Montag, 1. Januar 2018

Star Trek: Discovery

12 Jahre nach dem Ende von „Star Trek: Enterprise“ können die Trekkies tief durchatmen. Star Trek ist wieder zurück. Doch die Reaktionen fielen gemischt aus. Die Kritiker waren zufrieden bis begeistert, vielen Fans war „Star Trek: Discovery“ zu düster. Auch die Klingonen wurden zum Ärgernis, weil sie nicht wie Klingonen aussahen. Dabei liefert der aufwändige CBS-Relaunch grandiose Bilder. Vielleicht reicht das nicht.


Ganz zu Beginn ist die USS Discovery noch nicht dabei. Sie taucht erst später auf. Da befindet sich die Föderation bereits im Krieg gegen die Klingonen. Über acht Mio. US-Dollar kostete jede der neuen Star Trek-Episoden – da musste man es richtig krachen lassen und bot gleich zu Beginn Weltraumschlachten à la carte. Star Trek-Puristen missfiel dies, aber auch in früheren Serien gab es militärische Auseinandersetzungen – etwa mit den emotionslosen, alles assimilierenden Borg. Aber das passierte halt selten. Nun aber zieht die Crew in „Star Trek: Discovery“ (STD) mit einem paranoiden, möglicherweise psychisch gestörten, aber taktisch genial operierenden Captain in einen totalen Krieg – pathetische Durchhalteparolen sind mit an Bord.




Krieg statt Humanismus

Das stieß nicht auf Gegenliebe. Auch Captain Picard, der old-fashioned Humanist würde sich im Grabe umdrehen, aber der wartet in ferner Zukunft auf uns. STD spielt dagegen in der Zeitlinie etwa 100 Jahre nach Jonathan Archers Abenteuern auf der „Enterprise“ und zehn Jahre vor den Geschichten des hemdsärmeligen James T. Kirk. Vielleicht waren die Menschen zu dieser Zeit noch nicht kultiviert genug, um so humanistisch aufzutreten, wie es sich Gene Roddenberry, der Schöpfer von „Star Trek“, wünschte. Also Krieg an allen Fronten.

Star Trek, und damit meine ich das TV-Universum und nicht die Kinofilme, in denen sogar - was für eine Schande! - Data von den Machern umgebracht wurde, ist ein mythologische Erzähl-Biotop, mit dem man sorgfältig umgehen muss. Über die Jahre – in denen übrigens der Begriff „Worldbuilding“ noch nicht bekannt war – haben die Macher ein eigenes Universum geschmiedet, mit einer eigenen Geschichte, mit Figuren, die die Serienkultur über Dekaden geprägt haben. 
Star Trek folgte dabei der schlichten, aber überwältigend humanitären Philosophie Gene Roddenberrys, der Armut, Hunger und Kriege abschaffte und sogar zuließ, dass eine schwarze Frau einen weißen Mann küsste. In „Star Trek: Discovery“ gibt es schwule Starfleet-Offiziere, was vielleicht vor zwanzig Jahren spektakulär gewesen wäre. Heute zuckt man mit den Achseln.
Auf seine Art und Weise war Star Trek immer ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse. Nicht nur in Sachen Diversität. Im Mittelpunkt stand der Captain des Schiffes, in
„Star Trek: Voyager“ auch ein weiblicher. Immer waren sie moralische Leuchtfeuer. Nicht immer von Beginn an charismatisch, aber wenn man sich an ihn oder sie und die Crew gewöhnt hatte, konnte man sich keinen anderen mehr vorstellen. Auch Jonathan Archer war besser als sein Ruf bei den Fans.

Die Zeiten der integren Figuren sind aber offenbar vorbei. Das hat Folgen für die neue Serie. In Episode 5 „Choose Your Pain“ lässt sich der 1. Offizier des USS Discovery vom Bordcomputer erklären, was einen guten Captain ausmacht. Saru (Doug Jones) gehört zum Volk der Kelpiens, das im Ruf steht, ausnahmslos aus Feiglingen zu bestehen - ein kollektives Trauma der Spezies nach Jahrhunderten der Verfolgung. Nun muss ausgerechnet er seinen von den Klingonen entführten Captain Gabriel Lorca (Jason Isaacs) ersetzen. Der Bordcomputer erklärt ihm geduldig, was die großen Captains der Sternenflotte auszeichnete. Christopher Pike ist darunter, und eben auch Jonathan Archer. Man spürt förmlich Sarus Verzweiflung. Mut, Empathie, Scharfsinn – wie soll das jemand hinkriegen, der im Zweifelsfall lieber flieht als kämpft?

Sarus Figur wird in der Serie irgendwo zwischen Data und Lieutenant Barclay stehen, nur eine Spur misstrauischer und depressiver, aber auf keinen Fall überdreht. Während Data nach Emotionen suchte, will Saru mutig sein. Er kriegt dies allerdings vorläufig nicht hin. Der Wissenschaftsoffizier, und das gehört zum Star Trek-Kanon, wird also wieder einmal zwischen extremer Kompetenz und spezifischen Defiziten und Sehnsüchten seine ganz eigenen Geschichten bekommen. Und so entstand in dieser Folge sogar echtes Star Trek-Feeling.


In anderen nicht. Gelegentlich musste man sich verzweifelt an den Kopf fassen, zum Beispiel, als in 1x7 „Magic to Make the Sanest Man Go Mad“ zum x-ten Mal das Motiv der Zeitschleife aus dem Fundus gezerrt wurde, wohl, um nach all den düsteren Auftaktepisoden etwas „Lustiges“ zu erzählen. Nicht schon wieder. Das hatten wir schon in „Star Trek: Enterprise“ zur Genüge. Dabei war diese Trope bereits in den TNG-Episoden 1x24 „We’ll Always Have Paris“ (dts. „Begegnung mit der Vergangenheit“) und 5x18 „Cause and Effect“ (dts. „Déjà Vu“) und auch im TNG-Staffelfinale auserzählt worden.

Nichts gegen alte Themen, aber
hier spürte man schon einen gewissen Mangel an Kreativität. Und man spürt die Absicht: Auf der einen Seite will man den Alt-Fans und Trekkies ein bisschen Zucker geben (aber nicht zu viel), andererseits muss alles modern und neu sein, bewusst damit kalkulierend, dass die jüngere und damit werberelevante Zielgruppe vielleicht nicht weiß, was in den Altserien passiert ist. Und sich möglicherweise auch nicht dafür interessiert.

Das Brüllen im Subraum

Als 1987 Captain Jean-Luc Picard mit der USS Enterprise in 178 Episoden in die unbekannten Weiten des Weltalls vorstieß, war der Widerstand groß. Die Fans der Classic Series warfen Gene Roddenberry Verrat vor, das tat auch der eine oder andere Darsteller der Originalserie. Es dauerte fast drei Staffeln, dann bescheinigte auch die Kritik den Machern um Rick Berman, dass sie einen vielschichtigen und dramatischen Serienkosmos geschaffen hatten.
 „Star Trek: The Next Generation“ lief bis 1994. Ich gehörte zu den Puristen, wollte das auf keinen Fall sehen und schaute mir die Serie erst Mitte der 1990er Jahre an. Ein großer Fehler. Danach war und blieb TNG meine Lieblingsserie im Star Trek-Universum.

Heute wird wieder gemeckert. Das wabernde Internet, in dem jeder zu Wort kommt und nicht einmal wissen muss, wovon er spricht, wird zum öffentlichen Gerichtssaal. Selbst etablierte Printmedien schicken bereits nach zwei bis drei Episoden ihre Rezensenten an die Front, die häufig genug sofort den Daumen senken. Ist die erste Staffel einer neuen Serie zu Ende, wird kaum noch darüber geschrieben. Man hetzt die nächste Sau durchs Dorf. 
Wie sich die Story Arc tatsächlich entwickelt hat, scheint egal zu sein. Von professionellen Medienkritikern sollte man aber einen langen Atem erwarten. Auch diese Zeiten sind vorbei.
Die Hater haben in zahllosen Foren die Möglichkeit, diese Befreiung vom abwartenden Zuschauen genüsslich zu zelebrieren. Geduld ist von gestern, man weiß ja nach der ersten Episode Bescheid, man muss es auch sofort loswerden, und dieses Brüllen im digitalen Subraum wird von Jahr zu Jahr immer lauter. Aber das ist zum Glück nicht immer so, es wird auch reflektiert geschrieben und es gibt nicht wenige, die sich gut auskennen und verdammt gute Argumente haben, um über STD sauer zu sein.


Der berüchtigte Kanon

2161 wurde die Vereinte Föderation der Planeten gegründet. Damit endeten die Abenteuer der Enterprise NX-01 und ihres Kapitäns Jonathan Archer, dessen Crew offiziell am 22.1.2155 in der vorletzten Episode „Terra Prime“ in Rente ging.

„Star Trek: Discovery“ beginnt in der mittlerweile sehr speziellen Timeline des Star-Trek-Universums genau ein Jahrhundert später, nämlich 2256, und damit neun Jahre, bevor James Tiberius Kirk mit seiner „Enterprise“ die unendlichen Weiten des Weltalls erforschen wird.
Jonathan Archer konnte für sich reklamieren, dass die im Geiste von Gene Roddenberry geschaffene Föderation der Planeten ohne seine Heldentaten nicht so schnell möglich gewesen wäre. Aber wenn man die ersten Folgen von „Discovery“ gesehen hat, beschleicht einen schon der Eindruck, dass die neuen Figuren der CBS-Serie so gut wie nichts über Archer, T’Pol, den ‚Kalten Temporalen Krieg‘ oder die Xindi wissen. „Star Trek: Discovery“ spielt zwar in der sogenannten Hauptzeitlinie und nicht in der von J.J. Abrams erdachten „Kelvin-Zeitlinie“, aber dennoch scheint eine generelle Amnesie zum normalen Alltagsgeschäft der Serienschreiber zu gehören. 
Letztlich befällt sie dann auch die fiktiven Figuren.
Denn unendlich sind nicht nur die Weiten des Weltalls, sondern auch endlosen Variationen eines Serien-Kosmos‘, in den man alles Mögliche hineinerfinden kann, der für seine Anhänger aber so etwas wie der Heilige Gral ist. Sogar eigene Filme haben sie produziert, um Star Trek am Leben zu erhalten. Eifersüchtig wachen die Trekkies über die Continuity der Staffeln und Kinofilme, decken
schonungslos Logiklöcher  auf und groß ist der Ärger, wenn der „Kanon“ verletzt wird. Auch CBS bekam dies zu spüren. Der Relaunch der Serie wurde von den Kritikern wohlwollend aufgenommen. Die Fans sahen dies überwiegend anders.

Das ist ernst zu nehmen. Tatsächlich hätte STD ausgezeichnet funktioniert, wenn man die Serie in die Post-Picard- und Post-Janeway-Ära verfrachtet hätte. Denn STD funktioniert in der gewählten Timeline leider nicht. Die hypermoderne „Discovery“ verfügt nämlich über Technologien, von denen Kirk und Spock nur träumen könnten. Es gibt Hi-Tec-Simulations-Software für Raumschlachten, natürlich auch ein Holodeck, das es 'eigentlich' erst 100 später geben wird. Kommuniziert wird nicht per Bildschirm, sondern per Hologramm. Andere Showrunner haben dies besser hingekriegt und schlichtweg die Continuity respektiert.


Das Schlimmste ist jedoch der Sporen-Antrieb, mit dem das neue Raumschiff innerhalb weniger Sekunden an beliebige Orte der Galaxis springen kann – oder im Nahkampf über 130-mal um den Gegner herumhüpft. In der Zeitlinie von Kirk, Picard und Janeway hat man diese epochale Erfindung natürlich komplett vergessen, man düst mit dem trivialen Warp-Antrieb durchs All. Und der hat immerhin den Vorteil, dass der raumkrümmende Antrieb mit seinem Warp-Feld wenigstens etwas mit spekulativer Physik zu tun hat. Ein Sporen-Antrieb ist allerdings schlichtweg größenwahnsinnig.

Hätte man STD in die Zukunft der bekannten Timeline verlegt, wäre der Ärger geringer. So aber wurden temporale Paradoxien erzeugt, die nicht nur jeden Trekki auf die Palme bringen. Ähnlich wie J.J. Abrams mit seinen Kinofilmen, haben die Macher von STD aber offenbar nicht das geringste Interesse daran gehabt, diese Paradoxien zu vermeiden.
 
Gut, zum Teil ist das nachvollziehbar. Man hat pro Episode ein 8 Mio-Budget von CBS spendiert bekommen und will nun zeigen, wo das Geld geblieben ist. Und Scriptwriter zu finden, die sich von A bis Z im Star Trek-Universum auskennen, dürfte auch nicht einfach sein. Also CGI en masse, supermoderne Technik, Holotechnik, ein Antrieb mit quasi unendlicher Lichtgeschwindigkeit, gigantische Raumschlachten, fremde Planeten, die allerdings phantastisch aussehen und die angemalten Pappkulissen in der klassischen Serie endgültig zu einem lächerlichen Unikum machen.
Das sieht gut aus, ist sogar kinoreif. Aber leider entstanden dabei auch Ideen, die megaloman auch alles andere größer, imposanter und irrwitziger machen wollten, egal, ob es zur Timeline und zum Kanon passt oder nicht. Und so sah man staunend die partielle Seelen-Teleportation, die es Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) ermöglicht, über Lichtjahre hinweg mit ihrem vulkanischen Ziehvater Sarek in Kontakt zu treten. Nein, dies hat wenig mit Logik zu tun, auch nicht mit der vulkanischen und schon gar nichts mit dem „Kanon“. 


Was ist gut, was ist schlecht?

Dass „Star Trek: Discovery“ wie eine Fortsetzung mit eigener Timeline funktioniert, muss der Serie aber nicht unbedingt das Genick brechen. Wenn die Geschichte funktioniert, kann man vieles vergeben. Aber funktioniert sie denn? 


Die Schurken

Dies sind wieder einmal die Klingonen. Und wieder einmal werden sie von Star Trek-Showrunner nach ihrem Gusto präsentiert. In STD sehen sie so aus wie die „Ingenieure“ in Ridley Scotts „Prometheus“. Whorf würde sich vermutlich lieber ins eigene Bat’leth stürzen, als die Klamotten tragen zu müssen, die sich die neuen Klingonen antun. 

Gut: Die Klingonen sprechen häufig Klingonisch (mit Untertiteln), aber auch nicht immer.

Schlecht: Trotz (oder wegen?) ihrer Designer-Klamotten wirken die Klingonen leicht debil. Sie kommunizieren auf dem intellektuellen Niveau von schlecht erzogenen Zehnjährigen, sind extrem fremdenfeindlich und rassistisch und haben Angst, ihre kulturelle Identität zu verlieren. Als „Identitäre“ hassen sie die multikulturelle Föderation mit ihrem Rassen-Mischmasch und wollen unter der Führung ihres Gurus T’Kuvma vereint in den Krieg gegen die Föderation ziehen. T’Kuvma kommt bald ums Leben und danach bricht wieder das obligatorische Ränkespiel der klingonischen Häuser um die absolute Macht aus. Als politische Satire funktioniert das fabelhaft, psychologisch gehört die Rasselbande in einen Comic für Sechsjährige.



Die Crew

Die heimliche Hauptfigur ist Jason Issacs. Der 54-jährige Kino- und TV-Veteran spielt Gabriel Lorca, den Captain der „USS Discovery“. Zum ersten Mal ist damit ein Soziopath Boss auf einem Föderations-Raumschiff. Lorca ist charismatisch, manipulativ, ignoriert alle Befehle der Sternenflotte und scheint auch massiv gestört zu sein, nachdem er nach einer militärischen Niederlage seines alten Schiffes, der USS Buran, seine gesamte Besetzung getötet hat, um ihr die Entehrung durch eine klingonische Gefangenschaft ersparen zu wollen. Seine Vorgesetzte Admiral Katrina Cornwell schläft zwar mit ihm, will ihn aber wegen einer psychischen Störung des Amtes entheben. Als Cornwell von den Klingonen gefangengenommen wird, unterlässt Lorca eiskalt alle Befreiungsversuche.

Gut: Jason Issacs spielt alle anderen an die Wand. Das war wohl nicht so geplant, aber narzisstische Figuren sind halt spannender als gradlinige Moralisten. Lorcas Credo ist „Context is for Kings“. Das ist der Titel der 3. Episode und meint, dass nur die ganz Großen die wahren Zusammenhänge erkennen.
Schlecht: Eigentlich nichts. Man ist neugierig, wie es mit dem Halbirren weitergeht.


Die eigentliche Hauptfigur sollte Sonequa Martin-Green („The Walking Dead“) werden, die Michael Burnham spielt. Burnham ist 1. Offizier auf der USS Shenzhou unter Captain Phillippa Georgiou (Michelle Yeoh). Erzogen von den Vulkaniern und ihrem Mentor/Vater Sarek (James Frain) will sie eigentlich auf ein vulkanisches Wissenschaftsschiff, verliert aber den Platz an ihren Halbbruder Spock. Also tritt sie der Sternenflotte bei. Versehentlich tötet Burnham in 1x1 „The Vulcan Hello“ einen Klingonen und versucht vergeblich einen drohenden Krieg auf Rat von Sarek durch einen einschüchternden Präventivschlag zu verhindern. Da sie vorher aber
Captain Georgiou niedergeschlagen, wird sie wegen Meuterei, Befehlsverweigerung und Hochverrat zu lebenslanger Haft verurteilt. Lorca erkennt ihr Potential und macht sie allen Widerständen zum Trotz zu einem Mitglied seiner Crew.

Gut: Michael Burnham ist eine latent interessante Figur, weil sie das alte Thema ‚vulkanische Logik vs. menschliche Intuition' durchspielen darf. Und sie bekommt auch viel Screen Time.

Schlecht: Sonequa Martin-Green wurde von der Kritik gefeiert, muss meiner Meinung aber darstellerisch noch eine Schippe drauflegen. Auch wenn man als Fast-Vulkanierin emotionale Probleme mit Menschen hat, sollte man nach mehr als einem halben Dutzend Dienstjahren nicht so aussehen, als würde man permanent auf einer Zitrone herumkauen.


Doug Jones („The Strain“) spielt Saru, den 1. Offizier auf der USS Discovery. Er ist das obligatorische Alien im Führungsstab des Schiffes – und ein Feigling. In 1x8 „Si Vis Pacem, Para Bellum“ (übersetzt: Wenn Du den Frieden willst, bereite den Krieg vor“) versucht Saru ein Außenteam auf dem Planeten Pavho festzuhalten, weil die dort lebende Spezies in Frieden und völliger Harmonie mit der Natur lebt. Um gewaltfrei leben zu können, setzt Saru allerdings Gewalt ein. Das geht nicht gut.

Gut: Saru wurde am Reißbrett geplant, um eine Mischung zwischen Spock und Data im Team zu haben. Er ähnelt eher Data und seinen unerfüllten Träumen, ist analytisch aber fast so brillant wie Spock. Eine Figur mit viel Potential.

Schlecht: Mit dem Kelpianer ist eine weitere psychisch instabile Person an Bord des wichtigsten Schiffes der Föderation. Ob ein Schaf unter Wölfen auf Dauer hilfreich ist, wird sich zeigen.


Gibt es eigentlich halbwegs normale Crewmitglieder an Bord der USS Discovery? Eher nicht. Auch Shazad Latif als Sicherheitschef Ash Tyler ist schwer angeschlagen. Dabei macht der blendend aussehende, angenehm gebildete und höchst athletische Lieutenant einen mehr als normalen Eindruck, dem sich auch Michael Burnham nicht entziehen kann. Leider wurde Tyler monatelang von den Klingonen gefoltert und bekommt ausgerechnet in 1x9 „Into the Forest I Go“ eine schwere PTSD-Attacke, als ihm während eines lebensgefährlichen Außeneinsatzes die klingonische Folterexpertin L’Rell erneut gegenübersteht.

Gut: Ash Tyler ist ebenfalls eine Figur mit Potential. In der letzten Folge vor der Midseason sieht man, dass Tyler von L’Rell nicht nur konventionell gefoltert, sondern auch vergewaltigt wurde. Um explizite Sexualität hat man im Star Trek-Kosmos immer einen großen Bogen gemacht. Diese Zeiten sind vorbei. Und das Letzte, was man in STD vor der Winterpause zu hören bekommt, sind die fulminanten Lustschreie einer Klingonin.
Schlecht
: Da im Web die Theorie kursiert, dass Ash Tyler in Wirklichkeit der klingonische Albino Voq ist, dürfte den Zuschauern womöglich eine krude Überraschung bevorstehen. Voq ist nämlich ein bedingungsloser Anhänger des toten T’Kuvma und dürfte als klingonischer Spion den aus meiner Sicht lästigen Krieg mit den Klingonen unnötig in die Länge ziehen. Was für die Fan-Theorie spricht: Den in den Credits genannten Darsteller Javid Iqbal scheint es nicht zu geben. Als Plot-Twist dürfte eine bevorstehende Enttarnung allerdings ein neues Logikloch auftun, obwohl die Alpträume Tylers sprechen eher gegen die Theorie sprechen.

Missbrauchte Figuren gibt es also bereits reichlich auf der USS Discovery. Zu ihnen gehört auch Paul Stamets (Anthony Rapp), einer der Wissenschaftsoffiziere, die sich auf den Sporen-Antrieb spezialisiert haben. Als homosexueller Starfleet-Offizier bringt er zusammen mit vielen starken Frauenfiguren einen Schuss Diversität in die Story, erinnert auch ein wenig an die Version von Sulu in „Star Trek Beyond“. Missbraucht wird er von Captain Lorca, als dieser herausfindet, dass Stamets nach einem gefährlichen Selbstexperiment in der Lage ist, den Sporenantrieb zu kontrollieren und die Sprunggenauigkeit zu erhöhen. Zuvor hat man dies mit einem Monster versucht, das wie ein riesengroßes Bärtierchen aussieht. Dass ging nicht lange gut, aber auch Stamets leidet körperlich unter den zahlreichen Sprüngen, was den skrupellosen Lorca aber nicht davon abhält, ihn immer wieder in tödliche Gefahr zu bringen.

Gut: Anthony Rapp spielt das recht gut, vielleicht eine Spur zu „queer“. 

Schlecht: Eigentlich gar nichts. Aber wenn er nicht mehr springen will und kann, könnte es schnell recht langweilig für ihn werden.


Halbwegs normal ist dagegen Mary Wiseman als Kadett Sylvia Tilly. Von den Machern als „Seele der Show“ bezeichnet, ist diese Figur für das Comic Relief zuständig. Überaus redselig, aber durchaus liebenswert.

Gut: Endlich eine halbwegs normale Figur.

Schlecht: Leider ist momentan dieser Charakter zu klischeehaft gezeichnet und muss sein Potential erst noch finden.



Fazit

Die Serie wurde nicht für die die Trekkis, die Altfans und die Puristen gemacht, sondern für neue Zuschauer aus den werberelevanten Zielgruppen. Und sie wurde auch nicht für Kids gemacht, dafür ist „Star Trek: Discovery“ zu hart, zu erwachsen und zu depressiv. Kanon und Continuity im Star Trek-Universum wurden beschädigt, aber es war nicht zu erwarten, dass die Produzenten der Serie die alten Settings aus den 1960er Jahren nachbauen, um authentisch zu sein. Dafür ist der Relaunch der Serie durch CBS mit seiner völlig neuen Grundstimmung und vielen potentiell interessanten Figuren trotz einiger Schwächen überwiegend interessant und spannend. Wer sich aufregt, dass nichts beim Alten geblieben ist, sollte nicht vergessen, dass in früheren Serien das Auftreten der Figuren manchmal zu steif war und nicht jeder Dialog den Zauber von Poesie besaß. Dafür gab es früher eine große Anzahl verdammt gut geschriebener Geschichte, mit denen STD trotz seiner tollen Optik noch nicht mithalten kann.

„Anders ist nicht immer besser, aber auf jeden Fall – anders!“, dieses Motto gilt also auch für STD. Den Serienmachern ist daher mehr Gelassenheit zu wünschen. Also bitte gründlich darüber nachdenken, ob man wirklich alles tun muss, was man tun kann.
Und den Kritikern ist auch mehr Gelassenheit zu wünschen. Vor dem Ende der 2. Staffel wird man kaum wissen können, ob „Star Trek: Discovery“ wirklich funktioniert. Wer bereits jetzt sein Urteil gefällt hat und den Daumen senkt, der hat in den unendlichen Weiten des Weltalls eine unendliche Freiheit: Einfach nicht zuschauen. Oder abwarten: Vielleicht spielt alles im Moment noch in einem Paralleluniversum. Und wenn die USS Discovery in ‚unserer’ Timeline ankommt, sehen die Klingonen vielleicht wie richtige Klingonen aus.


Note: BigDoc = 2,5

 
Star Trek: Discovery – USA 2017 – nach einer Idee von Bryan Fuller und Alex Kurtzman – Showrunner: Gretchen J. Berg und Aaron Harberts – 15 Episoden – D.: Jason Isaacs, Sonequa Martin-Green, Doug Jones, Shazad Latif, Anthony Rapp, Mary Wiseman.


Nachtrag

Was ist besser – vertikal oder horizontal?

Fast alle Star Trek-Serien wurden vertikal erzählt, also mit abgeschlossenen Episoden. Dieses Erzählprinzip hat auf dem amerikanischen TV-Markt aufgrund der Syndication gewisse Vorteile, weil TV-Sender bei der Nach-Lizenzierung von „Reruns“ eine begrenzte Anzahl von Episoden ordern können, ohne auf die Reihenfolge achten zu müssen. Eine horizontal erzählte Serie erschwert dies aus ökonomischen und lizenzrechtlichen Gründen. Künstlerische Aspekte sind in diesem Zusammenhang eher zweitrangig.

Viele vertikale Serien der jüngeren Vergangenheit, etwa ab 1990, wiesen immer häufiger ausgeprägt horizontale Elemente auf. Die „X-Files“ machten den Wechsel zwischen „Monster of the Week“-Episoden und der alle Staffeln verbindenden „Alien Conspiracy“ zu ihrem Markenzeichen. Mit dem Auftauchen der großen „Quality TV“-Serien begann der Siegeszug des horizontalen Erzählens. Egal, ob „Mad Men“, „Breaking Bad“ oder „The Wire“ – alles, was von den Kritikern und mitunter sogar von den Fans gefeiert wurde, das wurde horizontal erzählt.


Im Star Trek-Universum nahm mit der Zeit das horizontale Erzählen deutlich zu. Die von Paramount produzierte und von den Showrunnern Brannon Braga (und ab 2004 von Manny Coto) gestaltete Serie „Raumschiff: Enterprise“ war nicht nur das erste richtige Prequel, es erzählte am Ende ebenfalls durchgehend horizontal.



„Discovery“, so scheint es jedenfalls im Moment, wird ebenfalls überwiegend horizontal erzählt. Aber 1x7 „Magic to Make the Sanest Man Go Mad“ war eine typisch vertikale Folge. Im Übrigen hat sich die Mischung beider Erzählformen als vorteilhaft erwiesen.
Gut:
Alle guten und erfolgreichen Serien, wie etwas „Stranger Things“, werden horizontal erzählt, weil sie einen Plot vielschichtiger entwickeln können. Die neue unter der Schirmherrschaft von CBS entstandene Serie liegt als horizontales Narrativ also im Trend. Ursprünglich war aber eine Anthologie-Serie mit abgeschlossenen Episoden und wechselndem Personal geplant. CBS hatte mit Bryan Fuller („Star Trek: Voyager“, „Hannibal“, „American Gods“) und Alex Kurtzman („Star Trek Into Darkness“) dafür gute Serien- und Filmmacher mit Star Trek-Background an Bord geholt. Die Anthologie-Idee wurde dann aber verworfen. Fuller schied allerdings aus dem Kreativteam aus und widmete sich „American Gods“.
Schlecht: Vertikale Star Trek-Staffeln hatten exzellente Einzelepisoden, aber auch zweitklassiges Material an Bord. Da vertikale Episoden eine Geschichte komplett in 42 Minuten erzählen müssen, entstehen dabei oft Perlen der Serienkunst - wenn man es hinbekommt. Qualitätsschwankungen gehören allerdings zum Geschäft.
Stimmt in einer horizontalen Serie aber die Kernidee nicht, ist dies auf Dauer nur schwer zu retten. „Discovery“ sollte auch aus diesem Grund nicht auf vertikale Episoden verzichten, da man auf diese Weise besser auf Zuschauerpräferenzen und Zuschauerkritik reagieren kann.

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