Donnerstag, 12. Februar 2015

Foxcatcher

Steve Carrell gilt als heißer Oscar-Kandidat. Die Darstellung eines mental gestörten Millionärs auf der Suche nach Anerkennung ist ein kleines Lehrstück in Sachen Manipulation und Selbstzerstörung und Carrell spielt dies beängstigend gut. Gerade weil er keine Miene dabei verzieht.

Über dem Film liegt Frost. Geredet wird stockend. Gefühle bleiben im Verborgenen. Wenn John du Pont seinem Schützling Mark Schultz eine Rede einbimst, dann trifft ein innerlich erkalteter Professor Higgins auf eine männliche Eliza Doolittle, deren Zunge mit einer kräftigen Ladung Kokain gelöst werden muss. Derart gepusht wird Schultz bei einer Sportgala die Laudatio auf seinen Freund und Mentor zwar hinbekommen, Enthusiasmus sieht aber anders aus.

Channing Tatum spielt den Ringer Mark Schultz, der zusammen mit seinem Bruder David (Mark Ruffalo) bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles Goldmedaillen gewonnen hat und nun von dem reichen Sportmäzen du Pont in einem von ihm gesponserten top-professionellen Ringercamp auf neue Großtaten vorbereitet werden soll. Foxcatcher Farm heißt das Camp, in dem sich die gesamte US-Nationalmannschaft versammeln soll. Der Fuchs, der gefangen werden soll, ist die nächste Medaille für die USA. Und dann die nächste, denn zur Agenda des ehrgeizigen Millionenerben gehört auch der Nationalstolz.
Aber John du Pont will nicht nur Mäzen, sondern auch Mentor und Teamcoach sein. Mark Schultz hat zuvor mit seinem Bruder David in schäbigen Turnhallen trainiert, die nicht gerade den passenden Rahmen für Olympiasieger abgeben. Da kann man das Angebot, in Pennsylvania unter optimalen modernen Bedingungen und für ein üppiges Gehalt zu trainieren, nicht so einfach ablehnen. Davis wird dies aber tun, Mark nicht. Channing Tatum spielt den verschlossenen Sportler mit größtmöglicher Intensität. Und die besteht darin, dass man eigentlich nie weiß, was in ihm vorgeht. Ein schlicht gestrickter Sportler, der sich nur mühsam Sätze abringt und in dem selbsternannten Mentor eine Vaterfigur erkennt. 


Intensives Fremdschämen

Und die spielt ausgerechnet ein Komiker, der damit ebenfalls gegen sein Rollenfach antritt. Aus Steve Carrell („Evan Allmächtig“, 2007, „Crazy, Stupid, Love“, 2011) hat das Maskenbild einen Mann mit mächtiger Nase und einem noch größerem Ego gemacht. Bennett Miller charakterisiert den reichen Mäzen als verzweifelten und dennoch gefühlskalten Einzelgänger, der vergeblich um die Anerkennung seiner abweisenden Mutter (Vanesssa Redgrave) buhlt: Wrestling ist Sport für die Unterschied, befindet die in jüngeren Jahren erfolgreiche Reitsportlerin. 

Wenn John den jungen Ringer in ein komplexes Beziehungsgeflecht hineinzieht und dabei die Konkurrenzbeziehung der Brüder geschickt als Motivationskrücke nutzt, gefriert der Film zum Portrait einer schizotypischen Persönlichkeitsstörung. Umständliche Sprache, Argwohn, affektive Flachheit – all das spielt Carrell mit einer maskenhaften Distanz, die zunehmend unheimlich und abstoßend wirkt. Du Ponts Versuche, eine emotionale Beziehung zu Mark aufzubauen, und Marks wachsendes Einverständnis, sich in die zugewiesene Rolle einzufügen, wirkten wie die Allianz zweier gefühlsmäßig retardierter Menschen, die erst noch gemeinsam einüben müssen, was für die meisten Menschen selbstverständlich ist: Empathie.
Du Pont kann sich bestenfalls verdruckst mit seinen Ringern in gespielten Kämpfen vor der prallen Pokalvitrine herumwälzen. Alle machen in gespielter Heiterkeit mit. Money rules.

Dass du Pont auch sonst ein armes Würstchen ist, wird in „Foxcatcher“ sichtbar, als er während eines Besuchs seiner Mutter im Ringercamp spontan eine Trainingseinheit improvisiert, in der er sich als kompetenter Trainer zu präsentieren versucht. Tatsächlich führt er nur banale Grundtechniken vor, denen die finanziell abhängigen Ringer mit peinlichem Schweigen zuschauen. Du Pont, der Bücher schreibenden Ornithologe und bekannte Philatelisten, will halt auch ein großer Sportler sein. Aber er hat keine Ahnung vom Ringsport.
Es ist nicht die einzige Szene in „Foxcatcher“, die Beklommenheit auslöst. Wenn Carrell lange schweigt, bevor er zu reden beginnt, dann trifft dies den Kern einer Persönlichkeit, die scheinbar alles in Kopf drehen und wenden, prüfen und abwägen muss, bevor sie spricht. Man könnte Fehler machen, man könnte ja auch überlistet werden.
Das Sparsame und Reduzierte in Steve Carrells Performance ist tatsächlich grandios, auch oder weil es beinahe zwangsläufig intensives Fremdschämen provoziert. Und wenn es ein Gegenstück zum Overacting gibt, dann wird es „Foxcatcher“ nicht nur von ihm, sondern auch dank Channing Tatums überraschend guten Leistung konsequent auf den Punkt gebracht.

Im Team Foxcatcher läuft zunächst alles nach Plan. Mark gewinnt bei den Ringer-Weltmeisterschaften 1987 eine Goldmedaille. Du Pont lässt sich nun von seinem Vorzeigesportler duzen. Die Klimax der Beziehung zwischen Nähe und Distanz wird erreicht, als John wegen einer banalen Änderung des Trainingsprogramms Mark in aller Öffentlichkeit brüskiert und ohrfeigt, um danach dessen Bruder David als sportlichen Leiter ins Camp zu holen. Eine Demütigung, die zerstörend ist.

Mark Ruffalo spielt Marks älteren Bruder als pragmatischen und selbstbewussten Mann, der alle frühere Anwerbungsversuche du Ponts abgelehnt hat, nun aber wohl aus finanziellen Gründen nachgibt. Das macht Ruffalo richtig gut. Er ist in dem fragilen Trio so etwas wie die Verkörperung des Realitätsprinzips, ein warmherziger und loyaler Mann, der sich den krampfigen Annäherungen seines Brötchengebers höflich entzieht.

Die neu aufgestellte Hierarchie im Team macht Mark indes immer verschlossener. Unfähig, seine Wut zu artikulieren, zieht er sich zurück und trainiert allein. Als ihm nur mit großer Mühe die Qualifikation für das Olympiateam gelingt und er anschließend bei den Spielen in Seoul erfolglos bleibt, verlässt er 1988 das Team.

David bleibt, hält John du Pont aber weiterhin menschlich auf Distanz. Während der Dreharbeiten zu einem Imagefilm über den reichsten Mann Amerikas bringt er nur wenig Lobhudelndes über seinen Chef hervor. Später sieht man du Pont, der sich den fertigen Film scheinbar ungerührt in seinem Arbeitszimmer anschaut. Dann fährt der Multimillionär mit seinem Leibwächter zum Haus Davids, fragt ihn, ob er ein Problem mit ihm habe und erschießt den Wehrlosen. Auch das ziemlich ungerührt.


Sportfilm oder Psychodrama?

Bennett Miller hat bereits in „Capote“ (2005) Lügen, Manipulation und Selbstzerstörung zum Thema gemacht. Für die Darstellung des berühmten Journalisten Truman Capote, der aus egoistischen Motiven einen in der Todeszelle sitzenden Mörder emotional austrickst und anschließend depressiv wird, bekam Philip Seymour Hoffman einen Oscar. Ins Genre des Sportfilms wechselte Bennett dann im Jahre 2011 mit „Moneyball“, einem Film, der sich ebenfalls auf ein reales Vorbild stützt: der durch computergestützte Spielerstatistiken ausgelösten Revolution im amerikanischen Baseball.
 Mit „Foxcatcher“ werden beide Themenkreise zusammengeführt: erneut geht es um Lebenslügen und Figuren mit affektiven Beschädigungen, um Manipulation und Verführung, und erneut werden die menschlichen Tragödien im Spiegel des Erfolgshypes reflektiert, der in der Welt des Sports – wir kennen es nicht erst seit Oliver Stones „Any Given Sunday“ – den Schein nötiger hat als das Sein.

Aber geht es Bennett Miller wirklich um eine kritische Auseinandersetzung mit der Psychodynamik des Sports? Besitzt „Foxcatcher“ die erforderliche historische Authentizität? 

Vor drei Jahren wurde Miller vorgeworfen, in „Moneyball“ mit den Fakten ein wenig herumgespielt zu haben. Auch „Foxcatcher“ nimmt sich einige Freiheiten heraus. So geschah der Mord an Davis Schultz tatsächlich 1996, also acht Jahre nachdem sein Bruder das Team Foxcatcher verlassen hatte. Einige Quellen (1) deuten auch an, dass John du Pont möglicherweise an einer paranoiden Schizophrenie gelitten hat. Der Film verzichtet allerdings auf allzu Exzentrisches und ist möglicherweise nur ein mildes Abbild der tatsächlichen Ereignisse. 

Der Multimillionär John du Pont wanderte für seine Tat ins Gefängnis, wo er 2010 starb. Ob er tatsächlich eine gestörte Beziehung zu seiner Mutter hatte, ist unklar. Ob er erst in späteren Jahren zum pathologischen Paranoiker wurde, kann nur vermutet werden. 


In dem stilistisch unauffälligen und eher spartanisch gedrehten Film bleiben auch Millers Intentionen unklar: Soll „Foxcatcher“ die Rekonstruktion einer bizarren Episode sein, die vor fast 20 Jahren für großes Aufsehen sorgte, oder variiert Bennett Miller noch einmal seine Themenwelt aus „Capote“ und „Moneyball“?
Was „Foxcatcher“ tatsächlich ist, kann man an seiner Wirkung ablesen. Es ist die Atmosphäre eisiger Kälte und sprachlicher Verarmung, die sich schleichend im Kino breit macht. So etwas muss zwar nicht zwangsläufig zu einer Gewalttat führen, hält aber immer einen derart explosiven Ausbruch bereit. Steve Carrell spielt diesen manipulativen Charakter als Opfer seiner Obsessionen, als eindimensional Fixierten, der nie den Eindruck macht, alles perfide geplant zu haben. Carrells Figur ist vielmehr jemand, der trotz seiner vorgetragenen Selbstkontrolle eigentlich nur improvisieren kann, weil er sich selbst nicht verstehen kann.


Ob man den Film als Psychogramm des ego-fixierten Sports lesen möchte oder als psycho-pathologische Studie, ist eigentlich egal. Beides wird wohl in gewisser Weise zutreffen, deutet aber auch einen Mangel an Entschlossenheit in Millers Film an. Mir der bekannten Dramaturgie amerikanischer Sportfilme, ihren Ups und Downs vor dem Höhepunkt, dem großen Triumph, hat „Foxcatcher“ ohnehin nichts zu tun. Das ist konsequent. Das Zuschauen im Kino hält dann auch keine Katharsis bereit, es wird vielmehr zur Tortur – so unerträglich präzise tickt das Uhrwerk und genauso unausweichlich steuert die Tragödie auf ihren letalen Höhepunkt zu. „Foxcatcher“ ist ein Film, den man kein zweites Mal sehen möchte. Und das ist tatsächlich dann doch noch so etwas wie ein Kompliment.


Noten: BigDoc = 2,5

(1) DIE ZEIT: In der Online-Ausgabe gibt es auch den erwähnten Imagefilm zu sehen.


Foxcatcher – USA 2014 – Regie: Bennett Miller – D.: Steve Carrell, Channing Tatum, Mark Ruffalo, Vanessa Redgrave – Laufzeit: 129 Minuten – Altersfreigabe: ab 12 Jahren.