Montag, 13. Januar 2014

Polizeiruf "Liebeswahn" im Kreuzfeuer der Kritik: Zu brutal?

Wenn es um Gewalt in den Medien geht, dann werden selten ästhetische Debatten geführt, sondern vielmehr medienpädagogische. Das scheint ein Selbstläufer zu sein. Der aktuelle „Polizeiruf“ geriet mit seinem "Liebeswahn" ins Kreuzfeuer, weil er mit Splatter begann, aber beinahe auch damit endete. Darf das sein?
 

Medienpädagogen und –wissenschaftler verlassen sich bei der Debatte über mediale Gewalt in der Regel auf empirisches Material: Befragungen und andere vergleichbare Studien sollen Auskunft über die möglichen Folgen exzessiver Gewaltdarstellung geben. Dass dabei einiges herauskommt, was Stirnrunzeln erzeugt, habe ich am Beispiel der TV-Ausstrahlung von „The Walking Dead“ erörtert. Über Sinn und Unsinn der akademischen Debatten entscheidet aber (immer noch nicht) der deutsche Stammtisch, der sich mittlerweile in die vielen Internet-Foren verlagert hat.
 

Der TV-Normalo will dagegen seine Meinung nicht von den Erkenntnissen der Wissenschaft abhängig machen. Er bildet sich zu Recht seine eigene Meinung. Die aber hängt wiederum von den subjektiven sozialen und medialen Erfahrungen ab, die zu Mutmaßungen über mögliche Folgen der Gewaltdarstellung führen und - was die Regel ist – zu großer Empörung. Diese hat ihre Ursache aber in erneut subjektiven Geschmacksurteilen, die man gerne zum Maßstab der allgemeinen öffentlichen Moral machen möchte. Die rhetorische Streitaxt, die geschwungen wird, endet dann in einer Debatte, in der die Keulen „Freiheit“ und „Zensur“ geschwungen werden.


Ein verlorener Kampf


Über all dem schwebt der Jugendmedienschutz mit seinen Kontrollmöglichkeiten und Restriktionen. Er kämpft meines Erachtens bereits einen verlorenen Kampf. Ich brauche zur Beweisführung nicht tief zu schürfen. Ein Beispiel genügt: Der aktuelle „Polizeiruf“ ist in der Mediathek der ARD ab 12 Jahren freigegeben und frei zugänglich ab 20.00 Uhr zu sehen (was ich gerne per Screenshot oder Foto demonstriert hätte, aber die Angst vor der Urheberrechtsverletzung und der ARD-Rechtsabteilung halten mich ab). Er bleibt tagsüber gesperrt.
Das Ganze kann man abends also bequem via Smart TV oder im Internet sehen. Mit der passenden, leicht und legal erhältlichen Software lässt sich der umstrittene Film allerdings auch tagsüber bequem downloaden – entweder in HiDef-Auflösung oder in deutlich geringerer, damit es bequem aufs Smartphone passt. Natürlich gehören solche Programme nicht auf den heimischen PC, aber gesagt werden muss es trotzdem. Theoretisch und wohl auch praktisch können die Kids den bösen Prolog des „Polizeiruf“ also bereits vor der ersten Unterrichtsstunde auf dem Schulhof bestaunen.
 

Fazit: Mediale Contents sind frei zugänglich. Natürlich kann man weiterhin Debatten darüber führen und das ist auch gut so. Aber wenn die Medien hitzige Debatten anleiern („Stoff für Zwölfjährige?“), so als hätten die Macher intendiert, die Kids mitsamt ihrer Eltern zu traumatisieren, dann ist das genauso großer Blödsinn wie das Statement des NDR-Fernsehfilmchefs „Die Kommissare stellen am Ende Recht und Ordnung her“, als würde diese späte Erfahrung die Kids vor Alpträumen bewahren.
Die gut behüteten wurden sowieso gleich nach dem Intro ins Bett geschickt, die medial unbehüteten lachen nur über das Ganze. Sie sind ganz andere Sachen gewöhnt.

Nein, Formate wie „Tatort“ und „Polizeiruf“ sind über die Jahre gesehen weitaus gewaltlosere Kost als sie andere Formate vorweisen können. Aber nach wie vor ist es Unterhaltung für Erwachsene. Wer einen Krimi ohne Gewalt fordert, kann auch gleich verlangen, dass Liebesszenen in einschlägigen Pilcher-Formaten bitte ohne jeglichen Körperkontakt gezeigt werden sollen. In beiden Erzählformaten gibt es Exzesse. Wer sich also nicht vor der Ausstrahlung über das informiert, was man abends mit seinen Kindern sehen will oder was die Kinder allein im Kinderzimmer sehen, der übernimmt keine Verantwortung für die Grenzen des Medienkonsums in den eigenen vier Wänden. Jenseits dieser hat er sowieso die Kontrolle verloren
 

Den „Polizeiruf“ haben wir übrigens gemeinsam im Filmclub gesehen. Einhellige Meinung: Ein guter ausgeklügelter Krimi, in dem diesmal die obligatorischen Ausflüge ins Privatleben dramaturgisch passten. Einer der besten „Rostocker“, den wir gesehen haben.
Und der brutale Auftakt? Einhellige Meinung: Das gehört um 20.15 Uhr nicht auf den Bildschirm, genauso wenig wie der ebenfalls heftig diskutierte „Kölner“ Tatort.
Richtig ärgerlich wird man allerdings, wenn es um die geballte Medienschelte geht. In einer bekannten überregionalen Zeitung musste sich die Redakteurin von einem Forumsbeitrag darüber belehren lassen, dass sie für ihren schnodderigen Verriss eine Szene aus einem anderen Rostocker Polizeiruf als
Beweis anführte. Manchmal ist es auch in der Hektik des journalistischen Tagesgeschäfts hilfreich, wenn man sich die Sachen vorher ansieht, bevor man über sie schreibt.