Wer naiv ist, glaubt nicht nur an den Weihnachtsmann, sondern auch daran, dass die inhaltliche Qualität über die Produktion von Serien entscheidet. Oder über deren Fortsetzung. Falsch: Nicht einmal gute Quoten retten eine Serie davor, gecancelt zu werden.
Dies ist bei „Bosch: Legacy“ der Fall. Das Spin-off der Erfolgsserie „Bosch“ wurde von Amazon abgesetzt. Trotz exzellenter Quoten und einer weltweiten Fangemeinde. Die Gründe lassen nicht nur Fans die Haare zu Bergen stehen. Anlass genug, um von dem Cop und späteren Private Eye Harry Bosch Abschied zu nehmen. Es war eine schöne Zeit.
Werbespots mit Bosch? Niemals!
Das Branchenblatt „Variety“ bezeichnete das Ende der Erfolgsserie als „die merkwürdigste Entscheidung der Fernsehgeschichte.“ Kein Wunder, denn die Adaption der Romane von Michael Connelly durch Showrunner Eric Overmyer („Law & Order“, „The Wire“, Staffel 4) war von Anfang an ein Hit. Auch für Michael Connelly, der als Executive Producer an der Produktion beteiligt war: „Was für eine großartige Serie. Ich hätte mir keine bessere filmische Adaption meiner Arbeit wünschen können.“ Und damit meinte der Erfolgsautor auch die überragende Performance von Titus Welliver, der in bester Noir-Tradition zunächst Hieronymus „Harry“ Bosch als Cop beim Los Angeles Police Department spielte, dann aber aus dem Dienst ausschied und als Privatdetektiv dem Bösen unter der Sonne nachstellte.
Damit ist nun Schluss. Der Grund ist wieder einmal der Hustle um die Rendite. Jedenfalls, wenn man der Schweizer Programmzeitschrift TELE folgt. Das Magazin recherchierte, dass der Streamingdienst Amazon Prime plant, mit seinen Produktionen gezielt die werberelevante Zielgruppe der 18- bis 34-Jährigen ins Visier zu nehmen. Und „Bosch“ sowie das Spin-off „Bosch: Legacy“ könnten das angeblich nicht bieten – die Krimiserie wurde nämlich überwiegend von älteren Zuschauern gesehen. Spätestens nach zwei Staffeln von „Bosch: Legacy“ war es für Amazon daher klar, dass sich die Noir-Serie nicht für Werbespots und Produktplatzierung eignet. Zu authentisch, befanden die Verantwortlichen. Und für Sentimentalitäten ist beim harten Kampf um Marktanteile kein Platz. Fans der Serie „The Expanse“ können ein Lied davon singen.
Das Ganze spiegelt einen aktuellen Trend bei den großen Streaminganbieter wieder, nämlich Werbung zu schalten. In Deutschland war „Bosch: Legacy“ zeitweilig in das „Freevee“-Ressort abgewandert, die dritte Staffel des Spin-offs ist dagegen wieder bei Amazon Prime zu sehen. Freevee ist mittlerweile Geschichte und heißt nun „Kostenlos ansehen“, der Freevee Channel kann aber weiterhin genutzt werden.
Damit ist der Markenkern der Streaming-Anbieter obsolet geworden, nämlich das Versprechen, ihre Produkte im Gegensatz zum linearen TV werbefrei anzubieten. Man kann also keine Kritik mehr schreiben, in der Faktoren wie Handlung, Darsteller, Settings und Kameraarbeit sowie der Soundtrack im Mittelpunkt stehen. Stattdessen muss man sich mit Film- und Serienökonomie beschäftigen.
Früher konnte sich der Kritiker in selbstverordneter Naivität noch vor solchen Aspekten drücken, im Glauben daran, dass der Zwang zum Profit nur ein lästiger Begleiter von Filmen und Serien ist. Hauptsache, die Produkte waren gut. Gegenwärtig muss er sich aber damit abfinden, dass er ins Leere hineinpalavert, wenn er die Gewinnorientierung ignoriert. Schreibt er aber über sie, dann verliert er die Leser. „It’s economy, stupid“ will kein Mensch lesen.
Egoismus und Machtgier
Die 3. Staffel zeigt erneut, dass die Welt nicht besser geworden ist. Auch nicht in ihren Fiktionen. In der „City of Angels“ gehen Gewalt, Gier und Kriminalität nicht spurlos am LAPD und erst recht nicht an Bosch vorbei. Aus unterschiedlichen Gründen: Das LAPD ist tief in politische Ränkespiele verwickelt. Das erinnert daran, wie in „The Wire“ die von Egoismus und Machtgier gesteuerten Institutionen wie Police Department, Stadtverwaltung, Politiker und Medien kritisch dargestellt werden. Sie haben kaum einen moralischen Vorsprung vor den Drogenkartellen und kriminellen Banden.
Bosch steckt dagegen noch die Entführung seiner Tochter Maddie in den Knochen. Die hat ihre traumatischen Erfahrungen noch nicht vollständig verarbeitet, hat aber als Cop des LAPD längst die Rolle des Rookies abgelegt. Eine härter gewordene junge Frau, die aber noch nicht verhärtet ist.
Der Cliffhanger in Staffel 2 von „Bosch: Legacy“ deutete an, dass Bosch dafür gesorgt hat, dass Kurt Dockweiler (David Fenman), der Entführer seiner Tochter, im Knast umgebracht wird. Interesse an der Aufdeckung dieser Verschwörung hat der Bezirksstaatsanwalt Emmett Archer (Jim Holmes), der mitten im Wahlkampf steckt. Herausforderin des windigen District Attorneys ist ausgerechnet die Anwältin Honey Chandler (Mimi Rogers), Bosch‘ frühere Nemesis und mittlerweile seine gute Freundin. Chandler verspricht den Wählern den Kampf gegen die Korruption im LAPD. Das darf natürlich nicht geschehen. Bringt man Bosch zu Fall, so das Kalkül der Archer-Anhänger, dann macht man auch Chandler angreifbar.
Natürlich ist Chandler kein Liebling der Cops. Trotz akuter Bedrohungen erhält sie keinen Polizeischutz bei ihren Wahlveranstaltungen. Das endet beinahe tödlich, als der Ex-Cop Frank Sheehan („Bosch“, Season 4) (Jamie McShane) Bosch zunächst bittet, ihn bei seiner Rehabilitation zu helfen. Tatsächlich plant Sheehan während ein Wahlkampfveranstaltung ein Attentat auf Chandler, wird von Bosch aber gestellt und erschießt sich in auswegloser Lage. Das ist für Kenner der Serie interessant, denn die Robbery Homicide Division (RHD) zeigte sich in der 4. Staffel von „Bosch“ nach der Ermordung eines Bürgerrechtsanwalt von ihrer finsteren Seite. RHD-Cop Frank Sheehan war an der Verschwörung beteiligt und landete schließlich im Knast.
Archer hat aber noch ein weiteres As im Ärmel. Auf Bosch werden von Rick Selas, einem Captain der (RHD) mit Jimmy Robertson (Paul Caldéron) und sein Partner Lopez zwei Ermittler angesetzt, die beweisen sollen, dass Bosch die Ermordung von Kurt Dockweiler mit Hilfe des Mörders und Vergewaltigers Preston Borders (Chris Browning, „Bosch“ Staffel 5) arrangiert hat. Zudem taucht ein Video auf, dass zeigt, dass Bosch während eines Verhörs gewalttätig gegen Dockweiler vorgeht. Und als Maddie (Madison Lintz) eine brutale Kriegsgeschichte aus Bosch‘ Militärzeit in Afghanistan erzählt wird, beginnt sie an der moralischen Integrität ihres Vater zu zweifeln. Einige dieser Querverbindungen zu früheren Staffeln sind für Quereinsteiger nicht nachvollziehbar, aber dies hat keinen großen Einfluss auf die Erzähllogik.
Streckenweise überfrachtet
Ansonsten erzählt die Serie ihre Geschichten nach einem vertrauten Schema. Der Hauptplot stellt die Verbindung zu den Ereignissen der vorherigen Staffel her und wird in der Regel nach der ersten Hälfte der Staffel aufgeklärt. Die zweite Hälfte konzentriert sich auf den zweiten Hauptplot. Parallel dazu gibt es Nebenplots, die den Hauptfiguren wie Maddie mehr Screentime geben.
In der dritten Staffel, die auf Connelly Roman „Desert Star“ basiert, werden Maddie und ihre Partnerin Reina Vasquez (Denise G. Sanchez) mit einer Serie von Raubüberfällen konfrontiert: zwei maskierte Männer überfallen ihre Opfer vor deren Haustür. Für Reina, die auch Maddies Training Officer war, wird der Fall zu einem moralischen Drama, als sie herausfindet, dass ihr Neffe zur Gang gehört.
Bosch muss dagegen nach der vierköpfigen Familie von Stephen Gallagher suchen, einem Unternehmer, der mitsamt Frau und Kindern plötzlich von der Bildfläche verschwunden ist. Bosch findet heraus, dass Gallaghers Geschäftspartner an kriminellen Geschäften beteiligt ist und Gallagher, dessen Frau und seine beiden Kinder ermordet hat. Bosch jagt also einen Massenmörder und muss sich entscheiden, ob er ihn töten oder den Ermittlungsbehörden ausliefern will.
Im zweiten Hauptplot muss das LAPD einen Schock verkraften. Jimmy Robertson wird in der 5. Episode „F…ing Politics“ erschossen und alles sieht nach einem Raubüberfall aus. Doch der letzte Fall von Bosch‘ Ex-Partner führt tief in die Machenschaften eines Drogenkartells, das Robertson liquidierte. Bosch und sein Partner Mo (Stephen Chang als Mann fürs Digitale) finden heraus, dass der Drogenboss Humberto Zorillo (Manuel Uriza) Jimmy Robertson höchstpersönlich erschossen hat und dass das LAPD die Tat einem unschuldigen Kleinkriminellen anlastet.
In „Bosch“ war die Erzählstruktur häufig so kompliziert, dass man die Ereignisse nach dem Ende der Staffel schnell vergessen hatte. Im Spin-off ist das Pacing etwas effektiver geworden. Der Writer’s Room verzettelte sich nicht mehr (wie es im Noir-Genre üblich ist) in hyperkomplexe Verbrechen, Geheimnisse und Verschwörungen, sondern konzentrierte sich auf die Figuren und das, was sie angesichts ihrer belastenden Erfahrungen und moralischen Konflikte zu verarbeiten hatten.
Trotz gesteigerter Effizienz kann sich die 3. Staffel des Spin-offs nicht ganz von seiner alten Erzähltechnik befreien. Spätestens nach den ersten vier Episoden und nachdem Mimi Chandler die Wahl zur Bezirksstaatsanwältin gewonnen hat, wirkt die Serie daher überfrachtet.
Originell ist das Finale der Serie trotzdem, nicht nur weil Michael Connelly und Titus Welliver das Drehbuch geschrieben haben. „Dig Down“ nimmt Abschied von Hieronymus „Harry“ Bosch. Der wird in der 10. Episode wie aus dem Nichts nicht nur mit einem alten Fall konfrontiert, sondern auch mit der verantwortlichen Ermittlerin Renée Ballard (Maggie Q, „Nikita“, „Designated Survivor“).
Damit führt die Serie die Hauptfigur des nächsten Spin-offs ein, die neben Michael Haller, Bosch‘ Halbbruder, zu den wichtigsten Figuren in Connellys Bosch-Universum gehört. Connelly führte sie 2017 in seinem Roman „The Late Show“ ein. Maggie Q wird in der neuen Serie als Detective Renée Ballard Cold Cases lösen. Ob sie mit Bosch zusammenarbeiten wird, steht in den Sternen, denn Bosch sei zu tief in die Dunkelheit eingedrungen, so Ballard. So weit wird es nicht kommen, denn die IMDb hat erste Fotos von den bereits laufenden Dreharbeiten veröffentlich, in denen auch Titus Welliver zu sehen ist.
Good Cop, Bad Cop
Blickt man zurück, so wird man sich gerne an „Bosch“ Und „Bosch: Legacy“ erinnern. Beide Serien gehörten nicht zu den absoluten Top-Serien, sie boten aber im unendlichen Meer der Krimiserien eine überdurchschnittliche und verlässliche Qualität.
Außergewöhnlich waren dabei nicht die Crime Plots. Es war die Hauptfigur, die faszinierte und deren Name an den Maler Hieronymus Bosch (ca. 1450-1516) erinnern sollte. Bosch' Bilder wurden von Fabelwesen, Dämonen und Teufeln beherrscht. Bis heute wird spekuliert, ob der Maler damit das Böse symbolisch sichtbar machen wollte oder auf der Leinwand eine Horrorshow präsentierte, in der die Bösewichter ohne Ausnahme in der Hölle schmoren und die Lebenden auf den richtigen Pfad zurückgeführt werden. Wie wir alle wissen, klappte Letzteres nicht.
Michael Connelly hat mit seiner Hauptfigur Harry Bosch keine endgültige Antwort auf diese Frage gegeben. In seinem Büro hängt aber nicht zufällig das 1505 entstandene Gemälde „Die Hölle“ (The Hell): Hier zeigt Bosch, wie der Teufel und seine Dämonen grausam die Sünder foltern. Harry Bosch ist diesem Inferno sehr nahegekommen.
Sicher dürfte auch Raymond Chandlers Private Eye Philip Marlowe für Connelly ein Vorbild gewesen sein, aber Marlowe war ein einsamer Wolf, der als Ich-Erzähler das Böse einer Gesellschaft kommentiert, in der die Verlierer und die Armen bleiben, was sie sind, und die Reichen es nicht hinkriegen, mit ihrem Geld glücklich zu werden. Wie etwa der Starautor Roger Wade in „The Long Goodbye“ (1953), der die historischen Romane, die er schreibt, aus vollster Überzeugung hasst. Aber Marlowe war ein Noir-Figur, der die Gesellschaft genau kommentierte, aber an den Verhältnissen nichts ändern konnte. Bis auf das Verlangen nach Wahrheit.
Die Wahrheit sucht auch Harry Bosch. Aber anders als Philip Marlowe ist er ein Familienmensch. Ein Ermittler, der ebenfalls keine Illusionen mehr hat und die Natur des Menschen realistisch einschätzt, ohne dabei zynisch oder empathielos zu werden. Titus Welliver hat dies grandios gespielt, mit subtiler, unaufgeregter und sparsamer Mimik, immer auf der Hut davor, seine Emotionen offen zu zeigen, auch dann, wenn es in ihm brodelte.
Showrunner Eric Overmyer und Titus Welliver haben vor einigen Jahren in einem Interview mit der Los Angeles Times erklärt, dass sie nichts mit Serien am Hut haben, die distanzlos Cops als Helden zeigen. Dass Bosch in seiner Zeit als Cop nicht immer auf den Pfaden der Legalität wandelte, war daher keine Überraschung. Bosch vermittelte das Gefühl, dass seine Härte und seine gelegentliche Brutalität legitim sind, um für unbedingte Gerechtigkeit zu sorgen. Das Kunststück ist es, dies so glaubhaft zu erzählen, dass die Hauptfigur ihren moralischen Kompass dabei nicht verliert, aber als Figur ambivalent genug bleibt, um zu verhindern, dass sie berechenbar wird.
Dass das formale Recht dabei gelegentlich ausgehebelt werden musste, war für Bosch kein Grund zum Grübeln. Bosch war und blieb deshalb immer ein Grenzgänger zwischen zwei Welten und es ist Titus Welliver zu verdanken, dass dies so authentisch gespielt wurde, dass man sich mit seiner Figur identifizieren konnte. Good Cop, bad Cop.
Es waren aber nicht die politischen Affären, die Bosch zu schaffen machten, sondern die Gewalt gegen unschuldige Menschen. Dazu gehörte die Ermordung seiner Mutter, deren Mörder er jahrelang suchte, später die Ermordung seiner Ex-Frau und schließlich die entführte Tochter, die in einer verschlossene Kiste lag und die Bosch mit bloßen Händen aus dem Wüstensand buddelte.
Seine Klienten waren aber auch die namenlose Opfer, für die sich die anderen Cops und die Politiker nicht interessierten: misshandelte Kinder, getötete Immigranten, sexuell Missbrauchte. Menschen, die in der Polizeistatistik landen und schnell vergessen werden. „Jedes Opfer zählt“, das war das Credo von Harry Bosch. Und genau das war es, was an Titus Wellivers Figur so faszinierte: Bosch war eine moralische Distanz aus eigener Façon, blieb dabei aber ein pragmatischer Realist.
Auch die letzte Staffel des Spin-offs war daher wie gewohnt solide und gut. Sie erfand das Rad nicht neu, hielt aber das Versprechen einer guten Serie. Nämlich eine Hauptfigur zu präsentieren, mit der man wie mit einem guten, alten Freund gerne und regelmäßig viel Zeit verbringen möchte.
Das gilt auch die Aufmerksamkeit, mit der viele Nebenfiguren behandelt wurden. So tauchen in der letzten Staffel von „Bosch: Legacy“ erneut Sgt. John Mankiewicz (Scott Klace) sowie die Veteranen-Cops Gregory Scott Cummins als Crate und Troy Evans als Barrel auf. Nicht mehr dabei: Lance Reddick. Der Schauspieler Irvin Irving starb leider im März 2023.
Einen vollständigen Abschied von Bosch gibt es wohl nicht. Ich hoffe, dass es der neuen Serie gelingt, den unter 35-Jährigen exzellente Werbung zu präsentieren!
Note: BigDoc = 2
Quellen: Immer mehr Werbung bei Streaming-Diensten
Bosch: Legacy – Network: Amazon – drei Staffeln nach den Romanen von Michael Connelly – Showrunner: Eric Overmyer – 30: Episoden – D.: Titus Welliver (auch Executive Producer), Madison Lintz, Mimi Rogers, Stephen Chang, Denise G. Sanchez, Scott Klace, Scott Commins, Troy Evans, Paul Calderón