Donnerstag, 1. März 2007

The Good Shepherd

Bilder eines Liebespaares, zärtliche Umarmungen, geflüsterte Treueschwüre – es geht um die Wahrheit, die man sich sagen soll. In einem Agententhriller traut man seinen genregeschulten Augen und Ohren nicht, wenn man dies sieht. Erst recht nicht, wenn es die Bilder einer Überwachungskamera sind. Und erst recht nicht, wenn dies die ersten Bilder des Films sind. Denn sie können eigentlich nur eins bedeuten: Niedertracht und Verrat. Und man behält Recht. Aber die Bilder bedeuten auch etwas anderes: Liebe und Vertrauen, aber das entdeckt man erst später. Andere entdecken diese Ambivalenz der Gefühle nie. Sie sind gefangen im Käfig der Paranoia.

Bereits in seiner ersten Regiearbeit A Bronx Tale (In den Straßen der Bronx, 1993) zeigte Robert de Niro, dass er sich für ambivalente Charaktere erwärmen konnte: Gangster Sonny (Chazz Palminteri) war gleichzeitig brutaler Killer und fürsorglicher Menschenkenner. Keine einfache Figur. Auch Edward Wilson (Matt Damon), der als CIA-Abteilungsleiter für verdeckte Auslandsoperationen die eher dreckigen Seiten des Geschäfts erledigt, ist keine einfache Figur. Schweigsam und verschlossen scheint der „gute Hirte“ 1961 er auf dem Höhepunkt seiner Macht zu sein. Nur leider bleiben auch ihm die Folgen des Schweinebucht-Desasters nicht erspart – die CIA hat den Zenit ihrer gesellschaftlichen Anerkennung bereits überschritten, die Welt wird bald am Rande des Dritten Weltkrieges stehen. Und Wilson, der seinen eigenen Mitarbeitern nun fast noch weniger trauen kann wie seinem charismatischen und seelenverwandten russischen Gegenspieler Ulysses, steht nicht nur beruflich, sondern auch familiär vor einem Scherbenhaufen.

Robert de Niros „The Good Shepherd“ ist auf den ersten Blick ein Agententhriller. Und das funktioniert ganz gut. In fast epischen und durchweg überschaubaren Rückblenden erzählt de Niro vom Selbstmord des Vaters, der den kleinen Edward völlig traumatisiert, von Wilsons Studentenjahren in Yale und seiner Aufnahme in die elitäre protestantisch-weiße Skull & Bones-Geheimgesellschaft. Erste Schritte der Machterprobung, bei der der Idealismus der Werte immer gleich mit den exklusiven Männerzirkeln verknüpft wird, die später die Spitzenpositionen unter sich aufteilen werden („Keine Neger, keine Juden, keine Kommunisten und möglichst wenig Katholiken!“).
Und der Mann lernt schnell. Die Bespitzelung seines Literaturprofessors scheint nur eine erste patriotische Fingerübung zu sein. Es folgt die Rekrutierung für das Office of Strategic Services, Kriegsjahre in London, rücksichtslose Liquidierungen, bei denen Wilson nur Zuschauer bleibt, später Initiator ist, das langsame Abstumpfen des ersten Entsetzens. Als die CIA nach dem Krieg gegründet wird, ist Wilson dabei und er erlebt die 50er Jahren als Höhepunkt ihrer gesellschaftlichen Anerkennung. Niemanden interessiert, was die CIA in Guatemala oder im Iran treibt. Erst die gescheiterte Schweinbucht-Invasion rückt die Agency in den Mittelpunkt des Interesses. Das ist lästig, besonders, als Wilson herausfindet, dass es einen Verräter in den eigenen Reihen gibt, der den Kubanern entscheidende Informationen gegeben hat.

Irgendwie scheint man sich in „The Good Shepherd“ in der Welt von John le Carré, Graham Greene oder Tom Clancy zu befinden. Aber de Niro ist nicht an einer faktenreichen Abrechnung mit der CIA gelegen, auch wenn Wilson mit der Gemütsbewegung eines Stoikers einen Überläufer foltern lässt und dann auch noch feststellen muss, dass es der Doppelspion ein anderer war. Dies ist nur eine der Episoden, in denen Drehbuchautor Eric Roth die Geschichte sehr eng mit der Biografie James Jesus Angletons (1917-1987), dem berüchtigten Chef der CIA-Gegenspionage verknüpft (dabei handelt es sich um die Golitsyn-Nosenko-Affäre).
In einem Film, in dem die politische Message so offenkundig ist, gewinnt die Dramatisierung nur dann an Kraft, wenn die Geschichte die Ambivalenz der Figuren umso vielschichtiger beschreibt. Das ist nicht nur ein alter Genretrick, sondern auch de Niros Kunstgriff. „The Good Shepherd“ ist daher ein Film, den man in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein „Seelendrama“ genannt hätte. Das Leben des „guten Hirten“ ist die Geschichte eines Mannes, der seine patriotischen Werte und persönlichen Gefühle erst an faule Kompromisse, dann an einen kalten Pragmatismus verrät, der den Zuschauer schaudern lässt.
Wilsons Ehe mit seiner Frau Clover (Angelina Jolie) ist eine kalte Konstruktion, die Beziehung zu seinem Sohn ist gestört. Und als Wilson endlich das Geheimnis des Verräters entdeckt, der eigentlich keiner ist, stimmt er der brutalen Ermordung seiner zukünftigen Schwiegertochter durch die Russen schweigend und auf eine so gefühlskalte Weise zu, dass dies eine der perfidesten Szenen der jüngeren Kinogeschichte ist.

Robert de Niro hat für diesen Film eine herausragende Crew um sich versammelt. Die düstere Atmosphäre verdankt er Robert Richardson (2. Oskar für „Aviator“), dem Leib- und Magen-Kameramann von Oliver Stone, das Drehbuch schrieb Eric Roth („Forrest Gump“, „München“). In Nebenrollen sind de Niro selbst, Alec Baldwin, William Hurt, John Turturro und Joe Pesci zu sehen. Die Filmmusik von Marcelo Carvos und Bruce Fowler verbreitet dagegen nur emotionale Redundanz. Überragend ist dagegen Matt Damon, der auf jede Dämonisierung in der Darstellung verzichtet und mit reduzierter Mimik schleichende Kälte verbreitet (was allerdings einige Kritiker völlig entnervte). Wenn Damon am Ende des Film den zuvor nie geöffneten Brief seines toten Vaters zum ersten Mal liest und anschließend verbrennt, hat man nicht das Gefühl, das sich ein Mann von einem beherrschenden und lebenserdrückenden Trauma befreit hat. Man fühlt man sich sogar ein wenig an Citizen Kane und den Mythos von „Rosebud“ erinnert – und der ist, wie wir wissen, auf den ersten Blick doch ein wenig banal. Nun gut, manchmal muss man zweimal hinschauen.

USA 2006 - Originaltitel: The Good Shepherd - Regie: Robert De Niro - Darsteller: Matt Damon, Angelina Jolie, Robert De Niro, Joe Pesci, William Hurt, John Turturro, Alec Baldwin - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 167 min.