Michael C. Hall is back! Schon wieder. Vier Jahre nach „Dexter: New Blood“ zeigt das Sequel „Dexter: Resurrection“, dass die Geschichte um den passionierten Serienmörder nicht auserzählt ist, sondern immer noch ausreichend Potential besitzt, um den Zuschauer mörderisch spannend zu bedienen.
Denn Dexter, der in „New Blood“ von seinem Sohn Harrison (Jack Alcott) anscheinend erschossen wurde, erfreut sich nach einer Erholungspause im Krankenhaus wieder bester Gesundheit. Und das bedeutet, dass er „Harrys Codex“ folgt und wieder Serienmörder jagen und töten will.
Auferstanden von den Toten
Dass er gleichzeitig die Bedürfnisse seines „Dunklen Begleiters“ befriedigen kann – um so besser. Anders formuliert: Wir haben ‚unseren‘ Dexter wieder.
Und eine Geschichte im bewährten Dexter-Style
Dass diese erzählerische Kontinuität bewahrt bleibt, liegt sich auch an Showrunner Clyde Phillips, der eine Großteil der Mutterserie produzierte und auch in „New Blood“, „Dexter: Original Sin“ und nun auch in „Resurrection“ die Fäden zog. So war garantiert, dass der Zuschauer nicht mit stilistischen und erzählerischen Innovationen konfrontiert wird, sondern eine Geschichte in bewährten Dexter-Style erwarten darf.
Das hat einen Preis. Die psychologische Entwicklung Dexters führte in der Mutterserie zu einer Reflexion über das eigene Handeln. Die sich in „Remember the Monsters?“ dann dezent andeutende Menschwerdung Dexters scheiterte allerdings, seine Zweifel an seiner psychischen Beschaffenheit kosteten seine Schwester das Leben. Derartige Reflexionen sind in „Resurrection“ nicht mehr zu entdecken, dsafür aber andere.
In „Resurrection“ ist Dexter wieder ganz der Alte. Aber nicht ganz, denn ansatzweise spürt man, dass sein Mitgefühl für andere von ihm in Off nicht länger kleingeredet werden kann. Als Dexter sich in New York auf die Jagd nach einem Killer begibt, der ausgerechnet „Dark Passenger“ heißt und UrCar-Fahrer mit einem Stahlseil den Kopf vom Rumpf trennt, entscheidet er sich dafür, ein Opfer zu retten und seinen „Killer-Kollegen“ davonkommen zu lassen. Vorerst. Trotzdem: Zweifel hat der neue alte Dexter nicht. Dafür eine Reihe anderer Probleme.
Gleichzeitig Vater und Killer-Wolf unter Killer-Schafen
Diese Themen werden „Resurrection“ clever entwickelt. Denn Dexter, der sich selbst als UrCar-Fahrer anstellen lässt, um den Killer Ronald „Red“ Schmidt fassen zu können, hat einige Probleme zu lösen. Sein Sohn Harrison, der im renommierten „Empire Hotel“ als Page arbeitet, hat ausgerechnet dort einen Vergewaltiger in seinem Zimmer erschlagen und fürchtet nun, die gleiche Veranlagung wie sein Dad zu entwickeln. Dexter arbeitet daher hart, um sich das Vertrauen seines Sohns zu erarbeiten. Er will verhindern, dass Harrison eine Kopie des Vaters wird. Mit anderen Worten: Dexter muss sich mit dem Faktor „Empathie“ auseinandersetzen. Aber die benötigt keinen Codex, sondern Emotionen.
Weitere Schwierigkeiten entstehen, als Angel Batista (David Zayas in seiner alten Rollen) auftaucht. Batista hat sein Polizeijob in Miami aufgegeben. Er ist fest davon überzeugt, dass sein Ex-Kollege Dexter der Bay Harbor Schlächter ist und damit auch den Tod von Maria LaGuerta zu verantworten. Aus den guten Freunden sind nun erbitterte Feinde geworden.
Und last but not least erfährt Dexter von „Red“ Schmidt, dem „Dark Passenger“, kurz vor dessen unnatürlichen Tod auf Dexters Tisch, dass er eine Einladung von Leon Prater erhalten hat, einem milliardenschweren Risikokapitalgeber. In dessen Schloss findet eine Dinnerparty statt - für Serienmörder! Dexter nimmt Schmidts Einladung und stellt sich auf der Party als „Dark Passenger“ vor. Er weiß nun, dass in den nächsten Wochen und Monaten der Killer-Wolf unter einem halben Dutzend Killer-Schafen sein wird - und die werden bald tot sein.
Stringente Story und ein blendender Cast
Die von Showtime Studios produzierte Serie wurde in den USA bei Paramount+ Premium gezeigt. Showtimes Networks ist eine Tochtergesellschaft der vor einigen Wochen gegründeten Paramount Skydance Corporation, die wiederum für „Star Trek“ zu ständig ist.
„Dexter: Resurrection“ war bereits vor dem Zusammenschluss der Multis ein Volltreffer. Die Serie erreichte global und plattformübergreifend innerhalb der ersten drei Tage 3,1 Millionen Zuschauer und übertraf „Original Sin“ und „New Blood“ um Längen.
Überraschend war dies nicht. Zum einen werden in „Resurrection“ die parallelen Plotlines stringent und ohne Kapriolen erzählt. Das Pacing ist medium, die Kameraführung ist angenehm konventionell. Alles in allem hat man das Gefühl, eine direkte Fortsetzung der Mutterserie (2006-2013) zu sehen, wobei besonders die Staffeln 1-5 gemeint sind. Das evoziert ein nostalgisches Gefühl bei den älteren Dexter-Fans.
Die Mutterserie hat inzwischen ein verblüffendes Comeback bei Netflix erlebt, was keinen Zweifel daran zulässt, dass auch die Binge Watching-Generation Dexter entdeckt hat. Das ist nicht selbstverständlich, denn seit den ersten Folgen sind 19 Jahre vergangen. „Dexter“ galt als Paradebeispiel des Quality TY und agierte mit Serien wie „Breaking Bad“ auf Augenhöhe – nun erzielte Netflix unerwartete Quoten. Ein Glücksfall war es daher, den erfahrenen und bewährten Showrunner Clyde Phillips wieder an Bord zu holen. All das gab den Zuschauern da Gefühl, das das Neue immer noch das gute Alte ist.
„The safest approach is to offer an audience more of what they love”, erklärte die Filmkritikerin Alexis Soloski den Trend in der New York Times und deutete an, was ein Franchise erfolgreich macht. Nämlich ein Erfolgsrezept zu wiederholen, solange es hält. Postmoderne Serien wie die Star Trek-Serie „Strange New Worlds“ brechen dagegen die Regeln, probieren unterschiedliche Genres aus, stehen aber unter dem Verdacht, den vor Jahrzehnten etablierten Wertekanon des Franchise zu verwässern. Überhaupt werden postmoderne Serien angreifbar, weil sie den Wahrheitsbegriff relativieren. („Strange New Worlds" kann man das allerdings nicht vorwerfen).
In „Dexter: Resurrection“ geht es allerdings nicht um Wahrheit, eher um Selbstprüfung: „Ist es richtig, was ich bin und was ich tue?“ Dexter stellt sich wie gehabt die Frage im Off, aber man kann in der neuen Serie davon ausgehen, dass das Geflecht aus Trieb und pseudo-ethischem Codex den Sieg davontragen.
Natürlich steht und fällt die Story mit dem Cast. Und auch dabei konnte die Serie erneut punkten. Michael C. Hall sieht man die vergangenen Jahre kaum an, er spielt die Rolle so perfekt und faszinierend wie in der Mutterserie. Dagegen ist der 60-jährige David Zayas als Angel Batista sichtbar nicht mehr der Jüngste, besitzt aber immer noch das Temperament, dass diesen integren Cop charakterisierte.
Das gilt auch für James Remar als Harry Morgan, Dexters verstorbenen Adoptivvater, der immer wieder aus dem Reich der Toten zurückkehrt, um Dexter zu ermahnen, zu beraten und zu warnen und natürlich auch an den Codex zu erinnern. Dass John Lithgow als „Trinity Killer“, Jimmy Smits als Miguel Prado, Christian Camargo als Dexters Halbbruder Brian Moser, der „Ice Truck Killer“, sowie C.S. Lee als Vince Mazuka und Desmond Harrington als Joey Quinn (mittlerweile Leutnant des Miami Metro Homicide Department“) mit ihren Kurzauftritten nostalgische Gefühle aufkommen lassen, war gut geplant und gerade in ersten Episoden mehr als nur ein bisschen Fanservice. Es stimmte atmosphärisch hervorragend.
Beinahe faszinierender als die Hauptfigur ist Peter Dinklage als sozial engagierter Milliardär Leon Prater, der besessen ist von Serienmördern und in seinem Schloss heimlich eines kleines Museum mit Gimmicks und Andenken der berüchtigtsten Killer zusammengetragen hat. Dinklage spielt den Obsessiven als bipolare Mischung aus überbordender Freundlichkeit und eisiger Kälte. Aber nie klischeehaft, sondern mit verführerischem Charisma. Eine perfekte Rollenbesetzung.
Uma Thurman als „Charly“ ist für Prater die Frau für's Dreckige. Prater nötigt sie dazu, schließlich bezahlt er die medizinische Behandlung der Mutter seiner Sicherheitschefin, die auch vor Mord nicht zurückschreckt. Leider hat Thurman (die m.E. nach „Kill Bill“, Volume 1 und 2 keine bemerkenswerten Rollen mehr erhielt) so gut wie keine spannenden Dialoge, die Figur bleibt blass und wird quasi verschenkt. Dagegen sind die zahlreichen Nebenrollen sehr gut besetzt worden, aber das war schon in der Mutterserie ein Qualitätsmerkmal.
Die Faszination für ein empathisches Monster
Als ich vor über 20 Jahren „Dexter“ zum ersten Mal sah, konnte ich nicht ahnen, dass die Serie bald Kultcharakter erhalten würde. Es bildeten sich Diskussionsgruppen auf Facebook, es entstanden kreative Fan-Blogs und Fan-Communities. Dies zeigte, dass die Serie mit ihrem Regelbruch (ein Serienmörder wird positiv rezipiert) den Nerv der Zuschauer getroffen hatte. Die Figur Dexter gehörte zu den Guilty Pleasures, spiegelte das in den USA vorhandene Interesse am Vigilantismus wider und entlastete den Zuschauer, weil die Figur ihre Handlungen und Motive im Off kommentierte, was unvermeidlich sehr wirksame und dauerhafte Bindungskräfte erzeugte.
Das funktionierte auch in „Breaking Bad“ vorzüglich, einer Serie, in der die Hauptfigur am Ende fast zwanghaft amoralisch handelte und trotzdem die Sympathien des Publikums nicht einbüßte. Alles, was etablierte Normen konterkarierte, wurde dadurch für den Zuschauer zu einem spannenden Spiel mit den eigenen Normen. Das eigentliche Kunststück bestand aber darin, die Zuschauer bei der Stange zu halten: das Monster war irgendwie menschlich.
Im Prinzip funktionierte dies durch die Mehrdimensionalität der Hauptfigur. Auch Dexter bezeichnete sich als Monster. Nicht nur wegen seiner Morde, sondern noch mehr wegen seiner fehlenden Emotionen. Alles nur Fake? Zumindest Dexter behauptete dies. Aber dann glaubte man zu sehen, dass seine Verstellung nicht ohne eine emotionale Grundierung funktionieren konnte. Dexter war also doch emotional, konnte dies aber nicht wahrnehmen, zumindest aber eine Zeitlang leugnen. Bereits gegenüber seinen Stiefkindern zeigte Dexter eine authentische Zuneigung. Dexters innere Stimme und seine tatsächlichen Handlungen und Entscheidungen wiedersprachen sich – ein Volltreffer für alle Autoren, die an komplexen Charakteren interessiert sind. In „Resurrection“ wird diese ambivalente Haltung in Dexters Beziehung zu Harrison überdeutlich.
So betrachtet ist die Serie eine Lehrstunde in Sachen Verführung. Das Interesse an einer Figur, die jenseits aller etablierten Rechtsnormen seinen wirklich bösen Kontrahenten zunächst die Fotos seiner Opfer zeigt, sie dann ersticht und in kleine Stücke zersägt, führt unweigerlich zu einer Schlüsselfrage. Und die lautet nicht: „Darf man das tun?“. Oder: „Darf man das nur dann tun, wenn man damit keinen abartigen Trieb befriedigen will?“ Sie lautet: „Haben es Dexters Opfer verdient, zu überleben?“
Man sollte bitteschön aber nicht solange darüber nachdenken, bis sich das Über-Ich regt. Wichtiger ist das, was man intuitiv fühlt, wenn man Dexters Hinrichtungen zusieht.
Dexter jedenfalls glaubt die Antwort zu kennen. In der letzten Episode, die bezeichnenderweise „And Justice for All“ heißt, streift er den Fluch ab, der ihn begleitet hat. Es ist kein Fluch. “I’m exactly who I need to be,” sagt er. “Exactly who YOU want me to be.” Damit akzeptiert Dexter seine Identität nicht nur, vielmehr ist sein Handeln nun eine Mission. Dass er zudem das Publikum adressiert, nicht indirekt wie in seinen Off-Kommentaren, sondern unmittelbar, ist ein Stilelement, das die Fiktion aufbricht. In dem die Macher ihre Figur in unsere Realität holen, übernehmen sie auch die Deutungshoheit.
Enthusiastisch schrieb die US-Kritikerin Carissa Pavlica daher: „It almost feels like a vigilante rebrand. Not quite Batman, but close — someone who channels his violent urges toward those who deserve it, with a newfound sense of purpose.” (Es fühlt sich an wie eine Neudefinition von Selbstjustiz. Zwar kein Batman, aber ziemlich nah dran - jemand kanalisiert seine gewalttätigen Triebe in Richtung derer, die es verdienen – mit einem neu entdeckten zweckhaften Sinn).
Die 2. Staffel ist bereits in Arbeit.
Note: BigDoc = 2
"Dexter: Resurrection“ – USA 2025 – Streaming: Paramount+ - Showrunner: Clyde Phillips - 10 Episoden - D.: Michael C. Hall, Peter Dinklage, Uma Thurman, Jack Alcott, David Zayas, James Remar, John Lithgow, Jammy Smits, Christian Camargo.