Mittwoch, 20. Juni 2007

Adams Äpfel

Dänemark 2005 - Originaltitel: Adams Æbler - Regie: Anders Thomas Jensen - Darsteller: Ulrich Thomsen, Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Paprika Steen, Nicolas Bro, Ali Kazim, Gyrd Løfqvist, Lars Ranthe, Ole Thestrup - FSK: ab 16 - Länge: 93 min.

Tarantino meets Bergman
Man kann davon ausgehen, dass ein Film, der den Kulturpreis dänischer Pastoren gewinnt, beim unvorbereiteten Publikum eine Reihe finsterer Klischees abruft. Als da wären: Prüderie, Langeweile, Belehrung. Wer dann „Adams Äpfel“ sieht, der nun endlich und fast ein Jahr nach dem Kinostart als DVD vorliegt, wird mehr als einen Schock zu verkraften haben. Der Film ist extrem gewalttätig, zynisch, völlig unkorrekt und beschäftigt sich intensiv mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und dem Gegensatz von Gut und Böse. Mit anderen Worten: Quentin Tarantino meets Ingmar Bergman. Upps!

Anders Thomas Jensen gilt als der herausragende dänische Drehbuchautor. Will man dies pointiert auf den Begriff bringen, so fällt einem nur ein Wort ein: Originalität ohne formale Exzentrik. Letzteres ist nicht ganz unwichtig, hat Jensen sich immerhin einmal als Autor am Dogma-Projekt „Mifune“ beteiligt. Das war aber keineswegs eine programmatische Entscheidung. Erinnern wir uns: Die Vermischung einer raffinierten Plotstruktur mit exzessiver Gewalt war bereits im Script für „In China essen sie Hunde“ (1999) erkennbar – kultig, trashig und sicher nichts für das ARD-Vorabendprogramm. Als Regisseur und Autor mit Tarantino-Touch outete sich der Däne dann in „Flickering Lights“ (2000) und dem kannibalistischen „Dänische Delikatessen“ (2003), der einen Keil ins Kritikerlager trieb, obwohl oder vielleicht weil der Film nur begrenzt imstande war, die Sehnsucht nach transzendenten Gewissheiten zu befriedigen.

Ganz anders ticken da „Adams Äpfel“, die im Garten des Provinzpfarrers Ivan (hervorragend Jensens Lieblingsschauspieler Mads Mikkelsen) hängen und im späteren Verlauf noch ihre allegorische Qualität erhalten. Ivan ist so etwas wie der Leiter eines sozialen Rehabilitationsprojektes für Ex-Knackis und mehr oder weniger liebenswerte Psychopathen wie den Kleptomanen und Vergewaltiger Gunnar oder den notorischen Killer und Tankstellenräuber Khalid. In diese Gruppe passt der Neo-Nazi Adam (Ulrich Thomsen) wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Schweigend und innerlich sehr kontrolliert hält er Einzug in die Gemeinschaft der Freaks. Ein Ziel brauche er, mahnt Ivan den weitgehend empathiefreien Rechtsradikalen mit dem Hitlerbildchen über dem Nachttisch. Adam verständigt sich eher sarkastisch mit dem Pfarrer darauf, einen Apfelkuchen zu backen, muss sich aber von nun an um den großen Apfelbaum im Kirchgarten kümmern. Schnell findet Adam heraus, dass Ivan, sein missionarischer Duktus und seine christliche Ethik angreifbar sind und zum Teil voller bizarrer Widersprüche stecken. Das Ergebnis: Adam schlägt Ivan krankenhausreif. Erst danach erfährt er vom ärztlichen Freund der skurrilen Gemeinde, dass der Pfarrer in seiner Kindheit sexuell missbraucht wurde, hochneurotisch ist und aufgrund eines Hirntumors dem Tode geweiht ist. Adam beschließt den labilen Ivan, der von seiner Frau verlassen wurde und ein schwerstbehindertes Kind pflegt, mit gnadenloser Wahrheitsliebe in den Tod oder zumindest den Wahnsinn zu treiben.

Von der gefräßigen Raupe zur Theodizee
Ein klassischer Diskurs zwischen Gut und Böse möchte man meinen. Aber die Fronten sind keineswegs klar, denn Ivans christliche Ethik ist auch das Produkt einer massiven Verdrängungsarbeit, die ihn blind für die Realität macht, und Adams von Ekel über das Gutmenschentum getriebener Aufklärungseifer (der von Peter Uehling in der „Berliner Zeitung“ zu Recht als „alt-testamentarischer Wille zum Wissen“ bezeichnet wurde) hat zumindest im begrenzten Umfang therapeutische Qualitäten. Damit besteht Jensen auch einen sehr schwierigen Drahtseilakt, denn der Neo-Nazi Adam, der im ersten Drittel des Films als einzige Figur erscheint, die trotz ihres Hasses pragmatisch und rational handelt, mutiert weder zum Sympathieträger noch zur meta-pyhsischen Verkörperung des absolut Bösen. Alles fein ausbalanciert.

Jensen gelingt es mit zwei bemerkenswerten Tricks, das Denkorgan des Zuschauers zur Arbeit zu zwingen. Zum einen erhält der Apfelbaum nach kurzer Zeit eine allegorische Bedeutung: zunächst fallen Raben über ihn her, dann bemächtigen sich Raupen der Früchte. Eine Plage biblischen Ausmaßes scheint die Protagonisten auf die Probe zu stellen, zumal Gunnar wieder sexuelle Übergriffe plant und der schwer bewaffnete Khalid erneut einige mörderische Absichten in die Tat umzusetzen versucht.
Also nichts als Ärger mit Adams Äpfeln, aber der „Baum der Erkenntnis“ mit seinen maroden Früchten ist auf mehrfache Weise codiert, denn die Vertreibung von Adam (sic!) und Eva aus dem Paradies hat im Gegensatz zur christlichen Mythologie nicht unbedingt etwas mit Äpfeln zu tun. Hier liegt ein Übersetzungsfehler oder ein Wortspiel vor, denn das gemeinsame lateinische Wort für "Apfel" und "schlecht" lautet nämlich „malus“. Und so lässt sich der Filmtitel auch mit „Adams Schlechtigkeit“ übersetzen, jener agnostischen Erkenntnissucht, die sich am Ende sogar der Bibel bedient, um den Widersacher zu Strecke zu bringen, den Zuschauer aber ebenfalls mitten hinein in den Diskurs treibt.
Und das ist Jensens anderer Trick: Adam konfrontiert Ivan nach einer eher zufälligen Lektüre des „Buches Hiob“ mit der Erkenntnis, dass nicht der Teufel für Raben, Raupen und das Lebensdesaster des Pfarrers verantwortlich ist, sondern Gott. Mit intelligentem und kalkuliertem Zynismus verweist Adam auf das essentielle Problem der christlichen Ethik: die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Es geht um das alte Problem ganzer Theologen- und Philosophengenerationen, wie denn ein allwissender und allmächtiger Gott mit der Existenz des Bösen zu vereinbaren ist. Adam stellt also die klassische Theodizee-Frage und bedient sich dabei des brutalen Beispiels Hiobs, der von Gott mit grausamen Plagen überzogen wurde. Diese unbequeme Frage wird auch dem weniger bibelfesten Zuschauer um die Ohren gehauen, Ivan erträgt sie indes nicht: er kollabiert.

Ein intelligentes Vexierspiel
Ganz schön starker Tobak für einen Filmemacher, der mit „Adams Äpfel“ einfach nur „gutes Entertainment“ machen wollte und beim Schreiben „nicht nachdenkt“. Jensens relativ flache Interviews erinnern mich streckenweise an andere große Filmemacher, denen nur wenig über ihre eigentlichen Motive zu entlocken war. Allein das ist schon witzig, aber noch witziger ist die erzählerische Eloquenz, mit der Jensen seine Geschichte vorantreibt. Sein Film und die Volten des Plots, die beharrlich zwischen Komödie und Tragödie changieren, sind auf eine im Kino rar gewordene Weise so gut wie nie antizipierbar und umgehen damit intelligent jedes Klischee, das die Story dem Zuschauer scheinbar anbietet.
So gehört die Szene, in der Ivan (von Adam begleitet) einen alten und reuigen Nazi-Kollaborateur, der im KZ Tod und Elend verbreitet hat, an dessen Sterbebett förmlich in den Tod quatscht, zu den Höhepunkten des Films. Die Art und Weise, wie Ivan dem ungläubigen Neo-Nazi die historische Gewissheit über den Genozid in den KZs subversiv aufzwingt, ist fast genauso unmenschlich wie die Dauerprügel, mit der Adam schrittweise Ivans Gesicht in eine zertrümmerte Maske verwandelt. Klare Fronten lösen sich so auf und dem Zuschauer wird einiges abverlangt. Auch die finale Katharsis Adams, die sich ja von Anfang an förmlich als Plot-Ziel anbietet, findet auf eine Weise statt, die einen eher unruhig als fröhlich macht. So recht will man dem Braten nicht trauen.

Das alles funktioniert auch deswegen so gut, weil Jensen sehr souverän und mit feiner Ironie jene Stimmung evoziert, die auch Ingmar Bergmans Figuren und ihre Suche nach Gott und dem Sinn des Lebens beherrscht, das Ganze aber mit einem Schuss Tarantino abschmeckt. Die Frage nach dem Zweck des Leidens in unserer Welt wird mit Szenen cooler Gewalt kombiniert, die jeden Ansatz zur Ernsthaftigkeit sofort wieder auf die Probe stellen. Das wird nicht jedem schmecken, aber dieses brillante Cross-Over-Produkt provoziert eine staunende Nachdenklichkeit, die ernsthafte Regisseure mit gradliniger Message heutzutage offenbar nicht mehr auf den Weg bringen können.

Übrigens: Jensen hat gerade eine Komödie über die „Dogma“-Bewegung und Lars von Trier abgedreht. Wir freuen uns darauf.

Der Filmclub war unisono begeistert. Es hagelte Bestnoten: Klawer: 2,5, Melonie = 2, Mr. Mendez = 2, BigDoc = 1,5.

Sonntag, 17. Juni 2007

Ocean's 13

USA 2007 - Originaltitel: Ocean's Thirteen - Regie: Steven Soderbergh - Darsteller: George Clooney, Brad Pitt, Matt Damon, Andy Garcia, Don Cheadle, Ellen Barkin, Al Pacino - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 122 min. - Start: 7.6.2007

Lässig und unterfordert: warum Steven Soderbergh sein Sequel vor die Wand fuhr

Danny Ocean und sein Team sind Kinogeschöpfe par excellence: mit der Realität haben sie nichts zu tun und den moralischen Zeigefinger muss man auch im zweiten Sequel der „Heist“-Serie angesichts des völlig sinnfreien Plots nicht fürchten. Und das tut ja im Kino mitunter ganz gut. Vorausgesetzt, es ist gut gemacht.

In die Story wird man robust hineingeworfen: Der bösartige Casino-Besitzer Willy Bank (Al Pacino) hat Danny Oceans Freund Reuben Tishkoff (Elliott Gould) übers Ohr gehauen und diesen schwer depressiv ins Krankenhaus befördert. Aber sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht: „Ocean´s Thirteen“ wollen sich nun intelligent rächen – ausgerechnet an dem Abend, an dem Bank sein neues Casino eröffnen will.

Dass dies trotz obskurer Hindernisse gelingen wird, ist so gewiss wie die Lässigkeit, mit der Clooney und seine Partner ihre Rollen herunterspulen. Unangestrengt eben und genau dies ist auch das Dilemma der ganzen Films: man kann nur selten erkennen, dass sich jemand angestrengt hat. Weder beim Script noch bei der Inszenierung noch bei den darstellerischen Darbietungen. Wenn die Hälfte des Films vergangen ist, hat man einigermaßen verlässlich mitbekommen, wie Oceans Team den Coup umsetzen will. Man ist dabei cool und agiert nicht am oberen Limit, was für ein Heist-Movie in der Regel der entscheidende Kick ist.
In "Ocean´s Thirteen" verblüfft nichts und man erwartet auch keine Panne - und das ist so spannend wie ein Magier, der vor der Show dem Publikum seine Tricks erklärt.

Dass man als Zuschauer folglich dem Höhepunkt des Films völlig teilnahmslos beiwohnt, erscheint fast wie die gewollte Konsequenz eines Films, der die garantiert spannungsfreie Linearität seiner Erzählstruktur offenbar bewusst und gewollt über 120 Minuten durchhält.

Hierzulande waren die meisten Kritiker fast durchgehend auf die „Coolness“ des Films fixiert und haben die konsequente Umsetzung einer „streng formalen Ästhetik“ gelobt. Tatsächlich sieht man nur schöne Jungs in gut sitzenden Anzügen, die scheinbar völlig unterfordert einen Mega-Coup planen und durchführen. Wie schrieb der Kritiker der „Stuttgarter Zeitung“ schließlich doch: „Es geht um nichts, aber es sieht alles gut aus.“

Apropos: in der gut besetzten Vorstellung, die ich besuchte, hat kaum ein Zuschauer gelacht. Nach zwei Stunden verließen alle schweigend das Kino.

Noten: BigDoc = 4, Klawer = 4

Sonntag, 10. Juni 2007

Paul Verhoevens Frühwerk: Die ROB HOUWER FILM COLLECTION

Fast zeitgleich zum Start von Paul Verhoevens „Black Book“ brachte EUROVIDEO die „Rob Houwer Film Collection“ auf den Markt, die vier Frühwerke des Regisseurs enthält: "Türkische Früchte" (1973), "Das Mädchen Keetje Tippel" (1975), "Der Soldat von Oranien" (1977) und "Der vierte Mann" (1983).

Mitte der 80er Jahre verließ der 1938 in Holland geborene Regisseur und promovierte Physiker seine Heimat und wurde mit Filmen wie „Robocop“, „Total Recall“, „Basic Instinct“, „Showgirls“ (der allerdings ziemlich floppte), „Starship Troopers“ und „Hollow Man“ zu einem erfolgreichen Baustein der Kinoindustrie und gleichzeitig einer der intelligentesten Provokateure dieser Branche. Verhoeven brachte es zu einigen OSCAR- und GOLDEN GLOBE-Nominierungen, gleichwohl sind einige seiner Filme noch heute in Deutschland indiziert.

Gewalt & Sex bilden die lackierte Vorderseite von Verhoevens Filmen, erst bei genauerem Hinsehen entdeckt man zentrale Topoi wie jenen der „intelligenten und sexuell aggressiven Frau“ und erst der finale Blick muss sich darauf gefasst machen, dass Verhoeven ein Meister im Aufdecken und Provozieren von Widersprüchen ist, der seine Vexierspiele so komplex konstruiert, dass sowohl Kritiker als auch Kinogänger oft an der lackierten Vorderseite hängen bleiben.

Umso befriedigender ist es, nun einen Blick auf das Frühwerk Verhoevens werfen zu können. Die in den 70er und frühen 80er Jahre entstandenen Filme sind alle für sich genommen kleine Meisterwerke und enthalten bereits den ganzen Verhoeven und seine Themenwelt. Gleichzeitig dokumentieren sie auch Verhoevens Zusammenarbeit mit Rutger Hauer.
Der oskar-nominierte Film „Türkische Früchte“ dürfte hierzulande vielleicht noch am bekanntesten sein. Sehr sehenswert ist allerdings auch der weitgehend unbekannte Erotik-Historienfilm "Das Mädchen Keetje Tippel“, das sich als realistisches Drama in bester Charles Dickens-Manier entpuppt, wenn man zuvor einige Brutalitäten ertragen hat. Etwas manieriert wirkt „Der vierte Mann“, ein Thrilller, natürlich ebenso extrem in seiner erotischen Expliziertheit (gelegentlich wundert man sich schon, wie Verhoeven seine Filme an der Zensur vorbei geschmuggelt hat).
Aber Bestnoten verdient sich die Edition durch die ungekürzte Fassung des berühmten „Soldat von Oranien“ (eingefügte Szenen untertitelt mit holländischer Originalsprache), die wesentlich prägnanter die Charaktere und Ambivalenzen der holländischen Widerstandskämpfer herausarbeitet als die gekürzte Fassung und einen spannenden Vergleich mit "Black Book" anbietet.

So wertvoll die Edition von Eurovideo in cineastischer Hinsicht auch sein mag, so traurig stimmen einige Mängel und Defizite. Das Bildmaterial wurde trotz einiger Schwächen gut abgetastet und dass der Ton in Dolby 1.0 ist, sollte auch keinen Filmfan abhalten. Ärgerlich ist das Fehlen einer holländischen Sprachspur, besonders wenn man weiß, welche gewollten Manipulationen an Verhoevens Filmen in den Synchron-Studios vorgenommen wurden (die deutsche Fassung von „Starship Troopers“ wurde zum Beispiel „politisch korrekt“ übersetzt – mit erheblichen Folgen für die Adaption der Heinlein-Vorlage). Das Fehlen von Making-Ofs ist zu verschmerzen - wenn Interviews mit Verhoeven produziert worden wären! Aber diese fehlen gänzlich, sodass sich das Bonusmaterial in Audio-Kommentaren und Trailern erschöpft.
Fazit: trotz der beschriebenen Mängel ist die DVD-Box ein absolutes Muss für Cineasten.

Spider-Man 3

USA 2007. R: Sam Raimi. B: Stan Lee, Steve Ditko (nach dem Marvel Comic). P: Laura Ziskin, Avi Arad, Grant Curtis. K: Bill Pope. Sch: Bob Murawski. M: Christopher Young. T: Oscar Mitt. A: J. Michael Riva, Neil Spisak, David Swayze. Ko: Katina Le Kerr, James Acheson. Animation: Scott Fritts, Keith Paciello. Sp: J.C. Brotherhood, Daniel P. Rosen, Matt McDonald. Pg: Columbia/Marvel Enterprises. V: Sony. Länge: 139 Min. FSK: ab 12. D: Tobey Maguire (Peter Parker/Spider-Man), Kirsten Dunst (Mary Jane Watson), James Franco (Harry Osborn), Thomas Haden Church (Flint Marko), Topher Grace (Eddie Brock), Rosemary Harris (May Parker).

Es gibt weit über 200 Comicverfilmungen in der Geschichte des Kinos, dabei sind jene, die sich um Superhelden wie Batman oder Superman drehen, in der Minderzahl. Wer weiß schon, dass Sam Mendes´ „Road of Perdition“ auf einem Comic basiert? Gegenwärtig ist es Spider-Man, der sich in einem äußerst erfolgreichen Sequel um die Häuserblöcke schwingt – und der damit droht, erwachsen zu werden. Ein Problem?

Als Kind habe ich gerne die Comics des Walter Lehning-Verlags gelesen: Piccolo-Hefte wie „Akim, der Sohn des Dschungels“ kosteten nur 20 Pfennig und waren preiswertes „Kopfkino“. Als Kind erfuhr ich nichts über die Probleme des Verlags mit der Bundesprüfstelle, natürlich erschienen mir die Geschichten auch nicht als zu gewalttätig. Nur einmal musste ich stutzen, nämlich als Akim einen Bösewicht stellte und ihm den Satz „Nun weiß ich, wes Geistes Kind du bist!“ entgegenschleuderte. Das war Erwachsenensprache, die ich nicht verstand: welcher Geist hatte ein Kind und warum war dies ausgerechnet der verhasste Bösewicht?
Der Einbruch des Erwachsenenjargons in die kindgerechte Welt des Comics war eine Grenzüberschreitung und eine Herausforderung, die ich auch nach Jahrzehnten nicht vergaß. Erst später, als ich mit „richtiger“ Literatur in Berührung kam, erarbeitete ich mir diesen Jargon und der Reiz der Comics war dahin. Ein wenig Freude an meinen infantilen Erinnerungen konnten allerdings die Spider-Man-Filme auslösen und – um es vorwegzunehmen – auch Sam Raimis drittem Teil ist dies gelungen!

In Spider-Man 3 hat es Peter Parker geschafft: er liebt seine Mary Jane und liegt mit ihr im kuscheligen Spinnennetz - und er ist erfolgreich als Superheld. Sam Raimi erzählt also eine Geschichte, die sonst nie im Kino zu sehen ist: Wie geht es eigentlich nach dem Happy-End weiter? Das trägt natürlich keinen Film über volle zwei Stunden und so tauchen Konflikte und mächtige Gegenspieler auf, die Spider-Mans Welt gefährden und zuletzt auch ihn selbst. Da ist sein alter Widersacher Harry Osborn, der den Tod seines Vaters rächen will, da ist der „Sandman“, ein entflohener Verbrecher, der durch ein geheimnisvolles Experiment genetisch so verändert wird, das er willkürlich unterschiedliche Formen annehmen kann, aber letztlich ist dies alles auf Sand gebaut. Ganz übel wird es allerdings, als Peter von einer schwarzen extra-terrestrischen Masse angefallen wird, die tief in seine Psyche eindringt und aus dem biederen Jungen und oft leicht tumben Moralisten einen lasziven, leicht zynischen und sexuell ambivalenten Mann macht (was Toby Maguire sichtlich Spaß gemacht hat).
Das war witzig, leicht ironisch und mit tollen Effekten garniert. Ein pures Kinovergnügen, absolut nicht un-intelligent, nur etwas angestrengt zum Ende hin, als es wieder etwas moralischer wurde.

Spider-Man 3 hat dagegen in den Köpfen anderer Kritiker Probleme ausgelöst. Während der brillant inszenierte erste Teil in psychologischer Hinsicht noch mit einer straighten Pfadfinder-Mentalität auskam, taucht im dritten Teil die (hetero) -sexuelle Konnotation von „straight“ auf, dazu aber auch Themen wie Rache, Aggression und Narzissmus, die man im weitesten Sinne auch als Ingredienzien männlicher Sexualität interpretieren kann. Was durchaus gekonnt und sehr spielerisch von Raimi inszeniert wurde.

Paradoxerweise schlugen sich einige Kritiker auf die Seite der „erwachsenen“ Perspektive, so als wäre die Comicverfilmung mit der Adaption dieser Themen schlichtweg überfordert. Schöner Witz: während der erste Teil noch voller Anerkennung „kindgerecht“ rezipiert wurde, löste ausgerechnet ein Sequel, das exakt dieses Rezeptionsproblem auch zum Problem seiner Figuren machte, bei der schreibenden Zunft eher Unwillen aus. Die ZEIT formulierte dies witzig: „Das Einzige, was den Superhelden umbringen könnte, wäre eine Überdosis Psychologie… Darin liegt die Gefahr einer Überintellektualisierung.“

Persönlich fand ich diese Sorge eher erstaunlich, denn wohl kaum einer der besorgten Kritiker hat sich wohl jemals über unsägliche Comicverfilmungen wie „Spawn“ geärgert, die zu Recht in den Tiefen des B-Picture-Universums verschwunden sind – erst wenn der Held erwachsen wird und das Kino die Schlichheit des Comics anders konnotiert, hört der Spaß offenbar auf. So schreibt der FILM-Dienst staubtrocken: „...erreicht das explosive Vexierspiel mit der Comicwelt nicht das Niveau des Vorgängers. Die Komplexität der Handlungsstränge mutet teilweise beliebig an. Humorvolle, tragische, komödiantische und action-betonte Sequenzen erscheinen als eigenständige Vignetten, deren Bezüge im großen Spider-Man-Universum eher lose sind. Diese Logik der Fortsetzungsstories im Medium Comic erweist sich im abendfüllenden Spielfilm als unbefriedigend.“
Ins komplette Gegenteil verkehrt, würde dieses Kritikerwort in etwa dem entsprechen, was ich im Kino erlebt habe. Womit endgültig feststeht, wes Geistes Kind ich bin.

Im Filmclub erhielt Spider-Man (fast) Bestnoten. Melonie: 2, Klawer: 2, BigDoc: 1

Deutsche Komödien

Auf DVD liegen einige deutsche Komödien vor, die wieder einmal Glanz und Elend dieses Genres vorführen.

Emmas Glück
Deutschland 2006 - Regie: Sven Taddicken - Drehbuch: Ruth Toma, Claudia Schreiber - Darsteller: Jördis Triebel, Jürgen Vogel, Hinnerk Schönemann, Martin Feifel, Karin Neuhäuser, Nina Petri, Arved Birnbaum, Benjamin Blömer, Sebastian Rüger, Christian Kitscha - FSK: ab 12 - Länge: 99 min.

Emma (Jördis Triebel) lebt als Schweinezüchterin auf dem hoffnungslos verschuldeten Hof ihrer Familie. Sie liebt nicht nur ihre Schweine und schlachtet sie einfühlsam und zärtlich, sondern sie hat auch eine intensive Beziehung zu ihrem Moped, das sehr unrund läuft und ihr dadurch bei der Beseitigung sexueller Defizite hilft.
Max (Jürgen Vogel), der Autoverkäufer, erfährt beim Arzt, dass er Krebs hat und nicht mehr lange leben wird. Er klaut das Geld seines Chefs und will seine letzten Tage möglichst weit weg verbringen. Doch die mit einem gestohlenen Jaguar misslingt und der Todgeweihte landet auf Emmas Hof, wo eine tödlich-skurrile Romanze beginnt, die nicht nur mit dem Thema „Sterbehilfe“ zu tun hat, sondern auch mit der Suche nach dem ach so fragilen Glück.

Die Verfilmung des Erfolgsromans von Claudia Schreiber durch Sven Taddicken hat im Filmclub zu großen Kontroversen geführt. Fast alle fanden den Film anrührend und originell – eine romantische Komödie mit Gummistiefel-Flair und hervorragenden Darstellern. Nur der Rezensent war bitterböse, denn er hat es nicht so gerne, wenn die erste Szene eines Films gleich den finalen Twist des Plots verrät. Der Begriff „Twist“ hat in Literatur und Kino nun einmal die Bedeutung „unvorhergesehen“ erhalten und eine Komödie darf als formal gescheitert betrachtet werden, wenn man gleich nach den ersten fünf Minuten ahnt, dass Jürgen Vogel am Ende das Schlachtmesser an den Hals gesetzt bekommt.
Gleichwohl ist trotz dieser einschneidenden Schwäche Taddickens Film über weite Strecken originell und pointiert erzählt, auch wenn das Drehbuchteam Ruth Toma und Claudia Schreiber glaubte, den Film mit einigen Komödientopoi anzureichern, die nicht einmal mehr in ein B-Picture passen: so fand ich den bieder-doofen Dorfpolizisten genauso peinlich wie dessen schrille Mutter, aber wenn man seinem Stoff nicht traut, rutschen einem schon einmal Lachangebote für Einfaltspinsel ins Script. Das ist ja ein Problem der deutschen Komödie: sie möchte intelligent und skurril sein und landet am Ende doch nur bei der Karikatur.
Melonie: 2, Mr. Mendez: 2, Klawer: 2, BigDoc: 4

Die Könige der Nutzholzgewinnung
Deutschland 2006 - Originaltitel: Lumber Kings - Regie: Matthias Keilich - Darsteller: Bjarne Ingmar Mädel, Frank Auerbach, Steven Merting, Peter Sodann, Barbara Phillip, Christina Große, Monika Lennartz, Simon Schwarz - FSK: ab 6 - Länge: 94 min.

Dass es auch weitgehend ohne Karikaturen möglich ist, eine Komödie zu erzählen, zeigt Matthias Keilichs Film über „Lumber Kings“ im Ostharz. Das sind die muskelbepackten Jungs, die wie der Teufel massive Baumstämme in Windeseile durchsägen und auch sonst durch Geschick und Kraft auffallen. Unter vielen Königen ist der Hallodri Krischan der echte „König der Nutzholzgewinnung“, denn sein eigentliches Geschick besteht darin, die Marketingidee eines Wettbewerbs in seinem alten und von Arbeitslosigkeit und Strukturschwächen abgewirtschafteten Waldarbeiterdorf Tanne zu realisieren. Mit seinem auch beim weiblichen Geschlecht nicht ganz unwirksamen Charme heilt er nach jahrelanger Abwesenheit nicht nur alte Wunden, sondern überwindet auch die Skepsis der Dörfler und seiner alten Freunde Ronnie und Bert.
Die unaufdringliche deutsche Sozialkomödie besteht mit seinem derben Humor und dem fein gezeichneten Lokalkolorit durchaus einen Vergleich mit seinen (fast) unnachahmlichen britischen Vorbildern. Peter Sodann (als Kommissar bekannt aus der Tatort-Reihe) spielt als Supporting Actor mit Routine und gedimmtem Witz den Hauptdarsteller Bjarne Ingmar Mädel keineswegs an die Wand.
Melonie: 3, Mr. Mendez: 3, Klawer: 3, BigDoc: 3

Wahrheit oder Pflicht
Deutschland 2005 – Regie, Drehbuch: Jan Martin Scharf, Arne Nolting - Darsteller: Katharina Schüttler, Thomas Feist, Jochen Nickel, Therese Hämer, Thorben Liebrecht, Thorsten Merten, Wanda Perdelwitz, Ingeborg Westphal - FSK: ab 12 - Länge: 89 min.

Hausbacken wie der Titel ist dagegen die Teenie-Komödie der Jungs-Regisseure Scharf / Nolting: erzählt wird von der achtzehnjährige Annika, die die 12. Klasse nicht geschafft hat und ihr Abitur davonschwimmen sieht. Um ihren Eltern ein intaktes Schulleben vorzugaukeln, geht sie jeden Morgen aus dem Haus – allerdings nicht zur Schule. Annika verbringt ihre Tage in einem abgewrackten Reisebus und hängt ab.
Das Script verlangt der zuletzt an der Schaubühne Berlin überaus erfolgreichen Katharina Schüttler einige romantische side-steps und erste sexuelle Erfahrungen ab, bevor sie in Kai einen echten Freund findet und in sich eine Lösung findet, die aus dem Lügengebäude führt, das sie um sich herum aufgebaut hat.
Die Abschlussarbeit an der Filmhochschule Köln verbreitet trotz einer unaufdringlichen und wenig moralisierenden Erzählweise leider nur gepflegte Langeweile, weil der Plot sehr schlicht gestrickt ist und kein echtes dramaturgisches Potential besitzt. Man lacht nicht, man weint nicht, man denkt nicht nach – und den Rest hat man auch bald vergessen.
Melonie: 4, Mr. Mendez: 3,5, Klawer: 4, BigDoc: 4

Dienstag, 5. Juni 2007

Five Fingers

USA (2006), D: Laurence Fishburne, Ryan Phillippe, Colm Meaney, Touriya Haoud, Isa Hoes, Saïd Taghmaoui, Gina Torres, Drehbuch: Chad Thumann, Laurence Malkin, R: Laurence Malkin. Länge: 80 min.

“Kaum der Rede wert”: eigentlich ist damit schon alles über ein Anti-Terror-Kammerspiel gesagt, das in Deutschland nicht im Kino war und direct-to-video vermarktet wird. Das Cover wirbt reißerisch bei der SAW-Klientel um Beachtung, enttäuscht als Dialogfilm jedoch dieses Konsumentensegment ebenso wie jenen Teil des Publikums, der von Kammerspiel-Thrillern wenigstens ein paar gehaltvollere Dialoge erwartet, erst recht, wenn einem Mann schon fünf (oder waren es vier?) Finger abgesäbelt werden. Ein Diskurs zum Thema Folter bleibt aus und der Film bleibt nach dem finalen Twist erschöpft auf der Stecke.

Martij (Ryan Phillippe), ein scheinbar idealistischer Holländer, reist mit einem Security-Spezialisten Gavin (Colm Meaney) nach Marokko, um dort ein Essenshilfsprogramm ins Leben zu rufen. Beide werden von einer Gruppe Terroristen verschleppt und in einer abgelegenen Lagerhalle eingesperrt. Hier wird Gavin brutal liquidiert und Martij muss sich auf ein bizarres Verhör mit dem mysteriösen Entführer Ahmat (Laurence Fishburne) einlassen, das ihn einen Finger nach dem anderen kostet. Schließlich zeigt sich, dass Martij ein holländischer Terrorist ist, der einen Anschlag mit Biowaffen plant, während Ahmat die Namen von Martijs Terrorzelle aus ihm herausfoltern will.
Der finale Twist: Martij ist längst nicht mehr in Marokko, sondern wird in New York von den Mitgliedern einer unbekannten US-Anti-Terror-Einheit festgehalten. Diese wiederum hat in der europäischen Terroristenszene ein raffiniertes Lockvogel-Angebot platziert, was spätestens dann deutlich wird, wenn man die Geduld aufbringt, auf die after-credits-scene zu warten.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass der routiniert inszenierte Film seine stärksten Szenen dort hat, wo der Spannungsbogen langsam aufgebaut wird. Das liegt weniger an dem Drehbuch, sondern an Fishburne, der den mittlerweile an der Business-Peripherie gelandeten ehemaligen Jungstar Ryan Phillippe an die Wand spielt. Ansonsten geht dem Script immer mehr die Luft aus und auch die Flashbacks mit geheimnisvollen Szenen in nettem Ambiente zeigen nur, dass Malkin der tristen Einheit von Raum und Zeit in einer verrotteten Lagerhalle nicht getraut hat.
Mal ganz hart formuliert: der Film ist nur am finalen Twist interessiert, was auch dem Letzten beim Betrachten des überflüssigen Making Of klar werden muss, wo sich alle Beteiligten gemeinsam über die professionelle Zusammenarbeit freuen und sich auch sonst ausreichend Honig um den Bart schmieren. Dass die Crew auch über das „Thema“ hohle Sprechblasen absondert, es aber nicht ein einziges Mal beim Namen nennt, geschweige denn analysiert, führt zwangsläufig zum finalen Urteil: Nichts sagend.


Klawer: 4,5, BigDoc: 4,5, Melonie: 4,5, Mr. Mendez: 3,5