Donnerstag, 19. Juli 2018

How it Ends: Ist der Netflix-Skandalfilm tatsächlich ein Skandal?

Der Apokalypse-Thriller „How it Ends“ wurde ausgerechnet am Freitag, den 13 bei NETFLIX gestartet. Recht schnell wurde der als Spektakel angekündigte Film zur armen Kinosau, die durchs Filmdorf getrieben wurde. Regisseur David M. Rosenthal hatte nämlich frevlerisch heiligen Kinotraditionen den Stinkefinger gezeigt.

Eigentlich ist die Geschichte schnell erzählt. An der Westküste gehen die Lichter aus. Die Medien berichten von einem massiven seismischen Ereignis und ein Vater bricht in Chicago auf, um in Seattle nach seiner verschollenen Tochter Sam (Kat Graham) zu suchen. Da man aus einer One-Man-Show kein Roadmovie machen kann, nimmt der Vater einen jungen Mann mit auf die Reise, den er ausdrücklich nicht mag: den Verlobten seiner Tochter.


Forest Whitaker spielt recht routiniert Tom, den Vater, als grantigen Ex-Marine, der trotz einer etwas labilen Gesundheit recht wirkungsvoll mit seinen Fäusten und seiner Waffe umgehen kann. Theo James (bekannt aus einigen „Underworld“-Filmen und „Downton Abbey“) gibt mit maskuliner Präsenz den Ehekandidaten Will, der sich das Vertrauen seines zukünftigen Schwiegervaters erst noch verdienen muss.


Spannendes, aber kaum überraschendes Endzeit-Drama

Da „How it Ends“ für geschätzte 20 Mio. US-Dollar produziert wurde, waren nur wenige CGI-Effekte zu erwarten. Dafür klappert der Apokalypse-Thriller die bezahlbaren Stationen einer Endzeit-Vision ab: die beiden Männer fahren über meist einsame Landstraßen – eine Odyssee: die Highways sind verstopft und plötzlich ist auch Chicago nicht mehr per Smartphone zu erreichen– und man trifft dabei einige böse Gesellen. Zum Beispiel einen Strolch, der ein Polizeiauto geklaut hat und nun Reisende ausplündert, später auch drei von der Not getriebene Männer, die Tom und Will von ihrem Benzin befreien wollen. Das endet für einige Täter tödlich und dient dem Film dazu, um zu zeigen, dass Will, eigentlich ein zivilisierter Anwalt, langsam begreift, dass man in der Apokalypse mit Waffen umgehen muss. Zwischendurch wird auch die indigene Ricki (Grace Dove) in einem Reservat als Automechanikerin angeheuert. Aber Ricki erträgt das Töten nicht mehr und verschwindet schneller aus dem Film, als es notwendig gewesen wäre.

Obwohl das alles nicht sonderlich originell ist, funktioniert die Spannungsdramaturgie von Drehbuchautor Brooks McLaren über weite Strecken erstaunlich gut, zumal man als Zuschauer gespannt ist, was denn zum Teufel die ziemlich nebulösen Ereignisse ausgelöst hat. Aber auch ohne den finalen Plot Twist sorgen die Weite des Mittelwestens, die menschenleeren Landschaften und die knapp erzählten Ausbrüche der Gewalt zusammen mit der sich entwickelnden schwierigen Freundschaft zweier schwieriger Männer für eine bedrohliche Stimmung. Aber auch für eine kompakt erzählte Story, die langsam in eine „Mad Max“-Atmosphäre einmündet. Es sind halt sehr viele Verrückte unterwegs, wenn die Welt untergeht.

An Ende rettet Will seine Verlobte, die bei Jeremiah, einem Freund, Unterschlupf gefunden hat. Wie Will zuvor in Seattle, das so aussieht wie Hiroshima nach der Detonation der Atombombe, innerhalb weniger Minuten die entscheidenden Informationen über Sams Verbleib finden kann, bleibt der Phantasie des Zuschauers überlassen. Was dagegen den Verschwörungstheorie-Paranoiker Jeremiah (Mark O'Brien) dazu bewegt, Will töten zu wollen, bleibt ein Rätsel wie alles Weitere auch. Kurz vor dem Ende sind Sam und Will im Auto auf der Flucht, verfolgt von einer riesigen Glut- und Aschewolke, die sich mit rasender Geschwindigkeit nähert. Dann wird der Bildschirm schwarz. Die Credits laufen.



Ist das ein Skandal?

Natürlich ist das Ende von „How it Ends“ kein konventionelles Ende, sondern ein offenes, wie es radikaler nicht sein könnte. Die erste Reaktion auf diesen merkwürdigen Plot Twist war pure Enttäuschung. Man hat nur wenig über das erfahren, was den globalen Weltuntergang ausgelöst hat (Seattle wurde wohl von einem Tsunami heimgesucht, möglicherweise ist auch der Erdmantel aufgebrochen - oder ist es doch eine ziemlich irre Simulation der Regierung, wie Jeremiah vermutet?), aber das von David M. Rosenthal und seinem Autor erdachte Filmende trägt doch schon recht nihilistische Züge.

Ein experimenteller Film? Das traut man NETFLIX eigentlich nicht zu, denn der Streaming-Anbieter muss neue Kunden gewinnen. NETFLIX tritt inmitten der gewaltigen ökonomischen Umschichtungen, von denen im Moment einige namhafte Hollywood-Studios betroffen sind, als expandierender Anbieter auf. Ein Haifisch im Swimming-Pool. Dort ist nicht Platz für alle. Da NETFLIX massiv in den Kinomarkt eindringt, ohne dass seine Filme jemals das Licht der Leinwand erblicken werden, wird dies auch Folgen für die Filmindustrie haben. Aber vorrangig geht es darum, ob NETFLIX konventionelle Erwartungen erfolgreich bedienen kann. Experimente haben in diesem Struggle of the Fittest keinen Platz.
„How it Ends“ wird NETFLIX in diesem Kundensegment wohl keinen dauerhaften Erfolg bescheren. Als Blockbuster funktioniert der niedrig budgetierte Film nicht. Als spannender Apokalypse-Thriller dagegen schon etwas besser. Wäre da nicht das Ende.



Vielleicht hilft es, wenn man den Titel anders interpretiert. Wer allerdings von Blockbustern mit
versöhnlichen Filmenden Plots dressiert wurde, kann man sich nicht freuen, wenn ein Film seinen Titel wortwörtlich nimmt. Tatsächlich zeigt David M. Rosenthal ja, wie es endet: entweder sterben die Helden innerhalb der nächsten 60 Sekunden oder etwas später.

Nun kann man den Titel „How it Ends“ auch als spöttischen Kommentar zu all den Blockbustern goutieren, die ihre Geschichten grandios beginnen, um dann am Ende eine kraftlose 08/15-Aufösung hinrotzen, die keinen aus dem Kinosessel reißt und nur das längst erwartete Happy-end serviert. So etwas kennt man aus Roland Emmerich-Filmen zur Genüge. In Independence Day: Resurgence gewinnen die Helden und ein erneuter Kampf gegen die Aliens steht bevor. In White House Down macht die Hauptfigur einen Karrieresprung und in 2012 ist am Ende die Erde kaputt, aber der Familienfrieden wiederhergestellt.

„How it Ends“ erspart sich dies und das Wie es endet wird einfach erklärt: Nämlich gar nicht. Der Verzicht auf ein Happy-end und das Fehlen einer Erklärung des Weltende sagt uns augenzwinkernd: Besser kein Ende als ein schlechtes. Und wenn die Leinwand mitten im Höhepunkt des Films schwarz wird und die Credits laufen, kann man unter günstigen Umständen vielleicht sogar seinen Humor entdecken.


Etwas Gutes hat dies auf jeden Fall. Man kann nichts spoilern. Wo es kein vertrautes Ende gibt, kann auch nichts verraten werden. Aber wetten, dass Hardliner die Information, dass es nichts zu spoilern gibt, selbst für einen riesengroßen Spoiler halten.
Die sollten sich ruhig mal den Schaum vom Mund wegwischen. Die Spoiler-Hysterie hat bislang keinen Filmfreund abhalten können, eben das zu lesen, worüber man anschließend in Rage gerät. Und da mittlerweile jede Information über die Handlung als Spoiler gilt, muss man entweder die Filmkritik als Säule der Filmkultur verbieten oder freiwillig einstellen. 


Hatte das „How it Ends“ im Sinn? Ganz ehrlich: ich glaube es nicht. Aber die Vorstellung, dass es so sein könnte, ist witzig genug.

How it Ends – NETFLIX Juli 2018 – R.: David M. Rosenthal – Buch: Brooks McLaren – Laufzeit: 113 Minuten – Theo James, Forest Whitaker, Grace Dove