Dienstag, 27. März 2007

Road to Guantánamo

Großbritannien 2006 - Originaltitel: The Road to Guantánamo - Regie: Michael Winterbottom, Mat Whitecross - Darsteller: Rizwan Ahmed, Farhad Harun, Waqar Siddiqui, Arfan Usman, Shahid Iqbal, Adam James, Jason Salkey - FSK: ab 12 - Länge: 95 min.

Dass Guantánamo ein Skandal ist und gegen alles verstößt, was zumindest im humanistisch aufgeklärten Europa partei- und weltanschauungsübergreifend in der politischen Agenda der Parteien und Medien verortet ist, muss nicht gesagt werden. Selbst konservative Gazetten zeigen sich ob der perfiden Rechtsbeugung der Amerikaner gramgebeugt. Und das will einiges heißen. Was in Guantánamo geschieht, zeigt Michael Winterbottom in seinem neuesten Film – und das sogar in entschärfter Form. Für diesen Appellfilm haben er und sein Ko-Regisseur Mat Whitecross auf der Berlinale 2006 den Silbernen Bären für die „Beste Regie“ erhalten. Nun tauchen Zweifel auf und zumindest einiges deutet darauf hin, dass „Road to Guantánamo“ vielleicht doch nur gut gemeintes und etwas naives Agitprop-Kino ist.

Vier junge, britische Muslime reisen im September 2001 aus der Nähe von Tipton (Birmingham) zu einer Hochzeit nach Pakistan. Nach einem Moscheebesuch beschließen sie, mit dem Bus nach Afghanistan zu fahren – sie wollen dort Fladenbrot essen, vielleicht auch helfen und das Land kennen lernen. Als sie in Kandahar ankommen, geraten sie in die Kämpfe der Nord-Allianz und der Amerikaner gegen das Taliban-Regime.

Ruhel, Asif, Shafiq und Monir verlieren sich prompt in den Kriegswirren und werden als potentielle Terrorkämpfer festgenommen. Monir verschwindet spurlos, die anderen drei werden den Amerikanern übergeben, brutal verhört und nach einer ersten Internierung nach Guantánamo auf Kuba ausgeflogen – auf den berüchtigten Stützpunkt der US-Marine. Dort werden sie in einem völlig rechtsfreien Raum zwei Jahre lang unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten, dann aber ohne weitere Erklärungen frei gelassen. Der Vorwurf, sie seien vor dem 11. September Al-Qaida-Kämpfer oder zumindest Sympathisanten gewesen und könnten auf Videos und Fotos identifiziert werden, erweist sich angesichts wasserdichter Alibis als haltlos.

Winterbottom hat das Ganze als gewollt unelegantes, digital produziertes Dokudrama in Szene gesetzt: fiktive Szenen wechseln mit Wochenschau- und Archivmaterialien (ohne Quellenhinweis, was ärgerlich genug ist) ab, die drei überlebenden Muslime, bekannt auch als die „Tipton Three“, kommentieren in kurzen Statements das Geschehen. Als einzige besitzen sie Namen und Gesicht, ihre Peiniger dagegen bleiben weitgehend anonym.
Die tendenziöse Mischung von subjektiver Perspektive und authentisierender Ästhetik verfehlt nicht ihre Wirkung – der Film hinterlässt erzeugt eine suggestiv-realistische Unmittelbarkeit, informiert aber nur vage und hinterlässt zuallererst emotional seine Spuren beim Zuschauer. Zweifelnde Fragen kann der Film schon beim ersten Hinschauen nicht beiseite schieben: Warum wird mit keiner Silbe der Terroranschlag des 11. September erwähnt? Was bewegt vier junge britische Muslime unmittelbar nach dem Anschlag auf das World Trade Center zu einem Trip nach Afghanistan? Das Interesse an super-großen Fladenbroten? Neugier? Der Wunsch zu helfen? Wie denn, im großen Reich der Taliban?
Winterbottom gibt keine Antworten, die „Tipton Three“ auch nicht.

Gut, naiv kann man sein und so rutscht man vielleicht auch einmal völlig unbedarft über die pakistanisch-afghanische Grenze, aber das ist nicht das Problem. Weitaus unangenehmer ist die Frage, ob ein Regisseur die Aussagen seiner Protagonisten 1:1 in eine filmische Fiktion überführen darf und dabei das Risiko eingeht, die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion unscharf zu machen. Denn: Was bei einer frei erfundenen Ausgangssituation weitgehend unproblematisch gewesen wäre, gerät im Kino sofort auf den Prüfstand, wenn der Kern der Geschichte auf einer authentischen Episode basiert.

Die Kritik hat sich nicht grundlos über Winterbottoms filmisches Vorgehen zerstritten. Auch der Vorwurf, im dokumentarischen Teil der Gegenseite nicht den geringsten Raum einer Darstellung der politischen und strategischen Motive gewährt zu haben, ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Allerdings ist es auch nicht das erste Mal, dass radikale und ethisch fundierte Kritik messerscharf und tendenziös ist, ohne dabei die moralische Integrität zu verlieren.

Es blieb aber der liberalen ZEIT vorbehalten, durch gründliche recherchierte Artikel einige Zweifel an den Erklärungsversuchen der „Tipton Three“ entstehen zu lassen. Ich will nicht auf Details eingehen, denn diese Informationen lassen sich recht einfach nachrecherchieren und sind im Grunde auch völlig belanglos für das, was Winterbottom eigentlich im Fokus hat: Das System der Stress- und Beugefolter in Guantánamo und die Ignoranz der Bush-Administration gegenüber dem Internationalen Recht. Dies gelingt auch und dort hat der Film seine stärksten Momente, denn was „Road to Guantánamo“ zeigt, und da sind sich Experten weitgehende einig, liegt noch deutlich unter dem, was in dem Lager tatsächlich passiert.

Aber mal ganz ehrlich: wäre es nicht viel konsequenter gewesen, eine Geschichte über einen echten Al-Qaida-Kämpfer zu erzählen, der in dem Marine-Lager gefoltert wird? Denn in Guantánamo geht es in erster Linie nicht darum, dass Unschuldige (was natürlich schrecklich genug ist) misshandelt werden, sondern dass weitgehend universell anerkannte Rechtsgrundlagen gebeugt werden.

Apropos: beim Schreiben dieser Zeilen legten die Nachrichtenagenturen die Info auf den Ticker, dass zum ersten Mal (sic!) ein Inhaftierter seine Zugehörigkeit zu Al-Qaida gestanden hat. Nach sechs Jahren. Es handelt sich um einen Australier, der nun den heimischen Strafbehörden überstellt wird.

Trotz heftiger Debatten war der Filmclub unisono von der aufklärerischen Qualität des Films überzeugt: Mr. Mendez: 2,5, Melonie 2,5, BigDoc 1,5, Klawer 2.