Freitag, 7. Januar 2011

Top Ten 2010

Die besten Filme 2010
Nach einer längeren Zwangspause, in der leider von mir nichts veröffentlicht wurde, soll nun wenigstens zum Jahresende die Liste der besten 20 Filme veröffentlicht werden. Ungewöhnlich im Vergleich mit den zurückliegenden Jahren: vier Filme schafften es auf den geteilten 1.-4. Platz. 
Da wir häufiger DVDs sehen als ins Kino gehen, gibt es im FILMCLUB häufig eine kleine zeitliche Verschiebung, sodass auch Filme, die eigentlich ins Kinojahr 2009 gehören, in unserer Bestenliste landen.  Man möge uns dies nachsehen. Für gravierender halte ich indes die spürbare inhaltliche Verschiebung, die auch im vergangenen Jahr dazu führte, dass die meisten Mainstream-Filme uns nicht erreichten, weil sie in der Regel die wenigsten von uns wirklich interessieren. Dafür haben kleinere Außenseiter-Produktionen traditionell gute Chancen, bei uns auf einem Top-Platz zu landen. Persönlich halte ich dies für sehr aufschlußreich, denn das, was Kinokultur ist, wird meiner Meinung nach durch das repräsentiert, was die Mehrheit sieht. Und hier gilt die alte Hollywood-Regel, dass die Hausfrau abends im Kino kein realistisches Sozialdrama über eine Hausfrau sehen will. 
Wenn der Leser dieses Blogs etwas nach unten scrollt, wird er die erfolgreichsten Kassenhits finden - und das sind Filme, in denen gelacht werden darf, auch wenn dies immer häufiger in Remakes und eher leichter Kost stattfindet, die auch mal kräftig unter die Gürtellinie zielen darf.
Der sogenannte "gute" Film, der Qualität repräsentiert, gehört dagegen den Cineasten und so wird es auch bleiben, machen wir uns da nichts vor. Schlimm ist das nicht, zumal der Cineast, wenn er denn ehrlich ist, auch gut unterhalten werden möchte. Es definiert dies halt etwas anders. Unter diesem Blickwinkel wünsche ich allen Lesern viel Spaß bei den Top-Charts des Filmclubs, auch wenn diese bei dem einen oder anderen etwas Erstaunen auslösen werden.Weltweit und auch in Deutschland waren die Animationsfilme (auch in 3-D) auf dem Vormarsch.Zu ihnen der Publikumshit „Up“, ein wirklich sehenswerter und bei aller Melodramatik sehr schlagfertiger Animationsfilm, der nicht nur alt gewordenen Zeitgenossen mit der optimistischen Philosophie des Mainstreams zeigt, dass man nie die Flinte ins Korn werfen soll. Lakonisch, sarkastisch, aber auch melo-dramatisch: erfreulicherweise hat das Genre die küchenfertigen Botschaften à la Disney überwunden und präsentiert sich immer häufiger von seiner intelligenten Seite. Das Ergebnis: blendende, witzige Unterhaltung.

Ebenfalls auf dem geteilten 1. Platz landete H.C. Schmidts unter die Haut gehendes Polit-Drama Sturm, das eine Klasse besser ist als Roman Polanskis gefeierter Ghostwriter, der nun wirklich nicht schlecht ist. Die Geschichte um einen serbischen Kriegsverbrecher vor dem Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ist auf den ersten Blick als Polit-Thriller zu klassifizieren, zeigt auf den zweiten, wohl entscheidenden Blick das Dilemma eines Justizapparates, der durch disparate taktische Interessen gelähmt wird. So viel Realismus in einem dialog-lastigen Film dürfte heutige Kinogänger kalt lassen oder das Popcorn bleibt ihnen im Halse stecken. Sturm wurde mit dem Preis der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ausgezeichnet. Wenige Monate später erhielt Regisseur Hans-Christian Schmid den Friedenspreis des Deutschen Films zugesprochen.Bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2010 erhielt Sturm den Filmpreis in Silber.

Auch Inception landete auf Platz 1 (vielleicht auch, weil ihn Mr. Mendez nicht gesehen hat :-)). Christopher Nolan hat nicht nur einen ungewöhnlichen Thriller vorgelegt, sondern auch gezeigt, dass ihm nach The dark Knight keineswegs die Ideen ausgegangen sind. Mit Inception kehrte Nolan zu einem seiner Lieblingsthemen zurück und beschreibt die Fragilität des an sich zweifelnden Ichs in einer Geschichte, in der die Regeln von Zeit (wie in Memento) und Raum völlig aufgehoben werden. Es hat mich überrascht, dass ein Film, der seinen Plot so raffiniert über-konstruiert, beim breiten Publikum ungewöhnlich gut aufgenommen wurde. Im Kern ist Inception eine tragische Love Story, die nichts Wichtiges bereithält, auch der finale Twist der Story wirkt aufgesetzt, deshalb gab es von mir Abzüge. Dies schmälert allerdings nicht das Vergnügen an einem spektakulären Caper-Thriller, wie man ihn (ich wage da eine Prognose) so schnell nicht wieder sehen wird.

Die Welt ist groß und Rettung lauert überall von Ilija_Trojanow schaffte kurz vor Ladenschluss noch den Sprung auf Platz 1-4. Einige Club-mitglieder waren etwas enttäuscht, weil sie eine Komödie erwartet hatten. Die Geschichte Alexandars, der mit seiner Familie aus dem kommunistischen Bulgarien flieht und den eine Odyssee nicht nur in ein italienisches Flüchtlingslager, sondern Jahre später nach einem folgenschweren Unfall auch in die totale Amnesie führt, ist eine ungewöhnliche Tragikomödie, die dank des großartigen serbischen Schauspieler Miki Manojlović (er spielt den lebensklugen Onkel Alexandars) ein sehr warmherziger und kluger Film geworden ist. Ausgezeichnet wurde Die Welt ist groß mit dem Publikumspreis des 12. Sofia Film Festivals 2008 sowie dem Publikumspreis des Zürich Filmfestivals 2008.

Fünfter wurde Der phantastische Mr. Fox, ein Film, den man von Wes Anderson nach seinem umstrittenen The Royal Tenenbaums nicht unbedingt erwarten konnte. Dass dieser Animationsfilm mit der als veraltet geltenden Stop-Motion-Technik arbeitet, ist schon eine Bemerkung wert. Dass das Ergebnis im Sinne des Filmtitels phantastisch ist, zieht ein zweite nach sich. Mr. Fox ist ein absolut erwachsener und sehr gebildeter Fuchs mit einem realistischen Verhältnis zu seinen tierischen Instinkten. Die Intellektualität des Films war einer auflagenstarken Zeitschrift offenbar zu viel: sie sah einen Film „ohne Herz“. Dafür besitzt er sehr viel Verstand und Lebensklugkeit.

Grant Heslov, der früher mit Congo, Dante’s Peak und The Scorpion King aufgefallen ist, hatte mit Good Night, and Good Luck ein gutes Stück Polit-Kino über die McCarthy-Ära vorgelegt, das möglicherweise daran scheiterte, dass die meisten Amerikaner heute nicht mehr wissen, wer McCarthy überhaupt war. In Männer die auf Ziegen starren erzählt Heslov eine leicht überdrehte Satire über den Einsatz para-psychologischer Kampftechniken durch die US-Army, die vom Vietnam- bis zum Irak-Krieg reicht und mit George Clooney, Ewan McGregor, Kevin Spacey und Jeff Bridges exzellent besetzt ist. Es gibt zahlreiche witzige Anspielungen, der Film ist auch einigermaßen unterhaltend, hat aber zumindest bei mir keinen dauerhaften Eindruck hinterlassen.

Fatih Akins „Soul Kitchen ist eine jener regional eingestimmten Komödien, die das große erzählerische Potential des deutsch-türkischen Regissuers unter Beweis stellen. Milieu, Sprache, Typen – alles Hamburg pur. Und so erhielt die Geschichte einer Gourmet-Frikadellen-Bude nicht zu Unrecht 2009 mit dem Silbernen Löwen die zweitwichtigste Auszeichnung in Venedig.

Boy A von John Crowley stammt aus dem Jahre 2007, schlug aber erst drei Jahre später bei uns als DVD im Filmclub auf. Die Geschichte eines jungen Mannes, der als Kind einen Mord beging und nach vielen Jahren aus der Haft entlassen wird, ist ein Sozialdrama, das in erster Linie von seinen guten Darstellern getragen wird, u.a. Peter Mullan (bekannt auch aus Red Riding) als engagierter Sozialarbeiter. Terry, der als Boy A durch die Presse geisterte und nach seiner Entlassung Opfer einer Hetzjagd der Medien wird, löste im Filmclub heftige Diskussionen aus. Auf der einen Seite wirbt der Film vehement für den Gedanken der Resozialisierung, auf der anderen Seite zeigt er (zumindest aus meiner Sicht) den bestialischen Mord, den zwei Kinder an einem Mädchen begehen, nicht in seiner ganzen Drastik. Und so lautete bei uns die nicht ganz beantwortete Frage, ob der Film die Zuschauerwahrnehmung zugunsten einer positiven Wahrnehmung der Hauptfigur manipuliert.

District 9 von Neil Blomkamp ist bereits 2009 im Filmclub gelaufen, erhielt damals aber keine Wertung, weil er nur von zwei Mitgliedern gesehen wurde. Dies hat sich nun geändert und mit dem 9. Platz zeigte sich, dass es sich gelohnt hat, den ungewöhnlichen Sci-Fi-Film noch einmal ins Rennen zu schicken.

Umstritten war in Brasilien die semi-dokumentarische Milieustudie Tropa de Elite (ebenfalls aus dem Jahr 2007), in der José  Padilha die Geschichte eines Spezialkommandos im Kampf gegen die Drogengangs in den Favelas von Rio de Janeiro zeigt. Zu Recht: der Film zieht den Zuschauer durchaus in den Bann, was weniger dem umfassend gut recherchierten Plot zu verdanken ist, sondern der suggestiven Dramatik, die den Zuschauer auf die Seite der „guten“, aber letztlich doch amoralischen Helden zieht – übrigens ein bekanntes Film noir-Motiv. Tropa de Elite ist nicht der einzige Film, der in der zurückliegenden Kino-Dekade ein gewisses Verständnis für Rache und Selbstjustiz aufkommen lässt und damit über die Strategie Auskunft gibt, mit der Filme so geschickt ideologisch manipulieren können. 2008 erhielt der Film auf der Berlinale den Goldenen Bären als bester Film, was das Hamburger Abendblatt irritierend fand.
So, das waren unsere Top Ten. In Kürze erscheint ein Report über die Plätze 11-20. Allerdings habe ich das Gefühl, dass an dieser Stelle ruhig erklärt werden sollte, warum einige Kino-Hits 2010 nicht den Weg in unsere Charts gefunden haben. Ganz einfach: wenn nicht mehr als zwei Filmclubberer den Film gesehen haben, erhält er keine Wertung in der Hauptliste. Schauen wir uns doch erst einmal an, was im vergangenen Jahr in Deutschland der „Renner“ war (in Klammer: die Anzahl der Club-Views, also derjenigen, die den Film gesehen haben).

Top Ten nach Zuschauern (Deutschland)
Absoluter Hit war Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (2) mit über 5 Mio Zuschauern, gefolgt von Eclipse – Biss zum Abendrot (2) mit 3,7 Mio. Dritter wurde Inception (Filmclub: 3. Platz) mit 3,4 Mio. 4. Platz: Alice im Wunderland (2), 2,9 Mio. 5. Platz: Sex in the City 2 (0), 2,5 Mio. Von den Filmen auf Platz 6-9 habe noch nicht einmal gewusst, dass es sie gibt: Ich – einfach unverbesserlich, Für immer Shrek, Kindsköpfe; erst mit Sherlock Holmes (bei uns Platz 20) kann der an sich nicht sonderlich elitäre Kritiker wieder etwas anfangen. Und auf Platz 10: Prince of Persia.

Top Ten nach Einspielergebnis (weltweit)
– Toy Story 3
– Alice im Wunderland
– Inception
– Für immer Shrek
– Eclipse – Bis(s) zum Abendrot
– Iron Man 2
– Kampf der Titanen
– Drachenzähmen leicht gemacht
– Karate Kid
– Ich – Einfach unverbesserlich

Vielleicht springen wir ja doch über unsere Schatten und schauen uns im nächsten Jahr den einen oder anderen Blockbuster an. Damit beende ich Teil 1 meiner Review und wünsche allen viel Spaß im neuen Kinojahr 2011!