Freitag, 18. Juli 2008

Mr. Brooks

USA 2007 - Originaltitel: Mr. Brooks - Regie: Bruce A. Evans - Darsteller: Kevin Costner, Demi Moore, William Hurt, Dane Cook, Matt Schulze, Marg Helgenberger, Aisha Hinds - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: keine Jugendfreigabe - Länge: 120 min.

Mr. Brooks ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, ein leidlich guter Vater und ein aufmerksamer Ehemann. Mr. Brooks betet gerne und ausgiebig, allerdings weiß man nicht so recht, ob sich bei ihm wirklich religiöse Gefühle artikulieren oder nur Spruchweisheiten. Manchmal hat man als Zuschauer das Gefühl, dass Mr. Brooks doch hofft, dass das Numinose ihm die Einsicht verschaffen möge, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Dies ist schwierig, denn Mr. Brooks hat eine dunkle Seite, mit der er viel zu bereden hat, was allerdings wenig hilft, denn der Trieb ist zu stark. 
Das Dunkle, das ihn hinunter zieht, zeigt ihm ein junges viel versprechendes Pärchen, dem Mr. Brooks nicht widerstehen kann. Die Vorbereitungen des nächtlichen Besuchs sind sehr professionell: Mr. Brooks ist kein Anfänger, das sieht man. Und der Ausflug endet sehr ambivalent, aber in erster Linie tödlich: Mr. Brooks erschießt das Pärchen nach dem Liebesspiel, nachdem er rücksichtsvoll den Höhepunkt abgewartet hat. Er breitet lustvoll die Arme aus, für einen Moment scheint er zu schweben, dann arrangiert er die Leichen wie immer zu einem Tableau, das längst nicht mehr so romantisch ausfällt wie früher. Jedenfalls wird dies die Polizei am Tatort konstatieren. Mr. Brooks hat eine Handschrift, er ist bekannt, er ist ein Serienkiller.

Mr. Brooks und sein Alter Ego
Kevin Costners eigenwillige Karrieregestaltung hat nach einigen unklugen Experimenten wie „Water World“ und „Postman“ (den ich persönlich gar nicht so übel fand) einen heftigen Knick erlitten. Costner, der sich noch in den Neuzigern auf Augenhöhe mit Tom Cruise und Harrison Ford befand, musste nach diesem Einbruch auf niemanden mehr Rücksicht nehmen. Er kann machen, was er will. Das tut er nun ausgiebig. Er darf sogar zum zweiten Mal nach „Perfect World“ (1993) gegen sein Image des eher weichen, aufrichtigen und moralisch gefestigten Helden anspielen – obwohl: irgendwie wird man es nicht los, so ein Image. 
„Mr. Brooks“ ist allerdings eine Glanzrolle, die man nur wenigen anvertrauen würde. Vielleicht einem Edward Norton, aber der wirkt per se schon so zerrissen, dass man ihm den erfolgreichen Business-Mann, der soeben zum ‚Mann des Jahres’ gewählt wurde, nicht ohne weiteres abnehmen würde. Und wenn es darum geht, der morbiden und offenkundig an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung leidenden Hauptfigur ein Alter Ego zu Seite zu stellen, dass nur Mr. Brooks sieht, weil es ein abgespaltener Ich-Anteil ist, so würde Brat Pitt mit einem gewissen Augenzwinkern wohl gut zu Norton passen, aber nicht zu einem Helden, der mit dem Wolf tanzt. Dann schon Marshall (William Hurt). Marshall ist Costners ewiger böser, an das Freudsche „Es“ erinnernder Stichwortgeber, dessen Credo recht einfach ist: „Ich esse gern, ich ficke gern, ich töte gern.“ So einfach ist das. Man muss die beiden nicht wirklich sympathisch finden.

Kann dies gelingen? Nicht wirklich, eigentlich nur bei jenen Zuschauern, die Kevin Costner eigentlich nie gemocht haben. Bei allen anderen dürfte Costners Positiv-Image zu jener klammheimlichen Sympathie finden, die fast alle Stars begleitet, wenn sie mal böse Rollen spielen. Hinzu kommt, dass Mr. Brooks nicht aus Passion tötet, das war vielleicht einmal so, sondern weil er süchtig ist. Dafür hat man Verständnis, denn Sucht ist ja eine Krankheit.

Dererlei Gemütsverrenkungen verdanken sich auch der Plot-Konstruktion des Drehbuchautors und Regisseurs Bruce A. Evans (Stand by Me (1986)), der sich etwas Interessantes einfallen ließ: Er lässt Brooks letzten Mord von einem Voyeur beobachten und dieser kleine schmierige Möchtegern-Soziopath Mr. Smith (Dane Cook) will von nun an beim Morden dabei sein und sozusagen das Handwerk gründlich vom Meister lernen. Dass Evans auch noch eine Ermittlerin (Demi Moore) einbaut, die zum einen Millionenerbin ist und zum anderen simultan Mr. Brooks jagt, aber gleichzeitig auch ein durchgeknalltes Serienkiller-Pärchen einfangen muss, und die sich auch ihren widerwärtigen Ex mitsamt einer Millionenklage vom Halse halten muss, dass alles könnte man als irrwitzige und hoffnungslose Überfrachtung des Films bezeichnen. Komischerweise hat Evans genug Talent, um die scheinbar wirren Erzählstränge zusammenzuhalten und dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen: Unser Held muss erkennen, dass er offenbar seiner Tochter die Neigung zu besonders speziellen Vergnügungen vererbt hat – auch das Töchterlein mordet und das vorzugsweise dilettantisch und mit der Axt.

Perfide-intelligentes Spiel mit dem Zuschauer
Es fließt also viel Blut in „Mr. Brooks“ und man muss schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass Evans es offensichtlich darauf angelegt hat, den Zuschauer perfide aufs Kreuz zu legen. Denn im Zentrum bleibt die Beziehung von Mr. Brooks und seinem abgespaltenen Ich-Kern zu jenem Mr. Smith, der uns allen ein wenig zeigt, wie wir im Kino ticken. Sascha Westphal schrieb völlig zu Recht in der Berliner Morgenpost: „Dieser kleine, so niederträchtige wie feige Voyeur hält dem Publikum im Kinosaal einen Spiegel vor. Seine Komplizenschaft unterscheidet sich nur in ihrer letzten Konsequenz von der jede Moral negierenden Beziehung zwischen Zuschauer und Killer, auf die etwa die "Hannibal-Lecter"-Serie setzt. Jeder von uns ist Mr. Smith, und diese alles andere als schmeichelhafte Erkenntnis wird von nun an unseren Blick auf Serienkiller prägen.“

Das ist gewiss richtig, aber man muss dennoch hinzufügen, dass die diabolische und gleichzeitig so zivilisiert anmutende Verführungskraft Hannibal Lecters, die absolut ich-synton ist (der Psychotiker empfindet seine Wahnideen als Teil der eigenen Persönlichkeit und empfindet daher keinen Leidensdruck) den Zuschauer zur Neugier verführt, ob denn vielleicht doch etwas Empathie in ihm schlummert, während der ich-dystone Mr. Brooks offensichtlich an seinen Schüben leidet. 
Allein dies unterscheidet ihn von Mr. Smith, der das brachiale undifferenzierte Triebverlangen symbolisiert, vor dem wir alle Angst haben. Nur in seiner fast sublimierten Erscheinung (wobei ich die psychologie-fernen Trash- und Splatter-Movies mal außen vor lasse) kann der einigermaßen zivilisierte und nicht bildungsferne Zuschauer gebannt und eben voyeuristisch dem Grauen zuschauen und dabei ist er eben eher Mr. Brooks und nicht Mr. Smith.

Eins muss aber klar sein: eine echte Umwandlung der Triebwünsche im Sinne der Sublimierungstheorie Freuds gibt es nicht. Mr. Brooks und Hannibal Lecter, MD, sind zwei ausgesucht kultivierte Menschen - ihren Impuls kann das alles nicht aufhalten. Der Serial Killer macht die Psychoanalyse quasi zur Schnecke, die mühsam hinter den immer neuen Varianten und Abspaltungen des obsessiven Ichs hinterher hechelt.
Und wir mit ihm: noch in diesem Jahr wird RTL II die Serie „Dexter“ starten, die in den USA atemberaubende Quoten erzielte. Dexter ist Forensiker des Miami Police Departments, nett und gepflegt, ein höflicher Mann, der in seiner Freizeit all die bösen Jungs, die ungerechterweise der Justiz entkommen sind, entführt und mit dem Elektromesser schlachtet. Die Amerikaner lieben Dexter und auch wir werden uns an ihn gewöhnen. Wie gesagt: irgendwie sind wir alle ein bisschen Mr. Brooks.
Ob wir uns dabei wohl fühlen, muss sich jeder selbst beantworten. Als intelligente Variante gehört Mr. Brooks auf jeden Fall mit zum Besten, was man in diesem Genre bislang zu sehen bekam.

Noten: Melonie = 2, Mr. Mendez = 2,5, BigDoc=2,5