Das zurückliegende Jahr bestand erneut (und leider) schwerpunktmäßig aus Serien-Rezensionen. Das liegt auch daran, dass viele Streaming-Anbieter sich auf das Mainstream-Kino konzentrieren und Arthouse-Filme eher selten anbieten. Aber auch daran, dass die Zeit fehlt. 30 Serien zu sichten bedeutet, dass man mehr als 300 Episoden sehen muss. Zufriedenstellend ist das nicht, aber eine Alternative ist nicht in Sicht.
Serien
1. „1923“
Die Paramount+-Serie ist gleichzeitig ein Spät-Western, ein Prequel der Erfolgsserie „Yellowstone“ und ein visuell grandioses Epos (zwei Staffeln), das auf zwei Kontinenten spielt. Erneut erzählt Showrunner Taylor Sheridan vom Kampf gegen die skrupellosen Investoren und Finanzhaie, die die ländliche Kultur Montanas zerstören wollen. Man kennt es aus der Bibel: zu jedem Paradies gehört die Vertreibung. Diesmal verteidigen Harrison Ford (Jacob Dutton) und seine Frau Cara (hervorragend: Helen Mirren) ihre Ranch „Yellowstone“ gegen die Eindringlinge. Raffiniert: Sheridans etablierte eine zweite Haupthandlung. Sie erzählt die Geschichte von Caras Neffen, dem Großwildjägers Spencer Dutton (Brandon Sklenar), der die Ranch retten soll. Die dritte Haupthandlung berichtet von der sadistischen Unterwerfung junger Indianerinnen in den American Indian Boarding Schools und dem blutigen Rachefeldzug der Crow Teonna Rainwater (Aminah Nieves). Sheridan widerlegt mit dieser Figur den Verdacht, dass seine Serien die MAGA-Bewegung adressieren. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings das hohe Gewaltpotential der Serie und die bizarre Überzeichnung einiger Figuren.
Rezension (Note: 1)
2. The Handmaid’s Tale
Mit der 6. Staffel ging eine dystopische Serie zu Ende, die für lange Zeit Maßstäbe gesetzt hat. Die Versklavung von gebärfähigen Frauen im fiktiven und von Männern beherrschten Gottesstaat Gilead wurde von einer Romanverfilmung zum kritischen Kommentar über den religiösen Faschismus. Und der folgte mit zunehmender Dauer dem Aphorismus „Life Imitating Art“. Die globalen politischen Veränderungen erwiesen sich nämlich als korrupter und machtgeiler als Bruce Millers Fiktion. In der letzten Staffel gelingt June Osborne (Elisabeth Moss) zwar ein blutiger Rachefeldzug gegen die verhassten Kommandanten, aber ihre Tochter Hannah kann sie nicht retten. Ob Gilead endgültig am Boden liegt, werden wir nicht erfahren. Die schwer traumatisierte Hauptfigur wird den Kampf jedenfalls fortsetzen.
Rezension (Note: 1,5)
3. Say Nothing
In neun Episoden erzählen Creator und Showrunner Joshua Zetumer und Regisseur Michael Lennox in der Disney+-Serie eine dunkle Geschichte aus dem Nordirland-Konflikt. Verrate nichts! Jenen, die die diese „Say Nothing“ ignorierten, drohte die Hinrichtung durch Provisional Irish Republican Army (PIRA). Bis in die Gegenwart traumatisieren diese Morde aus den 1970er-Jahren die Bevölkerung, denn die „Verschwundenen“ tauchten nie wieder auf. Zetumer erzählt die komplexe Geschichte mit einem überragenden Cast und minimalistischer Musik – und mit dem richtigen Tempo: „Say Nothing“ gehört zu den wenigen Serien, deren Pacing so perfekt ist, dass man nie das Gefühl hat, von der Handlung überrollt zu werden.
Rezension (Note: 1,5)
Und auf den Folgeplätzen ...
Mit der gleichen Note eroberte sich die ARTE-Serie „Kampf um den Halbmond“ (No Man’s Land) den geteilten 3. Platz. Erzählt wird in zwei Staffeln die Geschichte der jungen Archäologin Anna Habert, die 2014 in die Fänge eines Geheimdienst gerät, im Iran das Atomwaffenprogramm des Regimes ausspionieren soll und dabei vermeintlich ums Leben kommt. Ihr Bruder Antoine bricht in den Iran auf, weil er glaubt, dass seine Schwester noch lebt. Die ist inzwischen Kämpferin der Frauentruppen der kurdischen Miliz geworden und hat mit ihrer Vergangenheit gebrochen. Die von den Showrunnern Maria Feldman, Eltan Mansuri, Amit Cohen und Ron Leshem produzierte französisch-belgisch-israelische Serie seziert auf eine spannende Weise die komplexen militärisch-politischen Verhältnisse, die nach dem Sturz von Assad nicht einfacher geworden sind. Entstanden ist ein Kriegs-, Spionage- und Familiendrama, das auch ohne Elemente eines typischen Spy Thrillers von der ersten bis zur letzten Minute fesselt.
1,75 Punkte erhielt die britische Cop-Serie „The Tower“. Eine eins für die erste Staffel, eine zwei für die zweite Staffel. Die Serie basiert auf den Romanen von Kate London, die selbst Detective in London war. Autor und Executive Producer Patrick Harbinson dehnte mit 3+4 Episoden nichts in die Länge. Entstanden sind authentisch wirkende Geschichten, die ganz ohne Genreklischees auskommen und von ambivalente Figuren erzählen, die nur selten zum Gut-Böse-Schema passen. Faszinierend ist, dass man offenbar nicht 10 Episoden braucht, um einen Plot auf den Punkt zu bringen. Die dritte Staffel ist aktuell nicht in Deutschland zu sehen.
In der Kategorie „Note 2“ setzten sich folgende Serien durch: „The Agency“ (Disney+) ist ein Remake des legendären französischen Spionagethrillers „Le Bureau des Légendes”. Obwohl die von Jez Butterworth & John-Henry Butterworth entworfene 10-teilige Serie exquisit gefilmt wurde und mit Michael Fassbinder und Richard Gere zwei Hollywood-Größen präsentierte, ist das französische Original etwas besser.
„Bosch“ geht in Rente! Das „Legacy“-Spin-Off mit dem ikonischen Titus Welliver, der als Ex-Cop und danach als Private Eye unterwegs war, wurde trotz riesiger Fanbase von Amazon abgesetzt, weil man die 18- bis 24-Jährigen ansprechen möchte. Mit einem alten Mann/Schauspieler ist das wohl nicht möglich. Weiter geht es mit der Ermittlerin Renée Ballard als weiterer Figur aus dem Roman-Kosmos von Michael Connelly. Die 10-teilige erste Staffel „Ballard“ war o.K., hatte aber nicht den Noir-Charme von „Bosch“ und „Bosch: Legacy“.
Offen gestanden hatte ich von dem Sequel „Dexter: Resurrection“ (Paramount+) nicht viel erwartet. Aber am Ende stand „Michael C. Hall is back“ auf meinem Notizzettel. Der tote Serienmörder, der von seinem Sohn Harrison in „New Blood“ erschossen wurde, ist nun in New York unterwegs, wo er seinen Bedürfnissen erneut Folge leistet. Gleichzeitig muss er mit seinem Sohn das Familiendrama aufarbeiten. Beide halten aber zusammen, als Dexter einen Feldzug gegen ein halbes Dutzend berühmter Serienmörder beginnt, die alle von einem spleenigen Milliardär (Peter Dinklage) „gefördert“ werden. Showrunner Clyde Phillips liefert 10 Episoden im bewährten Dexter-Style ab, verzichtet zum Glück auf stilistische und erzählerische Innovationen und erreicht damit das Niveau der Mutterserie. Schade ist aber, dass eine der beliebtesten Figuren das Serienende nicht überlebt.
Mit der Verfilmung der bei Fans immer noch sehr beliebten Foundation-Trilogie der Science-Fiction-Ikone Isaac Asimov landete Apple TV+ einen Volltreffer. Bildgewaltig und stilistisch überwältigend wurde vom Untergang eines galaktischen Imperiums erzählt, den der Psychohistoriker Hari Seldon früh erkennt. Das Jahrtausende währende dunkle Zeitalter kann aber verkürzt werden – Seldon gründet daher auf dem Planeten Terminus eine Wissenschaftsgemeinschaft, die dies erreichen soll: die Foundation. Asimovs Roman hat mir als Aneinanderreihung von dialogreichen und handlungsarmen Kurzgeschichten nie gefallen. Und die Adaption von David S. Goyer und Josh Friedman entging nur knapp einer inhaltlichen Überladung. Erzählt wird gleichzeitig von einer bizarren Herrscherdynastie, die auf Klonen beruht, der Geschichte der Foundation, die sich anders entwickelt als erhofft, und von den enormen Zeitsprüngen, die Seldon (erscheint in verschiedenen Existenzformen) und seine Anhänger machen müssen, um an einem entscheidenden Punkt wieder in die Zeitlinie eingreifen zu können. In Staffel 3 taucht nun das „Maultier“ auf, ein Welteneroberer, der telepathisch seine Gegner beherrscht. Die Apple-Serie ist purer Eskapismus. Im direkten Vergleich überrundet „Foundation“ aber locker den Star Wars-Kosmos. Sie ist erwachsener. Die vierte Staffel wurde bereits bewilligt.
Im Raster verfingen sich die zweite Staffel von „The Last of Us“, denn die Ermordung der Figur von Pedro Pascal zerstörte mit einem Schlag den emotionalen Klebstoff, den der Vater-Tochter-Konflikt in der ersten Staffel effektiv nutzte (Note 3).
„Strange New Worlds“ büßte ein wenig Qualität ein, da epochale Episoden wie „Subspace Rhapsody“ fehlten und nur drei Episoden besser als Note 2 waren (Note: 2,75).
Filme
Da das letzte Serien- und Kinojahr den Schwerpunkt auf die Sichtung aktueller Serien fokussiert war und daher nur wenige Filme rezensiert wurden, ist eine Top-Liste kaum möglich. Mit Abstand am überzeugendsten war das Bob Dylan-Biopic, das eine der wichtigsten Musikepochen des vergangenen Jahrhunderts zu einem cineastischen Highlight machte.
1. Like a Complete Unknown
Rezension (Note: 1,5)
2. Superman
Rezension (Note: 2)
3. Thunderbolts
Rezension (Note = 2)
- Der schlechteste Film war mit riesigem Abstand der Star Trek-Flop "Sektion 31" (Note: 6) gefolgt von Ash (Note: 5).
- Die schlechteste Serie war die 3. Staffel von "Reacher" (Note: 4).
Ich wünsche allen Lesern einen guten Rutsch in das neue Film- und Serienjahr 2026.