Sonntag, 10. Mai 2009

DVD-Review - Diary of the Dead

USA 2007, O: George A. Romero's Diary of the Dead, R: George A. Romero, D: Joshua Close, Michelle Morgan, Shawn Roberts, Amy Ciupak Lalonde, Joe Dinicol, Länge: 97 min, FSK: 18

Zombie-Veteran George A. Romero hat einen bizarren Humor, der ähnlich wie bei Tarantino dann aufblüht, wenn es ums Zitieren geht. Man sieht es gleich am Anfang: Eine Gruppe von Filmstudenten werkelt zusammen mit ihrem ständig angetrunkenen Professor an einer Trash-Version von „The Mummy“ herum, was nicht so recht klappen will, da der bandagierte Hauptdarsteller bei der Verfolgung eines weiblichen Opfers „viel zu schnell“ ist. Mumien können nur langsam wanken. Die Darstellerin wiederum beklagt sich darüber, dass den Frauen im Horrorfilm immer das Oberteil heruntergerissen wird und sie bei der Flucht unweigerlich stürzen müssen, damit sie auch genregerecht vom Monster eingeholt werden können. Spätestens bei diesem Lamento weiß man, dass die junge Dame in Romeros Film von der Realität eingeholt werden wird. Aber auch dann, wenn es ums nackte Leben geht, wird jemand mit der Kamera dabei sein. Cool und ohne einzugreifen.

Der Medien-Octopus
Realität? Wo existiert sie und wie nehmen wir sie überhaupt wahr? Nur noch auf dem Bildschirm und möglichst in High Definition? Und vor allen Dingen: Was machen die Medien aus uns, wenn sie uns erst einmal überwältigt haben?
Diese Frage und überhaupt das fragile Konzept der von Medien vermittelten Ereignisse werden in Romeros Prequel zu seiner „Dead“-Trilogie mit messerscharfem Witz aufs Korn genommen. Seine Helden sind auf der Flucht vor den Zombies nicht nur mit Schusswaffen sowie mit Pfeil und Bogen bewaffnet, sondern auch mit Kameras, damit „die da draußen“ erfahren können, was ‚wirklich’ geschieht und was die offiziellen Medien verschweigen. Nicht gerade originell, aber immerhin ein respektabler Ansatz - das zeigt schon der Titel: Hinter dem eher an literarische Traditionen erinnernden „Diary of the Dead“ verbirgt sich alles andere als eine schöngeistige Niederschrift der Ereignisse, sondern eine gallige mediensatirische Variante des Undead-Themas, die einerseits treffsicher auf die „You Tube“- und Blogger-Kultur zielt, andererseits aber auch dem Zeitgeist des modernen Horrorfilms den Krieg ansagt.
„Garbage“ nennt der Altmeister all das, was man in dem klassischen Genre Horrorfilm derzeit im Kino sieht. Und Müll, Abfall, Schund dürfte für ihn auch all das sein, was sich in der globalen Internet-Kultur abspielt. Deren Anspruch, sich als aussagestarke vox populi von den etablierten Medien abzugrenzen, ertrinkt laut Romero im Meer der Beliebigkeiten: “There’s just so much information, and it’s absolutely uncontrolled. Half of it isn’t even information. It’s entertainment or opinion. I wanted to do something that would get at this octopus. It may be the darkest film I’ve done since ‘Night of the Living Dead.’”

Immun gegen die Wirklichkeit
Diese und ähnliche Überlegungen Romeros darf man auch im ausgedehnten Bonusmaterial der DVD teilen, auf der „Diary of the Dead“ zwei Jahre nach dem Kinostart in den Staaten nun auch den deutschen Markt erreicht hat. „Diary“ war ursprünglich ein Direct-to-DVD-Projekt, mit dem Romero zu seinen Independent-Wurzeln zurückkehren wollte, nachdem er mit „Land of the Dead“ zuletzt den Epilog seiner Dead-Trilogie für 16 Mio. Dollar mit Atmosphere Entertainment als High-Budget-Movie produziert hatte. Lediglich 4 Mio. $ kostete dagegen „Diary“ und für die Realisierung benötigte Romero nur seine Crew, eine Handvoll Darsteller, einige Häuser und Scheunen sowie einsame, nächtliche Landstraßen und ein Wohnmobil.
In diesem Gefährt sind jene Studenten unterwegs, die gerade eben noch unter der Leitung des Regisseurs und Kameramanns Jason Creed (Joshua Close) in den Wäldern Pennsylvanias einen Horrorschocker drehen wollten. Beendet werden die nächtlichen Dreharbeiten durch beunruhigende Radiomeldungen über eine plötzlich ausgebrochene Welle mysteriöser Gewalttaten, für die illegale Einwanderer verantwortlich gemacht werden. So jedenfalls will es eine Verlautbarung der Army wissen. Spätestens nach der ersten Begegnung mit einigen untoten Natives weiß die Crew jedoch, dass die Toten zurückgekehrt sind und die Apokalypse begonnen hat.

Erzählt wird „Diary of the Dead“ allerdings nicht auf konventionelle Weise. Bereits mit den ersten Bildern erfährt der Zuschauer durch den Off-Kommentar der Cutterin Debra (Michelle Morgan), dass man „The Death of Death“ sieht – einen Dokumentfilm, den Jason nach dem Ausbruch der Gewaltwelle begonnen hat („Im Moment sind über 2 Millionen Videokameras weltweit im Einsatz!“) und den sie beenden will. Aber auch „The Death of Death“ ist kein homogenes Produkt. Zum einen wird pausenlos gefilmt und die halbfertige Fragmente werden permanent ins Netz gestellt (Jason:„72 Hits in 8 Minuten!“), zum anderen bedienen sich die Macher wahllos unterschiedlicher Quellen, die sie aus Webblogs downloaden und in den Rohschnitt integrieren.
Also nicht nur ein Film-im-Film, sondern auch Movie-Making-in-Progress. Allerdings verweigert sich Romero jeglichem Dogma-Charme oder Experimenten à la „Cloverfield“ oder „[Rec]“ – er liefert weitgehend ordentliche Bilder ab und damit auch alles andere im Rahmen bleibt, lässt er Debra im Off erklären, dass zwar alles real ist, der dramatische Score aber notwendig sei, um den Zuschauer zu schockieren und von der Dringlichkeit des Projekts zu überzeugen. Zufällig finden ‚seine’ Studenten dann auch eine zweite Kamera, was den Produzenten von „The Death of Death“ immerhin saubere Shot-Reverse-Shots ermöglicht.
Abgesehen von einigen technischen Mätzchen und körnigen Downloads, die ständig daran erinnern, dass man so etwas wie einen Video Live Stream sieht, ist die Odyssee durch die Wälder von Pennsylvania ästhetisch eine ausgeklügelte Angelegenheit, die nur gelegentlich wackelt und in scharfen Bilder die Begegnung der Reisegesellschaft mit Dynamit werfenden Amish, afroamerikanischen Freischärlern („Zum ersten Mal in unserem Leben sind wir an der Macht!“) und plündernden Nationalgardisten zeigt. Und immer wieder tauchen Zombies auf, die per Kopfschuss oder mit Pfeil und Bogen endgültig ins Nirwana befördert werden.

„Bringen wir nur die Nachrichten oder erzeugen wir das, worüber wir berichten?“
„Diary of the Dead“ ist über weite Strecken ein deprimierender und sehr pessimistischer Film. Schon in „Night of the Living Dead“ (1968) zeigte Romero die Unfähigkeit sozialer Gruppen, ihren Zusammenhalt unter Verzicht auf Egoismen zu organisieren. In „Night“ gab es kein Survival of the Fittest: überleben ließ Romero niemanden, auch nicht die Hauptfigur. In „Dawn of the Dead“ (1978) fiel die Zivilisationskritik noch derber, dafür aber zwingender aus: Romero zeigte eine Gruppe von Überlebenden als unverbesserliche Konsum-Egomanen, die sich in einem riesigen Supermarkt verschanzen und fast ausnahmslos zugrunde gehen, weil sie im Überfluss nicht teilen können. „Day of the Dead“ (1985) war dagegen als Billig-Produktion weit vom ursprünglichen Konzept Romeros entfernt und trivialisierte das allegorische Moment des Films durch den nicht immer geglückten Versuch, so etwas zu drehen wie „Dr. Frankenstein meets the Dead“.
Nach Abschluss seiner Trilogie war Romero bereits ein Genre-Heros, dem es vorzüglich gelang, die Kritiker mit mehr oder weniger dezenten Interpretationsangeboten von seiner linksliberalen Systemkritik zu überzeugen. Schon bevor 2005 „Land of the Dead“ in die Kinos kam, wusste man, dass man es mit einem Anti-Bush-Film zu tun hat, der dann allerdings seine Versprechungen eher platt umsetzte.
Romeros fünfter „Dead“-Film ist nun ein Prequel, das zu den Anfängen zurückkehrt, also in der filmischen Chronologie in der Zeit von „Night“ angesiedelt ist, wobei „Diary“ mitsamt seiner digitalen Technik natürlich im Hier und Jetzt der Internet Communities spielt. Mit der Low-Budget-Produktion kehrt Romero auch zu der genauen Beobachtung von Gruppenmechanismen und dem Zusammenbruch sozialer Kontexte zurück. Anders als in „Night“, der ästhetisch beim Expressionismus Anleihen machte und dennoch für Distanz bei der Beobachtung der Probanden sorgte, ist „Diary“ ein Film, der einem die Gebrauchsanweisung im Off gleich mitliefert. Dank der Kommentare von Debra stellt Romero seine Deutungshoheit sicher und so darf man nachdenklich die Antwort auf Fragen wie „Wenn du und die Kamera nicht dabei wären – ist es dann überhaupt geschehen?“ suchen.
Das mag man trivial finden, dennoch spielt „Diary“ eindeutig in einer anderen Liga als „28 Days Later“, „Resident Evil“ oder [REC], um erst gar nicht von dem „Saw“- und „Hostel“-Universum des naturalistischen Sadismus reden zu müssen.
Romero gelingt es, mit zunehmender Überzeugungskraft zu zeigen, dass der Gruppe in ihrem Wohnmobil langsam die Orientierung abhanden kommt. Während alle am Anfang noch voller Empathie auf den Selbstmord einer Gefährtin reagieren, ist am Ende die Abstumpfung der meisten so weit gediehen, dass man bei Angriffen von Zombies zunächst an die saubere Kameraeinstellung denkt und erst danach daran, dass man dem bedrohten Freund vielleicht doch eher helfen sollte. Alle werden „immun gegen die Wirklichkeit“ (Debra) und dies umso mehr, als sich vor allem Jason mit dem zwanghaften Wahn schützt, alles authentisch filmen zu müssen, um die Wahrheit zu verkünden. So blockt man Mitempfinden ab und wie es bei Romero üblich ist, wird die Gruppe dezimiert, bis die letzten Drei sich im Panic Room eines Landhauses verschanzen, das bald darauf von einigen Hundert Untoten bevölkert wird.
Gut, das penetrante Dozieren im Off wirkt zeitweise etwas nervtötend („Sind wir es wert gerettet zu werden?“), aber immerhin gelingen Romeros visueller Intelligenz und seiner überwiegend stringenten Erzählweise einige Bilder von dauerhafter Wirkung, die zumindest von seiner unverbrauchten Lust am blutrünstigen Fabulieren berichten. Diese Lust ist durchaus ambivalent - oder ist es ironisch gemeint, wenn Debra am Ende moralisch entsetzt ihren letzten Download präsentiert, der akribisch zeigt, wie zwei Farmer Zombies quälen? Romero nutzt die Chance jdenfalls und zeigt an dieser Stelle einen der übelsten Splatter-Effekte des gesamten Films. Das erinnert mich an Mark Twains weise Einsicht: "„Herr, lass mich ein guter Mensch sein. Aber bitte nicht sofort.“

Fazit: In „Diary of the Dead“ erfahren wir nichts Bahnbrechendes, vielmehr all dies, was wir eigentlich wissen sollten und müssten. Vielleicht tut uns die erneute Penetration aber doch ganz gut: Es gibt keine objektive, unvoreingenommene Darstellung der Wirklichkeit, man ist immer mitten drin, auch mit der Kamera. Und wer sich der Illusion hingibt, neutraler Beobachter zu sein, ist schon erledigt. Nicht nur physisch, sondern auch, weil er dem schönen Trugbild der Medien erliegt.
So oder ähnlich lautet des Altmeisters nicht mehr ganz taufrische Erkenntnis. Witzig ist allerdings die Distanz, die Romero damit zu den Nutzern von „You Tube“ und ähnlichen Plattformen aufbaut. Auch sie scheitern am System, dass sie eigentlich überwinden wollen. Und möglicherweise werden tatsächlich alle Versuche, demokratische Medien zu schaffen, mühelos vom "Medien-Oktopus" (Romero) verschlungen. Jedenfalls zeigt er uns die Zombies als jene Krankheit, die eine Zivilisation dann unvorbereitet trifft, wenn sie nicht imstande ist, ihren maroden Kern zu überwinden – wie jene Überlebenden, die sich in „Dawn of the Dead“ in der schönen bunten Warenwelt eines Konsumtempels verschanzen. Aber auch die Zombies zieht es zu jenem Ort, der einmal ihr Lebensmittelpunkt war: „Es heißt: wir gegen sie – nur, dass wir und sie dasselbe sind!“ (Debra in „Diary“). Selten wurde dies so konsequent und bitterböse wie in „Dawn of The Dead“ umgesetzt, aber Romeros vorläufig letzter Kommentar ist streckenweise witzig genug, um all den Nonsens locker an die Wand zu spielen, den uns der Horrorfilm in diesen Tagen ansonsten beschert: "Jede Generation bekommt das George A. Romero-sozio-politische Zombie-Opus, das sie verdient" (Marc Savlov, Austin Chronicle).

Bonus
„Diary of the Dead“ ist als 2er-Set mit reichlichem Bonusmaterial erschienen. Neben den üblichen Featurettes, in denen sich alle Beteiligten beteuern, wie schön ihre Zusammenarbeit war, gibt es einen wirklich sehr gut gemachten und erstaunlichen Dokumentarfilm über die Entstehung von „The Night of the Living Dead“: „In One for the Fire – The Legacy of Night of the Living Dead“ erfährt man viel über den Enthusiasmus von Werbefilmern, die ihren ersten Kinofilm machen wollen, auch einiges über das Lernen am Set und warum später das Copyright des Films so versaut wurde, dass er bis heute de jure öffentliches Eigentum ist. Aufschlußreich sind auch die Ängste von Duane Jones, der als farbiger Schauspieler in "Night" eine Weiße ohrfeigt. Dazu passt auch der seltsame Zufall, dass Romero und sein Produzent ihrem späteren Verleiher den Film ausgerechnet an dem Tag vorstellten, an dem Martin Luther King erschossen wurde (in "Night" wird am Ende der farbige Held ebenfalls erschossen). Ganz ehrlich: wer diese Doku gesehen hat, wird auch „Night“ mit etwas anderen Augen sehen.

Technisch ist die DVD sehr gelungen: die Farben bleiben etwas flach, was angesichts des Themas durchaus angemessen ist, das scharfe Bild erreicht zwar in den Nachtszenen nicht immer die räumliche Tiefe, ansonsten ist das Mastering aber überzeugend, was auch überwiegend für das Bonusmaterial gilt. Dort verblüffte mich die Qualität der „Night“-Ausschnitte, die ich in dieser Form bislang noch nicht gesehen habe.
Wer die Originalfassung sieht, wird mit Cameo-Auftritten von Quentin Tarantino, Guillermo del Toro, Wes Craven, Simon Pegg und Stephen King als Nachrichtensprecher belohnt! Nicht nur aus diesem Grund ist diese DVD für Genrefans ein absolutes Muss!

Noten: BigDoc = 2,5