Donnerstag, 12. März 2015

Predestination

Für Genre-Nerds ist „Predestination“ ein Volltreffer. Der Film der Brüder Michael und Peter Spierig agiert auf Augenhöhe mit Neo-Klassikern des Genres wie „Looper“. Ein sorgfältig inszenierter „Mindfuck“-Film, der den Zuschauer beim Enträtseln vor unlösbare Aufgaben stellt, auch dann, wenn er die Schlusspointe kennt.

Die ungewöhnlichsten Geschichten hört man in der Kneipe. Wir sind im Jahre 1970 in New York. Ethan Hawke steht hinter der Theke und ist der „Barmann“. Ihm gegenüber sitzt John, der sich „The Unmarried Mother“ nennt und von Sarah Snook gespielt wird. Und die ist eine echte Entdeckung mit „Wow“-Effekt. Es geht um eine Flasche Whiskey, die John gewinnen kann, wenn er eine verblüffende Geschichte erzählen kann. Und John legt los: eigentlich sei er ja ein Mädchen, aber als solches hatte er ein hartes Leben, denn Jane, wie er früher hieß, war als Jugendliche wegen ihrer überragenden Intelligenz und ihrer Fähigkeit, sich in Prügeleien zu behaupten, alles anderes als beliebt bei ihren Altersgenossen. Irgendwann wurde sie von einer merkwürdigen Institution namens Space Corps rekrutiert, um ins Weltall zu fliegen. Aber a) wurde sie schwanger und b) von ihrem Lover im wahrsten Sinnes des Wortes sitzen gelassen. Sie fliegt aus dem Programm. 
Nach der Geburt ihres Kindes wird sie von Chirurgen dann ‚korrigiert’ und per Geschlechtsumwandlung in einen Mann verwandelt. Nun schreibt John, der einst Jane war, Bekenntnisgeschichten für anspruchslose Frauen-Magazine und ist alles andere als glücklich. 

Klar, der „Barmann“ verliert die Wette, aber er hat dafür eine ganz andere Geschichte auf Lager. Er schlägt John/Jane vor, dass John/Jane ganz ohne Folgen den treulosen Schuft, den Vater ihres Kindes, töten könne. Sie müsse ihm nur folgen, er würde das schon arrangieren. Und schon reisen beide mit einer kleinen Zeitmaschine für den täglichen Bedarf in die Vergangenheit.


Die Lust an der Verwirrung

Wir sind also mitten drin im temporalen Chaos. Ethan Hawke ist nämlich nicht nur der „Barmann“, sondern auch der „Temporale Agent“. Einen richtigen Namen hat er nicht und wer den Film gesehen hat, weiß auch warum dies so ist und auch halbwegs, warum ihm eine virtuose Portion „Mindfuck“ verabreicht worden ist. Wer die religiöse Bedeutung der Prädestination kennt, ahnt ohnehin, was kommen wird.

Time Travelling gehört zu den beliebtesten Themen in der SF-Literatur und der filmischen Science Fiction. In „X-Men: Days of Future Past“ (2014) soll Wolverine die für die X-Men ziemlich verhängnisvolle Zeitlinie korrigieren. Bryan Singers Film ist eine No-Loop-Story. Ähnlich, aber mit Loops funktioniert titelgebend Rian Johnsons „Looper“ (2012), in dem Kriminelle die Zeitreisen für die Liquidierung unliebsamer Personen nutzen.
Ziemlich viel „Mindfuck“ bekommt man in Duncan Jones’ Klassiker „Source Code“ (2011) geboten, der sich eher am Multiversum-Modell orientiert und dazu einige intelligente Überlegungen anstellt.

Auch in Komödien wird durch die Zeit gereist, etwa in Woody Allens „Midnight in Paris“ (2011) oder in „About Time“ (2013) von Richard Curtis. Dort geht es allerdings um charmantere Fragen als um die gewalttätige Korrektur schlimmer Dinge.
J.J. Abrams hat Zeitreisen und alternative Zeitlinien dagegen aus ganz pragmatischen Gründen genutzt, um in „Star Trek“ (2009) dem konsistenten Trekkie-Universum zu entkommen und die Geschichte ganz neu erfinden zu können.
Selbst im Harry-Potter-Universum konnte Alfonso Cuarón der Versuchung nicht widerstehen. Er verwendete in „Harry Potter and the Prisoner of Azkaban“ eine magische Vorrichtung, den Time-Turner.

Zeitreisen sind also irgendwie unwiderstehlich. Im Kino gibt es sie seit den 1920er Jahren und immer wieder wird gereist, um sich in der Vergangenheit für etwas zu rächen, was in der Zukunft geschehen ist, oder um etwas zu verbessern, was kräftig in die Hose gegangen ist. Überhaupt interessiert sich der fiktive Time Traveller eher für die Vergangenheit als für die Zukunft. Das geht Lesern und Zuschauer ja auch so. Zu groß ist unser Bedürfnis, die eigene Biografie zu verstehen und zu groß ist der Traum, in ihr etwas anders, besser oder ungeschehen zu machen. 

Auch in TV-Serien scheint der Appetit nach entsprechenden Sujets auch nach „Lost“ immer noch nicht gestillt zu sein. Erst wenn man sich anschaut, wie viele Filme und Serien sich direkt oder indirekt mit der lieben Zeit auseinandersetzen, wird man überrascht feststellen, wie viele es tatsächlich sind. 

„Mindfuck“ ist in diesem Erzähluniversum, das seine Gesetze immer wieder neu definiert, kein Subgenre, sondern eine Erzählstrategie, die verschiedene Genres bis hin zum Fantasy kräftig aufmischt: Mindfuck geht zur Not auch ohne Zeitreisen und ist eher an Täuschung (The Sixth Sense, 1999), Desinformation und Identitätsproblemen (Fight Club, 1999) interessiert und legt tückische Fallstricke aus, damit der Zuschauer erst beim zweiten oder dritten Anlauf einsieht, dass er den Trick wohl nie durchschauen wird.


Mehr Erzählkino als Thriller

„Predestination“ ist so ein Mindfuck-Movie. Bemerkenswert ist die Ruhe, mit der Michael und Peter Spierig („Daybreakers“) ihre Geschichte erzählen. „Predestination“ ist eher klassisches Erzählkino als Action, mehr Drama als rasantes Jumpen durch aufwendige Settings. In der ersten halben Stunde gibt es weder knallige Verfolgungsjagden noch sich überschlagende Ereignisse. Die Spierigs nehmen sich Zeit und rollen die Geschichte Janes mit gut sortierten Flashbacks auf, jenen Zeitreisen, die dem Kino ganz legal zur Verfügung stehen und mit denen wir ganz gut klar kommen. Und wenn John/Jane und der Barmann in der Zeit zurückreisen, zeigt sich, dass der geheimnisvolle temporale Agent an jeder einzelnen Station in Janes Leben seine Finger im Spiel hatte. Denn es dreht sich letztendlich alles um den mysteriösen „Fizzle Bomber“. Den gilt es zu fassen, so viel erfahren wir im Prolog, denn im Jahre 1975 wird er Zehntausende töten und danach zu einem der übelsten Terroristen der Gegenwart werden. 


„Predestination“ ist eine sorgfältige Adaption der Kurzgeschichte „-All you Zombies-“, die der SF-Papst der Time Travels geschrieben hat: Robert A. Heinlein. Es ist eine seltsame Geschichte zwischen Hoffnung und Einsamkeit, der Coming-of-Age-Story einer Highschool-Außenseiterin und ihrer Erlösung durch die große Liebe, der dann der Verrat auf dem Fuße folgt. Nicht einmal, nein, das Ganze wiederholt sich als Ende ohne Schrecken, wobei der Verräter eigentlich keiner ist ... es ist wirklich schwer, bei diesem Film nicht zu spoilern.


Etwas darf der Kritiker aber erzählen: „Predestination“ bedient keine Klischees, sondern besitzt erstaunlich viel erzählerische Substanz, auch dank der guten Performance von Sarah Snook und Ethan Hawke. Die Settings der 1970er sind adäquat, auch die Reisen in die 1940er und 1990er Jahre haben den richtigen Look. Was auch für die exzellente Kameraarbeit von Ben Nott gilt, der die verschiedenen Zeitebenen ein wenig so aussehen lässt wie die Filme der jeweiligen Dekade. In „Predestination“ stimmt filmisch also alles. Ob man sich aber an der Nase herumführen lassen will, ist eine andere Frage.


Zeitreisen: Gibt es das denn wirklich?

Natürlich lohnt sich bei derart chaotischen Arrangements ein Blick in die Welt der Physik. Gibt es Zeitreisen? Ja. In „Interstellar“ werden Reisen in die Zukunft recht ordentlich erklärt. Die Relativitätstheorie wird realistisch dargestellt, die Quantenphysik bleibt eher nebulös.
Im Einsteinschen Kosmos sind Zeitreisen in die Vergangenheit aber nicht vorgesehen. Die Physiker streiten sich vielmehr darüber, ob die Zufallsprozesse der Quantenphysik in einen deterministischen Kosmos passen.
 Aber ausgerechnet dieses Konzept, die Grundlage unserer Naturwissenschaften, verärgert die Laien, glauben sie doch, dass der Determinismus ihnen die Willensfreiheit raubt. Denn auch darum geht es in
Predestination".
 

Determinismus und Willesfreiheit

Tatsächlich klauen uns diese die Hirnforscher, aber wir wollen bei diesem ernsten Thema nicht ironisch werden. Willensfreiheit ist keine biologische Instanz, sondern ein kulturelles Derivat, etwas, das auf Vereinbarung basiert. Das bedeutet, dass ungeachtet zukünftiger biologischer Erkenntnisse, die freie Willensentscheidung für uns gültig bleibt, weil wir wollen, dass es so ist und weil dies eine Konstante in unserem sozialen und kulturellen Leben bleiben soll. Auch und besonders deshalb, weil es zu unübersehbaren Folgen führen würde, wenn wir alle das Gegenteil annehmen würden. Außerdem sind wir ‚Personen’, bei denen der Dualismus von Ich und Gehirn von Philosophen immer wieder als Argument herangezogen wird, sich bei näherem Hinsehen aber als Blödsinn entpuppt. Eine freie Willensentscheidung ist das bewusste Erleben des Moments, in dem sich der mentale Vorgang der Entscheidung vollzieht. Es spielt für eine ‚Person’ keine Rolle, ob dafür der nicht weiter lokalisierbare freie Wille oder vorbewusste Instanzen unseres Hirns verantwortlich sind.

Wichtiger an der heiligen deterministischen Kuh der Naturwissenschaftler ist etwas anderes: Determinismus bedeutet Kausalität und damit auch Vorhersagbarkeit der Ereignisse. Wenn man alle Fakten kennt, dann könnte man wie der berühmte Laplacesche Dämon genau wissen, wie die Zukunft aussieht. Wir könnten an dieser Timeline nichts ändern und auch das Wissen um die Unausweichlichkeit des Geschehens würde nichts ändern, da es von Anbeginn Teil des Prozesses gewesen ist.
Mit diesem Thema beschäftigen sich nicht nur die Physiker, sondern auch die Philosophen, unter ihnen besonders die Logikexperten und Ontologen. Wenn wir also Ethan Hawke in „Predestination“ bei seinen Bemühungen sehen, sollte man schon wissen, was das „Großvaterparadox“ ist und warum es Fälle der sogenannten Prädestinationsparadoxie gibt, in denen es gerade die Korrekturen der Vergangenheit sind, die dafür sorgen, dass alles so abläuft, wie es bereits schon einmal abgelaufen ist. Wissen tun wir’s aber nicht, da es nur wenige kluge Köpfe gibt, die in beiden Wissensgebieten sattelfest sind. Was man übrigens daran erkennt, dass man kein Wort versteht.

Keine schöne Vorstellung, der Determinismus. Aber er wird zäh von den meisten Physikern verteidigt, auch weil sie sonst nicht mehr viel zu erzählen hätten. Und da Physiker ohnehin einen vom Normalsterblichen abweichende Vorstellung von Zeit haben (die es eigentlich gar nicht gibt), haben einige von ihnen sogar die Vorstellung entwickelt, dass die Raumzeit als Summe aller räumlichen und zeitlichen Ereignisse bereits wie ein eingefrorener Block existiert. Deswegen heißt dieses Modell auch Block-Universum. Nur der Laplacesche Dämon wüsste in diesem deprimierenden Kosmos, was er als Nächstes tun wird – und würde prompt etwas anderes machen. Aber das ist kein Trost für uns als freiheitsliebende Spezies. Alles nur eine Illusion?


Für Zeitreisen fehlt uns der Sprit im Tank

Eins scheint für die Experten aber festzustehen: Zeitreisen in die Vergangenheit sind in diesem Universum nicht möglich, zum einen aus thermodynamischen Gründen, zum anderen, weil sie zu Paradoxien führen und schließlich auch, weil sie mehr Energie benötigen würden als im uns bekannten Universum vorhanden ist.
Wieso paradox? Nun, man kann sich als Lebensmüder zwar vorstellen, dass man in die Vergangenheit reist, um seinen Großvater umzubringen, damit dieser nicht den eigenen Vater zeugen kann, aber erstens kann man ja gleich seinen Vater umbringen und zweitens würde man aus der Zeitlinie verschwinden, da man nicht existiert und daher auch keine Zeitreise unternehmen kann. Allerdings würde dann der Großvater den Vater zeugen und den Rest kennen wir - so funktioniert das
Großvaterparadoxon"! 
Es gibt auch weitere Effekte. Normalerweise führt das Ereignis 1 zwangläufig zum Ereignis 2. Ursache und Wirkung können durch Zeitreisende aber quasi auf den Kopf gestellt werden. Sie werden von merkwürdigen Barmännern" so manipuliert, dass gelegentlich die Wirkung der Ursache vorausgeht (die sogenannte Rückwärtskausalität).
Genau das geschieht in „Predestination“. Und das ist eine Verletzung des Kausalitätsprinzips, und weil das Ganze wie in vielen Time Travel-Geschichten häufig in einem Loop landet, einer Endlosschleife, weiß man nie, wer zuerst da war: die Henne oder das Ei. Logiker sprechen hier von einer kausalen Schleife, in der zwar die Ereignisse ihre Ursachen haben, aber die Schleife als Ganzes eben keine. So, und das ist die Grundlage der meisten „Mindfuck“-Geschichten.

In „Predestination“ wird – und das ist durchaus komisch – noch der Hahn als dritte Instanz eingeführt, aber verständlicher macht es das Ganze nicht. Diese Geschichten sind kein Abbild physikalischer Prozesse, sondern halt narrative Modelle. Im „Mindfuck“-Film kann man sich anstrengen, um die logischen Sollbruchstellen zu entdecken, aber in der Regel scheitert man daran, wenn man nicht einige Bögen Papier mit komplizierten Ablaufskizzen vorkritzelt. Und auch dann raucht der Kopf, weil der Geschichtenerzähler jederzeit seine Hauptfigur mit der Zeitmaschine an einen Ort in der Vergangenheit zurückschicken kann, wo er seine eigene Identität und die anderer manipulieren kann.
Also bitte nicht spekulieren und sich abquälen: Man kann Poesie nicht mit mathematischen Modellen abbilden. Umgekehrt geht’s auch nicht. Und einem Film, in dem ein allgewaltiger Erzähler die Herrschaft über den Erzählraum übernommen hat, ist mit Logik sowieso nicht beizukommen.
 

„Predestination“ ist eher eine konservative Variante dieses Genres. Die Hauptfigur (Singular!) macht zwar eine verstörende Entdeckung, aber letztlich läuft alles darauf hinaus, dass die Dinge geschehen wie sie geschehen sollen. 

Eigentlich schade, denn viel faszinierender wäre es, wenn es tatsächlich ganz anders kommt. Aber damit plagt sich der gestandene „Mindfucker“ nicht ab. Sein Ziel ist es, den Zuschauer über das Limit zu heben, denn irgendwann verliert jeder sich in der Kreuz- und Wechselbeziehungen der Zeitlinien. Aber der finale Plot-Twist, dem dann häufig noch ein weiterer folgt, ist zwar hübsch anzusehen, restlos befriedigen kann das aber nicht, denn zur Kunst des Geschichtenerzählens gehört, dass sie verstanden werden können. Oder?
„Mindfuck“-Filmemacher wollen das nicht. Ihre Filme sind komplizierter als Einsteins Relativitätstheorie und abgebrühter als die Quantenphysik. Es kann sogar noch schlimmer kommen: Man muss sich nur noch vorstellen, dass man in einer Zeitreise in einem Parallel-Universum landet. Wo befindet man sich dann aber nach der Rückkehr? Und was bedeutet Rückkehr, wenn es im Kern eigentlich nicht einmal eine Gegenwart gibt, sondern gleich mehrere?

Mit anderen Worten: Mir reicht es. Das Kino selbst ist bereits eine wunderbare Zeitreise. Mehr brauchen wir nicht. Aber nett anzuschauen ist „Predestination“ allemal. Allerdings sollte man sich nie mit einem Barmann auf eine Wette einlassen.

Predestination – Australien 2014 – Regie, Buch: Michael und Peter Spierig – Laufzeit: 94 Minuten – FSK 12 – D.: Ethan Hawke, Sarah Snook, Noah Taylor.