Donnerstag, 29. März 2007

Wer früher stirbt, ist länger tot

Deutschland 2006 - Regie: Marcus H. Rosenmüller - Darsteller: Markus Krojer, Fritz Karl, Jule Ronstedt, Jürgen Tonkel, Saskia Vester, Franz Xaver Brückner, Johann Schuler, Sepp Schauer - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 104 min.

Wer glaubt diesen Film ohne Untertitel sehen zu können, ist entweder Bayer oder völlig ahnungslos. Der Filmclub resignierte bereits nach wenigen Minuten. Unisono wurden die aufklärenden Subtitles verlangt und alle belohnten sich für diese Konsequenz mit einer der witzigsten und intelligentesten Komödien der letzten Monate. So ist das halt mit den Nordlichtern: wollen ihnen die Bayern nicht auf ewig fremd bleiben, müssen sie zur Fernbedienung greifen. Wenn das auch in der Politik klappen würde, gäbe es sicher einen weiteren Anlass zur Freude.

Sebastian ist mit seinen 11 Jahren ein bayerischer Lausbub mit Charme und einem fatalen Hang, permanent Katastrophen auszulösen. Als er nach einem für die Hasen seines Bruders äußerst letalen Streich erfährt, dass seine Mutter bei seiner Geburt gestorben ist und er somit daran schuld sei, beginnt eine tour de force zwischen Schuldgefühlen und den wildesten Versuchen, sich von seinen „Sünden“ rein zu waschen – oder zumindest unsterblich zu werden, damit einem dann doch das Fegefeuer erspart bleibt. Und so beschließt Sebastian, nur noch gute Taten zu vollbringen.

Natürlich geht das alles nicht gut und so werden Hasen bei Wiederbelebungsversuchen gesprengt, Katzen lerneifrig ersäuft und sterbenskranke Greisinnen in eine rasende Talfahrt geschickt – im Bett natürlich. Je aufrichtiger Sebastians Bemühungen sind, desto schlimmer wird alles und in Verdrehung von Goethe bleibt nur das Fazit: er ist der Geist, der stets bejaht und doch nur Katastrophen schafft. Und über allem thront der Radiomoderator Alfred in bergiger Höhe und der hält für den Bub die Erkenntnis bereit, dass nur die Musik unsterblich macht. Doch wie wird man ein zweiter Jim Hendrix?

Eine Million hat der Film von Marcus H. Rosenmüller im vergangenen Sommer in die Kinos gelockt und nun ist zu hoffen, dass die frisch erschienene DVD dem Film zu einer weiteren Verbreitung verhilft und möglichst bald auch die Nordfriesen erreicht, denn nach manch halbidiotischer deutscher Komödie ist „Wer früher stirbt, ist länger tot“ ein funkelnder Stern am Komödienhimmel, über den man einfach nur begeistert sein kann.

Rosenmüller hat das Kunststück fertig gebracht, witzige und (fast) unverbrauchte Gags und originelle Dialoge mit einer nuancierten Handlung zu kombinieren, in der die Seelenpein des Helden im wahrsten Sinne des Wortes todernst genommen wird. Nicht nur dies rettet den Film vor den humoristischen Abgründen schenkelklopfender Klamotten, sondern auch die Glaubwürdigkeit seines Hauptdarstellers Marcus Krojer. Der Humor ist mal derb, dann wieder subtil und der gelegentliche Schuss Traurigkeit ist als Zutat nun mal vonnöten, damit eine Komödie so schmackhaft wird wie ein leckerer Hasenbraten.
Na ja, das mit Hasenbraten hätte ich besser nicht geschrieben, aber das versteht man erst, wenn man den Film gesehen hat.

Klawer 2, BigDoc 2,5, Melonie 2,5 und Mr. Mendez 2,5.

Dienstag, 27. März 2007

Road to Guantánamo

Großbritannien 2006 - Originaltitel: The Road to Guantánamo - Regie: Michael Winterbottom, Mat Whitecross - Darsteller: Rizwan Ahmed, Farhad Harun, Waqar Siddiqui, Arfan Usman, Shahid Iqbal, Adam James, Jason Salkey - FSK: ab 12 - Länge: 95 min.

Dass Guantánamo ein Skandal ist und gegen alles verstößt, was zumindest im humanistisch aufgeklärten Europa partei- und weltanschauungsübergreifend in der politischen Agenda der Parteien und Medien verortet ist, muss nicht gesagt werden. Selbst konservative Gazetten zeigen sich ob der perfiden Rechtsbeugung der Amerikaner gramgebeugt. Und das will einiges heißen. Was in Guantánamo geschieht, zeigt Michael Winterbottom in seinem neuesten Film – und das sogar in entschärfter Form. Für diesen Appellfilm haben er und sein Ko-Regisseur Mat Whitecross auf der Berlinale 2006 den Silbernen Bären für die „Beste Regie“ erhalten. Nun tauchen Zweifel auf und zumindest einiges deutet darauf hin, dass „Road to Guantánamo“ vielleicht doch nur gut gemeintes und etwas naives Agitprop-Kino ist.

Vier junge, britische Muslime reisen im September 2001 aus der Nähe von Tipton (Birmingham) zu einer Hochzeit nach Pakistan. Nach einem Moscheebesuch beschließen sie, mit dem Bus nach Afghanistan zu fahren – sie wollen dort Fladenbrot essen, vielleicht auch helfen und das Land kennen lernen. Als sie in Kandahar ankommen, geraten sie in die Kämpfe der Nord-Allianz und der Amerikaner gegen das Taliban-Regime.

Ruhel, Asif, Shafiq und Monir verlieren sich prompt in den Kriegswirren und werden als potentielle Terrorkämpfer festgenommen. Monir verschwindet spurlos, die anderen drei werden den Amerikanern übergeben, brutal verhört und nach einer ersten Internierung nach Guantánamo auf Kuba ausgeflogen – auf den berüchtigten Stützpunkt der US-Marine. Dort werden sie in einem völlig rechtsfreien Raum zwei Jahre lang unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten, dann aber ohne weitere Erklärungen frei gelassen. Der Vorwurf, sie seien vor dem 11. September Al-Qaida-Kämpfer oder zumindest Sympathisanten gewesen und könnten auf Videos und Fotos identifiziert werden, erweist sich angesichts wasserdichter Alibis als haltlos.

Winterbottom hat das Ganze als gewollt unelegantes, digital produziertes Dokudrama in Szene gesetzt: fiktive Szenen wechseln mit Wochenschau- und Archivmaterialien (ohne Quellenhinweis, was ärgerlich genug ist) ab, die drei überlebenden Muslime, bekannt auch als die „Tipton Three“, kommentieren in kurzen Statements das Geschehen. Als einzige besitzen sie Namen und Gesicht, ihre Peiniger dagegen bleiben weitgehend anonym.
Die tendenziöse Mischung von subjektiver Perspektive und authentisierender Ästhetik verfehlt nicht ihre Wirkung – der Film hinterlässt erzeugt eine suggestiv-realistische Unmittelbarkeit, informiert aber nur vage und hinterlässt zuallererst emotional seine Spuren beim Zuschauer. Zweifelnde Fragen kann der Film schon beim ersten Hinschauen nicht beiseite schieben: Warum wird mit keiner Silbe der Terroranschlag des 11. September erwähnt? Was bewegt vier junge britische Muslime unmittelbar nach dem Anschlag auf das World Trade Center zu einem Trip nach Afghanistan? Das Interesse an super-großen Fladenbroten? Neugier? Der Wunsch zu helfen? Wie denn, im großen Reich der Taliban?
Winterbottom gibt keine Antworten, die „Tipton Three“ auch nicht.

Gut, naiv kann man sein und so rutscht man vielleicht auch einmal völlig unbedarft über die pakistanisch-afghanische Grenze, aber das ist nicht das Problem. Weitaus unangenehmer ist die Frage, ob ein Regisseur die Aussagen seiner Protagonisten 1:1 in eine filmische Fiktion überführen darf und dabei das Risiko eingeht, die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion unscharf zu machen. Denn: Was bei einer frei erfundenen Ausgangssituation weitgehend unproblematisch gewesen wäre, gerät im Kino sofort auf den Prüfstand, wenn der Kern der Geschichte auf einer authentischen Episode basiert.

Die Kritik hat sich nicht grundlos über Winterbottoms filmisches Vorgehen zerstritten. Auch der Vorwurf, im dokumentarischen Teil der Gegenseite nicht den geringsten Raum einer Darstellung der politischen und strategischen Motive gewährt zu haben, ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Allerdings ist es auch nicht das erste Mal, dass radikale und ethisch fundierte Kritik messerscharf und tendenziös ist, ohne dabei die moralische Integrität zu verlieren.

Es blieb aber der liberalen ZEIT vorbehalten, durch gründliche recherchierte Artikel einige Zweifel an den Erklärungsversuchen der „Tipton Three“ entstehen zu lassen. Ich will nicht auf Details eingehen, denn diese Informationen lassen sich recht einfach nachrecherchieren und sind im Grunde auch völlig belanglos für das, was Winterbottom eigentlich im Fokus hat: Das System der Stress- und Beugefolter in Guantánamo und die Ignoranz der Bush-Administration gegenüber dem Internationalen Recht. Dies gelingt auch und dort hat der Film seine stärksten Momente, denn was „Road to Guantánamo“ zeigt, und da sind sich Experten weitgehende einig, liegt noch deutlich unter dem, was in dem Lager tatsächlich passiert.

Aber mal ganz ehrlich: wäre es nicht viel konsequenter gewesen, eine Geschichte über einen echten Al-Qaida-Kämpfer zu erzählen, der in dem Marine-Lager gefoltert wird? Denn in Guantánamo geht es in erster Linie nicht darum, dass Unschuldige (was natürlich schrecklich genug ist) misshandelt werden, sondern dass weitgehend universell anerkannte Rechtsgrundlagen gebeugt werden.

Apropos: beim Schreiben dieser Zeilen legten die Nachrichtenagenturen die Info auf den Ticker, dass zum ersten Mal (sic!) ein Inhaftierter seine Zugehörigkeit zu Al-Qaida gestanden hat. Nach sechs Jahren. Es handelt sich um einen Australier, der nun den heimischen Strafbehörden überstellt wird.

Trotz heftiger Debatten war der Filmclub unisono von der aufklärerischen Qualität des Films überzeugt: Mr. Mendez: 2,5, Melonie 2,5, BigDoc 1,5, Klawer 2.

Freitag, 23. März 2007

Geheime Staatsaffären

Frankreich / Deutschland 2005 - Originaltitel: L'Ivresse du Pouvoir - Regie: Claude Chabrol - Darsteller: Isabelle Huppert, François Berléand, Patrick Bruel - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 110 min.

Man stelle sich einmal vor, dass Volker Schlöndorff einen Film über die Leuna-Affäre macht und eine Million Deutsche laufen ins Kino und schauen sich den Film über einen Korruptionsskandal an, über den nicht einmal deutsche oder europäische Gerichte ermitteln wollen. Undenkbar? Ja. In Deutschland existiert keine politische Filmkultur wie in anderen europäischen Ländern. Vielleicht ist der Bedarf zu hoch.

In Frankreich haben eine Million Menschen Claude Chabrols „L´Ivresse du Puvoir“ gesehen, weil der Skandal um Elf Aquitaine die Nation schwer erschütterte und im Nachbarland immerhin energisch ermittelt wurde. Von Eva Joly, einer unerschütterlichen Untersuchungsrichterin, die Politiker, Manager und Wirtschaftsbosse auf die Anklagebank brachte, weil diese nicht nur über 300 Mio. Euro zur Bestechung ausländischer Regierungen eingesetzt, sondern auch selbst kräftig in die Kasse des Staatsunternehmens gegriffen hatten. Und das gewiss nicht aus edlen Motiven: Mögen die Mächtigen des Öls auch den einen oder anderen faszinieren, so haben die Granden am Ende nichts anderes zu bieten als ihr Verlangen nach einer jungen knackigen Geliebten oder nach Schuhen für 1.500 €. Darauf läuft es am Ende auch in „Geheime Staatsaffären“ hinaus und hierzulande muss man nur nach Wolfsburg schauen. Aber darüber wird man wahrscheinlich keinen Film machen.

„Geheime Staatsaffären“ liegt nun als DVD vor, bei der sich besonders das vorzügliche „Making of“ lohnt, in dem man eine ganze Menge über die spitzbübische Philosophie des Filmemachers erfährt, der sich durchaus bewusst ist, dass filmische Fiktionen nichts an der Realität ändern und keine Revolutionen auslösen. Aber politische Filme verhindern wenigsten, dass sie durch schlechte und nutzlose ersetzt werden, verrät uns Chabrol verschmitzt. Und das ist ja schon mal ein Anfang.

Im Mittelpunkt von Claude Chabrols Film steht die Untersuchungsrichterin Jeanne Charmant-Killman (Isabelle Huppert), die wunderbare rote Handschuhe trägt und schon am Anfang ihrer Ermittlungen einige Bosse zwingt, ihre Hosen runterzulassen. Dies ist buchstäblich zu nehmen. Die Verve, die sie sichtbar genießt und mit der sie unter den Mächtigen aufräumt, wird bald lästig und daher zunehmend erfolgreich. Bedrohungen und Bespitzelungen nehmen zu und auch ihr Privatleben scheint spätestens in dem Moment zu zerbrechen, als zwei Leibwächter im Flur vor ihrem Schlafzimmer Platz nehmen. Aber wie so oft gehen auch in „Geheime Staatsaffären“ Chabrols Heldinnen über Leichen, wenn sie erst einmal Witterung aufgenommen haben. Charmant-Killman scheitert am Ende zwar nicht, aber sie hat auch keinen durchschlagenden Erfolg: innerhalb des Justizministeriums nach oben befördert und zunehmen isoliert, resigniert sie am Ende fast spöttisch. Immerhin hat sie ein paar kleine Fische erledigt und ein paar mittlere dazu. An die großen Hechte kommt sie nicht ran, aber so ganz hat dies auch Eva Joly nicht geschafft, die immerhin Außenminister Roland Dumas auf die Anklagebank beförderte, wo er dann freigesprochen wurde.

Chabrol hat allerdings keinen Film über Elf Aquitaine gemacht, sondern über die Verführung der Macht. Isabelle Huppert als zerbrechliche, aber harte Inquisitorin hat längst an ihrer Macht Gefallen gefunden und präsentiert die entsprechenden Insignien nicht ohne den erforderlichen Schuss Narzissmus. Auch ihre subtil demütigenden Verhöre nehmen die juristische Bestrafung der Delinquenten vorweg. Ihr Lernprozess, und der des Zuschauers, besteht darin zu erfahren, dass sie nur so viel Macht hat, wie man ihr gewährt.
"Der Film hat Bezüge zur Realität, aber er ist viel harmloser als die Wirklichkeit", erzählt Chabrol im „Making of“. "Das habe ich mit Absicht gemacht, denn ich wollte den Mächtigen eins auswischen. Es ist seltsam, aber die meisten Menschen glauben, dass ein Film, der explizit politisch ist, die Mächtigen härter trifft. Doch die Leute, denen man eins auswischen wollte, reden sich dann heraus, indem sie sagen: Das ist doch bloß ein Film. Wenn man aber mit seinem Film ein kleines bisschen unterhalb der Realität bleibt, können sie nichts mehr sagen. Der Film schockiert und jeder weiß: Die Wirklichkeit ist noch viel schockierender."

Allerdings, darüber muss man sich keine Illusionen machen, dürfte ein Normalsterblicher kaum verstehen, wie die Tricks und Machenschaften des Geldverschiebens im Einzelnen funktionieren. Wie Elf Aquitaine international zusammen mit verschiedenen französischen Regierungen Politik gemacht hat, kann man recht schnell via Google erfahren. Und wie immer waren die Beteiligten (natürlich ausnahmslos Männer) fest davon überzeugt, im Interesse der Nation zu handeln. Und etwas Lebensart muss schließlich auch sein, wenn man auf dem Weg nach ganz oben nebenbei zum alten Sack geworden ist: Villen, Frauen, Anzüge, Schuhe und exzentrische Sonnenbrillen. Kein Wunder, dass bei Chabrol die Farce und die Karikatur nicht weit entfernt sind, wenn die Bosse tatsächlich mal im Bild erscheinen. So und nicht anders dürfte sich auch Lieschen Müller die Sache vorstellen und wahrscheinlich ist es auch nicht mehr.

Oder doch? In „Geheime Staatsaffären“ hat sich Chabrol eine Figur ins Buch geschrieben, die ihm wohl als Stichwortgeber dienen sollte: es ist Felix, der Neffe der Richterin, ein Bonvivant, der über allem steht und alles weiß (woher eigentlich?) und letztlich im Namen seines Schöpfers dunkel andeutet, dass es die globalisierte Weltwirtschaft ist, der wir moralisch nicht gewachsen sind. Das sind natürlich keine neuen und auch keine schönen Aussichten. Und etwas Ohnmacht entsteht da auch in den Köpfen, obwohl Isabelle Hupperts Rachefeldzug so manchem Altlinken die Tränen des Glücks in die Augen treiben dürfte.

Eva Joly hat dagegen wenig Freude an Chabrols Film gehabt. Sie ist sogar vor Gericht gezogen. Chabrol, so ihre Quintessenz, verharmlose die realen Vorbilder und entmutige die Menschen. In der Realität hat sich Jolys Mann das Leben genommen, im Film bleibt es bei einem Selbstmordversuch. Und in der Wirklichkeit dürfte die echte Richterin wohl auch keine roten Handschuhe getragen haben.

Wie auch immer: Claude Chabrol hat mit seinem Film wieder einen Volltreffer gelandet, denn gemäß seiner Philosophie soll der Zuschauer intelligent unterhalten werden, wenn er aufgeklärt wird. Zumindest das ist ihm und Isabelle Huppert vorzüglich gelungen: Pikante und messerscharfe Dialoge sorgen für einen sarkastischen Charme, der dem Zuschauer vorgaukelt, man könne doch etwas gegen „die da oben“ machen.

Noten
BigDoc: 1,5

Mittwoch, 21. März 2007

Nacho Libre

"Luchadores" heißen die Akteure im mexikanischen Wrestling ("Lucha libre"), das im Gegensatz zu den Schaukämpfen der amerikanischen WWE hierzulande völlig unbekannt ist. Vielleicht zu Unrecht, denn Artistik und Choreographie des mexikanischen Wrestling sind spektakulär und dem Geschehen der US-Profiligen meist überlegen. Jared Hess hat durchaus ein Faible für diese Variante des Profiringens, scheitert aber mit "Nacho Libre" auf geradezu jämmerliche Weise.

Da kann auch Komiker Jack Black ("School of Rock") nicht viel retten, aber vielleicht war dies ohnehin nicht zu erwarten. Black spielt Ignatio, einen Klosterbruder, der heimlich und völlig talentfrei zusammen mit dem potthäßlichen und spindeldürren Esqueleto als Wrestler "Nacho" auftritt, um die Waisenkinder in seinem Kloster mit besserem Essen zu versorgen. Dass er sich in die hübsche Nonne Encarnacion verliebt, soll dem Film einen charmanten und garantiert erotikfreien Touch geben.

Bei aller Liebe, aber die Errettung der amerikanischen Komödie ist dies nicht, wie allen Ernstes ein Kritiker behauptete. Aber wenn sich der Film an durchschnittlich intelligente Achtjährige richtet, die sich über ein harmloses und fast gewaltfreies Ringvergnügen amüsieren wollen, dann ist "Nacho libre" sicher ein Volltreffer. Dialoge und ruppig-infantiler Witz sind perfekt auf diese Zielgruppe abgestimmt.
Wenn etwas an diesem Film in der Erinnerung haften bleibt, dann ist dies der einfache Erzähl- und Kamerastil, mit dem Jared Hess sein Melodram in Szene setzt: bei den Ringkämpfen verzichtet er auf die spektakulären Schnitttechnik, wie man sie aus TV-Wrestling-Shows gewöhnt ist, sondern setzt überwiegend auf eine erhöhte Totale, die nur durch wenige Schnitte aufgelöst wird und das amteurhafte Geschehen seiner ur-eigenen Dynamik überläßt. Wenn der verfettete Jack Black dann am Ende den Superstar des mexikanischen Wrestlings besiegt, kann dies wegen des verschleppten Schnittrhythmus nicht mal besonders Spaß machen. Dass die Schlußszene nicht mal eine witzige Schlußpointe besitzt, sondern bieder wie ein Amateurvideo endet, kann den Zuschauer zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr schockieren.

Noten: BigDoc 6, Klawer 4

USA 2006 - Regie: Jared Hess - Darsteller: Jack Black, Ana de la Reguera, Héctor Jimenez, Richard Montoya, Peter Stormare, Moises Arias, Lauro Chartrand, Troy Gentile, Cesar Gonzalez, Dominick Kurek - FSK: ab 6 - Länge: 92 min.

Samstag, 17. März 2007

Vier Minuten

Acht Jahre hat die Arbeit von Chris Kraus ("Scherbentanz") an diesem Projekt gedauert. Das ist viel. Das kann zu viel sein. Auf jeden Fall spiegelt es einen Ehrgeiz wider, der viel über die Kraft und die Ambitionen des Mannes verrät, der nicht nur das Buch geschrieben hat, sondern auch die Regie auf seine Schultern geladen hat. Herausgekommen ist dabei ein Film, der fasziniert, aber auch irritiert. Großes und kleines Kino, zusammengepackt in 111 Minuten, von denen die letzten 4 dem Film seinen Titel gegeben haben.

"Vier Minuten" hatte es nicht leicht. Auf der letzten Berlinale schaffte er es nicht unter die letzten Vier (aha!), war aber zusammen mit "Das Leben der Anderen" in ziemlich guter Gesellschaft. Über derartige Flops waren schon andere Regisseure konsterniert und man könnte durchaus darüber schmunzeln, wenn es für einige sehr gute Filme nicht das Aus auf dem Verleihmarkt bedeuten würde. Gäbe es nicht den beliebten Sendeplatz der Öffentlich-Rechtlichen um 23.00 Uhr oder würde ARTE sich nicht erbarmen, dann könnten viele Filme nicht einmal den Weg ins Fernsehen finden. Bleibt nur noch die DVD. Falls es eine gibt.
Chris Kraus hatte noch Glück: ein unerwarteter Erfolg auf einem Festival in Shanghai war die letzte Rettung und mit Piffl Medien hat sich nun ein kleiner Verleih mit einer arg begrenzten Anzahl von Kopien hoffentlich risikofrei aus dem Fenster gelehnt.

Nun hat der Film aber auch eine Geschichte jenseits der ökonomischen Determinanten, und die beginnt mit einer kontrastreichen Konstellation, einem Prolog, der fast schon programmatisch für den weiteren Filmverlauf ist: die Musiklehrerin Traude Krüger (Monica Bleibtreu) läßt ein neues Klavier in den Frauenknast schaffen und muß erleben, daß alsbald tote Fische auf das Musikgerät regnen. Jenny, die angeblich den Vater ihres Liebhabers geköpft und zersägt hat, wacht morgens auf und sieht als erstes ihre Zellengenossin erhängt neben sich baumeln, was ihr keine auffällige empathische Reaktion entlockt.

Drastisches und Gefühlsirritationen bis hin zur völligen Kälte bestimmen auch zunächst das Verhältnis der beiden Frauen, die eher ein Zufall zusammenführt: die achtzigjährige Traude ist Klavierlehrerin und die Tote war eine von vier zumeist unbegabten Schülerinnen; Jenny (Hannah Herzsprung), deren Akten musikalisches Talent versprechen, wird ihr als neue neue Schülerin zugeführt. Bald stellt sich heraus, daß die Mörderin ein ehemaliges Wunderkind ist und die frostig-reservierte Traude läßt sich mit dem kaum noch als Elevin zu bezeichnenden Problemfall auf ein riskantes Experiment ein: sie will Jenny ins Finale des Bundeswettbewerbs "Jugend musiziert" führen.

Es geht also zunächst nur um Motivationen, weniger um Gefühle. Monica Bleibtreu, die Traude in eine asketisch-harte und rhetorisch bis zum Zynismus schlagfertige Moralistin verwandelt, hat dabei zunächst noch die besten Szenen: der kalte Pragmatismus, mit dem sie Jenny als "niederträchtig" abschreibt, verlangt gleichzeitig von der Schülerin unbedingte Hingabe an das Talent. Sie könne, so Traude, dafür sorgen, daß Jenny besser spielt, aber nicht, daß ein besserer Mensch aus ihr wird. Man ahnt, daß bei dieser knöchernen Frau, die nur die Musik liebt, noch eine Leiche im Keller liegt.

Aber bald ergreift Hannah Herzsprung ("Das wahre Leben") das Ruder: fast über Nacht zum neuen Star des deutschen Kinos geworden, spielt sie die Jenny mit einer anarchisch-verzweifelten Gewalttätigkeit, die den Zuschauern fast schon über die Bereitwilligkeit erstaunen läßt, mit der Jenny ihrer neuen Lehrerin nach einer ersten Krise mit nur leicht gebremster Disziplin folgt. Schon ein kleines Wunder, denn dass, was Jenny am liebsten spielt, ist für Traude "Negermusik" und da Jenny dies selbst mit Handschellen hinter dem Rücken am besten spielt, gibt es eine Ohrfeige. Und so sieht alles nach der Widerspenstigen Zähmung in einer ruppigen Liebesbeziehung aus.

Filme leben von der Phantasie der Zuschauers. Nun gehört zur Phantasie auch die Fähigkeit zur Antizipation. Kein Film entsteht in den Köpfen des Zuschauers, ohne daß er nicht über Genremuster und mögliche Handlungsverläufe spekuliert - wer hier als Autor und Regisseur glaubwürdig für Überraschungen sorgen kann, hat natürlich einen Volltreffer gelandet. Aber Chris Kraus ist nicht Pedro Almodovar und so beginnt man sich schon nach dem ersten Filmdrittel darüber zu ärgern, daß sich die meisten Szenen des Films so entwickeln, wie man es geahnt hat: natürlich gibt es Stress mit dem Aufsichtspersonal der Frauen-JVA (kein Wunder, da Jenny gleich am Anfang einen bulligen Knastaufseher krankenhausreif prügelt, was man nicht näher auf seine Glaubwürdigkeit prüfen muß, weil die Kamera vorher gnädig abschwenkt), jede Menge Steine werden Traude und Jenny in den Weg gelegt, bevor es überhaupt zu ersten Vorausscheidung des Wettbewerbs kommt, natürlich gibt es Zoff mit den Insassinnen und natürlich ist der Anstaltsleiter ein etwas windiger Opportunist, der Jenny erst publicitysüchtig unterstützt, dann aber (natürlich vor dem Finale) fallen läßt.
Geradezu ärgerlich empfand ich die Szene, in der die haßerfüllten Zellenkolleginnen von Jenny versuchen, ihr die rechte Hand abzufackeln. Ich hatte inständig gehofft, daß Kraus dieses Klischee umschiffen würde, aber da seit Corbuccis "Django" allen Virtuosen im Kino die entscheidenden Körperteile vertstümmelt werden, um vor dem großen Finale dramaturgisch Fahrt aufnehmen zu können, konnte sich wohl auch Chris Kraus diesen billigen Spannungseffekt nicht versagen.

Schade, der gute Plot hätte mehr "Weniger" als das ständige "Viel" verdient. Aber das Drehbuch krankt über weite Strecken daran, dass es seiner Geschichte nicht traut. Statt sie schlicht zu erzählen, baut Kraus überflüssige Sub-Plots ein und reichert sie mit zum Teil noch überflüssigeren Nebenfiguren an. Dazu gehören ausdrücklich nicht Traudes Flashbacks, die erklären, warum die alte Frau Unterricht im Knast gibt: sie kann den Ort nicht verlassen, an dem sie ihre große Liebe Hannah verleugnete, bevor diese von den Nazis in den letzten Kriegstagen viehisch als "Volksschädling" ermordet wurde. Dagegen ist Vadim Glowna als Jennys Vater der ärgerliche Vertreter eines inzestuösen Sub-Plots, der Jennys Wut erklären will, aber (sorry!) doch ziemlich überflüssig ist. Erst recht, weil Glowna keine wirklich guten Szenen ins Script geschrieben wurden.

Fast hat man den Eindruck, daß Kraus seinen starken Protagonistinnen nicht zugetraut hat, die Geschichte allein zu tragen. Da mußten "bekannte" Gesichter her und so spielt Richy Müller eine minderwichtige Nebenrolle, die dann (wen überrascht es) entsprechend aufgebläht wird, ebenfalls nicht am Klischee vorbei besetzt wurde Jasmin Tabatabai als "Knastleader of the Gang", während man die Rolle des Gefängnispsychologin auch unauffälliger als mit Nadja Uhl besetzen konnte. Also alles zu dick aufgetragen bis hin zum mopsigen "Mütze", der als bildungssüchtiger Gefängniswärter recht bald zum hasserfüllten Racheengel mutiert.

Doch letztendlich können diese vermeidbaren Schwächen dem wunderbaren Schauspielerinnen-Film nicht das Wasser abgraben, denn Chris Kraus hat dort, wo es darauf ankommt, instinktiv alle Klischees vermieden. Monica Bleibtreu und Hannah Herzsprung spielen so nuancenreich, daß es puren Spaß macht zuzuschauen. Und das Script läßt ihnen ihre widerborstige Individualität: während Jenny irgendwann aus ihren freundschaftlichen Gefühle für Traude keinen Hehl macht, kann diese buchstäblich kaum noch aus ihrer Haut und ringt nach Worten. Daß die Frau, die Jenny für ihre kompromißlose musikalische Talentförderung instrumentalisieren wollte, wenigstens teilweise ihre Gefühle wiederentdeckt, ist grandios gespielt und zum Glück an allen Plotkonventionen vorbeigeschrieben worden.

Chris Kraus hat mit "Vier Minuten" ein sehenswerten Psychodrama geschaffen, das leider in einigen Passagen ziemlich unter einer durchschaubaren Spannungsdramaturgie leiden muß, aber von zwei furiosen Darstellerinnen glücklich gerettet wird. Das Überflüssige und Überbordende an dem Film muß man dafür in Kauf nehmen, denn "Vier Minuten" ist dort, wo er gelingt, ein Kino der Emotionen, das berührt. Wo Chris Kraus seine Sympathien letztlich verortet, zeigt die Schlußszene, die bald die Angst vor einem melodramatischen Finale nimmt. So originell der Film auch endet: mit dem eingefrorenen brutalen und leider uninspirierten Schlußbild zeigte mir der Film noch einmal, daß weniger manchmal mehr ist.

Note: 2,5




Deutschland 2006. R und B: Chris Kraus. P: Meike Kordes, Alexandra Kordes. K: Judith Kaufmann. Verleih: Piffl Medien. L: 111 Min. FSK: 12, ff. D: Monica Bleibtreu (Traude Krüger), Hannah Herzsprung (Jenny von Loeben), Sven Pippig (Mütze), Richy Müller (Kowalski), Jasmin Tabatabai (Ayse), Stefan Kurt (Direktor Meyerbeer), Vadim Glowna (Gerhard von Loeben), Nadja Uhl (Nadine Hoffmann).

Mittwoch, 14. März 2007

Rocky Balboa

Es ist schon erstaunlich, wie sehr ROCKY geliebt wird. Und wenn man den Blätterwald durchstreift, findet man zumindest im deutschsprachigen Raum kaum Verrisse und ist folglich kaum noch überrascht, wenn Filmpapst Georg Seeßlen zwar die Ideologie des wohl letzten Boxerfilms über Underdog Rocky zerfetzt, dann aber doch einräumen muß, daß er die alte "Knautschfresse" liebt. Irgendwie.
Nun muß man nicht Vermutungen über die Affinität von Intellektuellen und Boxerfilmen anstellen (was durchaus ein interessantes Thema) abgibt, sondern man sollte sich erst einmal darauf einlassen, ob der Film funktioniert. Ja, da tut er und die Frage ist nun, warum ein Film über eine Figur, die im letzten mißlungenen Sequel zugrunde gerichtet wurde, plötzlich eine glanzvolle Wiederaufstehung feiert.

Ganz einfach: Stallone ist als Autor und Regisseur ein beispielhaftes "Back to the roots" gelungen, der sogar völlig glaubwürdig darstellen kann, warum ein 60-jähriger Boxveteran in seinem letzten Fight nicht einfach vom amtierenden Champf totgeprügelt wird, sondern einen Abgang mit Würde hinlegt, wie ihn der Sportlerfilm, der zuletzt mit "Million Dollar Baby" ins depressiv-realistische Meister-Melodram abgedriftet ist, lange nicht mehr gesehen hat. Stallone erzählt einfach die Geschichte des ersten Teils noch einmal, nun ist es aber die Geschichte vom letzten und nicht die des ersten Fights. Aber (fast) alles ist wie in "Rocky I". Und das bedeutet, daß Stallone seine Figur wieder in das Kleine-Leute-Milieu Philadelphias stellt, in die maroden Vorstädte, die Fleischfabriken mit ihren Schweinehälften, auf die man eindrischt.
Nur ist die Stadt älter geworden und alles ist auch Stück schlimmer als früher - nur Rocky ist mit seiner hausbackenen Philosophie, die den ganzen Kanon eines Wertkonservativen bereithält, der Alte geblieben. Immer noch geht es um Selbstachtung, Zuverlässigkeit, Freundschaft, Loyalität und wenn Rocky in seinem kleinen Lokal um des Geschäftes willen seinen Gästen alte Anekdoten über sich erzählt, so hat dies den schwerfälligen Charme eines ehrlichen Mannes, dem man verzeihen kann, das er sich ein wenig verkauft. Aber eben nur ein wenig. Und das macht den Film so sympathisch.

Daß man diesen Oldie noch einmal in den Ring zerrt, ist Marketing und pures Geschäft, aber das wissen wir seit Axel Schulz ja alle zur Genüge. Aber es ist auch - und das hat spätestens nach einer halben Stunde auch der letzte Zuschauer kapiert - Traum und Seele eines Mannes, der uns in einer immer komplexer werdenden Welt damit tröstet, dass alles doch im Grunde ganz einfach ist. Und so will Rocky, der den Tod seiner Frau nicht verkraftet und sich Trost nur verschaffen kann, indem er sich noch einmal re-inszeniert, auch wenn ihn dies das Leben kosten kann, einfach nur boxen. Einmal noch, weil dies seine Bestimmung ist.
Diese Einfachheit kann man eigentlich nur in der Fiktion ertragen, im künstlichen Erzählraum des Kinos. Draußen, im Leben, traut man ihr nicht mehr über den Weg. Eigentlich schade.

Drama, USA 2006, 102 Minuten. Originaltitel: Rocky Balboa. Regie: Sylvester Stallone; Produktion: Robert Chartoff, Sylvester Stallone u.a.; Drehbuch: Sylvester Stallone; Musik: Bill Conti; Kamera: J. Clark Mathis; Schnitt: Sean Albertson.
Mit Sylvester Stallone (Rocky Balboa), Burt Young (Paulie), Milo Ventimiglia (Rocky Jr.), Geraldine Hughes (Marie), Antonio Tarver (Mason The Line Dixon) u.a.

Donnerstag, 1. März 2007

Sie sind ein schöner Mann

Französische Erfolgskömödien haben es keineswegs schwer in deutschen Arthouse-Kinos. Sie sind nicht immer klischeefreier als ihre deutsche Konkurrenz, aber deutlich unangestrengter und mit leichter Hand inszeniert. Der eine macht eben einen guten Bienzle, der andere dafür einen herausragenden Wallander.
Die Absichten des kahlköpfigen, rundliche Franzosen Aymé Pigrenet (Michel Blanc), der in Rumänien nach dem Tod seiner Frau einen arbeitswilligen Ersatz sucht, sind zunächst durch keinerlei erotische Neigungen getrübt. Der Mann ist Pragmatiker und gleichzeitig ziemlich abgestumpft.
In Bukarest wird er von diversen Kandidaten mit dem immergleichen „Je vous trouve très beau“ charmant belogen, bis mit Elena eine hübsche, aber handfestere Mittzwanzigerin auftaucht, die Aymé auch prompt nach Frankreich mitnimmt. Das Elena Mutter ist und ganz andere Absichten hat, entgeht unserem griesgrämigen Helden ganz und gar.
Isabelle Mergault hat durchaus ein Gespür für witzige Situationen und drastisch-komische Dialoge. In der zweiten Hälfte wird „Sie sind ein schöner Mann“ aber leicht durchschaubar, denn dass dieses ungleiche Paar allen Widerständen zum Trotz mehr als ein landwirtschaftliches Zweckbündnis werden wird, dürfte auch den naiveren Kinogängern rasch klar sein.
Aber gute Komödien interessiert eben nicht nur das Was, sondern besonders für das Wie, was man schon bei Lubitsch lernen konnte. Und wie nun das Happy End inszeniert wird, sorgt für gepflegte Heiterkeit in einem durchweg gelungenen Schauspielerfilm, dem man sogar das dick aufgetragene Ende augenzwinkernd verzeiht.
Melonie: 2,5, BigDoc: 2,5

Sie sind ein schöner Mann (Je vous trouve très beau); Frankreich 2005; 97 Minuten; Regie: Isabelle Mergault; Drehbuch: Isabelle Mergault; Produzent(en): Jean-Louis Livi; Mit Michel Blanc, Medeea Marinescu, Wladimir Yordanoff, Benoît Turjman, Eva Darlan, Elisabeth Commelin.

The Sentinel

Ob dieser White House-Thriller jemals in den deutschen Kinos gelaufen ist, wage ich zu bezweifeln. Als DVD-Release bietet der Film solide und kompakte Wegwerf-Spannung, die sich nach einmaligem Sehen erledigt hat. Im Gegensatz zu Wolfgang Petersens In The Line Of Fire wird man sich diesen Film kaum ein zweites Mal ansehen, nicht nur, weil Clint Eastwood und John Malkovich in einer anderen Liga spielen als Michael Douglas und Kiefer Sutherland.
Der Plot: Secret Service-Agent Pete Garrison (Michael Douglas) hat ein Verhältnis mit der First Lady (Kim Basinger) und ist gleichzeitig für den Schutz des Präsidenten (David Rasche) zuständig. Diese ungewöhnliche Anordnung der Prioritäten muss zwangsläufig zu Problemen führen. Als ein anderer Agent ermordet wird, will Agent David Breckinridge (Kiefer Sutherland) herausfinden, wer der böse Maulwurf ist und da Garrison dereinst nicht vor der Gattin seines Kollegen halt machte, ist die Fehde vorprogrammiert.
Regisseur Clark Johnson hat mitten in den „24“-Hype einen Film platziert, der Michael Douglas eine schöne Altersrolle verschafft hat und den Kiefer Sutherland-Fans mindestens ein mittelprächtiges Sehvergnügen beschert.
Der Filmclub bewertete diesen Film keineswegs mittelprächtig.
Mr. Mendez: 4, Klawer: 4, Melonie: 4, BigDoc: 4

Originaltitel: The Sentinel; Regie: Clark Johnson; Produktion: Michael Douglas, Bill Carraro u.a.; Drehbuch: George Nolfi nach dem Roman von Gerald Petievich; Musik: Christophe Beck; Kamera: Gabriel Beristain; Schnitt: Cindy Mollo. D: Michael Douglas (Pete Garrison), Kiefer Sutherland (David Breckinridge), Eva Longoria (Jill Marin), Martin Donovan (William Montrose), Kim Basinger (First Lady) u.a.

The Good Shepherd

Bilder eines Liebespaares, zärtliche Umarmungen, geflüsterte Treueschwüre – es geht um die Wahrheit, die man sich sagen soll. In einem Agententhriller traut man seinen genregeschulten Augen und Ohren nicht, wenn man dies sieht. Erst recht nicht, wenn es die Bilder einer Überwachungskamera sind. Und erst recht nicht, wenn dies die ersten Bilder des Films sind. Denn sie können eigentlich nur eins bedeuten: Niedertracht und Verrat. Und man behält Recht. Aber die Bilder bedeuten auch etwas anderes: Liebe und Vertrauen, aber das entdeckt man erst später. Andere entdecken diese Ambivalenz der Gefühle nie. Sie sind gefangen im Käfig der Paranoia.

Bereits in seiner ersten Regiearbeit A Bronx Tale (In den Straßen der Bronx, 1993) zeigte Robert de Niro, dass er sich für ambivalente Charaktere erwärmen konnte: Gangster Sonny (Chazz Palminteri) war gleichzeitig brutaler Killer und fürsorglicher Menschenkenner. Keine einfache Figur. Auch Edward Wilson (Matt Damon), der als CIA-Abteilungsleiter für verdeckte Auslandsoperationen die eher dreckigen Seiten des Geschäfts erledigt, ist keine einfache Figur. Schweigsam und verschlossen scheint der „gute Hirte“ 1961 er auf dem Höhepunkt seiner Macht zu sein. Nur leider bleiben auch ihm die Folgen des Schweinebucht-Desasters nicht erspart – die CIA hat den Zenit ihrer gesellschaftlichen Anerkennung bereits überschritten, die Welt wird bald am Rande des Dritten Weltkrieges stehen. Und Wilson, der seinen eigenen Mitarbeitern nun fast noch weniger trauen kann wie seinem charismatischen und seelenverwandten russischen Gegenspieler Ulysses, steht nicht nur beruflich, sondern auch familiär vor einem Scherbenhaufen.

Robert de Niros „The Good Shepherd“ ist auf den ersten Blick ein Agententhriller. Und das funktioniert ganz gut. In fast epischen und durchweg überschaubaren Rückblenden erzählt de Niro vom Selbstmord des Vaters, der den kleinen Edward völlig traumatisiert, von Wilsons Studentenjahren in Yale und seiner Aufnahme in die elitäre protestantisch-weiße Skull & Bones-Geheimgesellschaft. Erste Schritte der Machterprobung, bei der der Idealismus der Werte immer gleich mit den exklusiven Männerzirkeln verknüpft wird, die später die Spitzenpositionen unter sich aufteilen werden („Keine Neger, keine Juden, keine Kommunisten und möglichst wenig Katholiken!“).
Und der Mann lernt schnell. Die Bespitzelung seines Literaturprofessors scheint nur eine erste patriotische Fingerübung zu sein. Es folgt die Rekrutierung für das Office of Strategic Services, Kriegsjahre in London, rücksichtslose Liquidierungen, bei denen Wilson nur Zuschauer bleibt, später Initiator ist, das langsame Abstumpfen des ersten Entsetzens. Als die CIA nach dem Krieg gegründet wird, ist Wilson dabei und er erlebt die 50er Jahren als Höhepunkt ihrer gesellschaftlichen Anerkennung. Niemanden interessiert, was die CIA in Guatemala oder im Iran treibt. Erst die gescheiterte Schweinbucht-Invasion rückt die Agency in den Mittelpunkt des Interesses. Das ist lästig, besonders, als Wilson herausfindet, dass es einen Verräter in den eigenen Reihen gibt, der den Kubanern entscheidende Informationen gegeben hat.

Irgendwie scheint man sich in „The Good Shepherd“ in der Welt von John le Carré, Graham Greene oder Tom Clancy zu befinden. Aber de Niro ist nicht an einer faktenreichen Abrechnung mit der CIA gelegen, auch wenn Wilson mit der Gemütsbewegung eines Stoikers einen Überläufer foltern lässt und dann auch noch feststellen muss, dass es der Doppelspion ein anderer war. Dies ist nur eine der Episoden, in denen Drehbuchautor Eric Roth die Geschichte sehr eng mit der Biografie James Jesus Angletons (1917-1987), dem berüchtigten Chef der CIA-Gegenspionage verknüpft (dabei handelt es sich um die Golitsyn-Nosenko-Affäre).
In einem Film, in dem die politische Message so offenkundig ist, gewinnt die Dramatisierung nur dann an Kraft, wenn die Geschichte die Ambivalenz der Figuren umso vielschichtiger beschreibt. Das ist nicht nur ein alter Genretrick, sondern auch de Niros Kunstgriff. „The Good Shepherd“ ist daher ein Film, den man in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein „Seelendrama“ genannt hätte. Das Leben des „guten Hirten“ ist die Geschichte eines Mannes, der seine patriotischen Werte und persönlichen Gefühle erst an faule Kompromisse, dann an einen kalten Pragmatismus verrät, der den Zuschauer schaudern lässt.
Wilsons Ehe mit seiner Frau Clover (Angelina Jolie) ist eine kalte Konstruktion, die Beziehung zu seinem Sohn ist gestört. Und als Wilson endlich das Geheimnis des Verräters entdeckt, der eigentlich keiner ist, stimmt er der brutalen Ermordung seiner zukünftigen Schwiegertochter durch die Russen schweigend und auf eine so gefühlskalte Weise zu, dass dies eine der perfidesten Szenen der jüngeren Kinogeschichte ist.

Robert de Niro hat für diesen Film eine herausragende Crew um sich versammelt. Die düstere Atmosphäre verdankt er Robert Richardson (2. Oskar für „Aviator“), dem Leib- und Magen-Kameramann von Oliver Stone, das Drehbuch schrieb Eric Roth („Forrest Gump“, „München“). In Nebenrollen sind de Niro selbst, Alec Baldwin, William Hurt, John Turturro und Joe Pesci zu sehen. Die Filmmusik von Marcelo Carvos und Bruce Fowler verbreitet dagegen nur emotionale Redundanz. Überragend ist dagegen Matt Damon, der auf jede Dämonisierung in der Darstellung verzichtet und mit reduzierter Mimik schleichende Kälte verbreitet (was allerdings einige Kritiker völlig entnervte). Wenn Damon am Ende des Film den zuvor nie geöffneten Brief seines toten Vaters zum ersten Mal liest und anschließend verbrennt, hat man nicht das Gefühl, das sich ein Mann von einem beherrschenden und lebenserdrückenden Trauma befreit hat. Man fühlt man sich sogar ein wenig an Citizen Kane und den Mythos von „Rosebud“ erinnert – und der ist, wie wir wissen, auf den ersten Blick doch ein wenig banal. Nun gut, manchmal muss man zweimal hinschauen.

USA 2006 - Originaltitel: The Good Shepherd - Regie: Robert De Niro - Darsteller: Matt Damon, Angelina Jolie, Robert De Niro, Joe Pesci, William Hurt, John Turturro, Alec Baldwin - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 167 min.