Donnerstag, 24. Januar 2008

I Am Legend

USA 2007 - Regie: Francis Lawrence - Darsteller: Will Smith, Alice Braga, Dash Mihok, Salli Richardson, Charlie Tahan, Paradox Pollack, Sterling Wolfe, Michael Ciesla, Thomas J. Pilutik - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 100 min.

Filme, die Kontroversen auslösen und Kritiker auf die Palme bringen, sind nie ganz schlecht. Im Gegenteil: In der Regel sind sie gut. Auch wenn es natürlich haufenweise Gegenbeispiele für diese These gibt, so trifft sie auf „I Am Legend“ weitgehend zu. Auch wenn es nicht gerade ein prägnantes Cineasten-Argument ist: der Film ist so spannend, dass es gelegentlich Bedenken wegen akuter Gesundheitsgefährdung geben sollte. Zumindest gilt dies für die erste Hälfte.

Francis Lawrences ("Constantine") überraschend gute Arbeit ist nicht nur die Verfilmung eines literarischen SF-Klassikers, sondern auch mittlerweile der dritte Versuch, der Buchvorlage „I Am Legend“ von Richard Matheson eine originelle Deutung abzugewinnen. Das macht neugierig, erst recht, wenn man weiß, dass George A. Romero durch Mathesons Visionen zu „Night of the Living Dead“ inspiriert wurde. Das ewige Thema und Schreckgespenst des Horrorfilms: Die Apokalypse und der selbstverschuldete Untergang der Menschheit.

Bereits 1964 entstand „The Last Man on Earth“ (Regie: Ubaldo Ragona und Sidney Salkow), eine stark an der Vorlage orientierte Adaption, in der Vincent Price einen verbitterten Vampirjäger spielt, der nach einer globalen Seuche die „Monster“ tötet, in die sich die verseuchten Menschen verwandelt haben. Aus Mathesons Story übernahm die erste Verfilmung die Plotidee, dass neben den blutrünstigen Vampiren in einem quasi-evolutionären Schritt „Neue Menschen“ entstanden sind, die zwar nicht immun gegen den Erreger sind, aber dennoch ein relativ normales Leben führen können – die „lebenden Vampire“. Nachdem die bösen Vampire getötet worden sind, erkennt Price am Ende, dass er das Monster ist, das in der neuen Gesellschaft keinen Platz finden wird, und tötet sich.
Exkurs: Diese Wendung war für einige Kritiker der Auslöser für die Kritik an Lawrences „I Am Legend“ und es ist nicht ganz unbedeutend, dass aus anthropologischer und zivilisationskritischer Sicht die Entstehung einer neuen Spezies und der resignative Freitod des „letzten Menschen“ eine wesentlich radikalere Kritik bedeuten als jedes denkbare Happy End: skeptische Kritik an der Verfassung unserer Gesellschaft, sowohl technologisch als auch moralisch.

Am bekanntesten ist Boris Sagals „The Omega-Man“ von Boris Sagal (1971), in der Charlton Heston den Wissenschaftler Robert Neville spielt, der sich als letzter Mensch gegen eine fundamentalistische Mutantensekte verteidigen muss – natürlich ebenfalls das Produkt einer weltweiten Katastrophe, diesmal allerdings einer atomar-biologischen. Auch Heston wird getötet, findet allerdings zuvor ein rettendes Serum, dass er einer Gruppe nicht-infizierter Jugendlicher geben kann. Zukunft ungewiss. Im Wesentlichen wurde schon im „Omega-Mann“ die skeptische Zivilisationskritik zugunsten einer „Rettungs- und Erlöserphantasie“ zurückgefahren – nicht die Monster sollen die Erde besiedeln, sondern der Mensch, sicher auch in Vollendung seines Schöpfungsauftrages, was nolens volens die Religion ins Spiel bringt.

In „I Am Legend“ ist Will Smith jener immune Robert Neville, der zusammen mit seinem Schäferhund in einem schicken Flitzer durch Manhattan brettert und nachts aufpassen muss, dass er nicht das Opfer kannibalistischer Zombies wird. Wenn er nicht scheues Wild in den neu begrünten Straßen Manhattans jagt oder mit Schaufensterpuppen spricht, führt er in seinem gut ausgerüsteten Labor medizinische Versuche mit Mutanten durch – natürlich, um ein Serum zu finden. Dies allerdings soll nicht etwa Menschen retten, sondern die Mutanten: Neville ist der „letzte Mensch“. Glaubt er jedenfalls.
Aus der Urfassung (und damit auch der ersten Verfilmung) hat Lawrence den Plot-Point des überraschenden Kontaktes mit einem menschlichen Wesen übernommen. Anders als in Mathesons Story ist Anna allerdings nicht verseucht, sondern eine gesunde Frau: immun und mit einer göttlichen Vision ausgestattet. Die ist recht einfach: Irgendwo da draußen existieren unverseuchte Menschen und sie, nicht die Monster, müssen gerettet werden. Obwohl Neville von ziemlich säkularen Zweifeln beherrscht wird, findet er letztendlich ein Serum und opfert sich, um Anna die Flucht zu ermöglichen. Dieses Ende ist natürlich der Vorlage und allen Vorgängern geschuldet, weniger der Logik der Geschichte.

In den zahlreichen Wechselbeziehungen zwischen der Novel und den Filmadaptionen findet sich für Kritiker reichlich Spielraum für plausible und teilweise auch absurde Projektionen. Das ist Tagesgeschäft. Natürlich kann sich über vermeintlich „überflüssige Flashbacks“ ärgern; man kann (nicht ganz anstrengungsfrei, was die Rhetorik betrifft) in Lawrences Adaption eine rechtslastig-reaktionäre Botschaft hineinlesen, wenn man davon überzeugt ist, dass die zu rettende letzte menschliche Gemeinschaft ein neues Auenland für „gute Amerikaner“ ist; klar ist auch, dass dem einen oder anderen Kritiker auffällt, dass die Laborversuche mit Mutanten doch recht heftig an KZ-Gräuel erinnern und zudem Männerphantasien beflügeln, wenn die nackte Mutantin wohlgeformt und ziemlich tot auf dem Labortisch liegt. Und natürlich hat sich der eine oder andere intime Kenner der literarischen Vorgeschichte über die „Verfälschung“ der eingangs erwähnten anthropologischen Pointe mokiert.

Schiebt man dies alles zur Seite, dann bleibt der ziemlich intelligente Mainstream-Versuch einer Neu-Interpretation des Stoffes, ein Film, der streckenweise zu einer ungewöhnlich subtilen und (man muss es so sagen) auch anrührenden Geschichte über soziale Deprivation wird – mitten in einem verlassenen Manhattan, das uns auf eine Weise gezeigt wird, wie wir es so schnell nicht wieder im Kino erleben werden. Will Smiths Neville ist eine ambivalente Figur (was Smith übrigens sehr überzeugend spielt), die zwar ihre Zivilisations- und Technologiegläubigkeit eingebüßt hat, die Werkzeuge des Molochs aber nicht aus der Hand legen kann. Er macht weiter, nicht nur im Labor, sondern auch mit seinen DVDs und allen anderen Alltäglichkeiten („Shrek“ ist übrigens sein Lieblingsfilm, was in den Augen eines Kritikers der endgültige Beweis für die Infantilisierung des Stoffes war) und dies verwandelt ihn in eine tragische Figur. Er ist durch und durch ein Mensch, ein soziales Wesen, bei dem trotz all der verzweifelten Kompensationen der Wahnsinn schon grinsend um die Ecke lugt. Er ist eben mitten im "Ground Zero". So oder so - und dazu bedarf es keiner weiteren Analogien zu 9/11.

Der anthropologische Skeptizismus des Films mitsamt seiner Endzeitdepression wird trotzdem mit einem Schuss Überlebenswillen durchsetzt. Der ist ziemlich pragmatisch und das ist weder unplausibel noch ist es neu, aber „I Am Legend“ verwandelt diese verstörende Grundstimmung in Bilder, die eine unverwechselbare Ästhetik besitzen und (auch wenn es jetzt möglicherweise peinlich wird) eine fremdartige Schönheit entwickeln. Da stört es mich nicht, dass die Monster aus dem Rechner stammen und Neville (was einige Kritiker erregte) nichts unternimmt, um mit ihnen zu kommunizieren. Lieber Himmel, sie wollen den Mann fressen – und das ist nicht der Rahmen für klärende Gespräche.

Im Filmclub kam der Film, dessen Einspielergebnisse in den Staaten in astronomische Höhen geklettert sind, recht gut an: Klawer = 3 (nach anfänglicher Kritik an der Heilsbotschaft des Films), Mr. Mendez = 2,5 (immerhin), Melonie = 2,5 und BigDoc = 2.

Dienstag, 8. Januar 2008

The Contract

USA, Deutschland 2006; 97 Minuten; Regie: Bruce Beresford; Drehbuch: Stephen Katz, John Darrouzet; Produzent(en): Avi Lerner, Randall Emmett, George Furla, Les Weldon, Danny Lerner, Andreas Schmid; Mit Morgan Freeman, John Cusack, Jamie Anderson, Alice Krige, Megan Dodds, Bill Smitrovich, Ned Bellamy.

Machen wir es kurz, denn manchmal gibt es nicht viel zu erzählen. Etwas kann man aber nicht oft genug wiederholen: Es gibt sehr selten neue Geschichten im Kino und viel öfter solche, die man schon tausendmal gesehen hat. Wer Bekanntes originell variiert, dem klopft man auf die Schultern. Wer öde das Bekannte abnudelt, kann sich auch nicht mit Morgan Freeman und John Cusack über die Runden retten. Und so fragte Melonie nicht zu Unrecht: „Ist dies ein B-Picture?“

Blöderweise schüttelte ich den Kopf. Ich hatte Unrecht.

Der Film ist a) produktionstechnisch ein B-Picture, wenn man dies einem aus Kostengründen in Bulgarien gedrehten Film unterstellen darf, und er ist b) auch inhaltlich ein B-Picture, obwohl ich mich etwas sträube, denn ich habe so viele gute B-Pictures gesehen, dass ich den Begriff besser in Schutz nehmen sollte.

Also: erzählt wird die Geschichte des Lehrers Ray (John Cusack), der mit seinem Sohn einen familientherapeutischen Selbsterfahrungstrip in die Berge unternimmt, aber das Pech hat, dass ihnen nach einem gescheiterten Befreiungsversuch der fliehenden Killer Carden (Morgan Freeman) über den Weg läuft. Couragiert beschließt der Pädagoge und Ex-Cop den Übeltäter der Justiz zu übergeben. Leider sind Cardens Gefährten dem Trio bald auf der Spur und dies aus unterschiedlichen Gründen. Zudem schwant dem Zuschauer bald Übles, denn man erfährt, dass auch eine böse verschwörerische US-Behörde (mal ganz ehrlich: so langsam hängt dieses Klischee zum Halse heraus), für die Carden offenbar arbeitet, diesen alsbald kalt und tot unter die Erde bringen will.

Dass Morgan Freeman kein Knuddelopa ist, weiß man. Aber den gewissenlosen Auftragskiller nimmt man ihm nicht so richtig ab, auch wenn er alle Register zieht. Um die Figur mit etwas Ambivalenz auszustatten, schrieb Drehbuchautor Stephen Katz dem möglicherweise wehrlosen Freeman eine Portion gedrosselte Empathie in die Dialoge, die zu allem Übel so platt sind, dass der Routinier einfach nicht gegen sie anspielen kann, ohne am Ende nicht doch als (mit Abstrichen) Charmebolzen dazustehen.

Was bleibt: erstens erhebliche Zweifel daran, dass ein US-Geheimdienst einen Bürger wegen dessen Meinung zur Stammzellenforschung liquidieren lassen will (das ist Cardens Auftrag!), zweitens die Erkenntnis, dass Bulgarien eine wirklich phantastische Landschaft zu bieten hat, drittens ein flauer, aber nicht völlig verdorbener Filmabend.

Ach ja, Bruce Beresford ist 1990 für „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ mit Oskars zugeschüttet worden. Den Chauffeur spielte Morgan Freeman. Gut, dass man sich noch einmal zum Geldverdienen getroffen hat.

Noten: Klawer = 3,5, BigDoc = 3,5, Mr. Mendez = 4, Melonie = 5.

Tödliche Versprechen

Großbritannien / Kanada 2007 - Originaltitel: Eastern Promises - Regie: David Cronenberg - Darsteller: Viggo Mortensen, Naomi Watts, Vincent Cassel, Armin Mueller-Stahl, Sinéad Cusack, Jerzy Skolimowski - FSK: ab 16 - Länge: 100 min.

Geschossen wir kein einziges Mal in „Eastern Promises“, dafür aber geschlagen, gestochen und geschlitzt. Vorzugsweise mit Krummdolchen oder Rasiermessern. Und auch sonst ist Cronenberg nicht gerade zimperlich, was die physische Präsenz der Gewaltdarstellung betrifft. Und die endet meistens tödlich. Das Körperliche (und hier wohl auch explizit das Vergängliche) haben es dem Macher von „Crash“, eXistenZ“ und „A History of Violence“ angetan. Cronenberg ist Atheist und außer den essentiellen Faktoren „Leben“ und „Tod“ gibt es für ihn keine Gewissheiten. Der Mensch erfindet sich selbst und meistens ist das, was dabei herauskommt, nicht gerade Ausdruck einer konsequent praktizierten christlichen Ethik.

In „Tödliche Versprechen“ gibt es einen Sub-Plot, der von einem Mädchen erzählt, das mit falschen Versprechungen aus der Ukraine nach London gelockt wurde – ein Fall für Mädchenhändler. Man sieht sie nur einmal, schwanger und blutend, dann kommt sie nieder und ist auch bald tot und nur ihr Tagebuch erzählt von ihrem kurzen Leben.
Der Meta-Plot zeigt, wie der russische Gastwirt Semyon alles Erdenkliche unternimmt, um dieses Tagebuch zu bekommen, das bei der Hebamme Anna (Naomi Watts) gelandet ist. Kein Wunder, denn Semyon (Armin Mueller-Stahl) will nicht nur seinen Sohn Kirill (Vincent Cassel) schützen, sondern auch seine Geschäftsinteressen und letztlich auch sich selbst. Hinter der biederen Fassade des Familienmenschen verbirgt sich ein führender Kopf der russischen Mafia, das Mädchen war Handelsware und Semyon ist zudem auch noch der Vater des Kindes der Toten.

Über 100.000 Frauen aus Osteuropa werden in westliche Gefilde verschleppt und Cronenberg lässt keine Gelegenheit aus, um in seinen zahlreichen Interviews darauf hinzuweisen, dass die Zwangsprostitution dazu geführt hat, dass es mittlerweile in Westeuropa mehr Sklavinnen gibt als weltweit im 18. und 19. Jh. Für Cronenberg ist dies der Auslöser, um seinen Film ideologisch als Kritik an einer besonders archaischen Form des Kapitalismus zu verorten.
Wer einen verkopften Film erwartet, muss keine Angst haben: empirische und soziologische Diskurse über die Opfer finden bei Cronenberg nicht statt und auch sonst klaffen Sozialkritik und Genrekultur, Anspruch und Umsetzung weit auseinander, auch wenn dies der Qualität seines Films keinen großen Abbruch tut. Cronenberg beobachtet mit ruhiger Kamera und gelassener Montage ohne Mätzchen eine hermetische Männerwelt, in der Loyalität, rituelle Freundschaften, tattooverzierte Männerkörper, Initiationen und extreme Brutalität ziemlich unvermittelt nebeneinander existieren können. Dramaturgisch konterkariert wird alles nur durch die Figur des skrupellosen Nikolai (Viggo Mortensen), der als Chauffeur und Leibwächter von Kirill allerlei Dreckiges zu verrichten hat und dann ein ganz anderer ist als alle glauben.

Das alles ist aus bekannten Zutaten gemischt: ein wenig von Puzos „Paten“, ein wenig von Scorseses „Good Fellas“ und – man darf sich die Augen reiben – vielleicht auch eine Prise Buddenbrocks, denn dass sich in der Generationenfolge dezent der Niedergang andeutet, weil das Asketisch-Kaufmännische durch das Laszive und Dekadente abgelöst wird, sieht man mehr als deutlich.
Man kann nicht sagen, dass dies neu ist. Und auch der Cronenberg-Touch, der in „A History of Violence“ noch zu erahnen war, ist erneut geringer geworden. „Eastern Promises“ ist Mainstream, sehr gut, sehr überzeugend, aber nichts, was wirklich durchdringt und betroffen macht.
Sensationell sind allerdings die Darsteller: Vincent Cassell verzichtet auf outriertes Spiel und hat mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick erkennt, Viggo Mortensen ist eine oscar-verdächtige Performance gelungen, die zu den besten darstellerischen Leistungen der letzten Monate gehört, nur Armin-Mueller-Stahl will man nicht immer den Paten abnehmen – er ist gut, zweifellos, aber letztlich zu subtil, zu feingeistig, zu melancholisch.
„Tödliche Versprechen“ hat nach dem Bundesstart über 100.000 Zuschauer in die Kinos gelockt, dürfte aber für die Til Schweiger-Komödie „Keinohrhasen“ (1,3 Mio) und das Fantasy-Spektakel „Der goldene Kompass“ (1,8 Mio) wohl keine große Herausforderung sein. Spätestens das Schlussbild von Cronenbergs Film wird die meisten Zuschauer in deprimierter Sprachlosigkeit aus dem Kino entlassen. Und dieses Tableau ist nun wirklich kein Mainstream.

Noten: BigDoc = 2,5, Klawer = 2,5