Montag, 23. Juli 2018

GLOW – die unbekannte Serienperle

Vor vier Wochen präsentierte NETFLIX die zweite Staffel von „Glow“. Erzählt wird von den Anfängen der gleichnamigen TV-Show, die in den 1980er Jahren das Frauen-Wrestling bekannt machte. „Glow“ ist eine witzige Sitcom über die „Gorgeous Ladies of Wrestling“ (GLOW), die mühelos mit den Paradepferden im NETFLIX-Stall mithalten kann.

Die 1980er Jahre: im Wrestling eine goldene Ära. Hulk Hogan wird zum populärsten Wrestler der Dekade und sorgt mit Stars wie
André the Giant, „Macho Man“ Randy Savage und „Mr. Wonderful“ Paul Orndorff dafür, dass die World Wrestling Federation (WWF) monströse Events wie „Wrestlemania“ erfolgreich im TV promoten kann. Einige Nummern kleiner geht es in den schäbigen Hallen kleinerer Organisationen zu. Von ihnen erzählt „Glow“.



Erfolglose Frauen suchen ihr Glück im Ring

Im Mittelpunkt steht die ziemlich erfolglose Schauspielerin Ruth Wilder (Alison Brie), die aus jedem Casting fliegt und schließlich bei dem ständig übel gelaunten Trashfilm-Regisseur Sam Sylvia (Marc Maron) landet. Der soll im Auftrag des unerfahrenen Promoters Bash Howard (Chris Lowell) eine TV-Show entwickeln, die Howard einem lokalen Cable TV-Sender verkaufen will.
Sam Sylvia stellt eine Truppe zumeist unerfahrener Frauen zusammen und baut die Ex-Schauspielerin Debbie Eagan (Betty Gilpin) als neuen Star der Show auf, obwohl gerade Debbie völlig unsportlich ist und damit die unglücklichste Rolle im Ring spielt. 

Season 1 erzählt von den Problemen vor und hinter den Kulissen, in Season 2 machen die Frauen erstaunliche Fortschritte und werden von einer schnell gewachsenen Fangemeinde gefeiert. Am Ende brechen sie nach Las Vegas auf, wo sie ihre mittlerweile professionellen Künste einem größeren Publikum präsentieren sollen.


Frauen, die sich in einem von Männern dominierten Business erfolgreich durchsetzen, senden natürlich Signale aus. Es fällt also leicht, „Glow“ als trashigen Ableger der Frauenbewegung zu interpretieren. Historisch trifft dies
auch zu, denn die echten GLOW-Girls (1986-1992) profitierten in den späten 1980er Jahren von einem neuen Zeitgeist, der Frauen mehr Chancen bot als etwa den lausig bezahlten Profisportlerinnen in den 1970zigern. Frauen werden mutiger, es herrscht Aufbruchstimmung.

Vielleicht ist die Geschichte der Tennisspielerin Billie Jean King (Emma Stone) in „Battle of the Sexes“ (2017) von Valerie Faris und Jonathan Dayton möglicherweise die authentischere Erzählung über Woman´s Lib: der Schaukampf zwischen dem ehemaligen männlichen Tennisstar Bobby Riggs und der weiblichen Tennis-Ikone Billie Jane King war ähnlich wie im Wrestling eine Show mit Gimmicks, in der allerdings nichts abgesprochen war. Die Frage, ob sich Frauen auf Augenhöhe mit Männern befinden, zog 1973 mit über 30.000 Zuschauern die zweitgrößte Kulisse an, die ein Tennisspiel je hatte. 90 Millionen Zuschauer saßen vor den TV-Geräten, als Billie Jean King den 55-jährigen Ex-Wimbledon-Sieger völlig auseinandernahm. 
Und
Billie Jean King verdiente mit dem Kampf der Geschlechter mehr als mit ihren Profikämpfen.

Von einer derartigen Resonanz konnten die GLOW-Girls über zehn Jahre später nur träumen. Aber auch sie zeigten, dass man in einem reinen Männer-Business einen Fuß in die Tür setzen kann. Vor diesem Hintergrund lässt sich die TV-Serie „Glow“ ebenfalls auf Woman´s Lib beziehen. Und damit auch auf die aktuellen Trends des US-Kinos, nämlich aufgrund der durch die #MeToo-Bewegung thematisierten Fragen - zumindest vorübergehend - mehr Filme mit und über toughe Frauen zu drehen.


„Glow“ zeigt, wie Wrestling funktioniert

Aber in „Glow“ geht es nicht nur um die Frauenbewegung. Es geht auch um Wrestling. „Glow“ zeigt mit seiner Handvoll ziemlich talentfreier Frauen, wie das Geschäft funktioniert. Mit Schweiß und Schmerzen erarbeitet sich das Team unter der Anleitung der schwergewichtigen und mit einem sonnigen Gemüt ausgestatteten Carmen Wade (Britney Young) aka „Machu Picchu“ erst einfache „Moves“, dann aber auch „High-Flyer“ (Sprünge vom obersten Ringseil). Carmen stammt aus einer Wrestler-Familie und ist damit die einzige Frau, die etwas vom „Geschäft“ versteht.
 Die Frauen begreifen dank Carmen schnell, dass ohne „Heels“ und „Faces“, also Schurken und Fanlieblinge, „Spots“ (spektakuläre Aktionen), „Gimmicks“ (die fiktiven Ringcharaktere) und „Storylines“ (Aufbau von Fehden zwischen Wrestlern) das Publikum gelangweilt abwinken würde.

„Glow
betreibt auf charmante Weise daher auch eine Dekonstruktion des Wrestlings, ohne dem Entertainment gehässig unter die Nase zu reiben, dass alles ‚nur‘ abgesprochen ist. Wer nicht völlig hirnverbrannt und damit ein „Mark“ ist (ein gläubiger Fan, der alles für echt hält), weiß dies auch. Wrestling ist ein großes Narrativ, das so erzählt wird, dass Zuschauer und Akteure wissend interagieren und lustvoll so tun, als ob trotzdem alles echt ist.

In „Glow“ funktioniert dies zwei Staffeln lang ausgezeichnet. Nicht nur wegen der Mühseligkeit des Trainings und den physischen Anstrengungen der anfangs völlig limitierten Frauen gut, sondern auch weil die Gimmicks die realen Konflikte zwischen den Frauen abbilden und ideenreich ihre Backstorys kommentieren.
So befindet sich Debbie Eagan aka „Liberty Belle“ auch privat in einer Dauerfehde mit Ruth Wilder, die mit Debbies Mann eine Affäre hatte. Als Antwort darauf entwickelt die Method Acting-Schauspielerin Ruth das Gimmick von „Zoya the Destroya“, einem Heel, der als sowjetische Propagandamaschine mit der patriotischen „Liberty Belle“, der braven US-Hausfrau von nebenan, ständig im Ring aneinandergerät. Dies endet prompt mit einem
Shoot Fight (Kampf, bei dem eine Verletzung absichtlich herbeigeführt wird): Debbie bricht Ruth ein Bein. Aber auch das ändert am Ende wenig daran, dass „Zoya the Destroya“ als Heel die bessere Show abliefert als ihre Ex-Freundin Debbie.
Auch andere Gimmicks haben Charme und Witz. So sieht „Sheila the She-Wolf“ (Gayle Rankin) auch privat nicht anders aus als in ihrer Ringrolle. Sie hält sich spirituell tatsächlich für eine Wölfin und zieht ihre Wrestling-Kostüm nie aus. 

Tammé Dawson (Kia Stevens) aka „The Welfare Queen“ spielt dagegen eine Frau, die sich als Sozial-Schmarotzerin präsentiert. Tammé stammt aus dem farbigen Prekariat, hat immer hart für ihre Familie gearbeitet und genießt zunächst ihre selbstbewusst gespielte Rolle im Ring. Bis sie spürt, dass sie damit rassistische Reflexe beim aufgeheizten Publikum auslöst. Und Ekel bei ihrem Sohn, dem sie das Studium mit ihrer Arbeit finanziert. Aber dann entdeckt Tammé, dass sie auch als Heel ihre Würde bewahren kann.


Die von Liz Flahive and Carly Mensch produzierte NETFLIX-Serie unterhält mit ihren durchschnittlich 30 Minuten langen Episoden dank spritziger Dialoge und sorgfältig ausgearbeiteter Frauenportraits blendend. Gelegentliche Längen lassen sich verschmerzen, denn „Glow“ stellt als Dramedy eine überzeugende Mischung aus Ernsthaftigkeit und Comedy her. Komplexe soziale Probleme werden mit leichter Hand untergeschoben und der Serie gelingt dabei das Kunststück, allen Rollen ein authentisches Profil zu geben: sowohl denen im Ring als auch jenen im richtigen Leben.
Das reichte für zwei EMMY-Nominierungen, aber im Vergleich der Quoten kann „Glow“ nicht mit anderen NETFLIX-Serien mithalten, obwohl die Serie in den USA in der wichtigen werberelevanten Zielgruppe der 18- bis 49-Jährigen 86% aller Zuschauer rekrutieren konnte (Quelle: Quotenmeter).
Deutsche Zuschauer sollten sich die wilden Frauen im Ring nicht entgehen lassen. „Glow“ startet mit einer überwältigend witzigen Pilotfolge und bietet danach nicht nur einen Insiderblick ins Wrestling-Business, sondern auch in das nicht immer lustige Leben von erfolglosen und sozial diskriminierten Frauen, die im erst Ring entdecken, was sie draufhaben. An Ende sind sie alle ein tolles Team.


Noten: BigDoc = 2


Glow – NETFLIX 2017-2018 – 20 Episoden in zwei Staffeln – Showrunner: Liz Flahive, Carly Mensch – D.: Alison Brie, Betty Gilpin, Britney Young, Marc Maron, Gayle Rankin u.a.