkt des Films. Immerhin ist der „Einklang mit der Natur“ mittlerweile Common Sense - mitsamt seiner politischen Unverbindlichkeit. So weit, so gut.

Oder auch nicht. Denn nicht nur der „grüne“ Noah ging einigen an den Nerv. Und so löste „Noah“ einen Schrei der Empörung unter den amerikanischen Evangelikalen aus, die natürlich die fehlende Bibeltreue scharf kritisierten. Wenn man aber wie Aronofsky ein biblisches Thema mit eigenen Konnotationen überzieht und alttestamentarische Versatzstücke lediglich als allgemeine Textur nutzt, ist das kein Wunder. Legitim ist das allemal, spannend kann es auch sein, auch wenn wir wissen, dass die Fundamentalisten jedweder Couleur bei solchen Sachen völlig humorlos sind.

Das eigentliche Problem des Films ist aber die konfuse Mixtur der narrativen Strategien. In „Noah“ zeigt Aronofsky den Bibelmythos, der sich texthistorisch aus verschiedenen Mythen des orientalischen Kulturraums zusammensetzt und damit eklektizitische Literatur ist, zunächst als historische Wahrheit. Dann aber schleift er ihre Bastionen und bürstet alles gegen den Strich. Man kann dies Mindfuck nennen, ich nenne es verworren. So etwas kommt dabei heraus, wenn man es allen recht machen will.


Religiöses und ästhetisches Patchwork

Sichtbar wird dies gleich am Anfang des Films in der Pre-Title Sequence.
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Vor dem Firmament sieht man die Texteinblendung „Am Anfang war das Nichts.“ Blende auf eine Schlange: „Versuchung führte zur Sünde.“ Eine Hand, die nach einem Apfel greift: „Nach ihrer Vertreibung aus Eden hatten Adam und Eva drei Söhne: Kain, Abel und Set.“ 

  • Scherenschnittartige Silhouetten - Kain erschlägt Abel: „Kain tötete Abel und floh nach Osten, wo er Unterschlupf fand bei einer Schar gefallener Engel: Den Wächtern.“ 
Zoom-out auf grotesk deformierte Steinmonster in einer verwüsteten Landschaft: „Diese Wächter halfen den Nachfahren Kains, eine große industrielle Zivilisation aufzubauen.“ 
  • Blende auf wachsende Städte im Zeitraffer: „Ihre Städte verbreiteten Böswilligkeit und verschlangen die Welt.“ 
Krebsartige wachsende Wucherungen  breiten sich auf dem Globus vom europäischen Kontinent aus und bedecken schnell den afrikanischen: „Nur die Nachkommen von Set verteidigen und beschützen, was von der Schöpfung übrig ist. Heute wird der letzte seine Stammes zum Mann.“ 

  • Schnitt auf Lamech, der seinen Sohn Noah rituell initiieren will.
Was ist passiert? Selbst ein eingefleischter Agnostiker wie ich staunt, denn in „Noah“ schafft Gott aka der Schöpfer am Anfang nicht Himmel und Erde und auch nicht das Licht, sondern das Nichts herrscht. Also doch Quantenvakuum (2) und dann der Big Bang? 

Auch weiterhin geschieht Erstaunliches. Aronofskys animierte Version einer aus dem Ruder gelaufenen Genesis vermischt nonchalant religiös tradierte Symbole mit Kapitalismuskritik und Fantasy-Elementen. Die Schlange als Signum der Vertreibung aus dem Paradies wird mit einer fiktiven Industrialisierung in grauen Vorzeichen kurzgeschlossen. Der daraus resultierende Kampf zwischen Gut und Böse spiegelt sich in der Auseinandersetzung zwischen einer ökologischen Lebensweise und der Zerstörung der Natur wider. Die Steinmonster haben sich auf die Seite der gottfernen Industrie geschlagen und repräsentieren in diesem Kampf die „gefallenen Engel“, von denen in der Bibel tatsächlich berichtet wird (3).

Während also die erste Schrifteinblendung die Genesis negiert, signalisieren die folgenden Bilder salopp, dass „Noah“ scheinbar auf der Seite einer wortgetreuen Bibelauslegung steht. Wenig später wird klar, dass Aronofsky eigentlich doch eine ganz andere Geschichte erzählen will. Was denn nun? Das ist wirklich Mindfuck. 

Mir geht es dabei weniger um die Interessen der Fundamentalisten, sondern um die narrativen Dissonanzen, die dabei entstehen und unschlüssig wirken. Versatzstücke aus der modernen Physik und Mythologisches werden diskret in einem neuen Kontext arrangiert. Theologen, die historisch-kritisch mit der Genesis umgehen, nannten dies differenziert und unideologisch. Für mich ist es als Erzählstrategie doppelter Mindfuck, der nicht durchdacht wirkt. Anything goes.

Programmatische Sequenzen dieser Art sind so alt wie die Kinogeschichte. Zum ersten Mal sah man dies 1934 in dem Melodram „Crime Without Passion“ von Ben Hecht und dem legendären Charles MacArthur. In der Pre-Title Sequence wachsen die drei aus der griechischen Mythologie bekannten Furien aus Blutlachen heraus, richten üble Dinge an, verschmelzen symbolgewaltig mit den Wolkenkratzern einer Megacity und verwandeln sich schließlich in die Schriftzüge des Filmtitels (4). 
Eine beachtliche tricktechnische Leistung für einen Film der 1930er Jahre.

Aronofskys animierte Version ist ästhetisch subtiler und nicht weniger spannend. Etwa wenn die Ermordung Abels durch eine stilisierte Silhouette exemplarisch überhöht wird. Das gleiche Stilmittel wird später noch einmal auftauchen und dann erzählt Aronofsky im Zeitraffer die menschliche Geschichte bis in die Gegenwart als Abfolge immerwährender Gewalttätigkeiten. Aus anthropologischer Sicht stimmt man zu, es ist halt Common Sense, auch wenn die Botschaft mit dem Holzhammer vorgetragen wird.

Was sehen wir also in der Pre-Title Sequence? Eigentlich das ganze Programm des Films. Es ist eine disparate Mixtur aus Bibelelementen, die als faktisch deklariert werden, aber mit naturwissenschaftlichen Ingredienzien und Versatzstücken aus Fantasyfilmen abgeschmeckt werden. Und beiläufig wird daran erinnert, dass wir bitteschön die naturwissenschaftliche Correctness nicht aus den Augen verlieren sollen. Es sieht wirklich danach aus, als wolle Aronofsky niemand vor den Kopf stoßen und alle je nach Gusto bedienen.

Deutlich wird dies auch in einer Szene, in der Aronofsky seinen Noah von der Entstehungsgeschichte der Erde erzählen lässt - im Zeitraffer und ganz im Sinne der Darwinschen Evolutionstheorie entstehen da die Arten, was ein wenig an Malicks Film erinnert. Was uns Aronofsky tatsächlich erzählen will, wird allerdings (noch) nicht klar. Dazu muss man sich die weitere Fiktionalisierung Noahs anschauen und was die Frauen aus ihm machen.

Das Monster Noah – eine Bibelgestalt am Rande des Wahns

Etwas kann man dem Film nicht vorwerfen: Er geizt nicht mit beeindruckenden Bildern. Die karge Landschaft Island liefert vorzeitliche Szenarien, die aussehen, als seien sie nicht von dieser Welt. Auch die CGI-Abteilung ließ sich nicht lumpen und zauberte in Windeseile aus einem Samenkorn einen grünen Wald in diese lebensfeindliche steinerne Landschaft, Bäche graben sich sekundenschnell ihren Weg. Die gigantische Arche wird mithilfe der riesigen Wächter fertig gestellt und aus allen Richtungen strömen die Tiere in das imposante Boot. Epische Bilder, die man von diesem Sujet erwartet.

Gleichzeitig wirkt der Film aber formelhaft: das obligatorische Love Interest wird von Ila (Emma Watson) und Sem (Douglas Booth) bedient und der beinahe ebenso unvermeidliche Vater-Sohn-Konflikt zwischen Noah und seinem Sohn Ham (Logan Lerman) besteht nicht nur darin, dass Ham keine Frau abbekommen hat. Vielmehr entdeckt Noahs Sohn seine Faszination für den brutalen Tubal Cain (Ray Winstone). Der ist mit seinen Heerscharen angerückt, um sich einen Platz in der Arche zu sichern und Ham wird ihm später dabei helfen wird, sich auf der Arche zu verstecken, um Noah zu töten.
Misstrauen und Verrat, Selbstzweifel und zivilisatorischer Niedergang – und mittenmang ein stoischer Russell Crowe, der seinen Noah als stoischen Fighter gibt, der wie in „Gladiator“ weiß, wie man mit Waffen umgeht und wie man effektiv tötet. Natürlich ist auch Noahs finale Auseinandersetzung mit seinem altem Widersacher vertrauten Strickmustern geschuldet, die wie in einem ordentlichen Western das große und sehr blutige Showdown zwischen den beiden Alphatieren ankündigen.

Noah indes wird immer verschlossener. Als er heimlich Tubal Cains Lager aufsucht, sieht er eine entfesselte Meute, die um die letzten Reste von Nahrung kämpft und brutal Tiere zerfetzt. Noah erkennt, dass die Ausrottung der Menschheit nicht nur gerecht ist, sondern auch mit aller Konsequenz zu Ende gebracht werden muss. Er und seine Familie müssen die letzten Menschen sein, der Mensch war eine Fehlkonstruktion und wird es bleiben. Jede Möglichkeit der Fortpflanzung muss ausgeschlossen werden. Als aber Ila, die aufgrund einer während des Massakers erlittenen Verletzung wie durch ein Wunder schwanger wird, verkündet Noah, dass er einen Knaben am Leben lassen wird, weibliche Nachkommen eigenhändig umbringen wird.

Die Wandlung Noahs ist natürlich der Versuch, die biblische Figur psychologisch zu unterfüttern und zu dramatisieren. Interessant ist, dass daraus das Psychogramm eines wütenden Misanthropen wird, der im göttlichen Genozid eine tiefe moralische Wahrheit erkennt. Einer alternativen Deutung der Prophezeiung gibt Noah keine Chance, die alleinige Deutungshoheit besitzt er allein. In einer patriarchalischen Welt ist er derjenige, der im Auftrage Gottes über Tod oder Leben entscheidet. Frauen werden an dem Entscheidungsprozess natürlich nicht beteiligt, sie hören zu, schweigen oder akzeptieren. Das wird sich rächen.

Als die finale Schlacht zwischen den Horden Tubal Cains und den Wächtern geschlagen ist und die gefallenen Engel von Gott erlöst werden und per Lichtblitz in den Himmel auffahren, öffnen sich alle Schleusen und die Überlebenden ertrinken jämmerlich. Die Arche schwimmt davon, aber Noahs Autorität ist längst erschüttert. Seine Frau wendet sich von ihm ab und Ila und Sem wollen heimlich fliehen, werden aber von Noah entdeckt. Als Ila kurz danach zwei Mädchen zur Welt bringt, zieht Noah sein langes Messer.


Intelligente Schlusspointe

Die Infiltration der Geschichte durch Aronofskys Umdeutungen und Blockbuster-Zutaten hat allerdings schon früher begonnen. So hat Aronofsky mit Methusalem eine Figur in den Film eingeschleust, die den Fantasy-Anteil der Story nicht gerade senkt – ein Magier, der nicht nur ein machtvolles Samenkorn aus dem Garten Eden bereithält und unfruchtbare Frauen wie Ila mit einer flüchtigen Berührung fruchtbar macht. Ein Mann, der im Mittelalter als Hexer umgebracht worden wäre, aber eine dankbare Rolle für Anthony Hopkins, der ein Gegengewicht zu Russell Crowes imponierender One-Man-Show bildet. Methusalems magische Qualitäten als Zauberer gehören allerdings eher in die „Harry Potter“-Welt.

Aber „Noah“ war auch ohne diese Zutaten von Anfang an kein konventionell-pathetischer Bibelfilm, sondern ein alt-testamentarisch brutales Männerepos, dem Aronofsky am Ende dann tatsächlich in die Parade fährt: Noah verschont die Neugeborenen. 

Was Aronofsky mit seiner Schlusspointe im Sinn hat, zeigt eine der letzten Szenen. Als Noah sich nach der Entdeckung von Land von seiner Familie absondert und sich, verzweifelt über sein Versagen vor Gott, der Trunksucht hingibt, ist es Ila, die ihn zur Räson bringt. Gott habe, so erklärt die junge Mutter dem milde gewordenen Berserker, dem Menschen die Freiheit gegeben, zwischen Strafe und Barmherzigkeit zu entscheiden, und Noah habe sich für die Liebe und die Barmherzigkeit entschieden, als er die Neugeborenen verschonte.
Es sind am Ende also die Frauen, die sich auflehnen und durch die Hintertür die Ethik der Bergpredigt in den Film einführen. Noch einmal Patchwork, diesmal aber mit intelligentem Design. Mit der ideologischen Wendung des Films hat der Film auch Positionen der feministischen Theologie angedeutet, zu deren Hauptzielen die Entmystifizierung der patriarchalischen Bibel-Agenda gehört. Dieser Input des Weiblichen in ein mörderisches Patriarchat macht als Plot Twist den Film dann doch ein wenig sympathischer. Tatsächlich war dies von Aronofsky auch so beabsichtigt (5):  der Charakterwandel Gottes von Gerechtigkeit zur Barmherzigkeit sollte auf die Figur des Noah übertragen werden.

Retten kann das den Film nicht ganz. Seine eklektizistische Machart, religionswissenschaftlich auch Synkretismus genannt, besteht aus dem kräftigen Durchmischen unterschiedlicher religiöser Aspekte mit dem Pflichtenheft eines Blockbusters. Gleichzeitig wird auch das säkulare Publikum bedient. Wer so viel will, bekommt fast zwangsläufig Probleme.

Dass „Noah“ spaltet, ist also nicht überraschend. Das Spannende an den kritischen Reaktionen ist, dass sie aus weltanschaulich völlig divergenten Gründen entstanden sind. Atheisten und Agnostiker werden Bibelfilme wie „Noah“ per se als fundamentalistische Ideologie betrachten. Aber christliche Fundamentalisten haben sich diesen Ball nur ungern zuspielen lassen und interpretieren „Noah“ als „heidnischen“ Film. Eine Handvoll muslimischer Staaten hat den Film verboten, obwohl oder gerade weil die Geschichte Noahs eine der wirkmächtigsten im Koran ist, eine Verfilmung aber wegen des Abbildungsverbots mit der Lehre des Islam nicht übereinstimmt (6).

Helfen wird es nicht, denn Hollywood hat für die nächsten Jahre eine Welle von Bibelfilmen angekündigt.

Note: BigDoc = 4

(1) Leseprobe

(2) In der Quantenphysik versteht man darunter den Zustand niedrigster Energie, die immer größer als null ist. „Nichts“ ist ein Synonym für diesen Zustand, der übrigens experimentell nachgewiesen werden konnte. Metaphysisch bedeutet dies, dass das Nichts als absolute Negation des Seins entfällt und womöglich auch gar nicht existiert. Das sollte gläubige Menschen allerdings nicht beunruhigen.

(3) In 1. Mose 6,1 werden sie „Riesen“ und „Helden der Vorzeit“ genannt, während sie in abweichenden Bibelübersetzungen von den Gottessöhnen gezeugt werden, den frommen Nachfahren Sets, die sich mit den weiblichen Nachfahren Kains paarten. In anderen Auslegungen sind sie indes göttliche Wesen („Wächter“), die sich mit Menschenfrauen einließen und die Nephilim zeugten, die Hybridwesen, die bei Aronofsky den Menschen indes technologisches Know-how vermitteln.

(4) Dieses kleine Kunstwerk kann man sich auf YouTube anschauen.

(5) „Noah“ eine Free-Jazz-Version des Alten Testaments, von: Selim Petersen. Dort: Interview mit Darren Aronofsky (Video SRF, 2:20 min), abgerufen am 31.1.2015.

(6)
Gegen den Film wurde vom sunnitischen Kairoer Institut Al-Azhar, ein Schlüsselzentrum der islamischen Religion, sogar eine Fatwa erlassen. Ein Vorbote dessen, was uns nach der Islamisierung des Abendlandes bevorsteht? Tatsächlich sollten alle, die sich zurzeit organisiert fürchten, ihre Bildungsferne bekämpfen und zumindest zur Kenntnis nehmen, dass der Islam grundsätzlich Offenbarungsreligionen anerkennt und nicht nur Jesus, sondern auch Noah, Abraham und Moses als wichtige Propheten des wahren Gottes beschreibt. Das macht zwar das Verbot des Films nach den Regeln unseres Kulturkreises nicht akzeptabel, aber man lernt sich besser kennen. 
Wer damit Probleme hat, wird durch die Online-Ausgabe der „Deutsch Türkischen Nachrichten“ überrascht, die sich vor knapp einem Jahr angesichts des Verbotes von „Noah“ zum Fürsprecher der Informationsfreiheit machte, was vermutlich aktuell bei einigen Mitbürgern überhaupt nicht gut ankommen wird: „Die Tendenz, alles (Filme, Bücher, Tweets, etc.), die dem Islam widersprechen, zu verbieten (...) dient jedoch nicht dem Islam, wie seine Befürworter glauben. Es belässt Muslime uninformiert über die Außenwelt und primitiv in ihren Antworten. Um sich etwas mit Vernunft und Angemessenheit zu widersetzen, sollten sie in der Lage sein, zu wissen, wovon sie sprechen.“
Das gilt aber nicht nur für Muslime.

Noah – USA 2014 – Regie: Darren Aronofsky – D.: Russell Crowe, Anthony Hopkins, Jennifer Connelly, Logan Lerman, Douglas Booth, Emma Watson, Ray Winstone, Nick Nolte – Laufzeit: 138 Minuten – Altersfreigabe: ab 12 Jahren