Freitag, 26. Januar 2018

Akte X – Staffel 11: zwischen schräg und brillant

Es ist vermutlich die letzte Staffel der X-Files: Gillian Anderson will nicht mehr. Nun hoffen die Fans, dass das Team um Chris Carter die Geschichte wenigstens vernünftig zu Ende erzählt. Wie das möglich ist, steht in den Sternen. Immer noch ist die Wahrheit irgendwo da draußen, wo auch immer.

Der Auftakt der neuen zehnteiligen Staffel versetzte auch den gläubigsten Fans einen schweren Schlag. Bereits die 10. Staffel, die einen Relaunch der Serie nach 15 Jahren Pause im Januar 2016 präsentierte, ließ den Zuschauer hin- und hergerissen zurück. Die Fortsetzung der Mythologie-Geschichte in der Rahmenerzählung „My Struggle“ bot nämlich einige Ungereimtheiten und endete mit einer globalen Pandemie und einem Raumschiff, das über allen schwebte, während Mulder (David Duchovny) um sein Leben kämpfte. Nicht nur er, sondern alle Menschen waren infiziert. Das „Spartan“-Virus hatte sich global ausgebreitet. Die Menschheit stand vor der Ausrottung. Eilten jetzt etwa die Aliens zur Rettung herbei?



Chris Carter kann es nicht mehr

„My Struggle III“ war in den USA der Auftakt der womöglich letzten Staffel. Sie sollte den Cliffhanger auflösen. Umso erstaunter sah man dann, dass sich Mulder bester Gesundheit erfreute, während Scully in desolater Verfassung im Krankenhaus lag.
Pandemie? Keine Spur weit und breit. Der „Raucher“ (William B. Davis) schien sich ebenfalls bester Gesundheit zu erfreuen und qualmte fröhlich vor sich hin, während er Ex-Agent Monica Reyes (Annabeth Gish) bedächtig sein Szenario von der Ausrottung der Menschheit erklärte. Während der „Raucher“ fabulierte, dass er der mächtigste Mann der Welt ist und nach dem Massensterben mit auserwählten Überlebenden einen Neustart versuchen will, raste Mulder während einer Verfolgungsjagd mit dem Auto durch die City und führte dabei innere Monologe über Sinn und Unsinn seiner Handlungen.

Verdacht keimte langsam auf, dann wurde er konkret: Alles, was man „My Struggle II“ gesehen hatte, war Fake - oder anders bezeichnet: „Unreliable Narration“. Die Ereignisse hatten sich ledigich in der Fantasie von Scully abgespielt, als eine Art von Vision, in der sie die kommenden Dinge quasi halluzinierte. Chris Carter hatte damit alles auf null gesetzt und erzählte eine völlig neue Geschichte in einer neuen Zeitlinie.
Das ist eine Todsünde.
 

Der Trick mit dem „unglaubwürdigen Erzähler“ mag unter anderen Umständen ein passendes Erzählmittel sein, um den Zuschauer auszutricksen. In „My Struggle III“ wurde dieser Mindfuck in der von Chris Carter geschriebenen und inszenierten Episode aber zu einer lächerlichen Posse. Sie zeigte überdeutlich, dass vom Schöpfer der X-Files eine plausible Auflösung seiner Alien-Mythologie nicht mehr zu erwarten ist. In einer Erzählung, in der zwischen all den Procedurals und „Monster oft the Week“-Episoden die Mythologie-Geschichte klar und strukturiert auf den finalen Punkt gebracht werden sollte, wenn man sie schon weitererzählt, bot Carter stattdessen einen Turnaround an und erklärte, dass alles, was man gesehen hatte, gar nicht geschehen ist, sondern eine paranormale Vision war.
Neu ist das nicht. Die Macher von „Dallas“ ließen 1985 eine Hauptfigur auf eigenen Wunsch sterben, nur um sie ein Jahr später fröhlich aus der Dusche steigen zu lassen – eine ganze Staffel entpuppte sich als Traum seiner Frau.


Klar, in den Mythologie-Folgen der X-Files wurde immer schon geschummelt, bis sich die Balken bogen. Allerdings waren die alten X-Files nie eine Satireshow, die sich endlos selbst zitierte und veräppelte und dabei so überdrehte, dass die Logiklöcher nicht mehr zu ertragen waren. Es gab trotz eines augenzwinkernden Humors auch immer eine dramatische Qualität der Geschichten, die in den besten Zeiten der Serie in Sachen Spannung durchaus Suchtpotential besaß.
Ein Plot-Twist jagte den nächsten, um das Fabulieren über eine Alien-Invasion am Köcheln zu erhalten, die eigentlich mit Staffel 5 auserzählt war. Danach wirkte vieles nur noch angestrengt. 
Das Ende der Serie im Jahre 2002 führte zwar zu einem Happy End zwischen Mulder und Scully, aber unter Bedingungen, die einer kompletten Niederlage gleichkamen. Zwei Außenseiter, untergetaucht und gejagt von den neuen Mitgliedern des Konsortiums. 
Ein Konsortium gibt es nun erneut. Das aber will offenbar eine Raumstation im Erdorbit bauen. Natürlich für die Eliten. Aliens gibt es nicht mehr, sie interessieren sich angeblich nicht mehr für die ökologisch durchgeschüttelte Erde. Die witzige Idee rettete aber keineswegs die Auftaktfolge vor den Konsequenzen einer schlecht erzählten Story.


Denn auch formal war „My Struggle III“ eine Zumutung. Eine konzentriert und effizient erzählte Handlung suchte man vergeblich. Ach ja: der Raucher outete sich dann auch noch als wirklicher Vater des Sohnes von Scully und Mulder. Plot Twists wie im Fieberwahn.

Noch schlimmer waren die ästhetischen Manierismen: Bildassoziationen, blitzartig auftretende Déjà-Vus, Flashbacks und hypnotische Freeze Frames. Die durchschnittliche Szenenlänge näherte sich verdächtig der 30-Sekunden-Grenze und wurde mit Einstellungslängen von zwei Sekunden so hektisch zusammengeschnitten, dass sich ein weiterer Verdacht breitmachte: Chris Carter hat überhaupt nichts mehr zu erzählen und versteckt dieses Nichts in einem gewaltigen Schnittgewitter. Die gesamte Episode sah aus wie ein schlimmer Alptraum. 


Die Procedurals boten immerhin gute Unterhaltung

Akte X auf Abschiedstournee – das schrie förmlich nach Gastauftritten. Das Problem: Viele interessante Wegbegleiter von Scully und Mulder sind mausetot. Zum Beispiel „Deep Throat“ und die drei „Lone Gunmen“. 

11x02 „This“
versuchte sich am Kunststück einer Wiederbelebung. Scully und Mulder erreicht ein mysteriöser und in 4 K-Zeiten technisch ziemlich mauer Videoanruf auf dem Smartphone – es ist Richard Langley (Dean Haglund), der verwirrt und verzweifelt um Hilfe bittet. Und prompt sind die beiden Akte X-Ermittler mittendrin in einem actionreichen Plot, in dem Erika Price (Barbara Hershey) als Mitglied des Konsortiums die wichtigsten Denker und Genies der jüngeren Vergangenheit in einer Simulation gefangen hält und für wahnwitzige Projekten schuften lässt. Deren Persönlichkeiten wurden zuvor über ihr Smartphone ausgelesen und digital rekonstruiert, was für Langley trotz der Aussicht auf ewiges Leben so unerträglich ist, dass er Scully und Mulder mit der Vernichtung der Simulation beauftragt.

Paralleluniversen und Simulationen haben also auch nach ähnlichen Plots in „The 100“, „Agents of Shield“, „Stranger Things“ und „Star Trek: Discovery“ offenbar immer noch nicht ausgedient. Auch wenn dies mittlerweile gehörig nervt, ist „This“ dank einer Reihe ironischer Anspielungen und witziger Wortgefechte zwischen Scully und Mulder zumindest mittelprächtig. Für Buch und Regie war Glen Morgan verantwortlich, der Bruder des X-Files-Autors Darin Morgan. Das Ergebnis: eine etwas kohärentere Handlung. Und: Einer der drei
„Lone Gunmen“ bekommt einen Abschiedsauftritt und auch „Deep Throat“ wurde in die Handlung geschmuggelt.

Danach ging es wieder bergab. 11x03 „Plus One“ war eine klassische „Monster of the Week“-Episode, in der ein Zwillingspaar teuflische „Hangman“-Spiele spielt. Das Teuflische ist, dass beide telepathisch miteinander kommunizieren und dabei Doppelgänger ihrer Zielpersonen heraufbeschwören. Dies allein wäre ziemlich obskur, da aber die Doppelgänger ihre Originale umbringen, ist es ein Fall für die X-Files.


Geschrieben wurde die Episode von Chris Carter, der aber auf die Regie verzichtete. Geholfen hat es wenig, denn es fallen einem mühelos alte „MoT“-Episoden ein, die schockierender und finessenreicher gewesen sind. Zum Beispiel das Plattwurm-Monster Eugene Victor Tooms in 1x03 „Squeeze“, der Flukeman in der ekeligen Folge „The Host“ (2x02) oder das Insektenmonster in „Folie a deux“ (5x19). 
„Plus One“ war dagegen vorhersehbar und dass dann auch Scully und Mulder ihren bösen Doppelgänger gegenüberstanden, war todlangweilig. Leider wurde man auch nicht durch einige witzige Szenen entschädigt, in denen die beiden FBI-Ermittler ihr zweifellos sehr fragiles emotionales und erotisches Verhältnis ausloten. Die Quoten der Serie waren mittlerweile von 5 Mio. Zuschauern auf 3,9 Mio. geschrumpft – und die dritte Episode konnte daran nichts ändern.


Die vierte Episode: Zurück zu altem Glanz

Ein Volltreffer landete die neue Staffel dann aber mit 11x04 „The Lost Art of Forehead Sweat“. Das war zu erwarten, denn geschrieben hat sie Darin Morgan, der für die X-Files eigentlich nie zweitklassige Scripts geliefert hat. Ich befürchte allerdings, dass einige Fans sich verzweifelt fragen werden, warum große Teile der Handlung in einer Tiefgarage stattfinden, in der sich Scully und Mulder mit einem verzweifelten Mann unterhalten, der sie von einer kruden Theorie zu überzeugen versucht.

Das lässt sich verkraften, denn Tiefgaragen sind in den X-Files immer schon der Ort gewesen, an dem wilde Verschwörungstheorien lanciert wurden. In der vierten Episode geht es aber ans Eingemachte, denn Reginald Murgatroid (Brian Huskey), der Mann aus der Tiefgarage, besteht darauf, dass ein geheimnisvoller „Mr. They“ seit Jahrzehnten die kollektiven Erinnerungen der Amerikaner so teuflisch manipuliert, dass sie nicht mehr den Fakten entsprechen. Schlimmer noch: alle Indizien, die die Wahrheit beweisen könnten, verschwinden spurlos. Und so findet Mulder plötzlich nicht mehr seine Lieblingsepisode aus „Twilight Zone“ und Scullys Lieblingspudding aus Kindertagen heißt plötzlich anders. 

Das führt zu schlagfertigen Debatten mit „Reggie“ über den sogenannten „Mandela-Effekt“, der angeblich dafür sorgt, dass Menschen ihre Erinnerungen selbst so lange umstricken, bis sie den Fakten nicht mehr glauben können. Dass „Reggie“ penetrant darauf besteht, dass dies in Wirklichkeit „Mengele-Effekt“ heißt, ist genauso wenig beruhigend wie der Umstand, dass der vor Angst schwitzende Mann (Achtung: Schweiß auf der Stirn) sich plötzlich als ehemaliges Mitglied des X-Files-Teams zu erkennen gibt.

Es ist ein gutes Zeichen, wenn das Cold Open einer Episode eine nicht ganz ironiefreie Spannung aufbaut, die danach auch hält, was sie verspricht. „The Lost Art of Forehead Sweat“ beginnt mit einer Schwarz-Weiß-Episode à la „Twilight Zone“, in der ein Mann in einem Diner dem Bartender erzählt, dass er von Marsianern verfolgt wird. Doch nicht jeder Paranoiker, der sich verfolgt fühlt, kann sicher sein, dass er nicht tatsächlich verfolgt wird.
 Dieses Katz- und Maus-Spiel setzte Darin Morgan, der auch Regie führte, dann im Stile eines Charlie Kaufman (Being John Malkovich, Eternal Subshine of the Spotless Mind) fort, dessen kunstvoll komplexe Drehbücher alles andere als mainstream-tauglich sind. So in etwa funktioniert auch die fabelhafte vierte Episode. Dass Mulder schließlich den geheimnisvollen „Mr. They“ persönlich trifft, ist dann auch ‚The Cream on the Coffee‘, denn der Magier beklagt sich darüber, dass es viel zu leicht geworden ist, in Zeiten von Twitter und Facebook das kollektive Gedächtnis der Menschen zu manipulieren. 


Dieser Ausflug in die US-amerikanische Tagespolitik wird am Ende ein furioser Höllenritt mit pointierten Gags und brillanten Dialogen – und alten Szenen aus den X-Files, in denen nun auch Reginald Murgatroid als drittes Teammitglied zu sehen ist. 
Dass Darin Morgan das Ganze mit politischen Seitenhieben (tatsächlich waren Hunderte Millionen Amerikaner bei der Amtseinführung Donald Trumps) abschmeckt, ist fantastisch ersonnen und fantastisch erzählt. Dazu gehört auch „Reggies“ Erinnerung daran, dass die Drei in ihrem letzten gemeinsamen Fall tatsächlich einem Alien begegnet sind, der über den Planeten Erde und seine gefährlichen Bewohner eine Ausreisesperre verhängt, und das im Jargon Donald Trumps. Dafür erhalten die Agenten ein Buch, in dem die volle Wahrheit über alles steht, was zumindest Mulder immer wissen wollte. Der bricht aber weinend zusammen, denn eigentlich wollte er nicht alles wissen, sondern immer weiter nach der Wahrheit suchen.


„The Lost Art of Forehead Sweat“ ist ein witziges Solitär, das nicht allen X-Files-Fans schmecken wird. Aber die Episode zeigt, dass die neuen X-Files mehr sein können als ein Revival, in der sich die Serie selbst veräppelt oder überdreht aus dem Ruder läuft. Wer sich die alten Episoden der Serie anschaut, wird viele Statements und schlagfertige Kommentare zur gesellschaftlichen Verfassung finden. Damals waren sie gallig, sieht man sie heute noch einmal, wirken sie prophetisch, aber inzwischen hat sie die Realität eingeholt und vielleicht auch überholt. Die vierte Folge lieferte nicht nur gekonnt, was man erhofft hatte, sondern inszenierte dies auch visuell mit überraschenden, witzigen und pointierten Ideen. Es bleibt zu hoffen, dass die weiteren Episoden dieses Niveau halten können. 






Die Review der zweiten Staffelhälfte gibt es hier.