Dienstag, 8. Januar 2008

Tödliche Versprechen

Großbritannien / Kanada 2007 - Originaltitel: Eastern Promises - Regie: David Cronenberg - Darsteller: Viggo Mortensen, Naomi Watts, Vincent Cassel, Armin Mueller-Stahl, Sinéad Cusack, Jerzy Skolimowski - FSK: ab 16 - Länge: 100 min.

Geschossen wir kein einziges Mal in „Eastern Promises“, dafür aber geschlagen, gestochen und geschlitzt. Vorzugsweise mit Krummdolchen oder Rasiermessern. Und auch sonst ist Cronenberg nicht gerade zimperlich, was die physische Präsenz der Gewaltdarstellung betrifft. Und die endet meistens tödlich. Das Körperliche (und hier wohl auch explizit das Vergängliche) haben es dem Macher von „Crash“, eXistenZ“ und „A History of Violence“ angetan. Cronenberg ist Atheist und außer den essentiellen Faktoren „Leben“ und „Tod“ gibt es für ihn keine Gewissheiten. Der Mensch erfindet sich selbst und meistens ist das, was dabei herauskommt, nicht gerade Ausdruck einer konsequent praktizierten christlichen Ethik.

In „Tödliche Versprechen“ gibt es einen Sub-Plot, der von einem Mädchen erzählt, das mit falschen Versprechungen aus der Ukraine nach London gelockt wurde – ein Fall für Mädchenhändler. Man sieht sie nur einmal, schwanger und blutend, dann kommt sie nieder und ist auch bald tot und nur ihr Tagebuch erzählt von ihrem kurzen Leben.
Der Meta-Plot zeigt, wie der russische Gastwirt Semyon alles Erdenkliche unternimmt, um dieses Tagebuch zu bekommen, das bei der Hebamme Anna (Naomi Watts) gelandet ist. Kein Wunder, denn Semyon (Armin Mueller-Stahl) will nicht nur seinen Sohn Kirill (Vincent Cassel) schützen, sondern auch seine Geschäftsinteressen und letztlich auch sich selbst. Hinter der biederen Fassade des Familienmenschen verbirgt sich ein führender Kopf der russischen Mafia, das Mädchen war Handelsware und Semyon ist zudem auch noch der Vater des Kindes der Toten.

Über 100.000 Frauen aus Osteuropa werden in westliche Gefilde verschleppt und Cronenberg lässt keine Gelegenheit aus, um in seinen zahlreichen Interviews darauf hinzuweisen, dass die Zwangsprostitution dazu geführt hat, dass es mittlerweile in Westeuropa mehr Sklavinnen gibt als weltweit im 18. und 19. Jh. Für Cronenberg ist dies der Auslöser, um seinen Film ideologisch als Kritik an einer besonders archaischen Form des Kapitalismus zu verorten.
Wer einen verkopften Film erwartet, muss keine Angst haben: empirische und soziologische Diskurse über die Opfer finden bei Cronenberg nicht statt und auch sonst klaffen Sozialkritik und Genrekultur, Anspruch und Umsetzung weit auseinander, auch wenn dies der Qualität seines Films keinen großen Abbruch tut. Cronenberg beobachtet mit ruhiger Kamera und gelassener Montage ohne Mätzchen eine hermetische Männerwelt, in der Loyalität, rituelle Freundschaften, tattooverzierte Männerkörper, Initiationen und extreme Brutalität ziemlich unvermittelt nebeneinander existieren können. Dramaturgisch konterkariert wird alles nur durch die Figur des skrupellosen Nikolai (Viggo Mortensen), der als Chauffeur und Leibwächter von Kirill allerlei Dreckiges zu verrichten hat und dann ein ganz anderer ist als alle glauben.

Das alles ist aus bekannten Zutaten gemischt: ein wenig von Puzos „Paten“, ein wenig von Scorseses „Good Fellas“ und – man darf sich die Augen reiben – vielleicht auch eine Prise Buddenbrocks, denn dass sich in der Generationenfolge dezent der Niedergang andeutet, weil das Asketisch-Kaufmännische durch das Laszive und Dekadente abgelöst wird, sieht man mehr als deutlich.
Man kann nicht sagen, dass dies neu ist. Und auch der Cronenberg-Touch, der in „A History of Violence“ noch zu erahnen war, ist erneut geringer geworden. „Eastern Promises“ ist Mainstream, sehr gut, sehr überzeugend, aber nichts, was wirklich durchdringt und betroffen macht.
Sensationell sind allerdings die Darsteller: Vincent Cassell verzichtet auf outriertes Spiel und hat mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick erkennt, Viggo Mortensen ist eine oscar-verdächtige Performance gelungen, die zu den besten darstellerischen Leistungen der letzten Monate gehört, nur Armin-Mueller-Stahl will man nicht immer den Paten abnehmen – er ist gut, zweifellos, aber letztlich zu subtil, zu feingeistig, zu melancholisch.
„Tödliche Versprechen“ hat nach dem Bundesstart über 100.000 Zuschauer in die Kinos gelockt, dürfte aber für die Til Schweiger-Komödie „Keinohrhasen“ (1,3 Mio) und das Fantasy-Spektakel „Der goldene Kompass“ (1,8 Mio) wohl keine große Herausforderung sein. Spätestens das Schlussbild von Cronenbergs Film wird die meisten Zuschauer in deprimierter Sprachlosigkeit aus dem Kino entlassen. Und dieses Tableau ist nun wirklich kein Mainstream.

Noten: BigDoc = 2,5, Klawer = 2,5