Disney+ hat es nicht leicht. „Ich überlege ernsthaft Disney+ zu kündigen“, maulte Heute-Show-Moderator Oliver Welke. Aber: „Erst gucke ich natürlich diese geile Alien-Serie zu Ende, aber dann ...!“
Da macht man eine SciFi-Horror-Serie und schon wird sie zum Politikum. Denn in Oliver Welkes Lieblingsserie „Alien: Earth“ stellen die Macher zynische und machtgeile Konzerne an den Pranger, während deren Pendants in unserer Realität längst den Kniefall vor „King Donald“ vollzogen haben. Und das, obwohl sie kurz zuvor noch Diversität auf ihren Banner geschrieben hatten. Machtgeil? Zynisch?
„You’re fired“
Gemeint hatte Welke tatsächlich die Entlassung von Late-Night-Moderator Jimmy Kimmel. „You’re fired“ sagte zwar nicht Donald Trump höchstpersönlich, aber die Bosse von Disney taten es. Gut, der scharfe Trumpf-Kritiker Jimmy Kimmel bekam seine Show zurück, aber erst nach massenhaften Protesten der Fans. Und die drohten mit massenhaften Kündigungen. Da stellt man sich die Frage, warum Disney den Mut hatte, mit einer SciFi-Horror-Serie fiktive Konzerne zu attackieren. Die Analogie scheint auf der Hand zu liegen, oder?
Der Rezensent kann diese Fragen nicht beantworten. Er hat statt einer Kritik einfach mal versucht herauszufinden, wie ein Verkaufsgespräch („Pitchen“) aussehen konnte.
Das folgende Gespräch zwischen einem Produzenten und seinem potentiellen Käufer ist natürlich fiktiv, völlig unpolitisch und dient nur der seichten Unterhaltung der Leser!
Wir machen schließlich nicht „The Arrival“
Network: Wie soll denn eine Serie aussehen, in der wieder einmal nach all den Jahren und vieler ähnlicher Filme ein Xenomorph im Mittelpunkt steht? Wir haben ja bereits Predators auf diese Monster gehetzt. Wie soll man das denn toppen?
Produzent: Diesmal gibt es viele Monster. Der Xenomorph ist nur eine von vielen Gefahren.
Network: Die Menge ändert nichts daran, dass sich am Thema nicht viel ändert. Und möglicherweise ereignet sich wieder einmal alles in einem Raumschiff?
Produzent: Auf keinen Fall! Natürlich gibt es ein Raumschiff, das im Auftrag eines großen Konzerns Aliens zur Erde bringen soll. Aber es stürzt ab und die Gefahr, dass die Aliens entkommen können und sich danach auf der Erde ausbreiten, ist angesichts ihrer Fähigkeiten mehr als nur wahrscheinlich.
Network: Das müssen aber extrem gruselige Fähigkeiten sein, oder?
Produzent: Also, wir haben eine Zecke. Die bohrt sich in den Körper des Opfers und saugt ihn aus. In den Wirtskörpern wird auch der Nachwuchs ausgebrütet. Dann wäre da noch T. Ocellus, ein wanderndes Auge sozusagen. Unser Geheimtipp! Sieht aus wie ein Oktopus mit einem riesigen Auge. Das Vieh reißt dem Opfer ein Auge aus, nimmt dessen Platz ein, okkupiert das Gehirn und kontrolliert den Wirtskörper vollständig. In der Serie wird das Auge in ein Schaf fahren und das steht dann in einer gesicherten Zelle und starrt mit seinem riesigen Glotzauge die Figuren an. Ach ja, das Auge ist hochintelligent.
Network: Da ist wohl Exorzismus angesagt, oder? (lacht). Kommunizieren die Menschen mit den Monstern?
Produzent: Nein, wir machen schließlich nicht „The Arrival“. Außerdem würde das den Monstern den Horror nehmen. Dann haben wir noch eine fleischfressende Pflanze, die in einem Kokon an der Decke hängt und einen Rüssel ausfahren kann. Man kann sich ja denken, was dann passiert. Und dann ist da noch die „Fliege“, die Säure ausspuckt und sich von Metall ernährt. Sie alle töten Menschen, wenn sie es wollen und können. Und wollen, das tun sie immer!
Network: Guten Appetit! Und wer sind die Alienjäger? Etwa Sigourny Weaver? (lacht)
Produzent: Gut, wir haben tatsächlich darüber nachgedacht, Ripley mit einer KI zu rekonstruieren. Das ist im Moment aber zu teuer und die Rechtslage ist alles andere als eindeutig. Das passt auch nicht in die Zeitlinie, denn unsere Serie spielt vor den Ereignissen in Scotts Film. Wir haben eine andere Idee und die ist die eigentliche Pointe unseres Plots.
Die Alien-Jäger sind Kinder!
Network: Wie bitte?
Produzent: Ja, genau diese Reaktion wollen wir provozieren. Kinder, die gegen Monster aus dem All antreten! Tatsächlich sind es Hybriden, die vom Schurken der Serie entwickelt wurden. Dafür wird das komplette Bewusstsein todkranker Kinder in einen künstlichen erwachsenen Körper übertragen.
Network: Hmm, interessantes Geschäftsmodell. Wer soll der Schurke sein?
Produzent: Man sollte besser fragen: Was ist der Schurke? 2120, also zwei Jahre vor den Ereignissen in Scotts Film, beherrschen fünf Tech-Konzerne die Welt. Einer ist Weyland-Yutani. Ein anderer ist Prodigy, ein Konzern, der in großen Teilen dem CEO Boy Kavalier gehört. Eine amoralische narzisstische Figur, die sich für Aliens interessiert, weil er nach einer Lebensform sucht, die genauso intelligent ist wie er. Das ist unser Schurke. Ein ungezogenes, intelligentes Kind, das gelernt hat, dass es bekommt, was es will. Nur am Rande: Boy Kavalier liebt die Peter Pan-Geschichte, sonst würde Wendy nicht „Wendy“ heißen. Natürlich will er die Welt beherrschen, aber vorerst reicht es ihm, ein schlaues Gespräch mit jemandem zu führen. Daher findet er die Hybriden spannend.
Network: Was bedeutet das denn? Wer oder was ist hybrid? Und wer ist "Wendy"?
Produzent: Wie gesagt: Hybriden haben synthetische Körper, in die wie gesagt das Bewusstsein von totkranken Kindern übertragen wird. Die Kinder sind potentiell unsterblich, aber mental in ihrer neuen Rolle überfordert. Denn Boy Kavalier schickt sie direkt an die Front. Das mit der Überforderung werden wir in unseren Teleplays aber nicht übertreiben. Psychologisch wäre dies zwar realistisch, aber dann wären die Hauptfiguren komplett traumatisiert und handlungsunfähig. Das wären keine Helden. Sowas funktioniert nicht.
Der Kern der Story läuft auf Action und Horror hinaus. Das allerdings funktioniert immer. Was wir zeigen wollen ist Folgendes: Es gibt halt auch auf der Erde im Jahr 2120 neue Lebensformen. Die werden von Tech-Konzernen kontrolliert. Und die sind ziemlich gewalttätig und kämpfen brutal um ihre Interessen. Die Kontrolle über fast unbesiegbare Monster könnte Milliarden einbringen. Oder mehr. Die Serie ist im Grunde genommen eine Dystopie, die zeigt, welche Kipppunkte unsere Zivilisation verhindern muss, wenn wenige Global Player den Kurs der Gesellschaft bestimmen wollen. Die Hauptfigur ist übrigens ein Mädchen, das sich „Wendy“ nennt und …
Network: Wieder eine weibliche Hauptrolle. Ist das nicht zu woke? Wenn wir das Projekt finanzieren sollen, müssen wir ein bisschen Rücksicht auf die aktuelle politische Lage nehmen. Und überhaupt finde ich, dass diese Story auf eine anti-kapitalistische Agenda hinausläuft, die im Moment nicht angesagt ist, oder?
Produzent: Nein, nein. Das alles läuft im Hintergrund ab und ist Futter für die intellektuellen Kritiker, die sowas ja gerne in die Shows hineininterpretieren (Anm.: Hat prima geklappt, siehe Postskriptum). Wir werden stattdessen sehen, dass die Kontrolle über brandgefährliche Aliens eine Illusion ist. Natürlich werden sie ausbrechen. Das liegt am Faktor Mensch. Der ist zu dämlich oder er ist erpressbar oder er ist mit Geld zu kaufen. Tatsächlich setzen wir den Zuschauer dem Horror der Monster und der ziemlich brutalen Gewalt der Akteure aus. Dazu müssen die Monster aber ausbrechen, sonst haben wir keine Action. Also das, was die meisten sehen wollen. Woke ist das nicht.
Aber zurück zu Wendy, unserer Hauptfigur. Die verfügt über unerwartete Fähigkeiten im mentalen Bereich. Das hat Boy Kavalier nicht erwartet. Der ist nämlich ein bisschen verliebt in die Hybride. Die meisten Figuren sind aber Männer. Zum Beispiel die Synths. Sie sind im Prinzip nichts anderes als hochintelligente Roboter, die wie Menschen aussehen. Wir haben vorab übrigens Timothy Olyphant für eine Hauptrolle als Synth gecastet. Der wird so eiskalt und überlegen sein, dass einem das Blut in den Adern gefriert. Es gibt auch einen männlichen Cyborg. Also ein Lebewesen, das mit technologischen Komponenten verbessert wurde. Jeder Mensch, der heute einen Herzschrittmacher mit sich herumträgt ist im Prinzip ein Cyborg.
Network: Sie haben also fünf Monster, die angsteinflößend sind, dazu künstliche Figuren, die diese Monster bekämpfen. Die Hauptfiguren zeigen, wie ein technischer Evolutionsschritt der Menschen aussehen könnte. Aber es gibt auch ‚normale‘ Menschen, die dämlich und manipulierbar sind. Das ist gut, die meisten Zuschauer haben Angst vor der KI-Revolution, vor Fremden, vor Kontrollverlust. Wenn wir Quoten haben wollen, müssen wir diese Ängste triggern, aber auch zeigen, dass es einen Ausweg gibt. Der Haken an der Sache ist, dass die Serie die Agenda der Transhumanisten übernimmt, nämlich die Verschmelzung von Mensch und Technik.
Produzent: Das ist ja nicht neu. Das gab es nicht nur in „Robocop“, sondern halt auch in zahllosen B-Pictures. Etwas ist daher wichtig: unsere Hybriden ähneln auch emotional den Menschen. Das schafft das erforderliche Identifikationspotential. Alle anderen sind Schurken oder unheimlich. Oder dämlich.
Network: Wie sieht denn die Story im Weiteren aus?
Produzent: Leicht nachvollziehbar. Das von Boy Kavalier sabotierte Raumschiff stürzt in seinem Territorium ab. Die Monster werden eingefangen und in Hochsicherheitslaboren auf einer Insel eingesperrt, die Boy Kavalier gehört. Und natürlich ist es wieder mal die Idiotie eines Einzelnen, der dafür verantwortlich ist, dass die Monster fliehen können. Also das übliche Schema.
Network: O, das ist aber wirklich ziemlich klischeehaft.
Produzent: Mag sein, aber wie sollen wir sonst Action in die Episoden bekommen? Der eigentliche Gag, der wirklich unerwartet und raffiniert ist, wird alle vom Sessel hauen. Denn Wendy gelingt die Kommunikation mit dem Xenomorph, der ihr danach gehorcht und auf ihrer Seite kämpft.
Network: O.K., das ist abgefahren. Abschließend beschreiben Sie mir doch mal ganz kurz, was die Production Values sind.
Produzent: Die Effekte sind allesamt nicht teuer. Die ersten Episoden spielen in dem ziemlich ramponierten Raumschiff, das fast schon ein Labyrinth ist. Die Settings auf der Insel sind nicht teuer, das Meiste geschieht in der unterirdischen Sicherheitsanlage. Das lässt sich alles finanziell überschaubar im Studio bauen. Ansonsten werden wir mit etwas schrägen Kameraeinstellungen arbeiten. Am wichtigsten ist die Montage, die vom Pacing her nicht zu konventionell sein darf. Den psychologischen Horror erreichen wir mit Sequenzen, in denen Schreckliches schnell hintereinander geschnitten wird. Das steigert die Intensität des Schreckens.
Network: Hat das irgendwas mit der Zeitlinie im Franchise zu tun?
Produzent: Nein, wie bereits erwähnt. Die Serie spielt vor Ripley. Wir greifen auch nichts aus „Prometheus“ auf.
Network: Wer ist der Showrunner?
Produzent: Stand heute ist das Noah Hawley. Der hat für „Bones“ geschrieben und…
Network: Ja, ja, und für „Fargo“, wo er Creator und Exec war (Anm.: Executive Producer). Wir wissen, wer Hawley ist. Der macht gerne Verschwörungsgeschichten. Das ist aktuell guter Verkaufsstoff!
Produzent: Eben Hawley macht dies gekonnt. Und innovativ. Und wir brauchen einen erfahrenen Macher, der guten Mainstream mit ein paar raffinierten Pointen garnieren kann. Und der das Budget maximal ausreizt.
Network: Gut, das war’s dann fürs Erste. Danke für das Gespräch. Wir werden uns melden. Wenn wir das machen, dann muss es so gut funktionieren, dass wir noch zwei Staffeln dranhängen können. Dann aber bitte keine Kinder, sondern ein richtiger Held. (macht eine Pause).
Was halten Sie von „Iron Man vs. Alien“?
Postskriptum
"Die letzte und finale "Alien: Earth"-Folge hat den Titel "Die wahren Monster." Und die sind nicht die Aliens, sondern die Unternehmen im Fortschritts- und Technologie-Offenheits-Wahn. Technologischer Fortschritt, zeigt die Serie, ist nichts wert, solange Konzerne die Kontrolle haben. Die Botschaft richtet sich dabei vor allem an Fans von Smartwatches, Künstlicher Intelligenz und Elon Musk: Coole Technologie führt nicht zu Autonomie, sondern zu Fremdbestimmung, wenn sie nicht in den Händen der Gemeinschaft, sondern in denen eines Milliardärs liegt. Welch Ironie, dass man dieses politische Plädoyer aktuell nur auf der Plattform eines Großkonzerns sehen kann.