Freitag, 22. Dezember 2017

Best of 2017

69 Filme wurden in 2017 gesichtet. Und wie üblich lag der Schwerpunkt auf DVD- und Bluray-Veröffentlichungen. Aktuelle Kinofilme fehlen natürlich nicht im Ranking, aber sie bilden nicht den Schwerpunkt. So entstand wie üblich eine Hitliste, in der auch Filme Beachtung fanden, die nicht gerade dafür bekannt sind, dass sie im Fokus der öffentlichen Beachtung stehen. Gutes Beispiel: „Captain Fantastic“ von Matt Ross – ein Independent Movie mit Viggo Mortenson, der bereits 2016 in die Kinos kam und leider nur 300.000 Zuschauer begeistern konnte.


Die Top Ten - von Sing Street bis Snowden

 

 

Platz 1: Sing Street

John Carneys Film wurde in Januar bewertet – und danach wurde er in den folgenden 12 Monaten nicht mehr überholt. Eine Überraschung. „Sing Street“ erzählt (…) nicht von einer Band, die sich mühsam nach oben arbeiten muss und schließlich scheitert, sondern von der Magie der Musik, die allen, die bedingungslos an sie glauben, das Wunder der Kreativität und der Inspiration in die Wiege legt“, schrieb ich. Ach ja: „Sing Street“, so versicherten mir die meisten, die den Film gesehen haben, sei um Klassen besser als jener Musikfilm, der Anfang 2017 einige Oscars abräumte. 
Kritik 

Platz 2: Paddington 2

Sogar ein Arthouse-Kritiker wie mich, der am liebsten politische Themen und die dazugehörigen Filme bespricht und daher selten lacht, ist von dem Bären begeistert. Über allen Figuren dieser tollen Komödie liegt der leichte Schleier einer sympathischen Infantilisierung. Und die verspricht, dass nichts wirklich Böses in der Welt von Paddington geschieht. Ehrlich gesagt: Manchmal braucht man das immer öfter.

Platz 3: Empörung

Die erste Regiearbeit des Independent Movie-Produzenten James Schamus ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Philip Roth, einem der wichtigsten amerikanischen Romanciers der 20. Jahrhunderts. Erzählt wird die tragische Geschichte eines jüdischen Studenten, der an einem College in Ohio unter die Räder gerät, weil sich hinter der liberalen Atmosphäre der Universität eine latent antisemitische und repressive Gesinnung verbirgt. Schamus wirft aus einer ungewohnten Perspektive einen Blick auf die Jahre der McCarthy-Ära und überträgt die tiefe Verunsicherung dieser Jahre auch auf den Zuschauer.

Kritik
 

Platz 4: Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft

Mit amerikanischer Literatur hat auch der Film von Michael Grandage zu tun: Jude Law spielt der berühmten Schriftsteller Thomas Wolfe, Colin Firth seinen Lektor und Freund Max Perkins, der Ende der 1920er Jahre den noch unbekannten jungen Autor unter seine Fittiche nimmt. „Genius“ skizziert die komplexe Beziehung zwischen einem überbordenden genialischen Autor und einem Lektor, der dem Genie Zügel anlegen muss, um das Werk für ein breiteres Publikum lesbar zu machen. Der Film ist eine unaufgeregte Studie über eine schwierige Männerfreundschaft, die aufgrund der unterschiedlichen Temperamente zum Scheitern verurteilt ist, aber nicht endet.

Kritik 

Platz 5: Die Insel der besonderen Kinder

„…wer für über zwei Stunden in etwas versinken möchte, das wie das Neverland Peter Pans ist, nur eben mit einem Schuss Stephen King, wird sich auf den Film problemlos einlassen können“, schrieb ich über Tim Burtons Film, der seinen von Asa Butterfield gespielten Helden in eine Welt voller Monster schickt – eine Geschichte, irgendwo angesiedelt zwischen den X-Men und Harry Potter. Eine Welt, in der man nie erwachsen werden muss. Also typisch Tim Burton.
Kritik

Platz 6: The Danish Girl

An Tom Hoopers Film über den transsexuellen dänischen Maler Einar Wegener, der sich Anfang der 1930er Jahre als Erster einer Geschlechtsoperation unterzog, könnte man durchaus einiges aussetzen: die Melodramatik, zudem einige historische Ungenauigkeiten. Aber Eddie Redmayne spielt Einar Wegener aka Lili Elbe so eindrucksvoll, dass man darüber vergisst, wie nuanciert Alicia Vikander die Rolle der Gerda Wegener spielt, die ihren Mann auf seinem komplizierten Weg begleitet. Dafür erhielt Alicia Vikander einen Oscar als „Best Supporting Actress“ bei den Oscar-Verleihungen 2017. Völlig verdient.

Platz 7: Silence

Martin Scorseses Film über zwei portugiesische Jesuiten, die sich Anfang des 17. Jh. in Japan auf die Suche nach einem verschollenen Glaubensbruder begeben, ist ein äußerst komplexes Arthouse-Drama, das sich dem Zuschauer keineswegs auf Anhieb erschließt. Im politisch zerrissenen Japan dieser Epoche herrscht ein ausländerfeindliches Klima, Christen werden erbarmungslos verfolgt. Scorsese macht aus diesem Film eine Mediation über den Glauben und die Bereitschaft zum Märtyrertum. Am Ende rettet spiritueller Pragmatismus der von Andrew Garfield gespielten Hauptfigur das Leben, aber dies ist nur ein Aspekt des Films. Darüber hinaus bietet „Silence“ einen Einblick in ein Kapitel der japanischen Geschichte, die vielen Zuschauern womöglich fremd bleiben wird, obwohl sich politische Analogien zur aktuellen Zeitgeschichte geradezu aufdrängen.
  
Kritik 

Platz 8: Café Society

Dass Woody Allens Film den Sprung in die Top Ten schaffte, ist eine kleine Überraschung. Aber Allen gelingt eine nette Geschichte über den Glamour Hollywoods in den 1930er Jahren. Dazu eine romantische ménage à trois, ein Schuss Gangsterfilm, opulente Settings und ein leicht überdrehter Jesse Eisenberg als genial geschäftstüchtiger Nachtklubmanager – Zutaten, die den Woody Allen-Film abrunden. Der ist keineswegs locker-luftige Unterhaltung. „Café Society“ ist keine liebevolle Hommage an die große Filmgeschichte, auch kein kitschiger Rückblick auf Glitter und Glamour der Stars und Sternchen, dafür aber eine boshafte Reminiszenz, deren Außenansichten mit voller Absicht so gelackt sind wie die trivialen Innenansichten der Figuren“, schrieb ich. Ja, Woody Allen ist manchmal sehr gehässig.
Kritik 


Platz 9: Allied – Vertraute Fremde

Ich habe nie so recht verstanden, warum Robert Zemeckis nicht in einem Atemzug mit den ganz Großen des Filmbusiness genannt wird. Der 1952 geborene Regisseur und Produzent erhielt persönlich nur einen Oscar, 1995 für „Forrest Gump“ (Beste Regie). Zuvor eine Nominierung für „Zurück in die Zukunft“ (1986), das war alles bei den Academy Awards. Gut, für „Allied“ gab es eine weitere Nominierung für „Best Costume Design“, aber spektakulär ist das nicht. Vielleicht liegt es daran, dass Zemeckis kein „Auteur“ ist, sondern ‚nur’ ein cleverer professioneller Filmemacher, der elegant und intelligent („Contact“) erzählen kann und es dabei schafft, ein breites Publikum gut zu unterhalten. Auch „Allied“ (Vertraute Fremde) ist elegant und intelligent. Brad Pitt und Marion Cotillard spielen Max und Marianne, ein Agentenpaar, das 1942 im Auftrag der Alliierten den deutschen Botschafter in Marokko töten soll. Während der Mission verlieben sie sich ineinander Das Attentat gelingt, beide lassen sich in England nieder, doch kurz danach wird Marianne beschuldigt, eine Doppelagentin zu sein und heimlich für die Deutschen zu arbeiten. Aus dem romantic thriller wird ein bedrückendes Drama, die Genres fließen zusammen, ohne dass man eine Bruchstelle erkennt. „Allied“ ist kein neues „Casablanca“, aber das war ja nicht die Absicht.

Platz 10: Junges Licht

71 Jahre alt ist Adolf Winkelmann, ein Urgestein des Deutschen Kinos. „Die Abfahrer“ hat er 1978 gedreht, „Jede Menge Kohle“ 1981 und 1993 „Nordkurve“, ein Film über den „Pott“ und Borussia Dortmund. Das war Winkelmanns Ruhrgebiets-Trilogie. „Junges Licht“ könnte da glatt als Sequel durchgehen, denn der Regisseur nimmt uns mit auf eine Reise in die 1960er Jahre, als in Dortmund noch die Schlote qualmten. Erzählt wird die Geschichte des 12-jährigen Bergarbeitersohns Julian, der es mit einer überforderten und gewalttätigen Mutter und einem bräsigen Vater zu tun hat, den Charly Hübner ganz wunderbar spielt. Einiges geht in der Familie drunter und drüber, Winkelmann visualisiert dies in seiner Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ralf Rothmann so eindringlich, dass man den Kohlstaub, den Rauch und den ganzen Mief förmlich riechen kann. Dabei wechselt Winkelmann ständig die Format – von 4:3 bis Cinemascope, mal farbig, mal Schwarz-Weiß. Am Ende sagt Charly Hübner zu seinem Filmsohn: „Abhauen gibt’s nicht, wäre schön, aber geht nicht.“ Genial.


Die miesesten Filme des Jahres

 

Bastille Day


Wenn Schablonenhaftigkeit und Phantasielosigkeit wirksam bebildert werden sollten, dann ist dies James Watkins, der immerhin das Drehbuch zu „Gone“ geschrieben hat, zweifellos gelungen. Die Geschichte um eine Gruppe krimineller Cops, die die allgemeine Angst vor terroristischen Anschlägen nutzen, um die französische Nationalbank zu überfallen, kann auch von Hauptdarsteller Idris Elba nicht gerettet werden. Note: 6

In A Valley of Violence


Der Noir-Western von Ti West ist eine Ansammlung schlimmster Klischees und könnte mühelos als Genreparodie durchgehen. Wenn er nicht so strunzlangweilig wäre. Note: 5,3

Die Unfassbaren 2


Jon M. Chus Fortsetzung des starbesetzten Heist Movies erzählt von einer Gruppe Zauberkünstlern, der es bei der Jagd nach einem Chip nur darum geht, einen wilden Twist nach dem anderen zu produzieren. Dabei geht nicht nur die Story baden, man hat sie nach dem Filmende auch sofort vergessen. Dass diese Art von Amnesie offenbar vom Publikum geliebt wird und daher die Kasse stimmte (Einspielergebnis über 330 Mio. US-Dollar), wird nun mit einem 3. Teil gedroht. Note: 5

Der schwarze Nazi 


Die Politkomödie erzählt von Kongolesen Sikuyoma, der das Land der Dichter und Danker liebt, trotzdem von Neonazis verprügelt wird, ins Koma fällt und nach dem Erwachen alles Undeutsche vernichten will. Prompt wird er zum Integrationsbeauftragten der rechtspopulistischen NPO und entpuppt sich zum Entsetzen seiner Parteifreunde als Extremist, der sie mühelos rechts überholt. Tilman König und Karl-Friedrich König scheitern in ihrem Film nicht an ihrer Botschaft, sondern daran, dass sie einen schlechten Film gemacht haben. Entweder lacht das deutsche Kinopublikum tatsächlich gerne über klischeebeladene, infantile Figuren – oder die Filmemacher glaubten, dass dies der Fall ist. Noch schlimmer ist das fade Drehbuch, das seine Szenen lieblos und hölzern aneinanderreiht. Auch beim Bildschnitt wirkt der Film amateurhaft. Note: 5

Hacksaw Ridge


Der letzte Film von Mel Gibson wurde als Teil meiner Kritik über Christopher Nolans „Dunkirk“ ausführlich gewürdigt. Mel Gibson erzählt von einem Pazifisten, der in den Krieg zieht und dort zum Helden wird. Den Sanitäter Desmond T. Doss (Andrew Garfield) hat es tatsächlich gegeben, allerdings ist der humanitäre Aufhänger des Films reine Augenwischerei. Ästhetisch führt uns Gibson das ganze Kompendium faschistischer Körper- und Todesverehrung vor und feiert das Opfer der Soldaten in sadistisch choreographierten Bildern als wahres Heldentum. Dass eine ähnlich todessehnsüchtige Ästhetik auch in einigen UFA-Produktionen nach 1933 steckte, erfährt man in Rüdiger Suchslands Dokumentarfilm „Hitlers Hollywood“. Joseph Goebbels hätte an Mel Gibson seine Freude gehabt. Note: 4

 

Trivia

Erstaunlicherweise fiel auch Christopher Nolans „Dunkirk“ im Filmclub gnadenlos durch. Erstaunlich deshalb, weil der Anfang des Jahres von einem Teil der Kritik hymnisch gefeierte Film erwarten ließ, dass es bei uns unterschiedlich Bewertungen gibt. Aber weit gefehlt: der Film wurde als „langweilig“ und „nichtssagend“ empfunden.


In den Top Twenty gab es einige Härten. Ab Platz 20 gab es punktgleiche Filme, die aber von zu wenigen Mitgliedern gesehen wurden. Deshalb flogen „Live by Night“ von Ben Affleck, „Hidden Figures“ von Theodore Melfi und „Split“ M. Night Shyamalan leider aus den Tops.
Besonders leid tut es mir für
„Hidden Figures“, das wunderbar erzählte und dreimal oscar-nominierte NASA-Drama über einige afroamerikanische Mathematikerinnen, die eine entscheidende Rolle bei den Mercury- und Apollo-Projekten spielten, aber lange unbekannt blieben. In den frühen Jahren der Raumfahrt musste die Berechnungen noch handschriftlich durchgeführt werden, was heutige Kids vermutlich schlichtweg nicht glauben werden. Wenn man als Farbige dann auch noch 1 km zur nächsten Toilette rennen musste, dann weiß man bereits eine Menge über den Struggle der „Unerkannten Heldinnen“. So heißt der deutsche Verleihtitel und der Film ist wirklich eine kleine Perle.
 
Das war unser Filmjahr 2017. Wie immer hoffen wir, dass 2018 nicht schlechter wird.