Sonntag, 1. Februar 2015

Noah

Die Sintflut ist im Zeitalter der Digitalisierung ein prächtiges Thema für einen krachenden Katastrophenfilm, wäre da nicht sein biblischer Ursprung. Dies hat aus unterschiedlichen Gründen für Verstimmung gesorgt. Darren Aranofskys „Noah“ geht sowohl wütenden fundamentalistischen Christen als auch empörten Muslimen unter die Haut. Dabei ist der Film nur auf den ersten Blick ein archaisches Mainstream-Vehikel, am Ende entpuppt er sich überraschend als Versuch einer gender-korrekten Bibelumdeutung. Beruhigt hat es die Gemüter nicht.

Am Anfang ist nicht das Licht, sondern ein Mord. Der junge Noah wird Zeuge, wie sein Vater Lamech von dem Clansführer Tubal Cain getötet wird. Tubal Cain ist an den Bodenschätzen auf Lamechs Land interessiert. Noah überlebt und kann fliehen. Jahrzehnte später wandert Noah (Russell Crowe) mit seiner Frau Naama (Jennifer Connelly) und seinen Söhnen Sem, Ham und Japhet durch eine ausgebeutete und verwüstete Landschaft. Dort finden sie unter den Opfern eines blutigen Massakers ein verletztes Mädchen, Ila, das sie in ihrer Familie aufnehmen. Noah wird bald von Visionen einer großen Flut bedrängt, die er als Offenbarung und Auftrag des Schöpfers interpretiert: Er soll eine Arche bauen, um die Tiere der Erde zu retten. Nach einer Konfrontation mit riesigen Steinmonstern kehrt einer der „Wächter“ zurück und beschließt Noah zu helfen. Die anderen werden folgen. Von seinem Großvater Methusalem (Anthony Hopkins) erhält er ein Samenkorn, das sich nach der Einpflanzung in einen Wald verwandelt – das Bauholz für die Arche. Die Menschen, so will es die Prophezeiung, sind indes dem Untergang geweiht: sie sollen von einer großen Sintflut dahingerafft werden. Und Noah soll im Auftrag des Schöpfers (das Wort „Gott“ wird nicht genannt) dafür sorgen, dass nach dieser Reinigung der Garten Eden aufs Neue entsteht.

Mythologien von der Entstehung der Welt gibt es im Kino zuhauf. Stanley Kubricks „2001“ unterscheidet sich mit seiner Evolutionsgeschichte deutlich von Filmen mit biblischen Einsprengseln, wie sie etwa Terrence Malick in „Tree of Life“ mit seinen Referenzen an das Buch Hiob präsentierte. Beide Filme waren und sind Auslöser von nicht enden wollenden Deutungsversuchen und Missverständnissen. Darren Aronofskys „Noah“ unterscheidet sich wirkungsgeschichtlich kaum von diesen Filmen, der Film polarisiert, ist aber filmisch konfus und überrascht schließlich mit einer originellen Schlusspointe. 


„Noah“ ist der erste Superheld

Das Genre der Bibelfilme hat sich selten mit der Geschichte der Genesis, dem 1. Buch Mose, auseinandergesetzt. Nun galt es mit den Mitteln von FX und CGI die Lücke zu schließen, denn ökonomisch waren Bibelfilme eine sichere Investition für die Filmindustrie. Das blieb nicht immer so, dann aber schlug Mel Gibson vor zehn Jahren mit „The Passion of the Christ“ zu. Angesichts von 100 Mio. evangelikalen Christen konnte der Absatzmarkt also klar adressiert werden. Aber ausgerechnet den potentiellen Kunden schmeckte Aronofskys Film überhaupt nicht. Trotzdem spielte „Noah“ bei einem Budget von 130 Mio. US-Dollar bereits 360 Mio. $ ein.

Dass die Filmbranche bei der Produktentwicklung und –platzierung in diesem Genre natürlich mehr an einer globalen Massenkompatibilität interessiert ist als an einer filmischen Bibelexegese, dürfte auch den blauäugigsten Kinogängern klar sein. Diese Coda schließt enggefasste Versionen aus. Trotzdem wurde Darren Aronofsky das Projekt in die Hände gelegt, der als Regisseur trotz „The Wrestler“ nicht gerade im Ruf steht, glattes Mainstream-Kino zu machen. Aber man weiß nie, was man an ihm hat: Ist er ein Intellektueller oder eher ein Künstler, der mehr auf die Kraft der Bilder als auf ein stringentes inhaltliches Konzept setzt? 
Aronofsky hat in „Noah“ nur wenig experimentiert, aber dennoch einige kunstvolle und symbolhafte Sequenzen entwickelt, die den Film von Dutzendware unterscheiden. Im Kern aber hat der Regisseur, der zusammen mit Ari Handel auch das Drehbuch verfasste, seine Comicbuch-Serie „Noah. Wegen der Bosheit der Menschen“ (1) verfilmt, die er mit Ari Handel und Niko Henrichon realisiert hat. Bei der Realverfilmung sind seine Intentionen wohl auch in diese Richtung gegangen, denn in einem Interview rümpfte er die Nase darüber, dass das Potential mythischer Figuren zurzeit unterschätzt wird: „Für mich ist Noah der erste Superheld überhaupt!“ Also ein Comic.

Das sieht man dem Film an. Die erste halbe Stunde katapultiert den Zuschauer in eine Welt, die zwar nicht nach Mad Max aussieht, wie einige Kritiker mutmaßten, das trostlose Set Design ist aber apokalyptisch genug. Die steinernen Monster, die ungelenk wie die Decepticons und Autobots aus den „Transformers“ durch diese kargen Landstriche wanken, hat man natürlich schon in anderen Fantasyfilmen gesehen, zum Beispiel in „Die unendliche Geschichte“. Oder halt in Comics. In welchem Film ist man eigentlich gelandet?

„Noah“ ist tatsächlich ein Comic- und Fantasyfilm. Aronofsky lässt visuell keinen Zweifel daran, dass „Noah“ neben diesem Crossover aber auch eine ökologisch korrekte Interpretation der Genesis sein soll. Sein Noah ist ein „Grüner“, der sorgsam mit der Natur und ihren Erzeugnissen umgeht, sich am liebsten von Pflanzen ernährt und Tiere ungeschoren lässt. Dass er mit seiner Familie durch eine industriell versehrte Landschaft marschiert, hat zwar eine aufdringliche Symbolik, ist aber aus grüner Sicht konsequent und beileibe kein Schwachpunkt des Films. Immerhin ist der „Einklang mit der Natur“ mittlerweile Common Sense - mitsamt seiner politischen Unverbindlichkeit. So weit, so gut.

Oder auch nicht. Denn nicht nur der „grüne“ Noah ging einigen an den Nerv. Und so löste „Noah“ einen Schrei der Empörung unter den amerikanischen Evangelikalen aus, die natürlich die fehlende Bibeltreue scharf kritisierten. Wenn man aber wie Aronofsky ein biblisches Thema mit eigenen Konnotationen überzieht und alttestamentarische Versatzstücke lediglich als allgemeine Textur nutzt, ist das kein Wunder. Legitim ist das allemal, spannend kann es auch sein, auch wenn wir wissen, dass die Fundamentalisten jedweder Couleur bei solchen Sachen völlig humorlos sind.

Das eigentliche Problem des Films ist aber die konfuse Mixtur der narrativen Strategien. In „Noah“ zeigt Aronofsky den Bibelmythos, der sich texthistorisch aus verschiedenen Mythen des orientalischen Kulturraums zusammensetzt und damit eklektizitische Literatur ist, zunächst als historische Wahrheit. Dann aber schleift er ihre Bastionen und bürstet alles gegen den Strich. Man kann dies Mindfuck nennen, ich nenne es verworren. So etwas kommt dabei heraus, wenn man es allen recht machen will.


Religiöses und ästhetisches Patchwork

Sichtbar wird dies gleich am Anfang des Films in der Pre-Title Sequence.
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Vor dem Firmament sieht man die Texteinblendung „Am Anfang war das Nichts.“ Blende auf eine Schlange: „Versuchung führte zur Sünde.“ Eine Hand, die nach einem Apfel greift: „Nach ihrer Vertreibung aus Eden hatten Adam und Eva drei Söhne: Kain, Abel und Set.“ 

  • Scherenschnittartige Silhouetten - Kain erschlägt Abel: „Kain tötete Abel und floh nach Osten, wo er Unterschlupf fand bei einer Schar gefallener Engel: Den Wächtern.“ 
Zoom-out auf grotesk deformierte Steinmonster in einer verwüsteten Landschaft: „Diese Wächter halfen den Nachfahren Kains, eine große industrielle Zivilisation aufzubauen.“ 
  • Blende auf wachsende Städte im Zeitraffer: „Ihre Städte verbreiteten Böswilligkeit und verschlangen die Welt.“ 
Krebsartige wachsende Wucherungen  breiten sich auf dem Globus vom europäischen Kontinent aus und bedecken schnell den afrikanischen: „Nur die Nachkommen von Set verteidigen und beschützen, was von der Schöpfung übrig ist. Heute wird der letzte seine Stammes zum Mann.“ 

  • Schnitt auf Lamech, der seinen Sohn Noah rituell initiieren will.
Was ist passiert? Selbst ein eingefleischter Agnostiker wie ich staunt, denn in „Noah“ schafft Gott aka der Schöpfer am Anfang nicht Himmel und Erde und auch nicht das Licht, sondern das Nichts herrscht. Also doch Quantenvakuum (2) und dann der Big Bang? 

Auch weiterhin geschieht Erstaunliches. Aronofskys animierte Version einer aus dem Ruder gelaufenen Genesis vermischt nonchalant religiös tradierte Symbole mit Kapitalismuskritik und Fantasy-Elementen. Die Schlange als Signum der Vertreibung aus dem Paradies wird mit einer fiktiven Industrialisierung in grauen Vorzeichen kurzgeschlossen. Der daraus resultierende Kampf zwischen Gut und Böse spiegelt sich in der Auseinandersetzung zwischen einer ökologischen Lebensweise und der Zerstörung der Natur wider. Die Steinmonster haben sich auf die Seite der gottfernen Industrie geschlagen und repräsentieren in diesem Kampf die „gefallenen Engel“, von denen in der Bibel tatsächlich berichtet wird (3).

Während also die erste Schrifteinblendung die Genesis negiert, signalisieren die folgenden Bilder salopp, dass „Noah“ scheinbar auf der Seite einer wortgetreuen Bibelauslegung steht. Wenig später wird klar, dass Aronofsky eigentlich doch eine ganz andere Geschichte erzählen will. Was denn nun? Das ist wirklich Mindfuck. 

Mir geht es dabei weniger um die Interessen der Fundamentalisten, sondern um die narrativen Dissonanzen, die dabei entstehen und unschlüssig wirken. Versatzstücke aus der modernen Physik und Mythologisches werden diskret in einem neuen Kontext arrangiert. Theologen, die historisch-kritisch mit der Genesis umgehen, nannten dies differenziert und unideologisch. Für mich ist es als Erzählstrategie doppelter Mindfuck, der nicht durchdacht wirkt. Anything goes.

Programmatische Sequenzen dieser Art sind so alt wie die Kinogeschichte. Zum ersten Mal sah man dies 1934 in dem Melodram „Crime Without Passion“ von Ben Hecht und dem legendären Charles MacArthur. In der Pre-Title Sequence wachsen die drei aus der griechischen Mythologie bekannten Furien aus Blutlachen heraus, richten üble Dinge an, verschmelzen symbolgewaltig mit den Wolkenkratzern einer Megacity und verwandeln sich schließlich in die Schriftzüge des Filmtitels (4). 
Eine beachtliche tricktechnische Leistung für einen Film der 1930er Jahre.

Aronofskys animierte Version ist ästhetisch subtiler und nicht weniger spannend. Etwa wenn die Ermordung Abels durch eine stilisierte Silhouette exemplarisch überhöht wird. Das gleiche Stilmittel wird später noch einmal auftauchen und dann erzählt Aronofsky im Zeitraffer die menschliche Geschichte bis in die Gegenwart als Abfolge immerwährender Gewalttätigkeiten. Aus anthropologischer Sicht stimmt man zu, es ist halt Common Sense, auch wenn die Botschaft mit dem Holzhammer vorgetragen wird.

Was sehen wir also in der Pre-Title Sequence? Eigentlich das ganze Programm des Films. Es ist eine disparate Mixtur aus Bibelelementen, die als faktisch deklariert werden, aber mit naturwissenschaftlichen Ingredienzien und Versatzstücken aus Fantasyfilmen abgeschmeckt werden. Und beiläufig wird daran erinnert, dass wir bitteschön die naturwissenschaftliche Correctness nicht aus den Augen verlieren sollen. Es sieht wirklich danach aus, als wolle Aronofsky niemand vor den Kopf stoßen und alle je nach Gusto bedienen.

Deutlich wird dies auch in einer Szene, in der Aronofsky seinen Noah von der Entstehungsgeschichte der Erde erzählen lässt - im Zeitraffer und ganz im Sinne der Darwinschen Evolutionstheorie entstehen da die Arten, was ein wenig an Malicks Film erinnert. Was uns Aronofsky tatsächlich erzählen will, wird allerdings (noch) nicht klar. Dazu muss man sich die weitere Fiktionalisierung Noahs anschauen und was die Frauen aus ihm machen.

Das Monster Noah – eine Bibelgestalt am Rande des Wahns

Etwas kann man dem Film nicht vorwerfen: Er geizt nicht mit beeindruckenden Bildern. Die karge Landschaft Island liefert vorzeitliche Szenarien, die aussehen, als seien sie nicht von dieser Welt. Auch die CGI-Abteilung ließ sich nicht lumpen und zauberte in Windeseile aus einem Samenkorn einen grünen Wald in diese lebensfeindliche steinerne Landschaft, Bäche graben sich sekundenschnell ihren Weg. Die gigantische Arche wird mithilfe der riesigen Wächter fertig gestellt und aus allen Richtungen strömen die Tiere in das imposante Boot. Epische Bilder, die man von diesem Sujet erwartet.

Gleichzeitig wirkt der Film aber formelhaft: das obligatorische Love Interest wird von Ila (Emma Watson) und Sem (Douglas Booth) bedient und der beinahe ebenso unvermeidliche Vater-Sohn-Konflikt zwischen Noah und seinem Sohn Ham (Logan Lerman) besteht nicht nur darin, dass Ham keine Frau abbekommen hat. Vielmehr entdeckt Noahs Sohn seine Faszination für den brutalen Tubal Cain (Ray Winstone). Der ist mit seinen Heerscharen angerückt, um sich einen Platz in der Arche zu sichern und Ham wird ihm später dabei helfen wird, sich auf der Arche zu verstecken, um Noah zu töten.
Misstrauen und Verrat, Selbstzweifel und zivilisatorischer Niedergang – und mittenmang ein stoischer Russell Crowe, der seinen Noah als stoischen Fighter gibt, der wie in „Gladiator“ weiß, wie man mit Waffen umgeht und wie man effektiv tötet. Natürlich ist auch Noahs finale Auseinandersetzung mit seinem altem Widersacher vertrauten Strickmustern geschuldet, die wie in einem ordentlichen Western das große und sehr blutige Showdown zwischen den beiden Alphatieren ankündigen.

Noah indes wird immer verschlossener. Als er heimlich Tubal Cains Lager aufsucht, sieht er eine entfesselte Meute, die um die letzten Reste von Nahrung kämpft und brutal Tiere zerfetzt. Noah erkennt, dass die Ausrottung der Menschheit nicht nur gerecht ist, sondern auch mit aller Konsequenz zu Ende gebracht werden muss. Er und seine Familie müssen die letzten Menschen sein, der Mensch war eine Fehlkonstruktion und wird es bleiben. Jede Möglichkeit der Fortpflanzung muss ausgeschlossen werden. Als aber Ila, die aufgrund einer während des Massakers erlittenen Verletzung wie durch ein Wunder schwanger wird, verkündet Noah, dass er einen Knaben am Leben lassen wird, weibliche Nachkommen eigenhändig umbringen wird.

Die Wandlung Noahs ist natürlich der Versuch, die biblische Figur psychologisch zu unterfüttern und zu dramatisieren. Interessant ist, dass daraus das Psychogramm eines wütenden Misanthropen wird, der im göttlichen Genozid eine tiefe moralische Wahrheit erkennt. Einer alternativen Deutung der Prophezeiung gibt Noah keine Chance, die alleinige Deutungshoheit besitzt er allein. In einer patriarchalischen Welt ist er derjenige, der im Auftrage Gottes über Tod oder Leben entscheidet. Frauen werden an dem Entscheidungsprozess natürlich nicht beteiligt, sie hören zu, schweigen oder akzeptieren. Das wird sich rächen.

Als die finale Schlacht zwischen den Horden Tubal Cains und den Wächtern geschlagen ist und die gefallenen Engel von Gott erlöst werden und per Lichtblitz in den Himmel auffahren, öffnen sich alle Schleusen und die Überlebenden ertrinken jämmerlich. Die Arche schwimmt davon, aber Noahs Autorität ist längst erschüttert. Seine Frau wendet sich von ihm ab und Ila und Sem wollen heimlich fliehen, werden aber von Noah entdeckt. Als Ila kurz danach zwei Mädchen zur Welt bringt, zieht Noah sein langes Messer.


Intelligente Schlusspointe

Die Infiltration der Geschichte durch Aronofskys Umdeutungen und Blockbuster-Zutaten hat allerdings schon früher begonnen. So hat Aronofsky mit Methusalem eine Figur in den Film eingeschleust, die den Fantasy-Anteil der Story nicht gerade senkt – ein Magier, der nicht nur ein machtvolles Samenkorn aus dem Garten Eden bereithält und unfruchtbare Frauen wie Ila mit einer flüchtigen Berührung fruchtbar macht. Ein Mann, der im Mittelalter als Hexer umgebracht worden wäre, aber eine dankbare Rolle für Anthony Hopkins, der ein Gegengewicht zu Russell Crowes imponierender One-Man-Show bildet. Methusalems magische Qualitäten als Zauberer gehören allerdings eher in die „Harry Potter“-Welt.

Aber „Noah“ war auch ohne diese Zutaten von Anfang an kein konventionell-pathetischer Bibelfilm, sondern ein alt-testamentarisch brutales Männerepos, dem Aronofsky am Ende dann tatsächlich in die Parade fährt: Noah verschont die Neugeborenen. 

Was Aronofsky mit seiner Schlusspointe im Sinn hat, zeigt eine der letzten Szenen. Als Noah sich nach der Entdeckung von Land von seiner Familie absondert und sich, verzweifelt über sein Versagen vor Gott, der Trunksucht hingibt, ist es Ila, die ihn zur Räson bringt. Gott habe, so erklärt die junge Mutter dem milde gewordenen Berserker, dem Menschen die Freiheit gegeben, zwischen Strafe und Barmherzigkeit zu entscheiden, und Noah habe sich für die Liebe und die Barmherzigkeit entschieden, als er die Neugeborenen verschonte.
Es sind am Ende also die Frauen, die sich auflehnen und durch die Hintertür die Ethik der Bergpredigt in den Film einführen. Noch einmal Patchwork, diesmal aber mit intelligentem Design. Mit der ideologischen Wendung des Films hat der Film auch Positionen der feministischen Theologie angedeutet, zu deren Hauptzielen die Entmystifizierung der patriarchalischen Bibel-Agenda gehört. Dieser Input des Weiblichen in ein mörderisches Patriarchat macht als Plot Twist den Film dann doch ein wenig sympathischer. Tatsächlich war dies von Aronofsky auch so beabsichtigt (5):  der Charakterwandel Gottes von Gerechtigkeit zur Barmherzigkeit sollte auf die Figur des Noah übertragen werden.

Retten kann das den Film nicht ganz. Seine eklektizistische Machart, religionswissenschaftlich auch Synkretismus genannt, besteht aus dem kräftigen Durchmischen unterschiedlicher religiöser Aspekte mit dem Pflichtenheft eines Blockbusters. Gleichzeitig wird auch das säkulare Publikum bedient. Wer so viel will, bekommt fast zwangsläufig Probleme.

Dass „Noah“ spaltet, ist also nicht überraschend. Das Spannende an den kritischen Reaktionen ist, dass sie aus weltanschaulich völlig divergenten Gründen entstanden sind. Atheisten und Agnostiker werden Bibelfilme wie „Noah“ per se als fundamentalistische Ideologie betrachten. Aber christliche Fundamentalisten haben sich diesen Ball nur ungern zuspielen lassen und interpretieren „Noah“ als „heidnischen“ Film. Eine Handvoll muslimischer Staaten hat den Film verboten, obwohl oder gerade weil die Geschichte Noahs eine der wirkmächtigsten im Koran ist, eine Verfilmung aber wegen des Abbildungsverbots mit der Lehre des Islam nicht übereinstimmt (6).

Helfen wird es nicht, denn Hollywood hat für die nächsten Jahre eine Welle von Bibelfilmen angekündigt.

Note: BigDoc = 4

(1) Leseprobe

(2) In der Quantenphysik versteht man darunter den Zustand niedrigster Energie, die immer größer als null ist. „Nichts“ ist ein Synonym für diesen Zustand, der übrigens experimentell nachgewiesen werden konnte. Metaphysisch bedeutet dies, dass das Nichts als absolute Negation des Seins entfällt und womöglich auch gar nicht existiert. Das sollte gläubige Menschen allerdings nicht beunruhigen.

(3) In 1. Mose 6,1 werden sie „Riesen“ und „Helden der Vorzeit“ genannt, während sie in abweichenden Bibelübersetzungen von den Gottessöhnen gezeugt werden, den frommen Nachfahren Sets, die sich mit den weiblichen Nachfahren Kains paarten. In anderen Auslegungen sind sie indes göttliche Wesen („Wächter“), die sich mit Menschenfrauen einließen und die Nephilim zeugten, die Hybridwesen, die bei Aronofsky den Menschen indes technologisches Know-how vermitteln.

(4) Dieses kleine Kunstwerk kann man sich auf YouTube anschauen.

(5) „Noah“ eine Free-Jazz-Version des Alten Testaments, von: Selim Petersen. Dort: Interview mit Darren Aronofsky (Video SRF, 2:20 min), abgerufen am 31.1.2015.

(6)
Gegen den Film wurde vom sunnitischen Kairoer Institut Al-Azhar, ein Schlüsselzentrum der islamischen Religion, sogar eine Fatwa erlassen. Ein Vorbote dessen, was uns nach der Islamisierung des Abendlandes bevorsteht? Tatsächlich sollten alle, die sich zurzeit organisiert fürchten, ihre Bildungsferne bekämpfen und zumindest zur Kenntnis nehmen, dass der Islam grundsätzlich Offenbarungsreligionen anerkennt und nicht nur Jesus, sondern auch Noah, Abraham und Moses als wichtige Propheten des wahren Gottes beschreibt. Das macht zwar das Verbot des Films nach den Regeln unseres Kulturkreises nicht akzeptabel, aber man lernt sich besser kennen. 
Wer damit Probleme hat, wird durch die Online-Ausgabe der „Deutsch Türkischen Nachrichten“ überrascht, die sich vor knapp einem Jahr angesichts des Verbotes von „Noah“ zum Fürsprecher der Informationsfreiheit machte, was vermutlich aktuell bei einigen Mitbürgern überhaupt nicht gut ankommen wird: „Die Tendenz, alles (Filme, Bücher, Tweets, etc.), die dem Islam widersprechen, zu verbieten (...) dient jedoch nicht dem Islam, wie seine Befürworter glauben. Es belässt Muslime uninformiert über die Außenwelt und primitiv in ihren Antworten. Um sich etwas mit Vernunft und Angemessenheit zu widersetzen, sollten sie in der Lage sein, zu wissen, wovon sie sprechen.“
Das gilt aber nicht nur für Muslime.

Noah – USA 2014 – Regie: Darren Aronofsky – D.: Russell Crowe, Anthony Hopkins, Jennifer Connelly, Logan Lerman, Douglas Booth, Emma Watson, Ray Winstone, Nick Nolte – Laufzeit: 138 Minuten – Altersfreigabe: ab 12 Jahren