Sonntag, 14. Januar 2024

The Walking Dead: Dead City

Totzukriegen sind die Beißer auf die bekannte Weise. Man zerstört ihr Gehirn. Im neuen Sequel von „The Walking Dead“ bringen sie sich nun auch selbst um - auf ungewöhnliche Weise.
Denn in „The Walking Dead: Dead City“ regnet es Zombies, und zwar von den Skyscrapern. Oft im Sekundentakt zerplatzen die Untoten auf dem Pflaster der Mega-City. Wer nicht schnell genug ist, wird von den Walkern nicht gefressen, sondern erschlagen. Trotz dieser Gefahren suchen Maggie und Negan in Manhattan, der „toten Stadt“, nach Maggies entführtem Sohn Hershel. Man ahnt es rasch - der konstruierte Plot hat nur eine Aufgabe, nämlich beliebte Figuren aus dem TWD-Kosmos in einer neuen Umgebung zu präsentieren. An der globalen Zombie-Apokalypse hat sich ansonsten nichts geändert. Die wahre Gefahr geht von den Menschen aus.

„Dead City“ ist alles Mögliche, aber nicht innovativ

Dass „Dead City“ die geringfügig besseren Quoten erzielte als „The Walking Dead: Daryl Dixon“, ist spannend. Das Sequel mit Norman Reedus als alleinigem Star spielt in Frankreich und ist auch sonst ziemlich kreativ und gut erzählt. Das kann man von „Dead City“ weiß Gott nicht behaupten. Showrunner Eli Jorné (von 2019-2022 als Co-Executive Producer in der Mutterserie tätig) schrieb für das Sequel fast alle Drehbücher, aber selten sah man einen so holperigen Serienstart wie in „Old Acquaintances“ (Alte Bekannte).
Die Szenenfolge in der Episode war weder stimmig noch überzeugend. Der Plot und die Figureneinführung wirkten wie an den Haaren herbeigezogen. Das hat einen Grund: das erste Drehbuch war technisch und inhaltlich so mies, dass man am liebsten weggezappt hätte. Danach wurde es etwas besser, aber man fragte sich verzweifelt, was Frank Darabont aus dem Stoff gemacht hätte. Aber der Showrunner der allerersten TWD-Staffel wurde früh gefeuert und erhielt 2021 nach achtjährigem Rechtsstreit von AMC eine Abfindung von 200 Mio. US-Dollar. Darabont war danach ein betuchter Frührentner.

Zur Story: Maggie (Lauren Cohan) begibt sich auf die Suche nach ihrem Erzfeind Negan (Jeffrey Dean Morgan), nachdem „The Briggs“, das neue Hilltop, vom „Kroaten“, dem neuen Schurken der Serie, überfallen wurde. Dabei entführte der Kroate Maggies Sohn Hershel (Logan Kim) nach Manhattan. Und dass Maggie ausgerechnet den Mann um Hilfe bittet, der den Vater ihres Vaters mit dem Baseballschläger „Lucille“ den Schädel zertrümmerte (was in „Dead City“ als Flashback gleich zweimal erneut aufgetischt wird), bleibt ihr Geheimnis.
Warum? Das bleibt bis zur vorletzten Episode unklar. Erst dann enthüllt ein ziemlich irrer und überkonstruierter Twist Plot eine Verschwörung, die alle vorherigen Ereignisse urplötzlich als völlig logisch erscheinen lässt. Das soll nicht gespoilert werden. Nur so viel: Es geht darum, wie sich eine kaputte Stadt in kommunaler Selbstverwaltung um einen überregional bekannten Top-Manager bemüht. Innovativ ist in „Dead City“ abgesehen vom verblüffenden Ende nicht viel.

Zunächst muss Maggie aber Negan finden. Der ehemalige Anführer der Saviors befindet sich in einer misslichen Lage. Er wird von den Marschalls der neuen Community „New Babylon Federation“ wegen Mordes verfolgt und muss sich zudem um Ginny (Mahina Napoleon) kümmern, ein junges Mädchen, das nach der Ermordung ihres Vaters völlig traumatisiert ist und kein Wort redet. Für die Zusicherung, dass die Schweigsame in „The Briggs“ aufgenommen werden kann, schließt sich Negan bereitwillig Maggies Rettungsmission an.

Die Mutter und das sympathische Monster zanken sich

In Manhattan angekommen, erwarten das Duo nicht nur regnende Untote, sondern auch die Burazi, eine Terrortruppe, mit der der Kroate (Željko Ivanek, u.a. „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) die wenigen noch existierenden Überlebenden unter seine Fuchtel bringen will. Offenbar spielt die Story auf Hart’s Island, einer zu New York City gehörenden Insel, die angeblich keiner mehr verlassen kann.
Offenbar ist es aber leicht, zu ihr zu gelangen. Abgesehen von solchen merkwürdigen Handlungsideen spult „Dead City“ ein überschaubares Programm der Widerwärtigkeiten ab. Denn schnell stellte sich heraus, dass der Kroate ein tückisch-freundlicher Psychopath ist, zu dessen Lieblingsbeschäftigung es gehört, seine Feinde genüsslich zu Tode zu foltern. Negan gesteht schließlich, dass der Kroate ein ehemaliges Mitglied der Saviors ist, dessen Sadismus sogar Negan derart abnervte, dass er den Kroaten liquidieren wollte. Das gelang nicht.
Kaum zivilisierter ist der Marshall Perlie Armstrong (Gaius Charles), der davon schwadroniert, dass man Negan nach seiner Festnahme mit dem Kopf nach unten hängend langsam zweiteilen würde. Das sei keine Willkür, sondern das Gesetz. Andere Rechtsbrecher wie die Kneipenwirtin Jones (ein Gastauftritt von Michelle Hurd, „Star Trek: Picard“) wirft Armstrong den Untoten zum Fraß vor, beschreibt sich aber als liebevoller Familienvater. Bigotterie pur, aber Perlie Armstrong ist trotzdem eine interessante Figur, denn der Marshall ist ebenso wie Negan sehr ambivalent. Armstrong glaubt an die brutale „Law and Order“-Ideologie seiner Auftraggeber, weiß aber auch, dass er seinen sozialen Aufstieg ausgerechnet der Zombie-Apokalypse verdankt.

Im Zentrum der sechsteiligen ersten Staffel stehen Maggie und Negan, die sich wie ein altes Ehepaar zanken, weil Maggie auch nach etlichen Jahren dem Mann mit dem Baseball-Schläger den Mord an ihrem Mann Glenn nicht verzeihen kann. Dass sie Negan in der Mutterserie längst ihr Vertrauen ausgesprochen hatte – geschenkt.
Dramaturgisch hat dies aber den langweiligen Nebeneffekt, dass Lauren Cohan in einer eindimensionalen Rolle verharrt, während Jeffrey Dean Morgan alle Register ziehen kann. Eli Jorné spendiert Negan sogar einige Flashbacks, um zu zeigen, wie empathisch sich Negan um Ginny kümmert. In Manhattan verwandelt sich Negan aber wieder in einen brutalen narzisstischen, rhetorisch brillanten Killer, der andere intelligent manipulieren kann und der demonstriert, dass man jemanden auch mit einer Käsereibe zur Strecke bringen kann. Jeffrey Dean Morgan spielt das sympathische Monster überragend und ist damit die eigentliche Hauptfigur des Sequels.

Es fehlt die Frische

Auch die Zombie-Action bietet wenig Neues, nur dass man sich in NY anderer Mittel bedient, um einen Untoten ins Jenseits zu befördern. Nett ist die Handseilbahn, mit der sich Negan und Maggie von einem Wolkenkratzer zum nächsten schwingen, aber das ist nichts für Zuschauer mit Höhenangst. Ein kleines Highlight ist ein Cage Battle. Perlie Armstrong wird vom Kroaten gefangengenommen und muss sich ohne Waffen und mit Handschellen an eine Stange gekettet gegen Zombies wehren. Die Art und Weise, wie er dies schafft und wo er sich danach die Schlüssel für die Handschellen holt, gehört zu jenen Splatter-Effekten, die sicher einen Teil der Zuschauer ansprechen werden.

Leider ist die Zombie-Action wie so oft im AMC-Franchise völlig sinnfrei. In Episode 5 „Stories We Tell Ourselves“ geraten Maggie und die Mitglieder einer Widerstandsgruppe im Madison Square Garben in einen Hinterhalt. Aber sie flüchten nicht auf die steile und leicht zu verteidigende Sitztribüne. Nein, sie stellen sich in der Mitte der Arena dem Kampf und werden von einigen hundert Untoten natürlich zerfleischt. Nur Maggie und eine Handvoll wichtiger Nebenfiguren (Überraschung!) können sich retten. Das ist mieses Storytelling.

Unterm Strich ist „The Walking Dead: Dead City” ein Sequel mit überschaubaren Production Values und routiniert abgespulten Handlungsbausteinen, denen die Frische und gelegentlich auch die Logik fehlen. Das Sequel setzt stattdessen auf exzessive Brutalität. Zusammengehalten wird das Ganze von Jeffrey Dean Morgan, dessen darstellerische Qualitäten im grau-schwarzen Einerlei für die wenigen Höhepunkte sorgen. „Dead City“ ist trotz des schrägen, aber überraschenden Finales eine One-Man-Show, die kaum mehr als die Note „Drei minus“ verdient. Hardcore-Fans wird dies genügen. Die zweite Staffel ist bereits bestellt.

AMC und das TWD-Franchise expandieren immer noch

2013 verkündeten die AMC-Bosse noch selbstbewusst, dass man locker 20 Staffeln der Erfolgsserie produzieren könne. Es wurden 11. Die Quoten befanden sich bereits früher im Tiefflug. Und bis heute machen Fans der Serie den Showrunner Scott Gimple für das Quoten-Desaster verantwortlich. Wohl zu Recht, denn mit den arroganten und manipulativen Cliffhangern und der brutalen Ermordung von unersetzlichen Hauptfiguren hatten sich Gimple und sein Autoren-Team verzockt. Das Ausscheiden von Andrew Lincoln ging wohl nicht auf Gimples Konto, aber es gab der Serie den Rest. Am Ende konnte auch die kreative Angela Kang das sinkende Boot nach 177 Episoden nicht mehr retten.

Warum „The Walking Dead“ ruiniert wurde

Schnell wurde von den Fans vergessen, dass TWD ab 2010 den Serienmarkt revolutionierte. Abermillionen schauten in den USA Woche für Woche zu. Auch in Watch Partys. „The Walking Dead“ war Kult. Man redete mit Freuden und Freunden über die aktuelle Folge und fieberte der nächsten entgegen. Andere diskutierten über die philosophischen Aspekte einer Serie, die raffiniert reflektierte, welche Form von Ethik in einer Postapokalypse noch relevant ist.

Dann fiel Publikumsliebling Glenn mitten in eine Zombiehorde. Cliffhanger! Wurde er von den Untoten zerfleischt? Der Cliffhanger wurde in der nächsten Folge nicht aufgelöst, auch nicht in den Wochen danach. In den Foren empörten sich wütende Fans – es war einer der vielen Wendepunkte, die „The Walking Dead“ ruinierten. Am Ende fielen die Quoten in einem Sog der Selbstzerstörung ins Unermessliche. Für die enttäuschten Fans war der Fall erledigt.

Nicht immer kommt es auf die Quoten an

Sie irrten sich. Serien sind Medienprodukte. Man macht mit ihnen Gewinne oder Verluste. Wer verliert, der verschwindet. Das TWD-Franchise ist aber nicht verschwunden. Offenbar konnte AMC als Basic Cable-Anbieter immer noch relevante Gewinne mit dem Franchise machen.
Auf die Quoten kommt es dabei nicht immer an. „Fear the Walking Dead“ kam auf 8 Staffeln mit 113 Episoden, fiel aber in der 6. Staffel unter die Marke von 1 Mio. Zuschauern. Im November 2023 war Schluss. „World Beyond“ (ab 2020) startete vielversprechend, landete aber rasch bei einer halben Million. Nach zwei Staffeln war Schluss. Die Anthologie-Serie „Tales of the Walking Dead“ erreichte 2022 noch geringere Quoten.

Aber AMC versorgt 94 Mio. amerikanische Haushalte. Und das TWD-Franchise spielt bei den Abonnentenzahlen keine geringe Rolle. Das Geschäft mit den Webserien, Brett- und Videospielen, Sammelfiguren und Romanen lief erfolgreich weiter, obwohl TWD-Creator Robert Kirkman seine Comic-Serie 2019 beendet hatte. Auch die Spin-offs von TWD waren kein Verlustgeschäft.
Die konkreten Zahlen sind spannend: 2013 verdiente AMC pro Episode mit Werbeclips ca. 11 Mio. US-Dollar. Also zu einem Zeitpunkt, als die Serie ihren Peak noch nicht einmal erreicht hatte. Allein die Erstausstrahlung der 4. Staffel dürfte knapp 180 Mio. US-Dollar eingebracht haben. Wer rechnen kann, wird schnell herausfinden, dass TWD Teil eines Milliarden-Business ist.

Der US-Medienmarkt tickt anders als man denkt

Was man daraus lernt? Wer gebannt auf die fallenden TWD-Quoten starrt, hat die ökonomischen Mechanismen des Serienmarktes nicht verstanden. AMC hat TWD weiterhin im Portfolio, weil das Produkt bei den Abonnenten gut funktioniert. Auch AMC Networks als Muttergesellschaft erzielt grandiose Umsätze mit TWD. „The Walking Dead: Daryl Dixon“ wurde im Video-on-Demand-Portfolio von AMC+ platziert und ist laut aktuellem Geschäftsbericht von AMC Networks das alles überragende Premium-Projekt der Geschäftsgruppe. TWD rockt!
Anders ist es auch nicht zu erklären, dass ein TWD-Star wie Norman Reedus als „Daryl Dixon“ mittlerweile einen Marktwert von 40 Mio. US-Dollar hat. Reedus verdient eine Mio. US-Dollar pro Episode und gehört im Ranking zu den Top-Serien-Stars in den USA. Das sieht nicht nach einem Untergang von „The Walking Dead“ aus.
Kein Wunder, dass das Sequel „The Walking Dead: Daryl Dixon“ für AMC Networks nach wie vor ein Premium-Produkt ist, auch wenn die Quoten deutlich unter 1 Mio. liegen. Und mit „The Walking Dead: The Ones Who Live“ kehren in diesem Jahr mit “Rick Grimes” und “Michonne” zwei der beliebtesten TWD-Figuren zurück. AMC Networks expandiert immer weiter. Die Untoten helfen dabei.

Wieder der alte Schmuddel-Look

Wenn man an die chaotischen Debatten über den „gewollten“ Schmuddel-Look ins Gedächtnis zurückruft, erinnert man sich an die närrischen Apologeten, die den Kritikern der billig produzierten Blurays ein religiös-sektiererisches Bekenntnis entgegenschleuderten: So müsse eine Zombie-Serie halt aussehen. Unscharf, pixelig und mit unterirdischen Schwarzwerten.
Nun, sie werden bedient. Die von Amazon Prime im HD-Format präsentierte Serie toppt alles Bisherige. Viele Szenen wurden in einer dunklen Umgebung gedreht und die Schwarz- und Grauwerte wabern dabei so grauenhaft, dass man einen sofortigen Zusammenbruch des Bildes erwartet. Alles, was aussieht, als könnte es schwarz oder grau sein, zerfällt in sich windende großflächige Schleier, die gelegentlich sogar aufblitzen. Geringer Trost: Amazon bietet alle sechs Folgen für einen einstelligen Betrag an. Auch wegen dieser ästhetischen Qualitätseinbrüche ist „Dead City“ ein sehr eingeschränktes Vergnügen. Die tote Stadt ist grau und hässlich. Der Stream ist es auch.

Note: BigDoc = 3-

The Walking Dead: Dead City – AMC 2023 – Showrunner, Autor: Eli Jorné – 6 Episoden – R.: Loren Yaconelli (2), Kevin Dowling (2), Gandja Monteiro (2) – D.: Jeffrey Dean Morgan, Lauren Cohan, Gaius Charles, Željko Ivanek, Mahina Napoleon; Guests: Steven Ogg (als “Simon”), Michelle Hurd (“Star Trek: Picard”) als “Jones”.