Dienstag, 25. Januar 2011

Top Ten 2010 - Part II

Top 11 - 20
Wie versprochen hier der Rückblick auf die Plätze 11 – 20 unserer Jahresbestenliste.
James Camerons „Avatar“ landete überraschend nur auf Platz 11. Warum überraschend? Der entscheidende Grund liegt in den Noten nach der Erstaufführung im Club, wo ein Mitglied den Film mit einer doch recht herben 3,5 abstrafte. Ich selbst vergab nur eine 2,5, schrieb dann aber enthusiastische Kritik und korrigierte mich quasi dank der durch das Schreiben zusätzlich gewonnener Einsichten in die Struktur des Films. Dies widerum führte dazu, dass auch der missmutige Kritiker nach der Lektüre der Kritik am liebsten eine bessere Note gegeben hätte – doch das kam zu spät, da nun mal der erste Eindruck zählt. Eine posthume Nachbewertung des Films hätte ihn vermutlich auf den geteilten 1. Platz katapultiert, aber Regel ist Regel und darin besteht auch der Reiz eines Clubs, der spontan und unmittelbar seine Eindrücke verarbeitet. Heute, also ein Jahr später, ist noch klarer geworden, dass Cameron das ungewöhnliche Kunststück fertiggebracht hat, einerseits perfektes Popcorn-Kino vorzulegen, dies aber raffiniert mit einigen kulturkritischen Implikationen spannend aufzuladen. Letzteres dürfte auch den Arthouse-Fan ansprechen und dank dieser Mischung bleibt der Film ein spannungsgeladenes Stück Kino, das man sich wohl noch einige Male anschauen kann.
Packend war auch das Regiedebüt von Cary Fukanaga, der à la „City of God“ mit „Sin Nombre“ ein hartes und realistisches Gangdrama ohne versöhnlichen Ausgang inszenierte. Die unterschiedlichen Handlungsfäden werden durch den Versuch einiger Hundert Mexikaner zusammengehalten, die per Güterzug versuchen, illegal in die Staaten zu gelangen. Für den Europäer ist Fukanagas Film wie der Blick durch ein verbotenes Schlüsselloch. Man schaut hindurch und studiert gefahrlos eine von Stammesriten, barbarischen Moralcodes und exzessiver Gewalt streng reglementierte Welt, in der die Initiationsrituale fast noch schlimmer sind als die Verbrechen, die von der Gang verübt werden. Zivilisation ist alles andere als ein sicheres Gut, nur in der westlichen Demokratie halten Gewalt und Terror noch nicht in diesem Umfang Einzug in die Gesellschaft. Zumindest glaubt man dies. 14 Tage vor der Niederschrift dieser Zeilen haben in meiner Heimatstadt zwei 12-Jährige einen 10-Jährigen überfallen und mit Klappmessern versucht, dem Kind das Geld abzunehmen. Der Boden der Zivilisation ist dünn.
Mit „Brooklyn’s Finest” von Antoine Fuqua landete ein Cop-Film auf Platz 13. Früher hätte man von einem Kriminalfilm gesprochen, aber die Tendenz, den klassischen Genrebegriffen Sub-Genres hinzuzufügen, ist in diesem Fall gerechtfertigt, besonders in Hinblick auf die stilistischen Veränderungen, die von Robert Altman über den Autoren Paul Haggis zu den modernen Exemplaren des Genres führen. Die Auflösung der linearen Erzählweise durch Flashbacks und Cross-Cutting hat das Publikum adaptiert. Auch die komplexen Erweiterungen dieser Schemata durch multiple Handlungsstränge, die auf fast magische Weise am Ende zusammengeführt werden, sind akzeptiert worden. Ich persönlich finde dies gelegentlich aber schon wieder verbraucht. Oder profaner formuliert: ausgelutscht. „Brooklyn’s Finest” variiert diesen Stil sehr virtuos und insgesamt kommt auch veritables Kino dabei heraus, allerdings zahlt man dafür den Preis, dass alles am Ende etwas zwanghaft und schicksalhaft wirkt. Ich denke, dass die Zeiten der linear erzählten straighten Story nicht vorbei sind.
„Precious“ von Lee Daniels wird wie „Sin Nombre“ von dem voyeuristischen Entsetzen getragen, das uns beim Blick in eine fremde, brutale Welt überkommt. Als Sozialdrama über eine schwer übergewichtige Analphabetin, das von der Mutter misshandelt und vom Vater vergewaltigt wird, schafft es der Film irgendwie alle sentimentalen Cinderella-Motive zu vermeiden. Genauso ‚irgendwie’ ist dies auch ein typisch amerikanischer, der trotz seiner fast dokumentarischen Qualitäten den ‚American Dream’ schürt, obwohl die meisten Kritiker der Meinung waren, dass eben dies nicht der Fall ist. Keine Aufregung: in seiner Essenz ist der ‚American Dream’ ja nicht Schlimmes und Filme dieser Art erträgt man besser, wenn man am Schluss etwas Licht am Ende des Tunnels sieht. „Precious“ wurde ohne Kontroversen im Club sehr gut aufgenommen: alle gaben dem Film eine 2,5.
Clint Eastwoods „Invictus“ dürfte die Fans des Sportfilms ansprechen, auch wenn viele Kinogänger möglicherweise nicht einmal wissen, wer Nelson Mandela ist. Den intellektuelleren unter ihnen dürfte dafür die Rugby-Weltmeisterschaft herzlich egal. Da kommt ein geradezu klassischer Erzähler wie Eastwood gerade recht, um beide Zielgruppen zu bedienen und noch einmal ein spektakuläres Kapitel südafrikanischer Geschichte aufzuschlagen. Und tatsächlich sieht man gediegenes, handwerklich ausgezeichnetes Kino, das nicht sonderlich verstört oder aufregt. Etwas bieder ist der Film schon geraten, aber man nickt ihn ab, weil seine Moral aller Ehren wert ist. Und mal ganz ehrlich: Morgan Freeman ist wieder klasse, oder?
Auf dem 16. Platz landete „MR 73“ von Olivier Marchal. Man sieht dem Film über einen alkoholkranken und moralisch zerrütteten französischen Cop an, dass Marchal ein Fan von Jean-Pierre Melville und Henri Verneuil ist. Allerdings wird die Dramatik in „MR 73“ gelegentlich zur Melodramatik und ein Schuss Melvillscher Strenge in Form und Schauspielerführung hätte dem Projekt sicher gut getan. So fiel Marchal, der 2004 mit „36 – Tödliche Rivalen“ in Frankreich einen viel beachteten Erfolg erzielte, mit „MR 73“ komplett bei der Kritik durch. Und auch ich habe diesen Streifen mittlerweile aus meinem Filmgedächtnis gestrichen.
Auf dem 17. Platz landete die deutsche Komödie „Die Schimmelreiter“ von Lars Jessen, die offen gestanden ein wenig bezeichnend ist für die durchschnittliche Qualität der gesehenen Filme: Ganz nett, aber früher garantiert unter „ferner liefen“ angeführt.
 „Kick Ass“ von Matthew Vaughn sorgte (natürlich) für Trouble im Filmclub. Abgesehen von Mr. Mendez, der Comic-Verfilmungen grundsätzlich nicht mag, war der Rest begeistert und irritiert. Letzteres möglicherweise wegen des Vergnügens, das wir bei diesem brachial-brutalen Film hatten. „Kick Ass“ ist das ‚schwarze Schaf’ unter den Comic-Verfilmungen und im Vergleich zu dem prolligen Duktus des Films ist „The Dark Knight“ geradezu elitäres Kunstkino. Matthew Vaughn hat nur Klamauk im Sinn, aber dies gelingt ihm auf so originelle und spritzige Weise, dass die Geschichte eines verhinderten Superhelden das Bizarre und schamlos Übertriebene, das einem Comic nun mal innewohnt, verblüffend gut herausarbeitet. Dabei ist das satirische Moment des Films aufgrund der expliziten Gewaltorgien sehr ambivalent: es befeuert das eigene Geschäft an der Kinokasse und nimmt es gleichzeitig auf die Schippe. Und so hat man leider ein schlechtes Gewissen beim Hinschauen.
Das hat man auch bei dem Kandidaten auf Platz 19: „My Name is Khan“ ist ein Bollywood-Film ohne Singen und Tanzen, der aber in Amerika spielt und kräftig „Forrest Gump“ geplündert hat. Auch dieser Film schafft es trotz schärfster cineastischer Bedenken, den Zuschauer mit Charme und naivem Witz zu übertölpeln. Ob der Film ein zweites Betrachten übersteht, sei dahingestellt. Was ihn auf jeden Fall rettet, ist die rigorose Darstellung des ganz normalen amerikanischen Rassismus mitsamt der leider nicht ganz unberechtigten Terror-Paranoia, die einen muslimischen Inder, der zudem noch am Asperger-Syndrom leidet, in die Mühlen des Gesetzes und eines ungerechten Schicksals befördert. „Mein Name ist Khan und ich bin kein Terrorist“ hat jedenfalls das Zeug zum geflügelten Wort und auch die ganz beinharten Kinogänger brauchen ab und an eine Dosis mühsam unterdrückter Tränen. Lassen wir es dabei.
Last but not least schlug auf Platz 20 mit “Sherlock Holmes” ein Film auf, der gepflegtes Mainstream-Kino mitsamt einer unerwarteten Beschleunigung des klassischen Krimihelden mit sich führte. ‚Wolverine’ Hugh Jackman als Sherlock Holmes und Jude Law als Dr. Watson sind eher ein flottes ‚Hit and Run’-Team, als dass sie durch gepflegte Analysen am Kamin ihren Fall vorantreiben. Das ist Kino von der Stange und wirklich keinen zweiten Blick wert. Ich muss nur noch ein Rätsel lösen: Warum habe ich dem Film eine 2,5 zugestanden? Vielleicht hilft mir der Meisterdetektiv dabei.

Die schlechtesten Filme 2010
Was wäre ein Rückblick ohne kräftiges Abledern der Flops? Erstens macht es Spaß, zweitens bringt es alle auf die Palme, die diese Filme in ihre private ‚Best of’-Liste aufgenommen haben und drittens dient es als Beleg, dass wir uns gelegentlich zwar irritieren, aber nicht veräppeln lassen.
Miesester Film des Jahres wurde mit großem Abstand „The book of Eli“. Wir haben alle „Mad Max“ gesehen und „The Postman“ und damit ist der Bedarf gedeckt. Erst recht, wenn sich ein Film um einen post-apokalytischen Killer dreht, der die Bibel auswendig gelernt hat.
„Gegen jeden Zweifel“ von Routinier Peter Hyams ist eines jener Remakes, die man auch dann nicht braucht, wenn alle anderen Filme urplötzlich vernichtet werden. Was Michael Douglas außer seinem Honorar bewogen hat, in diesem völlig lustlosen und auch handwerklich miesen Gerichtsdrama mitzuwirken, bleibt sein Geheimnis.
„From Paris with Love“ entstand nach einer Story von Luc Besson, der schon bessere Tage gesehen hat. Hier hat jemand die platte Eindimensionalität eines Ego-Shooters in einen Kinofilm übertragen, den testosteron-geladene Mega-Prolls sicher lustig finden.
Restlos umstritten war das Abwatschen von „Louise hires a contract killer“. Ich fand diese französische anti-kapitalistische Komödie recht amüsant, blieb aber mit dieser Auffassung allein. Zwei Clubberer nagelten den Film mit jeweils 4,5 förmlich an die Wand. Ich bin sicher, dass ich den beiden keinen Film von Aki Kaurismäki zeigen darf…oupps.
Völlig von der Rolle war unserer Ansicht nach Steven Soderbergh, von dem wir viele gute Filme gesehen haben. „Der Informant“ fiel bei uns völlig durch: Matt Damon als hirnrissigen Idioten zu erleben, fanden wir alle nicht erheiternd und dass der Film eine bitterböse Farce sein soll, ist uns vor lähmender Langeweile auch entgangen.
Das waren die größten Flops des Jahres! Erwähnenswert ist noch, dass mit „Kommissar Bellamy“ der letzte Film des kürzlich verstorbenen Meister-Regisseurs Claude Chabrol durchgewinkt wurde, was auch Neil Burgers (Der Illusionist) flacher Komödie „The lucky-ones“ zuteil wurde. Es floppten auf den Folgeplätzen „Fanboys“, „Die Gräfin“, der Sci-Fi-Thriller „Pandorum“, aber völlig überraschend auch „In meinem Himmel“ von Peter Jackson.

Close but no cigar
Es ist ein Jammer: die besten Filme wurden wieder einmal nur von zwei Clubberern gesehen, was ein offizielle Wertung verhinderte. Dennoch verdienen sie es, mit viel Mitgefühl erwähnt zu werden (Noten in Klammer): „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ (1,5), einer der schönsten Filme der letzten Jahre; das unter die Haut gehen Schuldrama „Klass“ (1,5); das wunderschöne Tolstoi-Biopic „Ein russischer Sommer“ (2,25); die charmante Komödie „Mrs. Potter“ (2,5); Jason Reitmans mal bissige, mal nette Komödie „Up in the Air“ (2,5) und Steven Soderberghs epochales Che Guevara-Biopic „Che 1 & 2“ (2,5) – alles Kandidaten für Platz 1, hätte sie doch nur jemand gesehen! Und natürlich „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“

In der Jahreswertung landeten 51 Filme, das ist leider sehr wenig, da von uns früher Zahlen von 70 – 100 erreicht wurden. Auch die Noten waren früher besser und es ist schon bemerkenswert, dass wir im letzten Jahr keinen Film mit einem Notenschnitt von unter 2 dabei hatten.
Das war’s für 2010. Schauen wir mal, ob das nächste Jahr besser wird.

Montag, 24. Januar 2011

The Social Network

USA 2010 - Regie: David Fincher - Darsteller: Jesse Eisenberg, Andrew Garfield, Justin Timberlake, Brenda Song, Rashida Jones, Joseph Mazzello, Rooney Mara, Malese Jow, Armie Hammer, Max Minghella - FSK: ab 12 - Länge: 121 min.

David Finchers Biopic über den „Facebook“-Initiator Mark Zuckerberg ist eine verschachtelte und sehr distanzierte Betrachtung des verstrickten Rechtsstreits um die möglicherweise populärste Web-Community der Gegenwart. Das Hauptproblem des Films ist sein Sujet: Fincher präsentiert einen gerissenen Nerd, der (vermutlich) seine Freunde übers Ohr gehauen hat und nicht einmal als Negativfigur richtig funktioniert. Filme mit einer lauwarmen Hauptfigur sind selten erfreulich. Fincher schafft den Spagat, ohne dass rechte Freude aufkommt.
Als der Harvard-Student Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg, „Zombieland“) an einem herbstlichen Abend des Jahres 2003 von seiner Freundin den Laufpass erhält, ist die Figur bereits klar konturiert: das junge Computergenie ist weitgehend empathiefrei und auf eine naive Weise arrogant – und, so stellt seine Freundin Erica fest, „einfach ein Arschloch“. So schafft man sich keine Freunde.
Um sich für die Abfuhr zu rächen, hackt Mark den Campus-Server und stellt kurz entschlossen mit FaceMash eine Site ins Netz, die es seinen männlichen Kommilitonen erlaubt, die weiblichen Studentinnen der Elite-Universität einem Sex Appeal-Rating zu unterziehen. Die Seite wird ein Hit.
Schon bald werden mit Cameron und Tyler Winklevoss zwei Upper Class-Studenten auf Zuckerberg aufmerksam. Ihre Idee ist einfach: ein elitäres soziales Web-Netzwerk zu entwickeln, für das Zuckerberg der geeignete Programmierer zu sein scheint. Zuckerberg lässt sich überzeugen, taucht dann aber ab und programmiert auf eigene Faust und finanziell unterstützt von seinem engen Freund Eduardo Saverin (der neue „Spider-Man“ Andrew Garfield) ein eigenes Projekt: thefacebook.com. Es ähnelt, zumindest in groben Zügen, der Vision der Winklevoss-Zwillinge. Der Ärger ist natürlich vorprogrammiert.

„Ich rede davon, sämtliche sozialen Erlebnisse im College online zu stellen.“
„Facebook“ hat Mark Zuckerberg zum jüngsten Milliardär aller Zeiten gemacht. Der Weg an die Spitze war mit Prozessen und ruinierten Beziehungen gepflastert.
Während sich Zuckerberg mit den Ansprüchen des eiskalt abservierten Saverin und den Urheberrechtsansprüchen der Winklevoss-Brüder auseinandersetzen muss, rollt Fincher diesen Aspekt der Story mit einer Serie von Flashbacks auf, die zweifellos einige Innenansichten des Facebook-Gründers und auch einige Spotlights auf die Web-Kultur erlauben. Die Aktualität des Sujets ist auch dessen größtes Problem, denn immer noch scheint die Frage nach der Urheberschaft des Ganzen umstritten zu sein. Umstritten ist deshalb auch die Authentizität des Films, die – je nach Position der Betroffenen – im höchsten Maße gelobt wird, während die Pro-Zuckerberg-Fraktion eher Zweifel anmeldet.

 Fincher hat sich mit Zodiac (2007) auf etwas Ähnliches eingelassen, nur hatte man dort den Eindruck, dass sich Realität und Mythos einigermaßen die Waage gehalten haben. Das lag auch daran, dass Fincher in Zodiac neben dem obligatorischen „Whodunit“-Plot auch gelungene Portraits der Killer-Fahnder abgeliefert hat, deren Obsession beim Zuschauer durchaus Teilnahme und Sympathie auslösen konnte. Zumindest ging mir das so, während die „Facebook“-Kultur und die Beweggründe ihrer Fans mir leider ebenso verschlossen bleiben wie die Motive des fiktiven Zuckerberg, der irgendwo zwischen eiskalt und infantil verortet ist. Vermutlich liegt dies daran, dass für mich das fröhliche Exhibitionieren im World Wide Web irgendwie wesensfremd geblieben ist. Allein schon die spektakuläre Laxheit der Betreiber im Umgang mit persönlichen Daten jagt mir kalte Schauer über den Rücken.
Auf der anderen Seite ist es aus kulturkritischer Sicht sicher ein Phänomen allererste Güte, wenn man mit einer an sich recht schlichten Idee den Zeitgeist mitten ins Mark trifft und plötzlich Millionen scheffelt. Es ist der auf brachiale Weise fleischgewordene American Dream, der sich hier austobt.
Derartige Reflexionen tauchen in „The Social network“ höchstens am Rande auf, was man dem Film allerdings nicht vorwerfen mag, hat Fincher sein Thema doch eindeutig definiert: es geht um den Aufstieg eines jungen Mannes, der seine Post-Adoleszenz-Probleme auf grandiose Art vergoldet und dabei in das Netzwerk gewiefter Haifische im undurchsichtigen Geflecht atemberaubender finanzieller Transaktionen gerät. Sei es nun der Mitgründer der Musiktauschbörse Napster Sean Parker (Justin Timberlake) oder der hoch-intelligente PayPal-Finanzier Peter Thiel (über den man wahrscheinlich einen noch interessanteren Film machen könnte) – die Liste der Geldgeber, die das Projekt entschlossen pushten, ist lang: sie reicht von Microsoft bis hinzu Goldman Sachs und Mail.ru. Auf 50 Milliarden US-Dollar wird Facebook geschätzt und Zuckerberg hält 24% des Unternehmens.

Konventionelles Portrait einer Schattenwelt
Zum Glück hat sich David Fincher nicht vom hektischen Gebaren dieser Schattenwelt anstecken lassen. „The Social Network“ ist ein erstaunlich ruhiger und konventioneller Film, dessen Montage erstaunlich wenig persönlichen Stil erkennen lässt. Nur einmal, als Fincher ein traditionsreiches Ruderrennen ins Bild setzt, blitzt sein Gespür für beeindruckende Motivwahl und eleganten Rhythmus auf.
Vielleicht ist der gelassene und distanzierte Erzählstil auch angemessen. Während sich die Figuren Finchers im Rausch des Geldverdienens beschleunigen und selbst enge Freunde Zuckerbergs auf der Strecke bleiben, tritt Fincher immer wieder auf die Bremse und konterkariert damit das irrwitzige Tempo einer fremdartigen Welt. Vielleicht ist das auch gewollt und am Ende wird man „The Social Network“ in einigen Jahren als das sehen, was auch Oliver Stones „Wall Street“ einmal gewesen ist: das Portrait einer menschenfeindlichen Kultur, die eine simple Kontaktbörse in eines der erfolgreichsten Geschäftsmodelle der Gegenwart verwandelt hat. Das Wesen dieser Kultur erkennt man nur erkennt, wenn man einen Blick hinter die Kulissen wirft oder eine persönliche Tragödie shakespeareschen Ausmaßes skizziert. Aber „The Social Network“ ist nicht Citizen Kane und Zuckerberg hat auch kein „Rosebud“-Geheimnis.
Im Falle von „Wall Street“ hat die Realität den Film längst überholt. Hoffen wir, dass dies nicht mit „The Social Network“ geschieht, denn ich habe gewisse Zweifel, ob ich mich in diesen neuen Zeitläuften wohl fühlen würde.

Note: BigDoc = 2,5

Mittwoch, 19. Januar 2011

My Son, My Son, What Have Ye Done

USA, Deutschland 2009, Laufzeit: 91 Minuten, Regie: Werner Herzog. Drehbuch: Herbert Golder, Werner Herzog. Darsteller: Willem Dafoe, Chloë Sevigny, Brad Dourif, Michael Shannon, Loretta Devine, Udo Kier, Michael Peña, Grace Zabriskie, Irma P. Hall, James C. Burns, Verne Troyer

Ein junger Mann ersticht seine dominante Mutter mit einem Säbel: basierend auf einer wahren Geschichte lässt sich Werner Herzog in „My Son, My Son, What Have Ye Done“ auf die ungewöhnliche Darstellung einer Psychose ein und verletzt wieder einmal die am Mainstream orientierten Sehgewohnheiten durch eine besondere Sensibilität, die selbst etwas ver-rückt zu sein scheint.

Detective Hank Havenhurst (Willem Dafoe) wird mit seinem Partner Vargas in einen Vorort von San Diego gerufen, um einen Mord aufzuklären. Der vermeintliche Täter hat sich in einem Nachbarhaus mit zwei Geiseln verschanzt und natürlich droht der Einsatz eines SWAT-Teams, das wenig zimperlich sein wird. Havenhurst nutzt die Zeit, um durch Gespräche mit Nachbarn, Freunden und Bekannten herauszufinden, was Brad McCullum bewogen haben mag, seine Mutter mit einem Säbel aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg umzubringen. Schon bald wird klar, dass sich Brad nach der Rückkehr von einer Rafting-Expedition in Peru, bei der seine Freunde ertrunken sind, auf seltsame Weise verändert hat. Und immer deutlicher wird, dass Brads fast obsessive Identifikation mit seiner Rolle in der Theatergruppe seines Freundes Lee Myers (Udo Kier) ein besonderer Katalysator ist: Brad spielt den Orestes in der Orestie des Aischylos, jenen tragischen Helden, der seine Mutter tötet, um einen Königsmord zu rächen.

Die Figuren starren uns an
Im Filmclub stieß Herzogs Erzählstil bei einigen Teilnehmern auf vehementen Widerstand. Weder wurde die Figur des immer fremdartiger werdenden Muttermörders im Sinne eines empathischen Einfühlens verstanden, noch konnte Herzogs sperriger Stil die ziemlich erbosten Kritiker überzeugen.
Offen gesagt ging es mir zunächst nicht anders: ich empfand bei den sehr abrupten Flashbacks, mit denen Herzog den psychischen Kollaps seiner Hauptfigur aufdröselt, und den nicht immer nachvollziehbaren Übergängen ein leichtes Unbehagen. Auch der typische Herzog-Touch der eckigen und etwas gestelzten Dialoge ist gewöhnungsbedürftig. Sicher ist auch nachzuvollziehen, dass einige Herzogsche Manierismen blankes Unverständnis bei dem einen oder anderen auslösen, etwa wenn die Darsteller zu einem Tableau erstarren und minutenlang aus der Kadrierung heraus den Zuschauer anstarren. Erst recht dann, wenn ein Zwerg in diesem Ensemble auftaucht. Warum ist der dort? Nur sollte man sich fragen, warum der Bruch der Perspektive so beunruhigt, ein Bruch, der vom auktorialen Erzähler zu einer extrem subjektiven Gegenperspektive führt. Beunruhigt der ‚Gegenschuss’ auf uns, den Zuschauer, der uns aus der Distanz in das Bild hineinholen will?

Portrait des seelischen Zerfalls
Nach einer Stunde wurde dann bei mir der Hebel umgelegt und auf sehr ungewöhnliche Weise erlebte ich ein Gefühl des nicht-begrifflichen Verstehens. So etwas kann sehr beunruhigend sein, wenn man gewöhnt ist, mit einer raschen sprachlichen Taxierung allem Fremdartigen einen Begriff und damit eine Erklärung zuzuordnen. Und plötzlich erkannte ich, dass die Bildmetaphern Herzogs und die verzweifelten Versuche seiner Hauptfigur, ein kollabierendes Netzwerk alter Bedeutungen durch neue zu ersetzen, vermutlich zunächst emotional greifbar gemacht werden müssen. Egal, ob der ver-rückte Brad in einem Gospel-Oldie die Stimme Gottes heraushört oder dessen Anlitz auf einer Haferflockendose erkennt, immer sieht man auch, wie sich sein zerfallender Verstand unter großen Anstrengungen um neue Bedeutungen und Ordnungsmuster bemüht, ja darum kämpft, während alles Vertraute im Chaos versinkt.
Psychologisches Kino ist das nicht und vermutlich muss man sich auch hüten, die Rolle der griechischen Tragödie in Herzogs Film überzubewerten. Griffige Erklärungen sind nicht Herzogs Sache.

Wir finden keine Bedeutungen, die Bedeutungen finden uns
Herzog hat in dem von David Lynch produzierten Film wieder eine Reihe skurriler Figuren versammelt. So spielt Brad Dourif als Uncle Ted einen durchgeknallten Straußenfarmer, während Grace Zabriskie („Wild at heart“) als beklemmend-einschnürende Mutter durchaus ihrem Rollentyp entspricht.
Nicht nur das verbindet ihn mit Lynch, sondern auch das Desinteresse an rationalen Erklärungen und vertrauten narrativen Mustern. Während Lynch („Blue Velvet“, „Wild at Heart“) in seinen Provokationen immer auch einer Ästhetik des Hässlichen frönt, geht es bei Werner Herzog bescheidener zu: ihm genügt schon der etwas andere Blick, der seine Figuren ver-rückt macht und uns aus der normalen Wahrnehmung herausrückt
Es gibt eine schöne Szene in „My Son, My Son“: Lee (Udo Kier passt wunderbar in dieses Ensemble) holt Brad am Flughafen von Calgary ab. Brad will sie Uraufführung der Orestie nicht verpassen, obwohl er schon vor einiger Zeit wegen seiner bizarren Auftritte und ständigen Störungen von Myers aus der Theatergruppe geworfen wurde. Im Flughafen entdeckt Brad ein Gebilde aus Röhren, dem man nicht ansieht, ob es nun eine architektonische Spielerei ist oder etwas Funktionales. Nur Brad erkennt in diesen ‚Zeittunneln’ den idealen Ort für die Aufführung, eine Idee, die von seinen Freunden als peinlich und lächerlich beiseite geschoben wird. Brads Verrücktheit erkennt die schöne Symbolik der Konstruktion, wonach die Röhren ein Verbindungsglied zwischen der über zwei Jahrtausende alten Tragödie des Aischylos und der Gegenwart sein können – wenn man sie so sehen kann. Psychiater nennen dies übrigens die ‚Klarheit des Psychotikers’.

Das alles hat bei Herzog wenig mit „A Beautiful Mind“ oder den Psychopathen des Genres-Kinos zu tun, sondern findet seinen Ausdruck in einer eigenen Sprache, die uns ein wenig die Sicherheit beim Hinschauen nimmt, zumindest aber den ‚normalen’ Blick auf die Dinge.  Immer dann, wenn man bei Herzog einen Schnitt erwartet, kann man sich darauf verlassen, dass eben dieser nicht erfolgt. Die Kamera schaut und schaut und hört nicht auf damit, auch wenn in einer dokumentarisch anmutenden Wochenmarktszene in einem asiatischen Land kein Bezug zur Handlung mehr erkennbar ist und die Gefilmten zurückstarren und uns anblicken.
Eins wird damit klar: Herzog sprengt unsere Sehgewohnheiten weg.
Vielleicht wäre es in diesem Zusammenhang ganz nützlich, sich daran zu erinnern, dass ‚filmisches Verstehen’ weißgott nicht immer ein Akt freier Ausdeutung ist, sondern durch die erlernte Grammatik des Kinos bestimmt wird. Und die haben wir im Laufe der Kino-Zeiten erworben und damit auch die Bevorzugung einer psychologisch motivierten objektiv-realistischen Perspektive, die uns vielleicht zu oft griffige Bedeutungen liefert.
Wir suchen immer nach ihnen, diesen Bedeutungen. Herzog untergräbt diese Perspektive und seine Figuren starren uns an.

Postscriptum: Auf Critic.de schreibt Robert Zimmermann sehr einfühlsam: „My Son My Son, What Have Ye Done liefert keine Erklärungen, das eigentümlich poetische Gesamtbild bleibt nur emotional begreiflich…“.

Noten: BigDoc = 2, Klawer = 2,5, Mr. Mendez = 4,5, Melonie = 4

Freitag, 7. Januar 2011

Top Ten 2010

Die besten Filme 2010
Nach einer längeren Zwangspause, in der leider von mir nichts veröffentlicht wurde, soll nun wenigstens zum Jahresende die Liste der besten 20 Filme veröffentlicht werden. Ungewöhnlich im Vergleich mit den zurückliegenden Jahren: vier Filme schafften es auf den geteilten 1.-4. Platz. 
Da wir häufiger DVDs sehen als ins Kino gehen, gibt es im FILMCLUB häufig eine kleine zeitliche Verschiebung, sodass auch Filme, die eigentlich ins Kinojahr 2009 gehören, in unserer Bestenliste landen.  Man möge uns dies nachsehen. Für gravierender halte ich indes die spürbare inhaltliche Verschiebung, die auch im vergangenen Jahr dazu führte, dass die meisten Mainstream-Filme uns nicht erreichten, weil sie in der Regel die wenigsten von uns wirklich interessieren. Dafür haben kleinere Außenseiter-Produktionen traditionell gute Chancen, bei uns auf einem Top-Platz zu landen. Persönlich halte ich dies für sehr aufschlußreich, denn das, was Kinokultur ist, wird meiner Meinung nach durch das repräsentiert, was die Mehrheit sieht. Und hier gilt die alte Hollywood-Regel, dass die Hausfrau abends im Kino kein realistisches Sozialdrama über eine Hausfrau sehen will. 
Wenn der Leser dieses Blogs etwas nach unten scrollt, wird er die erfolgreichsten Kassenhits finden - und das sind Filme, in denen gelacht werden darf, auch wenn dies immer häufiger in Remakes und eher leichter Kost stattfindet, die auch mal kräftig unter die Gürtellinie zielen darf.
Der sogenannte "gute" Film, der Qualität repräsentiert, gehört dagegen den Cineasten und so wird es auch bleiben, machen wir uns da nichts vor. Schlimm ist das nicht, zumal der Cineast, wenn er denn ehrlich ist, auch gut unterhalten werden möchte. Es definiert dies halt etwas anders. Unter diesem Blickwinkel wünsche ich allen Lesern viel Spaß bei den Top-Charts des Filmclubs, auch wenn diese bei dem einen oder anderen etwas Erstaunen auslösen werden.Weltweit und auch in Deutschland waren die Animationsfilme (auch in 3-D) auf dem Vormarsch.Zu ihnen der Publikumshit „Up“, ein wirklich sehenswerter und bei aller Melodramatik sehr schlagfertiger Animationsfilm, der nicht nur alt gewordenen Zeitgenossen mit der optimistischen Philosophie des Mainstreams zeigt, dass man nie die Flinte ins Korn werfen soll. Lakonisch, sarkastisch, aber auch melo-dramatisch: erfreulicherweise hat das Genre die küchenfertigen Botschaften à la Disney überwunden und präsentiert sich immer häufiger von seiner intelligenten Seite. Das Ergebnis: blendende, witzige Unterhaltung.

Ebenfalls auf dem geteilten 1. Platz landete H.C. Schmidts unter die Haut gehendes Polit-Drama Sturm, das eine Klasse besser ist als Roman Polanskis gefeierter Ghostwriter, der nun wirklich nicht schlecht ist. Die Geschichte um einen serbischen Kriegsverbrecher vor dem Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ist auf den ersten Blick als Polit-Thriller zu klassifizieren, zeigt auf den zweiten, wohl entscheidenden Blick das Dilemma eines Justizapparates, der durch disparate taktische Interessen gelähmt wird. So viel Realismus in einem dialog-lastigen Film dürfte heutige Kinogänger kalt lassen oder das Popcorn bleibt ihnen im Halse stecken. Sturm wurde mit dem Preis der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ausgezeichnet. Wenige Monate später erhielt Regisseur Hans-Christian Schmid den Friedenspreis des Deutschen Films zugesprochen.Bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2010 erhielt Sturm den Filmpreis in Silber.

Auch Inception landete auf Platz 1 (vielleicht auch, weil ihn Mr. Mendez nicht gesehen hat :-)). Christopher Nolan hat nicht nur einen ungewöhnlichen Thriller vorgelegt, sondern auch gezeigt, dass ihm nach The dark Knight keineswegs die Ideen ausgegangen sind. Mit Inception kehrte Nolan zu einem seiner Lieblingsthemen zurück und beschreibt die Fragilität des an sich zweifelnden Ichs in einer Geschichte, in der die Regeln von Zeit (wie in Memento) und Raum völlig aufgehoben werden. Es hat mich überrascht, dass ein Film, der seinen Plot so raffiniert über-konstruiert, beim breiten Publikum ungewöhnlich gut aufgenommen wurde. Im Kern ist Inception eine tragische Love Story, die nichts Wichtiges bereithält, auch der finale Twist der Story wirkt aufgesetzt, deshalb gab es von mir Abzüge. Dies schmälert allerdings nicht das Vergnügen an einem spektakulären Caper-Thriller, wie man ihn (ich wage da eine Prognose) so schnell nicht wieder sehen wird.

Die Welt ist groß und Rettung lauert überall von Ilija_Trojanow schaffte kurz vor Ladenschluss noch den Sprung auf Platz 1-4. Einige Club-mitglieder waren etwas enttäuscht, weil sie eine Komödie erwartet hatten. Die Geschichte Alexandars, der mit seiner Familie aus dem kommunistischen Bulgarien flieht und den eine Odyssee nicht nur in ein italienisches Flüchtlingslager, sondern Jahre später nach einem folgenschweren Unfall auch in die totale Amnesie führt, ist eine ungewöhnliche Tragikomödie, die dank des großartigen serbischen Schauspieler Miki Manojlović (er spielt den lebensklugen Onkel Alexandars) ein sehr warmherziger und kluger Film geworden ist. Ausgezeichnet wurde Die Welt ist groß mit dem Publikumspreis des 12. Sofia Film Festivals 2008 sowie dem Publikumspreis des Zürich Filmfestivals 2008.

Fünfter wurde Der phantastische Mr. Fox, ein Film, den man von Wes Anderson nach seinem umstrittenen The Royal Tenenbaums nicht unbedingt erwarten konnte. Dass dieser Animationsfilm mit der als veraltet geltenden Stop-Motion-Technik arbeitet, ist schon eine Bemerkung wert. Dass das Ergebnis im Sinne des Filmtitels phantastisch ist, zieht ein zweite nach sich. Mr. Fox ist ein absolut erwachsener und sehr gebildeter Fuchs mit einem realistischen Verhältnis zu seinen tierischen Instinkten. Die Intellektualität des Films war einer auflagenstarken Zeitschrift offenbar zu viel: sie sah einen Film „ohne Herz“. Dafür besitzt er sehr viel Verstand und Lebensklugkeit.

Grant Heslov, der früher mit Congo, Dante’s Peak und The Scorpion King aufgefallen ist, hatte mit Good Night, and Good Luck ein gutes Stück Polit-Kino über die McCarthy-Ära vorgelegt, das möglicherweise daran scheiterte, dass die meisten Amerikaner heute nicht mehr wissen, wer McCarthy überhaupt war. In Männer die auf Ziegen starren erzählt Heslov eine leicht überdrehte Satire über den Einsatz para-psychologischer Kampftechniken durch die US-Army, die vom Vietnam- bis zum Irak-Krieg reicht und mit George Clooney, Ewan McGregor, Kevin Spacey und Jeff Bridges exzellent besetzt ist. Es gibt zahlreiche witzige Anspielungen, der Film ist auch einigermaßen unterhaltend, hat aber zumindest bei mir keinen dauerhaften Eindruck hinterlassen.

Fatih Akins „Soul Kitchen ist eine jener regional eingestimmten Komödien, die das große erzählerische Potential des deutsch-türkischen Regissuers unter Beweis stellen. Milieu, Sprache, Typen – alles Hamburg pur. Und so erhielt die Geschichte einer Gourmet-Frikadellen-Bude nicht zu Unrecht 2009 mit dem Silbernen Löwen die zweitwichtigste Auszeichnung in Venedig.

Boy A von John Crowley stammt aus dem Jahre 2007, schlug aber erst drei Jahre später bei uns als DVD im Filmclub auf. Die Geschichte eines jungen Mannes, der als Kind einen Mord beging und nach vielen Jahren aus der Haft entlassen wird, ist ein Sozialdrama, das in erster Linie von seinen guten Darstellern getragen wird, u.a. Peter Mullan (bekannt auch aus Red Riding) als engagierter Sozialarbeiter. Terry, der als Boy A durch die Presse geisterte und nach seiner Entlassung Opfer einer Hetzjagd der Medien wird, löste im Filmclub heftige Diskussionen aus. Auf der einen Seite wirbt der Film vehement für den Gedanken der Resozialisierung, auf der anderen Seite zeigt er (zumindest aus meiner Sicht) den bestialischen Mord, den zwei Kinder an einem Mädchen begehen, nicht in seiner ganzen Drastik. Und so lautete bei uns die nicht ganz beantwortete Frage, ob der Film die Zuschauerwahrnehmung zugunsten einer positiven Wahrnehmung der Hauptfigur manipuliert.

District 9 von Neil Blomkamp ist bereits 2009 im Filmclub gelaufen, erhielt damals aber keine Wertung, weil er nur von zwei Mitgliedern gesehen wurde. Dies hat sich nun geändert und mit dem 9. Platz zeigte sich, dass es sich gelohnt hat, den ungewöhnlichen Sci-Fi-Film noch einmal ins Rennen zu schicken.

Umstritten war in Brasilien die semi-dokumentarische Milieustudie Tropa de Elite (ebenfalls aus dem Jahr 2007), in der José  Padilha die Geschichte eines Spezialkommandos im Kampf gegen die Drogengangs in den Favelas von Rio de Janeiro zeigt. Zu Recht: der Film zieht den Zuschauer durchaus in den Bann, was weniger dem umfassend gut recherchierten Plot zu verdanken ist, sondern der suggestiven Dramatik, die den Zuschauer auf die Seite der „guten“, aber letztlich doch amoralischen Helden zieht – übrigens ein bekanntes Film noir-Motiv. Tropa de Elite ist nicht der einzige Film, der in der zurückliegenden Kino-Dekade ein gewisses Verständnis für Rache und Selbstjustiz aufkommen lässt und damit über die Strategie Auskunft gibt, mit der Filme so geschickt ideologisch manipulieren können. 2008 erhielt der Film auf der Berlinale den Goldenen Bären als bester Film, was das Hamburger Abendblatt irritierend fand.
So, das waren unsere Top Ten. In Kürze erscheint ein Report über die Plätze 11-20. Allerdings habe ich das Gefühl, dass an dieser Stelle ruhig erklärt werden sollte, warum einige Kino-Hits 2010 nicht den Weg in unsere Charts gefunden haben. Ganz einfach: wenn nicht mehr als zwei Filmclubberer den Film gesehen haben, erhält er keine Wertung in der Hauptliste. Schauen wir uns doch erst einmal an, was im vergangenen Jahr in Deutschland der „Renner“ war (in Klammer: die Anzahl der Club-Views, also derjenigen, die den Film gesehen haben).

Top Ten nach Zuschauern (Deutschland)
Absoluter Hit war Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (2) mit über 5 Mio Zuschauern, gefolgt von Eclipse – Biss zum Abendrot (2) mit 3,7 Mio. Dritter wurde Inception (Filmclub: 3. Platz) mit 3,4 Mio. 4. Platz: Alice im Wunderland (2), 2,9 Mio. 5. Platz: Sex in the City 2 (0), 2,5 Mio. Von den Filmen auf Platz 6-9 habe noch nicht einmal gewusst, dass es sie gibt: Ich – einfach unverbesserlich, Für immer Shrek, Kindsköpfe; erst mit Sherlock Holmes (bei uns Platz 20) kann der an sich nicht sonderlich elitäre Kritiker wieder etwas anfangen. Und auf Platz 10: Prince of Persia.

Top Ten nach Einspielergebnis (weltweit)
– Toy Story 3
– Alice im Wunderland
– Inception
– Für immer Shrek
– Eclipse – Bis(s) zum Abendrot
– Iron Man 2
– Kampf der Titanen
– Drachenzähmen leicht gemacht
– Karate Kid
– Ich – Einfach unverbesserlich

Vielleicht springen wir ja doch über unsere Schatten und schauen uns im nächsten Jahr den einen oder anderen Blockbuster an. Damit beende ich Teil 1 meiner Review und wünsche allen viel Spaß im neuen Kinojahr 2011!