Sonntag, 22. Januar 2023

The Rig - Amazon-Serie ringt um Qualität

Als eine Bohrinsel vor der schottischen Küste von der Außenwelt abgeschnitten wird, macht sich rasch Unruhe in der Crew breit. Dann erleidet ein Arbeiter tödliche Verletzungen, steht aber wenig später kerngesund vom Krankenlager auf. Allen wird klar, dass das Bohrteam nicht allein ist. Aus den Tiefen des Meeres ist etwas an die Oberfläche gekommen und niemand weiß, was es will.
Mit „The Rig“ schickt Amazon Prime Video eine Serie ins Rennen, die als Mix aus Öko-Thriller, Science-Fiction und etwas Horror zwar gute Ansätze besitzt, am Ende aber im Mittelmaß versinkt. Denn originell ist die Serie nicht. Im Gegenteil.

Weder Fisch noch Fleisch

Zu tief gebohrt?
Obwohl das Science-Fiction-Genre überwiegend in die Weiten des Weltalls vorstößt oder sich darin gefällt, dystopische Zukunftsszenarien auf unserem Blauen Planeten zu entwerfen, sind sich einige Autoren einig, dass auch die geheimnisvolle Tiefsee unbekannte Gefahren für unsere fragile Zivilisation bereithält. Es könnte schon reichen, wenn auf einer Bohrinsel an der falschen Stelle Öl gefördert wird – es könnte unser aller Ende sein. Davon erzählt Showrunner David Macpherson in „The Rig“ und über Frank Schätzing wird noch zu reden sein.

Nahezu alle Kritiker waren sich einig: „The Rig“ ist weder Fisch noch Fleisch. Die Serie ist zunächst slow, dann legt sie zu, aber unterm Strich weiß man nicht so recht, was man damit anfangen soll. Science-Horror-Thriller nannte ein Blogger den Sechsteiler. Genauso könnte man „The Rig“ als Öko-Science-Fiction verorten. Die englischsprachige WIKIPEDIA klassifiziert die Geschichte als „Supernatural Thriller“ und „Drama“. Einig sind sich aber die meisten Kritiker darüber, dass der maue Cliffhanger, der nicht wirklich einen narrativen Schlussstrich zieht, die Serie nicht vor einem raschen Ende bewahren wird.

„The Rig“ ist das erste Amazon Original, das vollständig in Schottland gedreht wurde. Showrunner David Macpherson hat vier Drehbücher selbst geschrieben, die beiden anderen wurden von Meg Salter and Matthew Jacobs Morgan verfasst. Regie führten John Strickland („Line of Duty“) und der Produzent und Autor Alex Holmes (u.a. Autor des preisgekrönten Dokudramas „Dunkirk“, 2004. Zuletzt Executive Producer für „Billie – Legenden des Jazz“, 2019). 
David Macpherson ist dagegen so unbekannt, dass man nicht einmal in der Internet Movie Data Base (IMDb) etwas über ihn erfährt. Das muss aber nichts heißen. Denn der Showrunner von „The Rig“ ist hauptberuflich Schriftsteller („Here be Dragons“), schrieb aber auch fast ein Dutzend Mal für die Filmbranche. Große Namen sind es trotzdem nicht, die für „The Rig“ künstlerisch verantwortlich sind. Aber auch das will nichts heißen. Immerhin gelingt ihnen eine Geschichte, die sich auf einer Bohrinsel (Rig) ereignet und trotz sparsamer Mittel durchaus klaustrophobische Qualitäten besitzt.

„The Rig“ nimmt sich drei Episoden lang die Zeit, um diese Geschichte aufzubauen. Auf der Ölplattform Kinloch Bravo vor der schottischen Küste zieht urplötzlich ein dichter Nebel auf. Eigentlich sollte ein Teil der Crew mit Hubschraubern aufs Festland gebracht werden, um ihren wohlverdienten Urlaub anzutreten. Doch nicht nur der Nebel, der gruselig an John Carpenters „The Fog“ erinnert, macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Auch der völlige Kollaps aller Kommunikationsmedien sorgt für Unruhe. Kinloch Bravo ist von der Außenwelt abgeschnitten.
Offshore Installation Manager (OIM) Magnus MacMillan (Iain Glen) schickt zwei Männer auf den 50 m hohen Sendemast, um nach dem Rechten zu sehen. Doch der junge Baz Roberts (Calvin Demba) stürzt bei der Rückkehr aus großer Höhe ab und landet mit zerschmetterten Knochen auf der Plattform. Allein sein Überleben ist ein Wunder. Doch bizarr wird der Unfall, als sich Baz wie von Geisterhand vollständig von seinen Verletzungen erholt. Er ist danach nicht mehr der, der er einmal war. Während wolkenähnliche Gebilde mit merkwürdigen Sporen durch die Rig wabern, wandert Baz somnambul herum und kündigt düster an, dass er etwas schützen müsse, damit ES die Menschen schützen kann.

Als eine benachbarte Bohrinsel nach einer Explosion fast in Stück gerissen wird, wird die Crew endgültig panisch. Angeheizt vom renitenten Inselveteranen Lars Hutton (Owen Teale) streitet man über eine Evakuation, dann gibt es die ersten Toten und Paranoia breitet sich aus. Denn auf der Rig scheint sich eine mysteriöse Krankheit auszubreiten.

Guter Cast, mittelmäßige Story – aber keine Monster!

Das Pacing der Amazon-Serie ist drei Episoden lang sehr bedächtig. Allerdings hängt die Spannungsdramaturgie nicht vollständig in den Seilen. Trotzdem hat man das Gefühl auf, alles schon einmal gesehen zu haben: die eingeschlossene Gruppe, der abgebrochene Kontakt zur Außenwelt, eine unheimliche Gefahr, die sich wie eine Seuche ausbreitet und die Aufrührer, die die Autorität des OIM untergraben wollen.
Bohrinseln sind für Horror und Science-Fiction kein schlechter Ort. Erst recht nicht für Trashfilmer und ihre mörderischen Monster wie in „Alien Rig“ (1981) oder den mörderischen Monstern in „The Rig“ (2010) sowie den mörderischen Monstern in „Parasite – Das Grauen hat die Erde erreicht“ (2004). Sie genießen bei den Genießern einfacher Kost große Sympathie. „The Rig“ verzichtet zunächst auf mörderische Monster. Trotzdem gilt auch in der Amazon-Serie die eiserne Regel: Für die Besatzung gibt es kein Entkommen und keine Aussicht auf Hilfe vom Festland.
Alles irgendwie 08/15. Und so erwartet man, dass die Leerstelle des Narrativs wohl kaum mehr als das Erwartbare zu bieten haben wird: die obligatorischen Monster oder Aliens, die die Bohrinsel gekapert haben. Vielleicht auch ein Virus aus der Tiefsee, das die Crew in Zombies oder Mutanten verwandelt oder eine Verschwörung, die alle auf der Bohrinsel umbringen will, um ein schreckliches Geheimnis zu vertuschen. Alles riecht nach Billigtrash. Aber so schlimm wird es dann doch nicht. Amazon will erkennbar eine seriöse Geschichte erzählen.

Allerdings ist dabei ein Problem zu lösen. Da nicht nur in Genreserien beinahe alles schon einmal erzählt wurde, muss man das Bekannte möglichst originell erzählen oder dank eines üppigen Budgets mit einem CGI-Gewitter die Stereotypien der Story zuzukleistern. Letzteres ist nicht der Fall. „The Rig“ ist – gelinde gesagt – preiswert produziert worden. Und Ersteres ist ein Widerspruch in sich, auch wenn gelegentlich mal eine Serie mit einem Plot auftaucht, der sattsam Bekanntes in einem frischen Erzähllook präsentiert.

Aber wie nimmt man den Zuschauer mit? Die emotionale Bindung an Medienprodukte hängt nur bedingt von den visuellen Production Values ab. Die Sets und High-End-Computeranimationen können zwar von schwachen Plots ablenken, sie aber nicht retten. Ist das Budget schmal, entscheidet die Qualität der Drehbücher und ein guter Cast über die Production Values. Gelingt dies, kann dies eine Low Budget-Produktion deutlich aufwerten. Schließlich sind es die Figuren, für die man sich erwärmen muss.

Der Cast von „The Rig“ kann zumindest diese Aufgabe ordentlich bewältigen. Iain Glen („Jack Taylor“, 2010-2016, „Game of Thrones“) spielt den OIM nicht als virilen Helden, sondern recht routiniert als erfahrenen Krisenmanager, den zunehmend Selbstzweifel quälen. Leider wurde ihm ein Trauma ins Skript geschrieben, was dann doch etwas klischeehaft wirkt. 

Owen Teale („Game of Thrones“) sorgt als Troublemaker Lars Hutton mit einer Neigung zur Gewalt für das Konfliktpotential des Dramas. Und das recht gut, weil die Figur mit der erforderlichen Ambivalenz ausgestattet wurde. Am Ende wird sich nämlich herausstellen, dass Hutton keineswegs schief lag mit seinen zunächst recht kruden Verschwörungstheorien. 

Die serienerfahrene Emily Hampshire (u.a. in „Twelve Monkeys“, 2014, und der Steven King-Adaption „Chapelwaite“, 2021) spielt Rose Mason, die leitende Wissenschaftlerin auf der Bohrinsel, die gleichzeitig auch die Repräsentantin des Ölkonzerns Pictor ist. Eine Frau mit einer fremden Agenda, die sich aber von den Interessen ihres Auftraggebers abwendet und sich auf die Seite MacMillans schlägt. Sie entdeckt nämlich, dass die Sporen und die moos- und algenartigen Pflanzen, die sich auf der Rig ausbreiten, zu einer Spezies gehören, die seit einigen hundert Millionen Jahren in der Tiefsee existiert. Emily Hampshire spielt ihren Gesinnungswandel sehr überzeugend - eine der interessantesten Figuren des „Rig“-Ensembles.

Auch die Nebenfiguren sind gut besetzt worden. Zum Beispiel der von Martin Compston gespielte Bordfunker Fulmer Hamilton, der eine heimliche Affäre mit Rose Mason hat und wie auch Baz von den Sporen infiziert wird. Und dies hat Folgen. Wer infiziert wird, erhält von den Sporen nicht nur eine genetische Kernsanierung des eigenen Körpers, sondern wird auch von Visionen beherrscht. Die Sporen scheinen zudem in begrenztem Umfang telepathisch auf ihre Wirte einwirken zu können. Aber Fulmer ist jemand, bei dem dies nur eingeschränkt zu funktionieren scheint. Immerhin eine gute Idee.

Leider ist der Plot geklaut

In den letzten drei Episoden wird es dann allen klar: in den Tiefen des Meeres gibt es eine Schwarmintelligenz aus Bakterien, die offenbar an jedem großen Massensterben auf unserem Planeten beteiligt war. Und die offenbar akribisch darüber Buch geführt hat. Wartet also in der Tiefsee das absolut Böse auf unsere noch recht junge Spezies oder greift die geheimnisvolle Schwarmintelligenz regulierend in die irdische Evolutionsgeschichte ein, um das ökologische System vor Gefahren zu schützen?

Eine faszinierende Überlegung. Schade nur, dass Showrunner David Macpherson sie komplett bei Frank Schätzing geklaut hat. Der hat nicht nur „Der Schwarm“ geschrieben, sondern auch „Nachrichten aus einem unbekannten Universum - Eine Zeitreise durch die Meere“, ein Sachbuch, in dem sich der deutsche Schriftsteller auch mit Kryptozoologie beschäftigt. Also mit Fabelwesen. Und so wirkt „The Rig“ spätestens dann, als ein riesiger Tsunami auf die britische Küste zurollt wie ein Aufguss von Schätzings Erfolgsroman, in dem die Millionen Jahre alte Zivilisation der Yrr den Menschen an den Kragen will. Und ähnlich wie bei Schätzing sorgen auch die schlauen Bakterien in „The Rig“ für einen unterseeischen Erdrutsch, der den gigantischen Tsunami auslöst.

Das ist ärgerlich. Genauso ärgerlich wie die Mockbuster der US-Produktionsgesellschaft „The Asylum“, die den Zuschauer regelmäßig mit Billigkopien bekannter Blockbuster heimsucht. Man wird das Gefühl nicht los, als wolle Amazon mit einer abgespeckten Variante des Schätzing-Romans den Rahm abschöpfen. Und zwar bevor die zunächst mit acht Episoden startende Verfilmung ab dem 22. Februar 2023 in der ZDFmediathek zu sehen sein wird.

Noch ärgerlicher ist der erzählerische Absturz von „The Rig“, nämlich als kurz vor Schluss ein infamer Schurke aus dem Zylinder gezaubert wird. Mark Addey (bekannt als Robert Baratheon in „Game of Thrones“) taucht als David Coake auf. Und der arbeitet für Pictor als Mann fürs Grobe. Der Konzern will offenbar CO2 im Meer verklappen, wurde dabei aber mit den Bakterien konfrontiert.
Coakes Auftrag, wen wundert’s, ist die Vernichtung der Schwarmintelligenz. Und dabei geht er wortwörtlich über Leichen.
 Diese holzschnittartige Figur ist als Apologet eines zynischen Kapitalismus („Wir beuten Ressourcen aus. Wenn wir fertig sind, ziehen wir weiter. Auch Menschen sind Ressourcen“) eher lächerlich. Auch weil man weiß, dass sich auch globale Konzerne nicht lange im rechtsfreien Raum bewegen können, ohne aufzufliegen. Und da wir alle Greenwashing kennen, wissen wir, dass wir belogen werden, wenn wir angeblich CO2-neutral in den Urlaub fliegen und dafür ein "grünes" Ticket buchen. Oder wenn die Bundesregierung irgendwann eine Wasserpreis-Bremse einführen wird. Retten können uns da nur noch intelligente Zivilisationen aus der Tiefsee...

Nun ist es so, dass man unschwer die fatalen Zusammenhänge zwischen unserem ökonomischen System und seinen ökologischen Folgen erkennen kann. Wenn man es möchte. Gezieltes Nachdenken wird dazu bald nicht mehr nötig sein, es genügt der Blick aus dem Fenster auf die verdurstenden Bäume.
So mancher will davon nichts wissen. Aber wenn die Multis so primitiv auftreten würden wie es in „The Rig“ der Fall ist, gäbe es auch bei den letzten Leugnern keine Zweifel mehr, dass der Klimawandel real ist. Und so verflüchtigt sich alles, was sich „The Rig“ mühsam aufgebaut hat, wie die Sporenschwärme in der rauen Luft der Nordsee. Am Ende siegt das Klischee, die Botschaft wurde uns mit dem Holzhammer verabreicht und es gab auch das obligatorische Monster. Es war fett, häßlich und lief auf zwei Beinen.

Note: BigDoc = 3


The Rig – Großbritannien 2023 - Amazon Prime Video, 6 Episoden – Showrunner: David Macpherson – Buch: David Macpherson, Matthew Jacobs Morgan, Meg Salter – D.: Iain Glen, Emily Hampshire, Owen Teale, Martin Compston, Calvin Demba a.a.