Samstag, 25. Januar 2014

The Wolf of Wall Street

Martin Scorseses Portrait des skrupellosen Finanzhais Jordan Belfort ist ein opulentes Schwelgen in Drogen- und Sexexzessen, ein Parforceritt Leonardo DiCaprios, der das Prinzip „Gier“ so überwältigend verkörpert , dass dem zu lang geratenen Film der Blick auf die Opfer völlig verloren geht.

Scorsese beginnt wie üblich stark. Kaum ein anderer Filmemacher kann unverwechselbar und mit wenigen Federstrichen die Essenz einer Figur mit so sardonischem Humor skizzieren, wie es Scorsese immer wieder gelingt. Oder anders gesagt: seine Hauptfigur erzählt aus dem Off ihr Lebensthema so prägnant, dass keine Fragen mehr übrig bleiben – und das heißt für Belfort: immer mehr Geld, immer mehr Sex. Überhaupt von allem immer mehr.

Das nennt man auch Gier. Im Geld kann Jordan Belfort baden, er tut es auch. Der Sex ist unbegrenzt, den Nutten wird Koks mit dem Strohhalm in den Arsch geblasen, und in der übrigen Zeit wird generalstabsmäßig der tägliche Drogenkonsum geplant und noch mehr Geld verdient. Dass er es am Anfang seiner Karriere nicht geschafft hat, pro Woche eine Million zu verdienen, ist Belforts größter Makel. Denkt er jedenfalls. Nach diesem schmissigen Intro über Exzesse im Zustand fortschreitender Hybris beginnt die eigentliche Geschichte vom „Rise and Fall“ eines monströsen Mannes, den es tatsächlich gibt und der über seine Lebensgeschichte ein Buch geschrieben hat.

Scorseses Belfort geht wie sein Vorbild Mitte der 1980er Jahre nach New York, um Broker zu werden. Überraschend schnell kann er die Aufmerksamkeit seines Chef Mark Hanna (Matthew McConaughey) gewinnen, der sein Mentor wird. Belfort will zwar auch das schnelle Geld machen will, ist aber naiv genug, um zu glauben, dass es nicht schaden könne, wenn für die Kunden auch etwas abfällt. Ein Fehler!
Hanna erklärt dem Novizen beim Dinner die drei Grundregeln des Geschäfts: 1. Die Provision ist alles. Der Kunde darf nach einem Gewinn nicht verkaufen, er muss durch weitere Gewinnversprechungen mitsamt seinem Geld im Spiel bleiben, 2. Belfort müsse wie er selbst zweimal pro Tag wichsen, damit das innere Gleichgewicht erhalten bleibt und 3. Drogen helfen dabei, über den Tag zu kommen.



Als 1987 am sogenannten Black Friday der Dow Jones katastrophal zusammenbricht, ist Belfort, wie auch andere Börsenmakler, seinen Job los. 
Mit „Rise and Fall“ hat dies zunächst noch nichts zu tun, vielmehr mit „Booms and Bust“, dem Aufstieg und Niedergang der Aktienwerte, besonders in den überheizten „Bubbles“, jenen mysteriösen Blasen, die zuletzt in der Immobilenkrise zu einem globalen Flächenbrand führten. 



In der Manege: blutrünstige Raubtiere

Belfort verdingt sich nach diesem Rückschlag im Penny-Stock-Geschäft - Papieren, deren Wert unter 5 US-Dollar notiert ist, die aber hohe Provisionen abwerfen. Spekulations-Spielzeug für jene, deren Ersparnisse nicht einmal im fünfstelligen Bereich liegen und denen Papiere von Unternehmen verhökert werden, die oft aus nicht mehr als einer schäbigen Klitsche im Hinterhof bestehen. 

Belfort, der der charismatische Verkäufer, ist bald tough genug, um zusammen mit seinem neuen Buddy Donnie Azoff (Jonah Hill) in einer Garage eine eigene Firma zu gründen: Stratton Oakmont. Zusammen mit einer handverlesenen Crew aus raffinierten Gaunern, die im günstigsten Fall aus dem Kleinbürgermilieu stammen, beginnt der unaufhaltsame Aufstieg des Unternehmens. Als sich Belfort und sein rasch wachsendes Team auf potente Kunden konzentrieren, werden über Nacht plötzlich Millionen gescheffelt. Dabei hielt
Stratton Oakmont selbst einen Großteil der Papiere, trieb den Kurs nach oben und verkaufte dann rechtzeitig, während die Sell Order der Kunden einfach ignoriert wurde. Dabei entstand ein Schaden in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrags, den Belfort bis heute noch nicht vollständig zurückgezahlt hat.
Belfort schwört in diesem Zockerrausch seine Mitarbeiter wie ein unwiderstehlicher Sektenguru auf Reichtum und noch mehr Reichtum ein. Die Abschlüsse werden mit Kokain und dem enthemmenden Methaqualone gefeiert, die Broker schreien dabei wie Affen im Dschungel. Die anwesenden Nutten teilt man in Qualitäts- und Preisklassen ein. Für jeden ist etwas dabei, für jeden ist etwas zu holen und sehr rasch erhält Belfort in Börsenkreisen seinen Nickname „The Wolf of Wall Street“.

Scorsese zeigt uns im seinem neuen Film eine Arena voller Raubtiere. In der Welt Belforts herrscht das Gesetz des Stärkeren, doch anders als in seinen Mafia-Filmen illustriert Scorsese in „The Wolf of Wall Street“ keine Mobster, sondern Betrüger, deren Handeln erst dann kriminell wird, wenn sie die wenigen Regeln brechen, die es für sie gibt.

Geht es Scorseses Mafiosi noch um das Aufrechterhalten einer gutbürgerlichen Fassade und ein gewisses Regelwerk, so herrscht in der Welt von Jordan Belfort nicht nur der ungehemmte Hedonismus, sondern jene vernichtende Gier, die nach neo-liberalem Selbstverständnis eine wichtige Triebfeder der Ökonomie sein kann. Dazu gehört natürlich, dass zumindest ein Teil der Betrogenen ebenfalls den Traum vom unbegrenzten Reichtum teilt oder sie wenigstens einen Teil vom Kuchen haben wollen. 


Leonardo DiCaprio ist eine grandiose Fehlbesetzung

In dieser Welt ist Leonardo DiCaprio eine grandiose Fehlbesetzung. Und zwar, weil er einfach zu gut, zu unwiderstehlich ist.
DiCaprio, dessen Imago sowohl mit der Darstellung unbekümmerter Sunnyboys, Gauner und Abenteurer („The Beach“, „Catch Me If You Can“) als auch mit den Portraits neurotischer und psychopathischer Egomanen („Aviator“, „J. Edgar“, „Django Unchained“) verknüpft ist, hat sich dieses Stück vom Kuchen nicht entgehen lassen. Gegen die Performance, die er in „The Wolf of Wall Street“ hinlegt, ist seine Darstellung von Howard Hughes beinahe Kindertheater. Der Mann ist reif für den Oscar.
Aber auch wenn er Belfort hinreißend gut spielt und dabei zwischen Größenwahn und Großzügigkeit, Drogenwahn und sexuellen Ausschweifungen changiert, so bleibt der DiCaprio-Charme immer ein Teil seiner fiktiven filmischen Identitäten. Es ist das Los der Superstars unter den Schauspielern, dass sie am Ende immer ein wenig das Gleiche spielen. Doch DiCaprio hat noch nie ein skrupelloses nihilistisches Arschloch gespielt, und das kann er eigentlich auch nicht. Während man ihm also ungläubig zuschaut und der Kopf gleichzeitig DiCaprios Charisma und seinem immer noch jugendlichen Schwung gute Argumente entgegenhalten kann, so ist man nie ganz bereit, in ihm das Monster zu sehen, das seine Figur tatsächlich gewesen ist.

Allerdings tut Scorsese doch einiges, um dem Charmeur die Zähne zu ziehen. Als der FBI-Agent Patrick Denham (Kyle Chandler) Belfort auf seine Abschussliste gesetzt hat, weil sich Stratton Oakmont bei der Börsenplatzierung eines neuen Unternehmens durch ein Indider-Geschäft etliche Millionen ergaunert hat, wird es plötzlich kritisch für den Börsenguru. Erst muss er sein Geld in die Schweiz schmuggeln, dann sieht er sich dazu gezwungen, seine Geschäfte von seiner Yacht aus zu organisieren, die im Mittelmeer kreuzt.
Belforts Drogenexzesse werden nun immer massiver und es gehört sicher zu den darstellerischen Höhepunkten von Scorseses Film, wenn er Belfort nach einer beinahe letalen Überdosierung wie ein angeschossenes Tier zeigt, das erbärmlich zu seinem Wagen kriecht. Spätestens in dieser Szene wird klar, dass Scorsese seiner Hauptfigur keineswegs den Abstieg in Dreck und Kotze ersparen will.
 Aber man kann es drehen und wenden, wie man will: DiCaprio meistert auch dies mit beispielloser Bravour, so wie er auch alle anderen glatt an die Wand spielt. Das gilt sowohl für die durchweg überzeugende Margot Robbie als Belforts zweite Ehefrau Naomi, für Jean Dujardin, der einen nicht weniger verschlagenen Schweizer Bankier spielt, aber auch für Kyle Chandler, der als FBI-Fahnder zu wenig Spielzeit erhält, um mehr als das Profil eines professionellen Cops aufbauen zu können.

Am Ende wartet auf Jordan Belfort das keineswegs unvermeidliche Ende. Der Sturz ist nicht shakespearian, keine Tragödie, die dem tragischen Helden seine Würde lässt, sondern ein letzter Akt des Größenwahns.
Als Belforts Anwälte einen Deal ausmachen, der ihm das Gefängnis um den Preis seines völligen Rückzugs ersparen würde, widerruft Belfort auf seiner Abschiedsparty den Rücktritt. Die Jungs von Stratton Oakmont fühlen sich bereits so stark, dass sie unter großem Gejohle auf die Vorladungen der Ermittlungsbehörden pissen. Das Raubtier Belfort erfährt kurz vor dem harten Aufschlag sogar so etwas wie brüderliche Loyalität, als ihm Azoff versichert, dass die ‚Jungs’ ihn keineswegs in seinen finanziellen Kalamitäten hängen lassen würde. Verraten wird sie Belfort am Ende doch und statt 20 Jahren Knast kommt er mit drei Jahren davon. Ein letzter guter Deal. Der echte Belfort arbeitet heute erfolgreich als Verkaufs-Coach. Einmal sogar für die Deutsche Bank.


Auf hohem Niveau gescheitert

Über 25 Jahre später hat sich am Geist der 1980er Jahre, dem unter Ronald Reagan durch eine umfassenden Banken-Deregulierung der Weg bereitet wurde, nicht viel viel geändert. Im letzten Jahr wurden an den US-Börsen für über 420 Milliarden Dollar Aktien auf Pump gekauft. Da stellt sich schon die Frage, warum man eine an einer systemischen Analyse nur beiläufig interessierte Komödie wie „The Wolf on Wall Street“ macht?

Christina McDowell, die Tochter eines führenden Mitarbeiters aus Belforts Team, hat  in einem Essay (1) Martin
Scorsese deshalb heftig angegriffen. Sie hat gute Gründe: „Belfort's victims, my father's victims, don't have a chance at keeping up with the Joneses. They're left destitute, having lost their life savings at the age of 80. They can't pay their medical bills or help send their children off to college because of characters like the ones glorified in Terry Winters' screenplay. Let me ask you guys something. What makes you think this man deserves to be the protagonist in this story? Do you think his victims are going to want to watch it? Did we forget about the damage that accompanied all those rollicking good times? Or are we sweeping it under the carpet for the sale of a movie ticket?“

Scorsese hat in „The Wolf of Wall Street“ mit Jordan Belfort einen gefährlichen Nachfolger von Gordon Gekko geschaffen. Das ist ihm gelungen. Das reale Vorbild von Gekko, der Wall Street-Hai Ivan Boesky, hat bereits damals sein Credo öffentlich verkündet: „„Greed is all right, by the way. I want you to know that. I think greed is healthy. You can be greedy and still feel good about yourself.“ Oliver Stone hat dies dann in „Wall Street“ übernommen und im Wesentlichen ist Scorsese böser Held aus keinem anderen Holz geschnitzt.

Scorsese hat in seinem Film sogar noch eine Schippe draufgelegt, sich dann aber anders als in J.C. Chandors gnadenlos analytischem und damit deutlich langweiligeren „Margin Call - Der große Crash“ an der glitzernden Oberfläche festgebissen. Deshalb ist Scorseses mit knapp drei Stunden deutlich zu lang geratener Film trotz erkennbar guter Absichten auf verdammt hohem Niveau gescheitert.
Dass er sich wie in seinen Mafia-Filmen ein wenig in das Milieu verguckt hat, dass er so akribisch beschreibt, kann man „The Wolf of Wall Street“ nur bedingt vorwerfen. Zu schauerlich ist die animalische Talfahrt seiner Hauptfigur, die auf ihrem Tiefpunkt komplett zugedröhnt und wie ein Tier sabbernd durch die eigene Küche robbt, um seinen Buddy Donnie von einem fatalen Telefonat (die Telefone sind ja verwanzt!) mit einem Banker abzuhalten. 

Der intellektuelle Trugschluss Scorseses besteht vielmehr darin, dass er uns die Opfer-Perspektive verweigert. Nur ganz am Schluss lässt er Denham, den siegreichen Ermittler, in der U-Bahn einen Blick auf ein ärmlich aussehendes altes Paar werfen, das ihm gegenübersitzt. Sehen so die Opfer der Finanzhaie aus? 

Allein diese Einstellung lässt als einzige erahnen, was man in
The Wolf on Wall Street“ nicht sieht, nämlich dass auch die Opfer ein Gesicht haben. Dass es die Menschen sind, denen die Refinanzierung ihrer bereits abbezahlten Immobilie am Ende das Genick gebrochen hat. Dass diese Menschen nicht nur das Geld, sondern auch ihr Haus verloren haben, dass sie ihrer Existenz dank fauler Wertpapiere vollständig beraubt worden sind. Und so weiter, uns so weiter. Davon erzählt Martin Scorsese nichts.

„Die Wahrheit ist nicht Abbildung von Fakten, sondern von Prozessen, sie ist letzthin die Aufzeichnung der Tendenz und Latenz dessen, was noch nicht geworden ist und seinen Täter braucht.“ Ernst Bloch hat dies auf das Prinzip Hoffnung gemünzt. Es passt aber auch sehr gut als Beschreibung der Finanzmärkte, denn was in ihnen nach wie vor latent ist, wird weiterhin Täter benötigen. Wir können gewiss sein, dass sich diese finden lassen. Sie werden nicht so exzessiv sein wie Jordan Belfort, sie werden diskreter sein, biederer. Man wird sie nicht so schnell erkennen. Man muss nicht erfahren, wie sie leben, man muss vielmehr lernen, wie sie handeln, damit man sie bekämpfen kann.


Noten: Klawer = 4, BigDoc = 3

(1) Essay von Christina McDowell, adressiert an Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio, in: http://www.laweekly.com/informer/2013/12/26/an-open-letter-to-the-makers-of-the-wolf-of-wall-street-and-the-wolf-himself?showFullText=true