Freitag, 24. April 2009

Knowing

USA 2009 - Regie: Alex Proyas - Darsteller: Nicolas Cage, Rose Byrne, Chandler Canterbury, Lara Robinson, Nadia Townsend, Ben Mendelsohn, Alan Hopgood, Danielle Carter, Adrienne Pickering, Terry Camilleri - FSK: ab 12 - Länge: 122 min.

Wenn man fast fünfzig Jahre Kino auf dem Buckel hat, dann hat man jede Menge Käse gesehen und zudem die Erfahrung gemacht, dass das Meiste, was über die Leinwand läuft, Käse ist. Das Spannende an der Sache ist, dass man aktuelle Filme sehr häufig unterschätzt und ihre wahre Bedeutung erst dann erkennt, wenn sie 10 oder 20 Jahre älter geworden sind. Der Käse von gestern ist dann plötzlich ein Klassiker geworden und man träumt sich zurück und ahnt, dass damals nicht alles Käse gewesen ist. Und langsam dämmert die schreckliche Vision in einem hoch, dass möglicherweise der Käse von heute in zehn Jahren vielleicht schon wieder goutierbar geworden ist.

Zurück in die Zukunft
„Knowing“ ist ein Katastrophenfilm. Dieses Genre der späten 60er und frühen 70er Jahre („Airport“, „Flammendes Inferno“) hat bis in die 90er Jahre und unser Jahrhundert („Armageddon“, „Independence Day“, „The Day After Tomorrow“) seine Vitalität immer wieder unter Beweis gestellt, musste aber zahlreiche Cross-Over-Plots entwickeln, um an der Kasse zu überleben. Flugzeugabstürze und Hotelbrände, in denen die Protagonisten das Hohelied von Mut und Tapferkeit, Feigheit und Versagen anstimmen, entlocken uns nur noch ein mildes Staunen – heute muss die Erde brennen, vereisen oder der Vernichtung durch Meteoriten entgegenblicken, um den heroischen Einsatz seiner Helden zu rechtfertigen. Dabei ist das Genre, um es salopp zu formulieren, auf Schauwerte angewiesen, auf Tricks, verblüffende Effekte und überraschende Wendungen. Also auf alles, was das digitalisierte Kino herausrücken kann. Und das ist, wie wir wissen, eine Menge. Roland Emmerich weiß es auch.

Genrefilmen wird dabei unterstellt, dass sie eine versteckte Botschaft besitzen, sozusagen das Ohr am Puls der Zeit haben: von der Angst vor der Atombombe bis zur Vision einer ökologischen Selbstvernichtung spielt das Kino alle Szenarien durch, die uns in Schrecken versetzen. Nun, vielleicht ist Oliver Stones „Wall Street“ ja auch diesem Genre zuzuordnen?
Ein Blick zurück: „The Day The Earth stood still“ – primitives B-Movie oder ein Stück Zeitgeist? Reden wir erst gar nicht vom Remake und der unersättlichen Gier der Kinoindustrie, alles endlos wiederzukäuen. „Close Encounters Of The Third Kind“ – Trivial-SF oder ein Genre-Meilenstein, der alles erzählte, was es zu diesem Thema zu erzählen gibt? Oder die "X-Files" mit ihrer post-modernen Mixtur aus Sci-Fi, Mystery, Gothic Novel und Paranoiafilm – alles irgendwann bahnbrechend und nach dem x-ten Neuaufguss nur noch müde belächelt.
In unserem Kopf geht es zu wie in einem LEGO-Baukasten. Wir können kaum noch folgen und haben große Mühe damit, überhaupt noch zu erkennen, aus welchen Puzzle-Teilchen der jeweils neueste Blockbuster zusammengesetzt ist. Jüngeren geht es im Kino besser. Sie sehen einiges zum ersten Mal und da Kinogeschichte in den Köpfen meistens nur Patchwork ist, kann man ihnen dankenswerterweise alles zum x-ten Mal erzählen.

Mit dem „Reader´s Digest“ durch die Galaxis
Alex Proyas (The Crow; Dark City; I, Robot) hat mehr Musikvideos und Werbefilme als Kinofilme gemacht. Sicher weiß er, wie man Texturen für Filme entwickelt. In „Knowing“ erzählt er ruhig, konventionell und langsam eine Geschichte, die mit einer Reise in der Vergangenheit beginnt.
Lexington, Massachusetts, 1959: ein Schulfest steht bevor. Die Schüler einer Grundschule befüllen einen Metallbehälter mit Selbstgemaltem über die Zukunft – die Zeitkapsel soll im Boden versenkt und 50 Jahre später wieder ans Tageslicht befördert werden. Nur das Mädchen, das diese Idee vorgeschlagen hat, schreibt endlose Zahlenketten auf ihr Blatt Papier.
Fünf Jahrzehnte später wird die Zeitkapsel tatsächlich feierlich geöffnet, die Briefchen von damals werden an die Kinder verteilt. Der junge Caleb Koestler (Chandler Canterbury) enthält allerdings kein Bild, sondern die geheimnisvollen Zahlenreihen von Lucinda Embry (Lara Robinson). Bald findet Calebs Vater, der Astrophysiker John Koestler (Nicolas Page), heraus, dass die kabbalistischen Zahlenfolgen bedeutungsgeladen sind: Es sind die genauen Daten aller großen Katastrophen, die seit dem Versenken der Kapsel vor fünfzig Jahren weltweit geschehen sind. Noch drei weitere Unglücke kündigt der Brief an. Und tatsächlich erfüllen sich die Prophezeiungen, obwohl John verzweifelt versucht, sie zu verhindern. Bis er erfährt, dass der Final Countdown für den Weltuntergang bereits läuft.
Natürlich läuft auch der Plot in vertrauten Bahnen: John und Caleb lernen eine alleinstehende Mutter und ihre Tochter kennen. Die bitter-süße Love-Story. Bald hören die Kinder Stimmen, es sind die „Flüstermänner“, die immer wieder schweigend auftauchen und auf mysteriöse Weise verschwinden. Kennen wir alles: Ein Schuss „The Mothman Prophecies“ und M. Night Shyamalan („Signs“, „The Happening“) ist nicht zu übersehen. Und auch die psychologischen Muster der Figuren überfordern uns nicht sonderlich : John ist kein strahlender Superheld, sondern der ewig verzweifelt dreinschauende Nicolas Cage spielt ihn als dräuend-skeptischen Wissenschaftler, der mit der Religion auf Kriegsfuss steht und in bester „Shit happens“-Manier alles für Zufall hält, was sich so auf diesem Planeten abspielt. Gleich zu Anfang darf er in einer extra dafür zusammengezimmerten Szene gerade soviel über Determinismus erzählen, dass es die „Reader´s Digest“-Version moderner physikalischer Erkenntnisse nicht überstrapaziert. Leider dürften nur wenige Zuschauer wissen, dass es keine hinreichende Verbindung zwischen deterministischen Konzepten und der Frage nach der schicksalhaften Vorbestimmung aller Ereignisse gibt, so dass gnädig im Verborgenen bleibt, welcher Schwachsinn uns da im Kino zugemutet wird.

Ich will nicht unfair sein und daher werde ich auch nicht den Final Twist des Films verraten. Nur eins: Sollte ein Inferno biblischen Ausmaßes dereinst unseren Planeten in die ewigen Jagdgründe des unergründlichen Kosmos schicken, dann dürfte es uns trösten, dass wir es dank digitaler Animationstechnik bereits im Kino bestaunen durften. Ob allerdings sprachlose Götter aus ihren Raumschiffen steigen, um den Arsch einiger Auserwählter zu retten, wage ich ganz vorsichtig zu bezweifeln. Für mich ist „Knowing“ folglich das, was Katastrophenfilme immer schon waren – Hokuspokus für schnelles Fast-Food-Kino, das ohne eine Funken Ironie leider das ist, was Kino zum meinem Leidwesen ab und zu halt ist: eine gigantische Verblödungsmaschine.

Noten: BigDoc = 4