Dienstag, 9. November 2021

„Dune“ – Denis Villeneuves Wüstenplanet ist vielversprechend

Wer Frank Herberts Romane nicht kennt, wird nach einem Kinobesuch vielleicht mit dem Lesen beginnen. Wie Millionen Fans zuvor. Leichte Kost ist „Dune“ (Der Wüstenplanet) nie gewesen. Etwas eingängiger ist Denis Villeneuves Neuverfilmung des Kult-Klassikers aus den 1960er-Jahren. Woran seine Vorgänger gescheitert sind, gelingt dem kanadischen Regisseur scheinbar mit leichter Hand – nämlich den Zuschauer mit faszinierenden Bildern und einem entschleunigten Erzähltempo in das Geschehen zu ziehen.
„Dune“ ist ein atmosphärisch dichter und eleganter Blockbuster, der rundum Spaß macht – und neugierig auf mehr. Allerdings gibt es vorerst nur die Hälfte des ersten Romans zu sehen – und der ist eigentlich nur ein 800 Seiten starker Prolog für alles Weitere. Dies dürfte schwer zu bändigen sein. Wenn es gelingt, sehen wir nach Harry Pottter, dem Herrn der Ringe in Zukunft nicht nur Marvel-Filme, sondern auch im Kino- und Serienformat alles über Dune. Jahrzehnte lang...

Worldbuilding? Aber ja! 

Frank Herbert ist ein Altmeister des Erfindens. Allein sein Roman „Der Wüstenplanet“ wird mit einem über 50-seitigen Anhang mitsamt Personenverzeichnis und einem Index der wichtigsten Begriffe geliefert. Auch eine Dune-Enzyklopädie in zwei Bänden liegt vor. Für Fans nicht nur eine Herkules-, sondern auch eine Lebensaufgabe.
Die Fortsetzung von Denis Villeneuves „Dune“ ist bereits geplant, 2023 soll sie ins Kino kommen. Straffer wird das bestimmt nicht. Und die anderen Teile? Verfilmbar sind die nicht. Eigentlich. Man muss befürchten, dass dies eine Mission Impossible ist. Ob es nach dem zweiteiligen „Dune“ weitergeht, steht daher nicht nur in den Sternen, sondern auch in den Bilanzen der Produktionsgesellschaften.

Ein monumentales Worldbuilding steht uns bevor

Von Denis Villeneuve war allerdings einiges zu erwarten – auch an der Kinokasse. „Arrival“ verbuchte das Viereinhalbfache seiner Produktionskosten. Zu Recht, denn Villeneuve hatte 2016 einen der eindrucksvollsten Science-Fiction-Filme der letzten 20 Jahre geschaffen. Nicht nur, weil die Aliens endlich mal keine Monster waren. 

Seine Version von „Dune“ ist insgesamt der vierte Versuch, die als unverfilmbar beschriebene Dune-Trilogie von Frank Herbert auf die Leinwand zu bringen. 1984 versuchte sich David Lynch am „Wüstenplaneten“, konnte aber nicht verhindern, dass der Produzent Dino de Laurentiis den Film verstümmelte. 

Die Idee, Frank Herberts voluminöses Sci-Fi-Epos mit einem Serienformat zu bändigen, versuchte dann der SciFi Channel im Jahr 2000 (Regie: John Harrison). Die Miniserie „Frank Herberts’s Dune“ gilt als Flop. 
Drei Jahre später sollte die Saga mit dem Dreiteiler „Frank Herberts’s Children of Dune“ (Regie: John Harrison) zu Ende erzählt werden. Die ebenfalls vom SciFi Channel produzierte TV-Serie fasste Herberts Romane „Dune Messiah“ (Der Herr des Wüstenplaneten, 1969) und „Children of Dune“ (Die Kinder des Wüstenplaneten,1976) zusammen. Alle drei Staffeln erzielten beachtliche Einschaltquoten, wobei die Sequels von der Kritik deutlich positiver aufgenommen wurde.

Nun also Denis Villeneuve. „Dune“ wurde bereits im Vorfeld als wichtigstes Kinoereignis des Jahres angekündigt. Die Rechte besitzen die Legendary Picture Productions, die 2016 von der chinesischen Wanda Group übernommen wurden. Produziert wurde „Dune“ für die Warner-Gruppe – und WarnerMedia plant für sein Streamingportal die Produktion der von Jon Spaiths entwickelten Serie „Dune: The Sisterhood“. Sie soll die Geschichte der Bene Gesserit erzählen. Regie: ebenfalls Denis Villeneuve. 

Uns steht also auch ein mediales Worldbuilding bevor, das als Investment natürlich Kasse machen muss. Das gilt natürlich auch für die neue Kinoversion von „Dune“, die zweifellos von einer schweren Aufgabe steht. Sie muss die Komplexität der Romane massenkompatibel in ein kassentaugliches Fantasy-Produkt überführen. 

Villeneuve wusste dies. Und so kündigte der Kanadier an, nach einer filmischen Lösung und dem richtigen Maß an Informationen für jene Zuschauer zu suchen, die sich nicht mit den Romanen über den Wüstenplaneten auskennen. Von den drei weiteren Nachfolgeromanen Herberts und denen seines Sohnes Brian Herbert soll erst gar nicht die Rede sein. Aber Denis Villeneuve gelang es, seine Auftraggeber davon zu überzeugen, dass Frank Herberts erster Roman nur als Zweiteiler denkbar ist. Allerdings nicht, um den Film vollzustopfen, sondern um seine Vorstellungen eines richtigen Pacings umzusetzen.
„Auf jedem für Menschen geeigneten Planeten gibt es eine Schönheit aus Bewegung und Gleichgewicht, die man aus dem Inneren heraus erkennt“, schrieb Pardot Kynes, ein fiktiver Planetologe über Arrakis. So sieht auch Villeneuves Film aus. Mystik und Sujet passen zusammen.

Die ästhetische Qualität des Films ist tadellos

Wir sind im Jahr 10192. Die Galaxis ist weitgehend von Menschen besiedelt, die interstellare Raumfahrt ist von der regelmäßigen Belieferung der bewusstseinsverändernden Droge Spice abhängig. Spice wirkt nicht nur lebensverlängernd, sondern verleiht den besonders Veranlagten auch hellseherische Kräfte und der Raumfahrergilde die Fähigkeit, Raumschiffe mit Überlichtgeschwindigkeit zu ihren Zielen zu steuern. Wer das Spice kontrolliert, kontrolliert auch die Macht.

Herrscher über das galaktische Imperium ist der Imperator Shaddam IV, der aus machtstrategischen Motiven den zu starken Herzog Leto (Oscar Isaacs), den Herrn des Hauses Atreides, in eine Falle lockt. Leto wird die Kontrolle über den Planeten Arrakis überlassen, während das Haus Harkonnen, das fast ein Jahrhundert lang die Spice-Produktion auf Arrakis kontrollierte, den Wüstenplaneten räumen muss. 
Leto, der dank seiner militärischen Überlegenheit auf seinem Heimatplaneten Caladan unangreifbar ist, soll auf Arrakis mitsamt seiner Konkubine Lady Jessica und seinem Sohn Paul aus dem Weg geräumt werden. Und so überfallen kurz nach der Ankunft des Herzogs und seiner Familie die Harkonnens und einige kaiserliche Bataillone den Wüstenplaneten und richten ein Gemetzel an, bei dem auch Leto aufgrund eines Verräters in den eigenen Reihen sein Leben verliert. Paul und seine Mutter können sich jedoch befreien und fliehen in die Wüste, auf der Suche nach dem kriegerischen Volk der Fremen, die (im Film bleibt dies unerwähnt) buddhistisch-islamische Sklaven waren und nach Arrakis fliehen konnten. Nur dank einer strengen „Wasserdisziplin“ überleben die Fremen auf dem lebensfeindlichen Wüstenplaneten, brutal dezimiert von den Harkonnens. Nun warten sie auf einen Messias, der sie in die Freiheit führen wird.

Der Auftakt ist Villeneuve zumindest in kinematographischer Hinsicht gelungen. Beeindruckend ist das Verhältnis von filmischer Erzählzeit und subjektiv erlebter Zeit. Nach zweieinhalb Stunden hat man das Gefühl, ein fünfstündiges Epos gesehen zu haben. Und das, ohne von einer Informationsflut erdrückt zu werden. Im Gegenteil: Pacing und Timing des Films erzeugen einen natürlichen, beinahe meditativen Rhythmus. Also genug Zeit zum Hinschauen: Ein Schnittgewitter hat der Editor Joe Walker (u.a. „Harry Brown“, „12 Years a Slave”, “Sicario”, “Arrival”) nicht produziert.

Villeneuves hat offenbar für seine Crew die Besten an Bord geholt. Überhaupt die Oscars: die Filmmusik des reichlich dekorierten Hans Zimmer ist diesmal eine Spur zu pathetisch, aber mit dem deutschen Special Effects Supervisor Gerd Nefzer hat Villeneuve einen weiteren Oscar-Gewinner an Bord geholt.
Wie Joe Walker (2x) kann auch Villeneuves Kameramann Greig Fraser auf eine Oscar-Nominierung zurückblicken. Fraser Ansichten des lebensfeindlichen Planeten mit seinen ausufernden Dünen, die im Wadi Rum in Jordanien gedreht wurden, sind ein echter Hingucker, auch wenn sie nicht ganz an die flirrenden Bilder in „Lawrence of Arabia“ heranreichen. Sehenswert sind auch Frasers oft aus der Vogelperspektive gezeigten Actionszenen, in denen das zahlenmäßige Verhältnis der Kombattanten Rückschlüsse auf den möglichen Ausgang ermöglicht, aber auch den Blick freigibt für das Bizarre und Idiotische, das sich den aufeinanderprallenden Armeen offenbart. Unsere ferne Zukunft hängt bei Frank Herbert wieder im Mittelalter fest. Mit einem Kaiser, mit Ständen und Fürstenhäusern.

Fette Pluspunkte kann das Casting verbuchen. Timothée Chalamet („Call Me by Your Name“, „The French Dispatch“) spielt den Paul Atreides als sensiblen, zerbrechlich wirkenden Prinz Hamlet, der zwar über seherische Fähigkeiten verfügt, aber dennoch gewaltige Probleme damit hat, seine Träume und Visionen zu deuten.
Man sollte Chalamet nicht mit dem physisch präsenteren Kyle MacLachlan in David Lynchs Film vergleichen. Auf jeden Fall braucht Villeneuves Paul Atreides keine inneren Monologe, um den Zuschauer von seinem Zweifel und seiner Zerrissenheit zu überzeugen.

Rebecca Ferguson („The White Queen“, „Mission: Impossible – Rogue Nation“, „Mission: Impossible – Fallout“) spielt die von den Bene Gesserit erzogene und kontrollierte Lady Jessica, Herzog Letos Konkubine, mit einer charismatischen Resistenz gegen die Zumutungen des Frauenordens, der den Lauf der Geschichte kontrollieren will. Nicht ganz angstfrei, aber doch so energiegeladen, dass man sich an die verhalten-ängstliche Francesca Annis in Lynchs Film besser nicht erinnern sollte. Mit dem Kinotrend des Woman’s Lib hat das aber nichts zu tun – bereits Frank Herbert hatte ein Faible für intelligente und auch physisch starke Frauenfiguren.

Oscar Isaac macht das Beste aus seiner begrenzten Screentime und spielt den Herzog Leto Atreides als moralisch integren Aristokraten, der fast alle strategischen Winkelzüge seiner Gegner antizipiert – nur halt den letzten nicht. So geht er in bester Shakespeare‘scher Manier durch Verrat unter.

Auch der wieder einmal ruppige Josh Brolin als Waffenmeister Gurney Halleck bekommt zu wenig Screentime, um zu glänzen. „Aquaman“ Jason Mamoa als schier unbezwingbarer Duncan Idaho hat wenigstens einen heroischen Abgang, was aber die Fans der Romane nicht schockieren wird. Sie wissen ja: Duncan Idaho kehrt zurück. Dagegen werden Charlotte Rampling als Gaius Helen Mohiam, eine führende Schwester der Bene Gesserit und die Wahrsagerin des Imperators, aber auch Xavier Bardem als Fremenführer Stilgar eigentlich verschenkt.
Die Schurken in Villeneuves Cast unterscheiden sich von David Lynchs Besetzung durch gebremsten Schaum. Lynchs Darsteller des Barons Harkonnen und seiner Neffen Glossu Rabban und Feyd-Rautha durften geradezu grotesk überzogen ihren Sadismus wie im Schmierentheater spielen. Mit irrem Gekicher. Der von Stellan Skarsgard gespielten Baron wird von Villeneuve dagegen als fetter, mordenden Kaufmann skizziert, dem es nur um Profite geht.
Dave Bautista als Glossu „Beast“ Rabban ist wie gemacht für seine Rolle. Den zweiten Neffen hat uns Villeneuve erspart. In Lynchs Film wurde er – vom Regisseur sexuell konnotiert - von Sting gespielt.

Erzählt wird nicht alles, was wichtig wäre

Ästhetik, Cast, Settings: es stimmt alles in „Dune“. Vieles ist überwältigend gut. 
Die überbordende Geschichte jedoch konsistent zu erzählen, stößt aber auch bei Villeneuve an ihre Grenzen. Selbst Tolkiens „Herr der Ringe“ ist beinahe aufreizend übersichtlich, verglichen mit Frank Herberts epochaler Ansammlung unzähliger Figuren, der sich über Jahrtausende erstreckenden historischen Hintergründe und der verwickelten Machtkämpfe in einer von Menschen besiedelten Galaxis.
All das wurde in sozio-kultureller Hinsicht von dem 1986 verstorbenen amerikanischen Science-Fiction-Autor sehr diffizil entwickelt und entsprechend detailliert beschrieben. Frank Herbert wusste bereits, was Worldbuilding ist, bevor es den Begriff gab. 
Nerds und Puristen wird daher fast zwangsläufig einiges in Villeneuves Adaption fehlen, aber dieses Lamentieren wird dem Film nicht gerecht. Fans werden mit ihrem Buchwissen ohnehin viele Szenen anders sehen (können). Eine Kinofassung hat eben nicht die Zeit, die es „Game of Thrones“ möglich machte, eine ähnlich komplizierte Geschichte facettengenau nachzuerzählen. Ob eine Serie nicht die bessere Lösung gewesen wäre?

Inhaltlich hat Villeneuves „Dune“ nur wenige Schwachstellen. Zu ihnen gehört nicht, dass man die meisten Szenen seines Remakes man bereits 1984 in David Lynchs Version gesehen hat. Villeneuve erfindet Herberts Geschichte also nicht neu. Das folgt aber einer Logik: Beide Regisseure haben die gleichen Schlüsselszenen aus Herberts Buch extrahiert.

Die Kritiker, darunter auch der Kritikerpapst Roger Ebert, bemäkelten 1984, dass Lynchs Drehbuch dilettantisch sei. Dies lag aber nicht an der Adaption der Handlung, sondern an der kollabierenden Dramaturgie. Tatsächlich kürzte der Produzent Dino de Laurentiis Lynchs dreistündige Schnittversion auf 137 Minuten, drehte einiges nach, um die Bruchstücke zu verklammern. Das wirkte sich auf das letzte Drittel des Films aufgrund eines gehetzten Tempos desaströs aus. Ob die Kritiker damals wussten, dass dem Regisseur kein Final Cut zugestanden wurde?

Villeneuve und seine Co-Autoren haben auf jeden Fall eine Lösung gefunden, die atmosphärischer ist. Dennoch verblüfft die Übereinstimmung der Szenenfolge in beiden Filme dann doch etwas. Und noch verblüffender Ist, dass Villeneuves Teil 1 genau an der Stelle abbricht, an der David Lynchs Film nach einer Laufzeit von 1:33 h in sich zusammenfällt und mit irrem Tempo jenen Teil des Romans abwickelt, der eigentlich der Höhepunkt der Erzählung sein sollte: Der Aufstand der von Paul Atreides geführten Fremen gegen das Terrorregime der Harkonnen.
Die Koinzidenz beider Filme soll an dieser Stelle zusammengefasst werden, obwohl dies weder für die dramaturgische noch für die ästhetische Qualität von Villeneuves Film entscheidend ist. Trotzdem bleibt der Eindruck, dass Villeneuves Team beim Script Writing Lynchs Film als Vorlage genutzt hat.

Identische Szenenfolge bei David Lynch und Denis Villeneuve:

  • Pauls Training mit dem Waffenmeister Gurney Halleck (Josh Brolin). Auch der sagt wie Patrick Stewart in Lynchs Film „Die langsamen Klingen durchdringen den Schild.“ Bei Lynch kamen allerdings die von ihm frei erfundenen Schallwaffen hinzu.
  • Pauls Schmerztest durch die „ehrwürdige Mutter“ der Bene Gesserit, Gaius Helen Mohiam (Charlotte Rampling). Dies gelang David Lynch besser - die telepathische Macht der Bene Gesserit wird in seinem Film deutlich beängstigender gezeigt.
  • Die Darstellung des Hauses Harkonnen: bei Lynch ist dies purer Body Horror à la David Cronenberg. Villeneuve verzichtet auf Lynchs völlig überzogene Theatralik.
  • Nach der Ankunft auf Arrakis wird Paul sowohl bei Villeneuve als bei Lynch für das perfekte Anlegen des Destillanzugs gelobt.
  • Der Angriffs des Sandwurms (Shai-Hulud) auf den Harvester ist in beiden Filmen eine Schlüsselszene. Das Verschlingen der Erntemaschine durch den Sandwurm ist in Lynchs Film allerdings deutlich dramatischer. Überhaupt: bei Lynch sehen die Würmer eindrucksvoller aus.
  • Den Test des Dienstpersonals gibt es auch bei Villeneuve.
  • Der Angriff des Jäger-Suchers auf Paul zeigt, dass die Harkonnen bereits vor ihrem Angriff einige Assassinen eingeschleust haben, die Paul ermorden sollen. Die Szene ist bei Lynch länger und aufgrund des inneren Monologs von Paul auch deutlich dramatischer.
  • Als Jessica und Paul nach der Invasion und dem Sieg der Harkonnens in der Wüste ausgesetzt werden sollen, befreien sie sich unter Einsatz ihrer telepathischen Gedankenkontrolle. Villeneuves Version ist deutlich besser.
  • Der Versuch des durch einen Giftanschlags gelähmten Leto, den Baron mit Giftgas zu töten, schlägt fehl. Villeneuve zeigt die Folgen der Attacke ausführlicher.

Über weite Strecken wirkt Denis Villeneuves Film also ein wenig wie ein Remake von David Lynchs Film. Eine Schwäche von Villeneuves Version ist aber, dass er dabei wichtige Inhalte des Buches weggelassen hat, die von David Lynch berücksichtigt wurden. Etwa die Szenen mit dem Imperator (José Ferrer) und den Vertretern der Raumfahrergilde, die in Lynchs „Dune“ vorlagengetreu die wahre Machthierarchie innerhalb des Imperiums demonstrieren.

Beide Filme scheitern an der Figur des Duncan Idaho. Bei Lynch wird eine der wichtigsten Figuren im Erzählkosmos Frank Herberts völlig eingedampft und konnte auch durch die Fehlbesetzung der Rolle mit Richard Jordan kaum überzeugen.
Jason Momoa nutzt in Villeneuves Version seine physische Power und sein Charisma, was deutlich glaubwürdiger ist. Im Roman wie in beiden Filmen stirbt Duncan Idaho bei der Vereidigung von Arrakis. Er kehrt in den Folgeromanen später als genetischer Klon (Ghola) zurück und gilt am Ende der Roman-Hexalogie, die sich auf einen Zeitraum von über 1500 Jahren erstreckt, als wahrer Kwisatz Haderach. Sein letzter Klon ist nämlich der erste, der alle Erinnerungen seiner Vorgänger besitzt. Dieses enorme Wissen ist singulär. Villeneuve verzichtet völlig darauf, die Bedeutung dieser Figur zu skizzieren.

Interessant ist, dass der Regisseur auf die inneren Monologe verzichtete, die für Lynchs Adaption charakteristisch waren. Der Vorwurf, dass innere Monologe unfilmisch sind, ist bekannt, allerdings nicht immer nachvollziehbar. Man sollte aber wissen, dass sie bei Frank Herbert ein wichtiges Stilmittel waren. Lynch blieb also der Vorlage treu, nutzte sie aber auch, um den historischen Handlungsüberbau zu erklären, was stellenweise ziemlich plump wirkte. In einigen Szenen sorgte dieses Stilmittel allerdings für eine differenzierte Charakterentwicklung der Figuren - wie in Herberts Romanen. Fazit: Lynchs Film ist auch heute kein Fall für die Resterampe.

Trotz seiner ästhetischen Qualitäten ist deshalb nicht klar, welchen Benefit der Zuschauer von dieser Verfilmung hat. Auf jeden Fall ein wundersam elegant fließendes Tempo, imposante Bilder und eine CGI-Umsetzung, die sich nicht vor die Handlung schiebt, sondern sie illustriert. Überzeugen kann auch die Fokussierung auf eine zerbrechlich wirkende Hauptfigur, deren Visionen rätselhaft sind und ihren Empfänger verwirren. Die tiefe Beziehung zu dem Fremenmädchen Chani (Zendaya) ist in Villeneuves Film noch nicht absehbar, daher kein Trost für den jungen Herzog, aber die Herbert-Fans wissen, welches Gewicht diese Figur bekommen wird.

Die inhaltlich nicht immer runde Umsetzung der Romanvorlage durch Villeneuve deutet an, wie kompliziert die Verfilmung aller weiteren Romane werden wird. So ist Villeneuves
„Dune“ erst dann endgültig zu bewerten, wenn er im Kontext der Sequels betrachtet werden kann. Falls diese auch gesplittet werden, muss man allerdings damit rechnen, dass die Verfilmung des letzten Romans nicht vor Beginn der 2030er-Jahre in die Kinos kommt.

Alles von hinten betrachten

Angesichts diese Zeitschiene stellt sich die Frage, was uns Denis Villeneuve außer brillantem Entertainment eigentlich sagen will. Es wirft niemanden um, wenn man herausfindet, dass die Kritiker den Film tagesaktuell viviseziert haben. Findet man aktuelle Trends und Themen? Was ist mit Frauen, Rassismus und der Rettung der Natur? 

Blockbuster verzichten daher nur ungern auf zeitaffine Antworten, auch wenn sie damit nur einen kurzlebigen Zeitgeist widerspiegeln. Die Verfilmung einer literarischen Mythologie, wie sie Frank Herbert in einem der erfolgreichsten Romanzyklen der Science-Fiction-Geschichte entworfen hat, nach ihren futurologischen Qualitäten und aktuellen Tagesthemen zu befragen, scheint aber unvermeidbar zu sein.

Ökologie ist dabei weiß Gott keine Petitesse. Wenn Paul Atreides am Ende von Denis Villeneuves erstem Teil des „Wüstenplaneten“ mit den Fremen in die Wüste stapft, könnte man dies als Message des Filmemachers interpretieren, nämlich an die Solidarität mit jenen zu appellieren, die zu Opfern einer rasend wachsenden Ökonomie geworden sind. Ein ökologische Bekenntnis, das passenderweise mit einer inhärenten Kapitalismuskritik abgeschmeckt wird, dürfte allerdings – wie wir aus leidvoller Erfahrung wissen – nicht das Geringste an den kritisierten Phänomenen ändern. Das Kino rettet weder unsere Wälder noch bewältigt es die Klimakrise.

Interessant ist daher die Frage, ob Denis Villeneuve und seine Co-Autoren Eric Roth und Jon Spaihts so ein Bekenntnis überhaupt ablegen wollten oder es die Kritiker sind, die aus dem Film herauslesen, was sie zuvor hineingelesen haben. Klar, angesichts der politischen und ökonomischen Verhältnisse in Frank Herberts Universum, ist die ökologisch-futurologische Weitsicht des Autors bewundernswert. Immerhin setzte sich Frank Herbert ganz privat bereits in den 1980er Jahren Solartechnik aufs Dach.
Aber, sorry, darum geht es auch, aber nicht immer. Um das das eigentliche Thema zu finden, muss man tiefer schürfen. Dabei sollte man Herberts epochalen Science-Fiction-Kosmos von hinten betrachten, quasi thematisch neu aufrollen. Dann relativieren sich auch die Themen- und Rollenzuweisungen. 

In Herberts Trilogie scheint die Beziehung zwischen Geschichte in großem Maßstab und ihrer Beziehung zur Religion und zur Wissenschaft das eigentliche Thema zu sein. Wenn man also ganz trendy den jungen Paul Atreides als juvenilen ökologischen Helden rezipiert, bleibt man nur an der Oberfläche.

„Unter zu viel Analyse leidet die Wahrheit“ (Sprichwort auf Arrakis)

Diese Überschrift ist durchaus ironisch gemeint. Analyse führt wenigstens gelegentlich doch zur Wahrheit. Bleibt nur die Frage, was analysiert werden muss. Ist Geschichte ein Hamsterrad, das sich dreht und immer wieder dieselben verhängnisvollen Fehler reproduziert? Ist es möglich, dies mit wissenschaftlichen Werkzeugen zu ändern, und zwar planvoll? Verläuft Geschichte dialektisch, wie es nicht nur Karl Marx, sondern auch seine Epigonen glaubten? Oder ist Geschichte à la Hegel die Perfektionierung der Vernunft, die am Ende ein Progress zum Besseren werden wird, eigentlich sogar werden muss? Aber was ist, wenn in jedem Innovator, der pathetisch als Befreier gefeiert wird, bereits der Keim eines erneuten Scheiterns wartet?

Ökologie ist dabei nur ein Thema unter vielen, auch wenn der Wüstenplanet zeigt, wie das Leben auf einem Planeten aussehen kann, der seine Bewohner zu einer harten Disziplin zwingt. Die Eroberung von Ressourcen sind die Conditio sine qua non. Wasser ist wichtiger als Geld.
Ein Schlüsselthema sind vielmehr die Zyklen der Geschichte. Macht erzeugt Gegenmacht, auf eine Reaktion folgt im Sinne der Physik Newtons eine Gegenreaktion. Religion antwortet der Wissenschaft und umgekehrt – was mitunter tödlich endet. Die europäische Geschichte hat es gelehrt. Auf seine Weise dachte Herbert dialektisch.

In „Dune“ soll der Kwisatz Haderach als perfekter Übermensch, der Raum und Zeit beherrscht und in seinen Visionen die Zukunft sehen kann, die perfekte Kontrolle über die Entwicklung der Menschheitsgeschichte sicherstellen. Etwas Ähnliches schwebt aktuell den Transhumanisten vor. Die Bene Gesserit wollen das auch, bloß ohne Cyborgisierung. Frank Herbert war auch in diesem Punkt ein Visionär. Und er wusste: Das geht nur selten gut.

Geschichte als Hamsterrad: Egal, was man versucht - eine Gegenreaktion vermasselt einem die besten Ideen. Und noch schlimmer: es droht eine Wiederholung des Immergleichen.
Frank Herbert kann man daher als Vorläufer der Cyberpunk-Science-Fiktion der 1980er-Jahre sehen. Ohne Cyberpunk als neo noir der Science-Fiction wäre die Stilisierung Neos zum Erlöser in der „Matrix“ nicht möglich gewesen. Allerdings dominiert in Herberts Erzählkosmos nicht die digitale Hochtechnologie, die den Menschen unterwirft, sondern eine Abwendung von den „Denkmaschinen“.
Der totalitäre Verzicht auf Technologie nach Butlers Dschihad, bei dem alle Computer zerstört wurden, wird durch extremes Bio-Engineering kompensiert, durch Mentaten, die besser rechnen können als Computer, durch die Optimierung mentaler Fähigkeiten, die zur Unterwerfung und Manipulation der Menschen genutzt werden. Der Einfluss großer Konzerne wie der fiktiven MAFEA bleibt auch in Herberts Romanen präsent und die Instrumentalisierung der Religion ebenfalls. All dies wird zum Räderwerk einer dystopischen Geschichte.

Das führt zu Paradoxien. So sind die Bene Gesserit ein pseudo-religiöser Frauenorden, der insgeheim ein rational-wissenschaftliches Geschichtsmodell verfolgt. Doch diese weibliche Geheimgesellschaft ist ebenfalls von der Spice abhängig. Die Droge ermöglicht es, die Erinnerungen und Erkenntnisse ihrer Vorfahren an neue Mitglieder ihrer Schwesternschaft weiterzugeben.
Doch der Plan der Bene Gesserit geht schief. Auf einen Plan folgt ein Gegenplan, ein ewiger Antagonismus. Tatsächlich gibt es am Ende nicht den gewünschten Kwisatz Haderach, sondern den Paul Muad’dib der Fremen, den erhofften Erlöser, in den sich Paul Atreides verwandelt. Er wird Führer einer ökologischen Religion, die in einem 12-jährigen Dschihad Milliarden Menschen umbringt. Immerhin deutet dies Villeneuve in einer kurzen Szene an: Paul antizipiert einen galaktischen Weltkrieg, in dem Milliarden im Namen des Hauses Atreides, aber auch unter dem Banner des Muad’dib sterben werden.

Der neue Messias kann dies nicht verhindern, denn Religion kann im schlimmsten Fall –auch hier war Frank Herbert recht prophetisch - in ihrer absolutistischen Gewissheit nur zum Terror führen. Bereits in „Dune Messiah“, dem zweiten Roman, ist Paul Atreides daher ein gescheiterter Messias. Er hatte andere Pläne. Tatsächlich führte er aber die zuvor feudalistische Gesellschaft in den Wahn der spätmittelalterlichen Inquisition zurück. Das Hamsterrad dreht sich weiter.

Frank Herberts
„Dune“-Geschichten sind daher eine Absage an charismatische Führerfiguren, die einen besseren Menschen und eine bessere Zukunft versprechen. Geschichte wiederholt sich, Gier und der Wille zur Macht instrumentalisieren Religion und Wissenschaft - ein Plan B ist aber nicht zu entdecken. Es wird also spannend: Wie werden Villeneuve (oder ein anderer Regisseur) versuchen, diese historische Dialektik von Ökonomie, Ökologie, Religion und Wissenschaft im fiktiven Kosmos des Frank Herbert aufzubröseln?

Man kann „Dune“ daher auch als Herberts Kommentar zu Isaac Asimovs „Foundation“-Trilogie lesen. Dort wollen Psychohistoriker ähnlich wie die Bene Gesserit eine fatale Entwicklung der Geschichte korrigieren – bis ein unberechenbarer Mutant auftaucht, den die Psychohistoriker mit ihren statistischen Berechnungen nicht vorhersehen konnten. So sehr sich Geschichte auch im Kreise dreht, so berechenbar und gleichzeitig unberechenbar bleibt sie letztlich auch bei Isaac Asimov. Liest man Frank Herbert auf diese Weise, ist seine Mega-Erzählung nichts anderes als eine fatalistische Dystopie.

Wenn auf „Dune“ Teil 1 und 2 weitere Filme geplant werden, wird man also einen Anti-Helden präsentieren müssen, der für einen galaktischen Genozid verantwortlich ist. Der Traum vom jugendlichen Erlöser ist dann ausgeträumt. Pures Kassengift. „Game of Thrones“ hat den Entscheidern in der Medienindustrie gezeigt, wie die Zuschauer in Wallung geraten, wenn fiktive Erlöser brachial scheitern. Trotzdem: Auserzählt ist der „Wüstenplanet“ noch längst nicht. Und gäbe es nach dem Zweiteiler keine weiteren Filme, so stünde endgültig fest, dass die Harkonnens bereits unter uns weilen und die Filmindustrie fest im Griff haben.

Noten: BigDoc = 2, Klawer = 4

Dune (Der Wüstenplanet - USA 2021 - Laufzeit: 156 min. - FSK: ab 12 - Regie: Denis Villeneuve - Drehbuch: Jon Spaihts, Denis Villeneuve, Eric Roth - Kamera: Greig Fraser - Schnitt: Joe Walker - Musik: Hans Zimmer - Darsteller: Timothée Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac, Josh Brolin, Stellan Skarsgård u.a.