Mittwoch, 8. März 2023

Der Schwarm - ZDF-Serie wird verrissen

Von den Fans jahrelang erwartet, von den Kritiker in der Luft zerfetzt: Die internationale Co-Produktion „Der Schwarm“ regte die Medienlandschaft auf. Obwohl die Kritiker nur drei Episoden zu sehen bekamen. Auch der Autor Frank Schätzing kritisierte die Adaption seines Buches massiv.

Federführend bei der Verfilmung des Science-Fiction-Klassikers „Der Schwarm“ war das ZDF und sieht man sich die Streaming- und TV-Quoten der ersten drei Episoden an, dann ist dem Sender der angekündigte Hammerhit gelungen. 
„Der Schwarm“ ist zwar nicht rundum stimmig, aber die achtteilige Serie ist alles andere als eine Niete. Geboten wird solide Unterhaltung. Die Settings und die Locations sind beeindruckend. Die Kameraarbeit von David Luther und Dominik Berg ist ausgezeichnet, die Schauspieler sind es auch. Und der Filmscore der mehrfach ausgezeichneten Dascha Dauenhauer (u.a. Deutscher Filmpreis 2020) spielt in der Oberliga. Was also will man mehr? Auf jeden Fall ein genaues Hinschauen, denn nicht immer war im Produktionsteam eine Schwarmintelligenz unterwegs.

Die Gefahr lauert nicht immer im Weltall

Alles beginnt, als die junge Meeresbiologin Charlie Wagner (Leonie Benesch) große Mengen Methaneis an der Wasseroberfläche entdeckt – zu viel und am falschen Ort. In Frankreich untersucht die Molekularbiologin Dr. Cécile Roche (Cécile De France) mörderische Hummer und entdeckt ein mutiertes Bakterium. Beim Whale Watching versenken Grauwale und Orcas ein Boot mit Touristen. Der Walforscher Leon Anawak (Joshua Odjick) wartet in Kanada vor Vancouver Island vergeblich auf die saisonal wandernden Buckel- und Grauwale und entdeckt später eine neue Muschelart, die sehr effektiv das Steuer eines Frachtschiffs blockiert. Die Schlepper, die das Schiff in den Hafen bringen sollen, werden von Walen attackiert. Und der Wissenschaftler Dr. Sigur Johanson (Alexander Karim), der von seiner Bekannten Tina Lund (Krista Kosonen) gebeten wird, für die norwegischen Ölfirma Hovedstad ein Gutachten zu erstellen, findet heraus, dass sich Eiswürmer in das Methaneis vor der Küste fressen. Das Abrutschen des Schelfs löst gewaltige Tsunamis aus, die am Ende sogar die westafrikanische Küste restlos zerstören. Dann sucht eine Quallenplage Venedig heim. Und da ist noch die mörderische Invasion von augenlosen Krabben, die amerikanische Küstenstädte überfluten und die Wasserversorgung vergiften. Nur wenige Wissenschaftler glauben an einen Zufall und versuchen, den seltsamen Phänomenen auf die Spur zu kommen.

In der ZDF-Serie „Der Schwarm“ ist also Weltuntergang angesagt. Doch nicht Aliens aus dem All oder Naturkatastrophen sorgen für den Horror. Es scheint, als wolle die Natur sich an der Menschheit rächen. Aber bald wird klar, dass es eine Macht geben muss, die alles lenkt. Und die sitzt offenbar in der unerforschten Tiefsee. Sigur Johanson kommt zu dem Schluss, dass ganz tief unten seit über 250 Millionen Jahren eine fremde Intelligenz lebt, die der Menschheit offenbar den Krieg erklärt hat. Er nennt sie die „Yrr“.

Schon lange nicht mehr wurde eine TV-Serie so hochgejazzt wie „Der Schwarm“. Die PR-Maschine des ZDF ließ keine Gelegenheit aus, um ein epochales Medienereignis anzukündigen. Verständlich. In Sachen Serie haben uns andere den Schneid längst abgekauft.
Die Schweden machen schon lange die besseren Krimis, die Franzosen die besseren Komödien. Unsere Eigenproduktionen sind dagegen oft nur für den heimischen Markt geeignet. Es wurde also Zeit, einen deutschen Hit zu landen.

Mit der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Frank Schätzing sollte den Öffentlich-Rechtlichen nun endlich dieser große Wurf gelingen. Damit nichts schiefgehen kann, holte man mit Frank Doelger einen amerikanischen Profi als Showrunner an Bord. Doelger mischte immerhin bei „Game of Thrones“ im Produktionsteam mit. Die Geschichte über eine fremdartige Intelligenz, die in der Tiefsee haust und die menschliche Zivilisation angreift, sollte also bei so viel Expertise gelingen. Eigentlich.
Doch es kam anders.

„Es pilchert mehr, als es schwärmt“

Die Kritiker gaben nämlich rasch eine Antwort: es hagelte Verrisse.
An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass sich die Fans von Frank Schätzing jahrelang einen Wolf gegoogelt haben. Immer auf der Suche nach einem Lebenszeichen der geplanten Verfilmung. Wie auch der Rezensent waren sie von Schätzings Roman „Der Schwarm“ (2004) begeistert und freuten sich wie Bolle daher über das gelungene Hörspiel, das ebenfalls 2004 auf den Markt kam. Eine Verfilmung würde fast zwei Jahrzehnte später ganz sicher The Cream in the Coffee werden.

Dann wurde es nichts mit dem Kino. Aber das ZDF holte das Projekt an Bord, fand auch finanzstarke Partner und produzierte mit einem Budget von 44 Mio. € eine achtteilige Serie. Auf die Fertigstellung musste arg lange gewartet, aber man dachte: Was lange währt, wird endlich gut!
Denkste. Zunächst stieg Frank Schätzing aus der Produktion aus. „Manches ist kinoreif, anderes rühr- und redseliges Beziehungskisten-TV. Es pilchert mehr, als es schwärmt", maulte der Erfolgsautor. 

Das Pilchern hielt sich bei näherem Hinsehen aber in Grenzen, obwohl in der ersten Episode eine stereotype Love Affair gezeigt wurde, in der sich eine junge  Wissenschaftlerin einen knackigen Fischer ins Bett holt. Auch einige Dialoge über Kindererziehung waren entbehrlich. Manchen Autoren glauben halt, dass man privaten Schnickschnack ins Skript schreiben muss, damit die Figuren, besonders dann, wenn sie Wissenschaftler oder Tatort-Kommissare sind, irgendwie sympathischer wirken.

Schätzing lag daher nicht völlig schief. Klar, ohne emotionale Sidekicks und private Backstorys würde das internationale Team aus Wissenschaftlern pausenlos wissenschaftlichen Neusprech aufsagen, ohne ein Charakterprofil zu erhalten. Immerhin brauchen die Experten sechs Episoden, um den Verursachern der globalen Katastrophe auf die Schliche zu kommen. Dass es aus Sicht der Autoren zwischendurch emotional werden soll, ist nachvollziehbar. Aber „Der Schwarm“ driftete dabei leider ab und an in Soap ab. Richtig schlimm war das nicht, aber das konnte man besser machen. Denn Charakterprofile fehlten in Schätzings Buch nicht. Nur erzählte er dies intelligenter – und spannender.

Wokeness, Diversität und andere Schandtaten?

Dann ging die ZDF-Serie in der hauseigenen Mediathek an den Start und bereits nach ersten drei Episoden gab es eine Flut von Verrissen. Ein Kritiker raunte sogar, dass „Der Schwarm“ gezielt für ein wokes Publikum gedreht worden sei. Ich behaupte mal ganz einfach, dass bei so einer Produktion sowieso kein Geld für einen qualifizierten Wokeness-Beauftragten übrig ist. Ironie Ende.
Eher hatte man wieder einmal – vermutlich ohne innere Überzeugung - dem Zeitgeist gehuldigt. Also mehr Diversität, was einer guten Geschichte aber nicht im Wege stehen sollte.

Was bei der Suche nach einer guten Geschichte dannaber in die Hose ging, waren zwei Schwachpunkte: zum einen wurde ohne einen auf Anhieb erkennbaren Grund die männliche Hauptrolle durch eine weibliche ersetzt. Zum anderen verwandelte man eine Figur in einen Komparsen, die in Schätzings Roman eine essentielle Rolle spielt: der indigene Jack „Greywolf“ O‘Bannon (Dutch Johnson). Zuschauer, die den Roman nicht kennen, wird es nicht stören. Schätzing-Fans werden dagegen verzweifelt mit den Armen rudern.

Stattdessen wurden die Schätzing-Fans damit konfrontiert, dass mit der jungen Wissenschaftlerin Charlie Wagner (Leonie Benesch) eine neue Hauptfigur eingeführt wurde, die im Roman nicht vorkommt. Und den norwegischen Biologieprofessor Sigur Johanson spielte mit Alexander Karim ein relativ junger farbiger schwedischer Schauspieler.
Auch andere männliche Figuren wurden im Skript durch weibliche ersetzt. Statt des Meeresgeologen Gerhard Bohrmann (den es real tatsächlich gibt), wurde die Figur der Professorin Katherina Lehmann erfunden. Barbara Sukowa hatte die Aufgabe, ihre Studentin Charlie Wagner zu schikanieren und war bei der Aufklärung der Katastrophen eher ein Bremsklotz. Die wissenschaftliche Querdenkerin gehört zu den schlimmsten Fehlgriffen bei der Entwicklung neuer Figuren.
Die mediale Kritik war daher nicht ganz falsch. Dass Literaturadaptionen in Kinofilmen oder in Serien anders funktionieren als es sich die Leser vorstellen, ist aber nicht neu.

Aber nicht alle Figuren waren Fehlgriffe. Leonie Benesch spielt ziemlich gut, die Figur ist auch für die Geschichte ein Gewinn. Und Alexander Karim überzeugt in der Rolle des Sigur Johanson, auch wenn seine Introvertiertheit nichts mit der charismatischen Romanfigur zu tun hat. Trotzdem wird dies den Schätzing-Fans nicht gefallen, denn gerade die Neuerfindung der Figur des Sigur Johanson hat ein Geschmäckle, an dem Showrunner Frank Doelger nicht ganz unschuldig ist.
Mit der Umbesetzung sollte nämlich der alte weiße Mann Sigur Johanson aus der Handlung verschwinden, ein hedonistischer, kulturell äußerst gebildeter Charakterkopf mit einem Faible für Frauen. Doelger wollte mit dem fiktiven Reboot „den Figuren ein gewisses emotionales Gewicht (..) verleihen, z.B. Johanson, dessen Beziehung zu Lund wir modernisiert haben - die Darstellung der Liaison zwischen einem älteren weißen Mann und einer zwanzig Jahre jüngeren Frau ist nicht zeitgemäß.

Regisseurin Barbara Eder sah in diesem Love Interest sogar eine unbotmäßige Provokation von „Männerphantasien“. Ein emotionales Gewicht hatte stattdessen die Romanfigur – ein 56-jähriger Wissenschaftler, der Vivaldi hört, erlesenen Wein schätzt und von jeder Platte und jedem Buch zwei Exemplare besitzt. Mit Sigur Johanson hatte Schätzing eine spannende Hauptfigur erfunden: facettenreich, ironisch, schlagfertig.
Doelgers Erklärung für den Reboot ist dagegen Unsinn. Im Buch hat Johanson überhaupt keine Affäre mit Tina Lund! Stattdessen gelangt er zu der Einsicht, dass Affären mit jungen Frauen für ihn keine Zukunftsperspektive besitzen. In der ZDF-Serie kommt es dagegen zu einem One-Night-Stand. Hatte der Showrunner das Buch nicht gelesen?

In Teilen ist die Serie ein Produkt der Cancel Culture

Was Frank Doelger stattdessen vollzog, war Cancel Culture. Der Showrunner entschied, dass romantische Gefühle zwischen alten weißen Männern und jungen Frauen unzulässig sind und in der Serie nichts zu suchen haben. Also doch eine woke Serie? 

Zumindest muss man Frank Doelger vorhalten, dass er sich mit seinen Erklärungen ziemlich ungeschickt exponierte. Die angeblich nicht mehr zeitgemäße sexuelle Affäre eines alten Mannes mit einer jungen Frau war damit aber nicht vom Tisch. Denn prompt fühlten sich im Forum einer deutschen Wochenzeitung einige Frauen ausgegrenzt, die mit älteren Männern verheiratet oder liiert sind. Nicht immer klappt es mit dem Canceln.

Aber es wurden nicht nur Figuren erfunden, sondern auch gestrichen. Zum Beispiel der CIA-Schurke Jack Vanderbilt. Der Schere fiel auch die nicht weniger schurkische Judith Li zum Opfer. Doelger wollte mit diesen einschneidenden Maßnahmen eine Schwarz-Weiß-Malerei nach dem Motto „USA kontra China“ canceln. Dabei ist Judith Li General Commander der US Navy! 

Wer ehrlich ist, wird einräumen, dass bei Schätzing sowohl Vanderbilt als auch Judith Li wandelnde Klischees auf dem Niveau therapiebedürftiger Soziopathen waren. Persönlich hielt ich das für eine Schwachstelle des Romans. Aber das ist ein anderes Thema. Aber angesichts der Handlungsvolten und der misslungenen Erklärungen konnte man schon den Verdacht haben, dass sich beim ZDF eine Prise Wokeness und ein Schuss Cancel Culture breitgemacht hatten (1).

Kein Öko-Thriller

Doch diese Hypothese erklärt andere Ungereimtheiten nicht.
Wäre man konsequent woke gewesen, dann hätte man eine der wichtigsten Figuren des Romans, den Umweltschützer Jack „Greywolf“ O’Bannon (Dutch Johnson), nicht auf eine belanglose Nebenrolle eingedampft. Auf seiner Website stellt das ZDF
„Die Hauptakteure“ vor. Berücksichtigt werden sogar Nebenrollen - Jack „Greywolf“ O’Bannon fehlt.
Wer den Roman kennt, weiß, dass das Trio Sigur Johanson, Leon Anawak und Jack „Greywolf“ O’Bannon die Hauptfiguren der Geschichte sind. Besonders interessant war „Greywolf“, der als Tier- und Umweltschützer das gesellschaftliche Versagen in Sachen Umwelt gnadenlos an den Pranger stellte. Streckenweise zynisch und verschwörungstheotisch, aber immer sehr pointiert.
In der Serie taucht „Greywolf“ kaum auf, er hat nichts Entscheidendes zur Handlung beizutragen. Sein radikales Handeln als Tier- und Umweltschützer wurde komplett zensiert. Und damit war auch seine Umweltschutzorganisation aus der Handlung verschwunden. Andere NGO’s kamen erst gar nicht vor. Schätzing kritisierte daher nachdrücklich den fehlenden Mut zur Aktualisierung seines Romans - und stieg aus.

Auch darauf hatte Doelger eine Antwort: zu viel Aktuelles würde dazu führen, dass in zehn Jahren keiner mehr die Serie sehen will. Ein merkwürdiges Verständnis von Filmen und seriellem Erzählen. Man fragt sich verzweifelt, warum sich so viele Menschen immer wieder alte Film- und Serienklassiker anschauen. Einfache Antwort: Weil sie gut sind.

Überhaupt kamen ökologische Aspekte, etwa die Folgen der maritimen Ölförderung für die Umwelt, in „Der Schwarm“ zu kurz. Hatten das ZDF und die Co-Produzenten kein Interesse an einer Figur wie „Greywolf“, die dem Unterhaltungsinteresse des Mainstream-Publikums kräftig in die Suppe spucken würde? Oder war eine fiktive Figur, die halb irisch und halb Native American ist, sich im Roman aber als „Indianer“ bezeichnet, entbehrlich? Etwa weil sich
„Greywolf“ der „Kulturellen Aneignung“ schuldig gemacht hatte? Gut, das ist jetzt wirklich etwas fies, darf aber als Ironie durchgehen…Auf jeden Fall wurde mehr gecancelt als gepilchert.

Als Öko-Thriller überzeugt die Serie bis auf ein paar pflichtschuldige Dialoge daher kaum. Hier hatte Schätzing mehr zu bieten. Die Produzenten gaben zudm unumwunden zu, dass es schwierig war, den Stoff für eine neue Handlung zu komprimieren. Aber warum „neu“? War die Vorlage nicht gut genug?
Jede erfolgreiche Adaption muss auf ihre eigene Art und Weise erfolgreich sein. Deshalb schlug ich vor, aus „Der Schwarm“ eine charakter-orientierte Serie zu machen: die Wissenschaft zu vereinfachen, aber darauf zu achten, dass der Kern intakt bleibt“, erklärte Doelger das Projekt in einem Interview. „Mit unserer Serie wollen wir ein sehr komplexes Thema - Wissenschaft und Klimawandel - auf äußerst unterhaltsame und spannende Weise erzählen. Um dieses breite und allumfassende Thema zeitlos zu behandeln, haben wir darauf verzichtet, explizit auf bestimmte aktuelle politische Phänomene einzugehen, wie z.B. die Fridays-for-Future-Bewegung.

Noch einmal: gerade diese zeitaktuelle Überarbeitung des Plots hatte Schätzing vorgeschlagen. Denn der Autor wollte die Leser nicht nur unterhalten, sondern ihnen auch Themen wie Überfischung und die Verschmutzung des Meeres nahebringen. Etwas, was uns genauso zum Verhängnis werden kann wie die Emission von Kohlenstoffdioxid oder riskante Bohrungen nach Methan (2). Um diese Lücke zu füllen, zeigte das ZDF etliche Dokus und Terra X-Folgen. Immerhin.

Für die Leser nicht geeignet!

Eins ist klar: „Der Schwarm“ musste als mainstream-kompatibles Produkt für den internationalen Markt ein Erfolg werden. Die Serie heißt daher offiziell „The Swarm“ und die sogenannte Originalfassung wurde multilingual gedreht. In der Mediathek kann man sich „The Swarm“ in den Originalsprachen mit englischen Untertiteln anschauen. Im TV läuft dagegen eine vollständig synchronisierte Fassung.

Um die Serie erfolgreich vermarkten zu können, folgte die Erfindung neuer Figuren einer weiteren Diversitäts-Formel. Mit Sicherheit hatten alle co-produzierenden Partner ein großes Interesse an einer ethnischen Diversität der Darsteller. So gibt es mit dem stinkreichen, aber ökologisch engagierten Großindustriellen Mifune (Takuya Kimura) und seinem Mitarbeiter Takehiro Hira (Riku Sato) zwei japanische Figuren, immerhin war ja Hulu Japan mit an Bord. Hinzu kamen die Schauspieler und Schauspielerinnen aus Finnland und England (nicht co-produzierend) sowie aus Belgien, Italien, Österreich, Deutschland und Schweden (alle Einzahler in den Budgettopf.) Wobei die Österreicher verdammt viele Österreicher in der Serie unterbrachten. Das macht nachdenklich :-)

Dies erklärt zumindest teilweise den Quoten-Cast, die neuen Figuren und die harten Eingriffe in die Vorlage. Mit Steven Lally, Marissa Lestrade, Chris Lunt und dem renommierten Michael A. Walker waren Autoren am Start, die das erfolgreich richten sollten. 
Es gelang nicht wirklich. Zuschauer, die den Roman nicht gelesen haben, wird es nicht stören. Alle anderen schon.

Aber für die Leser wurde die Romanverfilmung gar nicht produziert!
Showrunner Frank Doelger beschrieb die Ziele des Autorenteams anders: „Als wir uns das erste Mal trafen, sagte ich zu ihnen allen, dass ich keine Fernsehsendung nur für die Leute mache, die ihre Bücher gelesen haben, sondern eine Fernsehsendung für ein breiteres und teilweise anderes Publikum, das manchmal den Roman nicht gelesen hat“, so Doelger.
Die Antwort eines Fans im Forum einer großen Wochenzeitung war unmissverständlich: „Habe solange auf die Verfilmung gewartet und wurde bitter enttäuscht.

Ohne Roman wäre die Serie o.K. 

Schaut man sich die ZDF-Serie mit dieser Vorgabe an, fällt das Urteil etwas wohlwollender aus: „Der Schwarm“ funktioniert als Science-Fiction gut, wenn man den Roman nicht gelesen hat. Mit der Betonung auf Fiction.
Der Unterhaltungswert ist überdurchschnittlich. Die Story wird spannend erzählt, auch wenn einige Kritiker angesichts des zu langsamen Pacings die Nase rümpften. Der Prolog der ersten Episode ist mit 11 Minuten tatsächlich etwas zu lang geraten, aber ansonsten stimmte das Erzähltempo und passte sehr gut zu den vielen Erzählsträngen.

Der Cast ist hervorragend, die Kameraarbeit ist es auch und die Effekte sind im Rahmen des Budgets ordentlich. Mehr aber auch nicht. Denn die Serie kann nicht mit Hollywood-Blockbustern konkurrieren. Der Angriff auf das Touristenboot sah wir eine Billiglösung aus. Auch der Krabbenangriff fiel sehr sparsam aus. Der Tsunami, der in Schätzings Roman für die skandinavischen Länder zur Totalkatastrophe wird, ist in der Serie ein laues Lüftchen. Und den Tsunami, der Westafrika verwüstet, sieht man lediglich auf dem Laptop eines Wissenschaftlers. Es wurde also gespart.

Die letzten beiden Folgen waren dann aber richtig gut. Während Schätzing in seinem Roman ein Actionspektakel entfesselt, das den Leser förmlich überrollt, konzentrierten sich die Autoren in den finalen zwei Episoden, bei denen Philipp Stölzl die Regie führte, auf die Kommunikation mit den „Yrr“.
Dramatisch wird es, als Cécile Roche eine Möglichkeit entdeckt, die „Yrr“ zu töten. Der Twist, mit dem dies verhindert wird, ist noch das Beste an der Serie. Er erinnert sehr gelungen an die Schlusspointe in James Camerons „The Abyss“ (1989). Wobei Cameron die humanistische Botschaft seines Films deutlich brachialer vermittelte.
In Schätzings Roman müssen am Ende fast alle männlichen Hauptfiguren sterben. Die Welt wird von einer Frau gerettet. In der ZDF-Serie ist es nicht anders. Dabei kann man sich ein Grinsen aber nicht verkneifen, denn die Autoren griffen zu einem anti-femininen Klischee. Nicht die wissenschaftliche Expertise der Welterretterin entscheidet über ihre Handlung, es ist ihr Bauch:
„Ich habe da ein Gefühl“. Woke ist das nicht.
Am Ende geht es ziemlich mystisch zu - und leider überhastet. Alles endet mit einem Cliffhanger. Eine zweite Staffel wird zwar diskutiert, ist aber keineswegs sicher. So blieben einige Erzählfäden offen und während man also noch auf Antworten wartete, läuft schon der Abspann. Schade.

Fazit: Unterm Strich kann man sich den „Schwarm“ anschauen, ohne Schaden zu nehmen. Die ZDF-Serie ist unterhaltsam und keineswegs Murks ohne Ende. Im Vergleich dazu spielt eine Serie wie
The Rig in der Kreisklasse. Einige Szenen im „Schwarm“ gehen sogar unter die Haut, etwa wenn Leonie Benesch als Charlie Wagner einem Kollegen erklärt, was es bedeutet zu ertrinken.
Mit etwas mehr Werktreue hätte die Serie tatsächlich etwas Außergewöhnliches werden können. Bereits 2004 hatte ich
bei der ersten Lektüre des Romans den Eindruck, dass Schätzing eine Steilvorlage für ein Drehbuch geliefert hatte. Umso unverständlicher bleibt der Umgang mit den Romanfiguren.

Ein ökologisches Menetekel ist „Der Schwarm“ nicht geworden. Wer 44 Mio. Euro in die Hand nimmt, kann sich keine Belehrung à la Harald Lesch leisten. Oder er glaubt das zumindest. 
Dass gute Mainstream-Unterhaltung mehr Science bieten kann, ist aber kein Ding der Unmöglichkeit. Man kann sehr viel Content in einen zweiminütigen Dialog schreiben.
 Stattdessen räumte das Team um Showrunner Frank Doelger alles Kantige ab, scheute die aktuellen Öko-Probleme und lieferte ein geglättetes Produkt, das ohne den Roman ordentlich funktioniert hätte. So aber musste man sich über einige messerscharfe Eingriffe in die Vorlage ärgern, über veränderte oder gestrichene Figuren und schließlich auch darüber, dass Doelger alles tat, um mögliche Angriffsflächen wegzubügeln. (3)

Aber zumindest stimmten die Quoten. Die Abrufzahlen der ersten drei Episoden in der ZDF-Mediathek gingen durch die Decke und blieben auch nach der ersten Episode auf konstant hohem Niveau. 7 Mio. Zuschauer sahen den TV-Serienstart (inklusive Mediathek-Abrufe). Danach ging es bergab. Die Serie büßte zwei Millionen Zuschauer ein, aber der Marktanteil konnte immer noch als überragend bezeichnet werden. 

Der große Wurf wurde „Der Schwarm“ also doch, unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet. Und wenn die Serie den einen oder anderen Zuschauer dafür begeistern kann, nach dem Buch zu greifen, dann hat das ZDF uns allen einen Gefallen getan.

Schätzings Vorgänger ahnten bereits, was kommen wird

An sich war’s das mit der Rezension. Ein kurzer Nachtrag dürfte aber interessant sein. Denn Schätzings Roman ist literaturhistorisch betrachtet nichts Neues. Science-Fiction, die von feindlichen Mächten in der Tiefsee erzählt, gab es schon viel früher.

Wenn es um die Invasion einer nicht-menschlichen Intelligenz geht, dann kommt diese meistens aus dem All. Aber die Gefahr lauert auch in der irdischen Tiefsee. 
Schätzings Roman hatte mit diesem das Rad allerdings nicht neu erfunden. Die Idee, dass wir mit unserer Lebensweise einer fremdartigen Tiefsee-Spezies mächtig auf den Sack gehen, hatten bereits andere. James Cameron machte daraus
„The Abyss“.
Aber man kann in der Zeitlinie noch weiter zurückgehen.Ich erinnere nich sehr gerne an den britischen Science-Fiction-Autor John Wyndham, der mit den „Triffids“ berühmt wurde. Das gleichnamige Hörspiel des Westdeutschen Rundfunks hörte ich 1968 heimlich unter meiner Bettdecke mit dem Kofferradio. Sonst hätte es Stress mit den Eltern gegeben, denen alles Fiktionale als verderbt erschien. So waren die Zeiten.

Vier Jahre zuvor hatte ich ein Buch aus der Serie „Goldmanns Weltraum Taschenbücher“ in die Hände bekommen, das mich zum Wyndham-Fan machte: „Kolonie im Meer“ (später: Wenn der Krake erwacht; Originaltitel: The Kraken Wakes).
In dem bereits 1953 erschienenen SF-Roman fällt die fremde Intelligenz zwar in roten Kugeln vom Himmel, aber ansonsten geht alles zu wie bei Schätzing. Die Spezies siedelt sich in der Tiefsee an und greift die Menschheit an. Schiffe verschwinden oder gehen unter. Später tauen die Aliens sogar die Polarkappen ab, der globale Wasserpegel steigt und kurz vor dem versöhnlichen Ende sind in Großbritannien 90% der Bevölkerung tot.

Gesellschaftspolitische Ambitionen waren bei John Wyndham durchaus erkennbar, denn sowohl die Politiker als auch die Medien zeichnen sich in The Kraken Wakes eher durch Wegsehen, Verdrängung und Ignoranz aus – besonders, was den Diskurs mit Wissenschaftler betrifft.
Wnydkam kannte bereits seine Pappenheimer. Sie halten selbst im Angesicht der drohenden Gefahr alles für Fake News.
In The Kraken Wakes sind diese Leugner schnell auf der Straße und protestieren gegen die Lügen der Regierung und der Medien. Die sind allerdings auch nicht immer an einer faktenbasierten Darstellung der Ereignisse interessiert.
Der Schriftsteller hatte sich also vor fast 70 Jahren ziemlich visionär die Querdenker ausgedacht, die in seinem Roman selbst dann noch über Angstmacherei palavern, als die fremde Intelligenz die Küstenstädte mit Bio-Panzern angreift und abertausende Menschen tötet.

Was aber interessant ist: John Wyndham hatte die Kernidee von Schätzings Roman bereits entdeckt und die Frage gestellt „Was machen wir, wenn sich eine fremde Spezies in unseren Meeren ansiedelt und die Vorherrschaft auf unserem Planeten erobern will?“
Frank Schätzing stellte die gleiche Frage, nur lebt die fremdartige Spezies, die Yrr, in seinem Roman bereits seit Millionen Jahren in der Tiefsee und hält die vergleichsweise junge und wohl noch pubertierende Menschheit für absolut entbehrlich. In Wyndhams Roman wird die Gelegenheit zur Kommunikation verpasst - es geht nur noch darum, die Eindringlinge auszumerzen.


Literaturhistorisch ist das spannend. Wyndham schrieb zwar ‚nur‘ Genreliteratur, balancierte aber in seinen Romanen Science und Fiction gut aus. Schriftsteller wie Michael Crichton und Frank Schätzing toppten dann Jahrzehnte später die Klassiker der Science-Fiction mit noch mehr Science.
Frank Schätzing Bestseller „Der Schwarm“ war dabei auf faszinierende Weise innovativ. Schätzing rieb dem Leser unter die Nase, dass sein verschwenderischer Umgang mit der Natur irgendwann von uns allen bezahlt werden muss.
Deshalb war der Roman prall gefüllt mit wissenschaftlicher Expertise, ein Erzählkonzept, das auch von dem 2008 verstorbenen Michael Crichton erfolgreich praktiziert wurde.
Es war ein so großer Faktenberg, dass Schätzing 80% seiner Recherchen in dem Tiefsee-Sachbuch „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“ verwertete. Ein Buch, dass ich besonders wegen seines saloppen Stils nachdrücklich empfehlen möchte.

Was lernt man daraus?
Man hätte angesichts dieser Expertise bei der Verfilmung seines Romans besser auf Schätzing hören sollen. Und: es lohnt sich Bücher zu lesen, auch wenn sie bereits etwas betagt sind.

Der Schwarm - Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Österreich, Schweden, Schweiz 2023 - - nach dem gleichnamigen Roman von Frank Schätzing - ZDF, 8 Episoden - Showrunner: Frank Doelger - Regie: Barbara Eder, Philipp Stölzl, Luke Watson - Buch: Steven Lally, Marissa Lestrade, Chris Lunt, Michael A. Walker, Frank Doelger, Frank Schätzing - Kamera: David Luther, Dominik Berg - Musik: Dascha Dauenhauer - D.: Dutch Johnson u.a.


Noten: BigDoc = 3


Endnoten

(1) Doelgers Salami-Taktik reiht sich nahtlos ein in die aktuelle Kultur des Zensierens kultureller Artefakte. Bei Selma Lagerlöf wurden bereits vor Jahren die „Negerlein“ gestrichen. Roald Dahl, der tatsächlich ein bekennender und widerwärtiger Antisemit war, wird Bodyshaming vorgeworfen. Die Figuren in seinen Erzählungen dürfen nicht mehr „fett“ sein. In Tennessee wurde vor einem Jahr Art Spiegelmans mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnete Graphic Novel „Maus“ aus den Schulbibliotheken entfernt. Der Autor hatte im Stil einer klassischen Tierparabel den Holocaust am Beispiel von Katzen und Mäusen beschrieben. 
Mark Twains Huckleberry Finn steht auf dem Prüfstand, weil bereits die Kritik am Rassismus für den Rassismus förderlich ist. Aus ähnlichen Gründen wurde der Sklaverei-Roman „Menschenkind“ der Nobelpreisträgerin Toni Morrison in einem anderen US-Bundesstaat vom Lehrplan gestrichen. 

Und der renommierte Filmkritiker Georg Seeßlen outete sich 2020 in der ZEIT als Rassist. Warum? Weil es in einer Gesellschaft, die vom sogenannten „strukturellen Rassismus“ geprägt wird, unmöglich ist, kein Rassist zu sein. 
Es gäbe nichts Wahres im Unwahren, hatte Adorno einst geschrieben. Seeßlen hat dies wohl nicht vergessen. Den Widerstandskräften einer liberalen Gesellschaft traut der Kritikerpapst daher nicht länger. Vielmehr müsse die Kulturgeschichte mitsamt ihrer Text- und Bilderwelten umgeschrieben („Rewriting“) werden. Die sich zwingend daraus abgeleitete Zensur schreibt Seeßlen mit Gänsefüßchen: „Zensur“.

Tatsächlich aber ist die Cancel Culture mitsamt der „Critical Race Theory“ für die Rechten ein mittlerweile ein gefundenes Fressen. Sie bedienen sich des Begriffs schon längst, um unliebsame kulturelle Produkte zu canceln, wie Andreas Busche im Tagesspiegel treffsicher beschrieb.

(2) Das ist durchaus pikant, denn der Stromverbrauch für das weltweite Video-Streaming wird mit 200 Milliarden kWh beziffert und hat demnach einen Ausstoß von 94,8 Kilotonnen CO2. Anders formuliert: wenn man einen ökologisch motivierten Roman verfilmt und damit Unmengen von CO2 produziert, sollte man sich schon über so etwas nachdenken. Auch über den Respekt vor dem Autor.

(3) Literaturverfilmungen müssen sich abseits der Zeitgeist-Themen wohl oder übel auch der Frage nach der Werktreue stellen und besonders die Leser respektieren. Und das bedeutet, dass eine authentische Literaturverfilmung Respekt vor den tragenden Figuren haben sollte, den Intentionen des Autors folgen muss (nicht immer einfach) und die dramatischen Konflikte der Vorlage differenziert darzustellen hat. Und man sollte auf keinen Fall die Leser vor den Kopf stoßen!

Quellen