Freitag, 23. März 2007

Geheime Staatsaffären

Frankreich / Deutschland 2005 - Originaltitel: L'Ivresse du Pouvoir - Regie: Claude Chabrol - Darsteller: Isabelle Huppert, François Berléand, Patrick Bruel - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 110 min.

Man stelle sich einmal vor, dass Volker Schlöndorff einen Film über die Leuna-Affäre macht und eine Million Deutsche laufen ins Kino und schauen sich den Film über einen Korruptionsskandal an, über den nicht einmal deutsche oder europäische Gerichte ermitteln wollen. Undenkbar? Ja. In Deutschland existiert keine politische Filmkultur wie in anderen europäischen Ländern. Vielleicht ist der Bedarf zu hoch.

In Frankreich haben eine Million Menschen Claude Chabrols „L´Ivresse du Puvoir“ gesehen, weil der Skandal um Elf Aquitaine die Nation schwer erschütterte und im Nachbarland immerhin energisch ermittelt wurde. Von Eva Joly, einer unerschütterlichen Untersuchungsrichterin, die Politiker, Manager und Wirtschaftsbosse auf die Anklagebank brachte, weil diese nicht nur über 300 Mio. Euro zur Bestechung ausländischer Regierungen eingesetzt, sondern auch selbst kräftig in die Kasse des Staatsunternehmens gegriffen hatten. Und das gewiss nicht aus edlen Motiven: Mögen die Mächtigen des Öls auch den einen oder anderen faszinieren, so haben die Granden am Ende nichts anderes zu bieten als ihr Verlangen nach einer jungen knackigen Geliebten oder nach Schuhen für 1.500 €. Darauf läuft es am Ende auch in „Geheime Staatsaffären“ hinaus und hierzulande muss man nur nach Wolfsburg schauen. Aber darüber wird man wahrscheinlich keinen Film machen.

„Geheime Staatsaffären“ liegt nun als DVD vor, bei der sich besonders das vorzügliche „Making of“ lohnt, in dem man eine ganze Menge über die spitzbübische Philosophie des Filmemachers erfährt, der sich durchaus bewusst ist, dass filmische Fiktionen nichts an der Realität ändern und keine Revolutionen auslösen. Aber politische Filme verhindern wenigsten, dass sie durch schlechte und nutzlose ersetzt werden, verrät uns Chabrol verschmitzt. Und das ist ja schon mal ein Anfang.

Im Mittelpunkt von Claude Chabrols Film steht die Untersuchungsrichterin Jeanne Charmant-Killman (Isabelle Huppert), die wunderbare rote Handschuhe trägt und schon am Anfang ihrer Ermittlungen einige Bosse zwingt, ihre Hosen runterzulassen. Dies ist buchstäblich zu nehmen. Die Verve, die sie sichtbar genießt und mit der sie unter den Mächtigen aufräumt, wird bald lästig und daher zunehmend erfolgreich. Bedrohungen und Bespitzelungen nehmen zu und auch ihr Privatleben scheint spätestens in dem Moment zu zerbrechen, als zwei Leibwächter im Flur vor ihrem Schlafzimmer Platz nehmen. Aber wie so oft gehen auch in „Geheime Staatsaffären“ Chabrols Heldinnen über Leichen, wenn sie erst einmal Witterung aufgenommen haben. Charmant-Killman scheitert am Ende zwar nicht, aber sie hat auch keinen durchschlagenden Erfolg: innerhalb des Justizministeriums nach oben befördert und zunehmen isoliert, resigniert sie am Ende fast spöttisch. Immerhin hat sie ein paar kleine Fische erledigt und ein paar mittlere dazu. An die großen Hechte kommt sie nicht ran, aber so ganz hat dies auch Eva Joly nicht geschafft, die immerhin Außenminister Roland Dumas auf die Anklagebank beförderte, wo er dann freigesprochen wurde.

Chabrol hat allerdings keinen Film über Elf Aquitaine gemacht, sondern über die Verführung der Macht. Isabelle Huppert als zerbrechliche, aber harte Inquisitorin hat längst an ihrer Macht Gefallen gefunden und präsentiert die entsprechenden Insignien nicht ohne den erforderlichen Schuss Narzissmus. Auch ihre subtil demütigenden Verhöre nehmen die juristische Bestrafung der Delinquenten vorweg. Ihr Lernprozess, und der des Zuschauers, besteht darin zu erfahren, dass sie nur so viel Macht hat, wie man ihr gewährt.
"Der Film hat Bezüge zur Realität, aber er ist viel harmloser als die Wirklichkeit", erzählt Chabrol im „Making of“. "Das habe ich mit Absicht gemacht, denn ich wollte den Mächtigen eins auswischen. Es ist seltsam, aber die meisten Menschen glauben, dass ein Film, der explizit politisch ist, die Mächtigen härter trifft. Doch die Leute, denen man eins auswischen wollte, reden sich dann heraus, indem sie sagen: Das ist doch bloß ein Film. Wenn man aber mit seinem Film ein kleines bisschen unterhalb der Realität bleibt, können sie nichts mehr sagen. Der Film schockiert und jeder weiß: Die Wirklichkeit ist noch viel schockierender."

Allerdings, darüber muss man sich keine Illusionen machen, dürfte ein Normalsterblicher kaum verstehen, wie die Tricks und Machenschaften des Geldverschiebens im Einzelnen funktionieren. Wie Elf Aquitaine international zusammen mit verschiedenen französischen Regierungen Politik gemacht hat, kann man recht schnell via Google erfahren. Und wie immer waren die Beteiligten (natürlich ausnahmslos Männer) fest davon überzeugt, im Interesse der Nation zu handeln. Und etwas Lebensart muss schließlich auch sein, wenn man auf dem Weg nach ganz oben nebenbei zum alten Sack geworden ist: Villen, Frauen, Anzüge, Schuhe und exzentrische Sonnenbrillen. Kein Wunder, dass bei Chabrol die Farce und die Karikatur nicht weit entfernt sind, wenn die Bosse tatsächlich mal im Bild erscheinen. So und nicht anders dürfte sich auch Lieschen Müller die Sache vorstellen und wahrscheinlich ist es auch nicht mehr.

Oder doch? In „Geheime Staatsaffären“ hat sich Chabrol eine Figur ins Buch geschrieben, die ihm wohl als Stichwortgeber dienen sollte: es ist Felix, der Neffe der Richterin, ein Bonvivant, der über allem steht und alles weiß (woher eigentlich?) und letztlich im Namen seines Schöpfers dunkel andeutet, dass es die globalisierte Weltwirtschaft ist, der wir moralisch nicht gewachsen sind. Das sind natürlich keine neuen und auch keine schönen Aussichten. Und etwas Ohnmacht entsteht da auch in den Köpfen, obwohl Isabelle Hupperts Rachefeldzug so manchem Altlinken die Tränen des Glücks in die Augen treiben dürfte.

Eva Joly hat dagegen wenig Freude an Chabrols Film gehabt. Sie ist sogar vor Gericht gezogen. Chabrol, so ihre Quintessenz, verharmlose die realen Vorbilder und entmutige die Menschen. In der Realität hat sich Jolys Mann das Leben genommen, im Film bleibt es bei einem Selbstmordversuch. Und in der Wirklichkeit dürfte die echte Richterin wohl auch keine roten Handschuhe getragen haben.

Wie auch immer: Claude Chabrol hat mit seinem Film wieder einen Volltreffer gelandet, denn gemäß seiner Philosophie soll der Zuschauer intelligent unterhalten werden, wenn er aufgeklärt wird. Zumindest das ist ihm und Isabelle Huppert vorzüglich gelungen: Pikante und messerscharfe Dialoge sorgen für einen sarkastischen Charme, der dem Zuschauer vorgaukelt, man könne doch etwas gegen „die da oben“ machen.

Noten
BigDoc: 1,5