Freitag, 17. September 2010

Moon


Großbritannien 2009 - Regie: Duncan Jones - Darsteller: Sam Rockwell, Dominique McElligott, Kaya Scodelario, Benedict Wong, Matt Berry, Malcolm Stewart, Adrienne Shaw, Rosie Shaw, Matt Berry, Robin Chalk - FSK: ab 12 - Länge: 97 min.

Als Rutger Hauer am Ende von Blade Runner seinen Rachefeldzug beendet und seinen unerbittlichen Verfolger am Leben lässt, schafft dies auch den nötigen Erzählraum für eine der schönsten Szenen des Sci-Fi-Genres: während der Regen an ihm herunterläuft, ziehen Bilder an dem sterbenden Replikanten vorbei, die nicht nur der von Harrison Ford gespielte Blade Runner noch nie gesehen hat. Auch der Zuschauer kann sich bestenfalls ahnungsvoll ein Bild von dem Unerhörten machen, dass in den Tiefen des Alls wartet. Es sind seltsam schöne Bilder, an die der Replikant sich erinnert, Bilder, in denen eine singuläre sinnliche Fülle gespeichert ist, für die es im Kantschen Sinne keine apriorischen Begriffe gibt.

Ridley Scott gelang ein buchstäblich billiger Effekt mit großer Tiefenwirkung. Obwohl seine Replikanten mit verkürzter Lebensdauer und künstlichen Erinnerungsimplantaten ausgestattet sind, erwerben sie etwas, was man auch ohne tiefschürfenden philosophischen Diskurs sofort versteht: die künstlichen Wesen sind vielleicht keine Menschen, aber ihr ästhetisches Urteil ist im Gegensatz zu Kant keineswegs interesselos, sondern steht ein für das, was ihre emotionale Identität ausmacht. Sie sind Personen.
Blade Runner hat die Topologie des Genres auf erstaunliche Weise erweitert und so konsequent durchdekliniert, dass viele Sci-Fi-Filme, die in den Jahren nach 1982 erschienen, wie thematische Trittbrettfahrer aussehen. Auch Moon ist da keinen Deut anders.

Widergänger
Die Erde kann ihren hohen Energiebedarf nur mit dem auf dem Mond abgebauten Helium-3 befriedigen (Schätzings Limit lässt grüßen). Für die Überwachung des Abbau- und Transportwesens ist der recht einsame Astronaut Sam Bell (Sam Rockwell) zuständig. Er ist allein auf der Station und sein einziger Partner ist der mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Roboter GERTY (in der Originalfassung spricht er mit der Stimme von Kevin Spacey). Nachdem Bell, der zunehmend unter Halluzinationen leidet, während einer Routinefahrt zu einer der Erntemaschinen einen Unfall baut, wacht er fast unbeschadet in der Krankenstation der Basis auf und wundert sich, dass ihm GERTY nicht mehr gestattet, an die Oberfläche zurückzukehren. Doch Bell gelingt es, den Roboter zu überlisten. Am Unfallort erwartet ihn jedoch eine Überraschung, denn in dem havarierten Mondfahrzeug liegt immer noch der verunglückte Astronaut, der den Crash überlebt hat. Es ist Sam Bell.

Duncan Jones’ erster Spielfilm ist alles andere als originell. Man ahnt schnell, dass in Moon das Genre variiert wird: der profitorientierte Konzern ist selbstredend amoralisch (Alien) und hält auf der Mondstation in einer verborgenen Kältekammer im Dutzendpack Klone bereit, die nach der Terminierung verbrauchter Exemplare „geweckt“ werden; der Roboter mit dem samtweichen Stimme ist ein empathischer und damit kerngesunder Antipode des paranoiden HAL (2001 – A Space Odyssee), der spartanische Ein-Mann-Plot erinnert an Silent Running (Douglas Trumbull, 1972) und die existenzialistische Grenzsituation, in der sich beide Klone rasch wiederfinden, deutet Qualitäten an, die allerdings nicht ganz an die Lem’schen Visionen heranreichen (Solaris). Alles ist eine Nummer kleiner, aber dennoch kann Moon unter dem Strich überzeugen, weil Jones seiner filmischen Fingerübung eine schlüssige und kompakte Erwählweise verordnet, die ohne großes Abschweifen Schritt für Schritt und Szene für Szene die Klone an die unvermeidliche Konfrontation mit ihren Schöpfern heranführt.
Getragen wird der konzentrierte Film durch die außergewöhnliche darstellerische Leistung Sam Rockwells (Frost/Nixon), der eher als veranlagter Supporting Actor gilt und in Moon eine Zwei-Mann-Show hinlegt, die den Film zu einem spektakulären Event macht. Wenn Männer sich kurz vor dem dramatischen Ende fast liebevoll und tief bewegt eine gemeinsame Episode aus ihrer Vergangenheit erzählen, wissen beide, dass sie lediglich ein identisches Gedächtnisimplantat abrufen, dass sie faktisch nie erlebt haben. Zweifel an der Berechtigung ihrer Gefühle kommen jedoch nicht auf.
Was die Bells sich am Ende ausdenken, um dem bösartigen Konzern die Leviten zu lesen, soll hier nicht verraten werden. Dass sich GERTY auf die Seite der Missbrauchten schlägt, darf allerdings erwähnt werden, denn eine große Überraschung ist es nicht. Dass Duncan Jones schlussendlich einige Eulen nach Athen trägt, in dem er Bell zu Gerty sagen lässt „We are persons!“ wirkt indes wie intellektuelle Nothilfe, die auch schlichtere Gemüter kaum benötigen werden.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass man Moon besser nicht systemkritische Aussagen unterstellt. Das Sujet des gewinngeilen Konzerns, der buchstäblich über Leichen geht, ist ein Topos im wahrsten Sinne des Wortes, ein locus communis, ein Gemeinplatz, dem durch ständige Widerholung die kritische Schärfe abhandengekommen ist. Jedenfalls dann, wenn man wie der Rezensent vier Jahrzehnte Kinoerfahrung auf dem Buckel hat. Dagegen spricht allerdings die  Erfahrung, dass die Realität derartige Behauptungen heutzutage mühelos übertreffen kann.

Anmerkung: Besprochen wurde die englischsprachige GB-Bluray, die besonders bei den Außenaufnahmen durch glasklare Detailfreudigkeit besticht. Da der überwiegende Teil der Handlung im blendendem Weiß der fast steril wirkenden Raumstation spielt, kann das Medium Bluray nicht immer seine Qualitäten ausspielen. Zur DVD sollte man aber nur greifen, wenn diese die gleiche Ausstattung aufweist - und dazu gehört Jones' interessanter Kurzfilm Whistle aus dem Jahre 2002. Der 28-minütige Kurzfilm ist eine sehenswerte Stilübung. Jones erzählt vom Familienleben eines Auftragsmörders, dem weniger ein Missgeschick zum Verhängnis wird als vielmehr die Tatsache, dass seine Frau seine Auffassung von Professionalität teilt. Ein bitter-böser Plot Twist beendet die nicht immer rund erzählte Geschichte, die immerhin zeigt, dass ihr Macher schon damals ein unübersehbares Interesse an klassischen Genres hatte. 
Angeblich plant Duncan Jones eine Moon-Trilogie. Spannend wird es allemal, besonders wenn man das Gefühl hat, dass Duncan seine Geschichte eigentlich auf den Punkt "auserzählt" hat.

Noten: BigDoc = 2,5