Samstag, 4. April 2009

Der Mann, der niemals lebte (Body of lies)

USA 2008 - Originaltitel: Body of Lies - Regie: Ridley Scott - Darsteller: Leonardo DiCaprio, Russell Crowe, Mark Strong, Golshifteh Farahani - Prädikat: besonders wertvoll – FSK: ab 16 - Länge: 128 min.

„Body of Lies“ wirkt wie ein Menetekel: Bush ist weg, aber der Apparat ist geblieben und er funktioniert wie eine gut geölte Maschine. In diesem Fall ist es (wieder einmal) die CIA, die allein durch die Beständigkeit ihres ideologischen Horizonts für eine stabile, irreversible Sicht auf die Dinge sorgt und im Anti-Terror-Kampf billigend die Verletzung der Menschenrechte in Kauf nimmt. Wie ist neue Politik in Zeiten Obamas möglich, wenn jene Pragmatiker an den Schrauben drehen, die achselzuckend darauf verweisen, dass man nichts säubern kann, wenn man nicht bereit ist, sich schmutzig zu machen? Oder sind ganz einfach all jene naiv, die allein von einem Wechsel der politischen Führung einen Paradigmenwechsel in der Bewertung weltpolitischer Ereignisse sehen?

Ambivalente Hauptfiguren
Ganz schön starker Tobak für die Betrachtung eines Genrefilms, der sich auf den ersten Blick kaum von den tradierten Wahrnehmungsmustern entfernt, die von zahllosen Vorgängern durchgehechelt wurden. Allerdings spielt „Body of Lies“ nicht in der Welt von James Bond, sondern in der von Ridley Scott (u.a. „Alien“, „Blade Runner“, „Thelma & Louise“, „Gladiator“, „Black Hawk Down“, „American Gangster“) und da schaut man gerne etwas genauer hin.

Roger Ferris (Leonardo DiCaprio) vertritt die Agency im Nahen Osten als Mann fürs Grobe. Der Agent soll Al-Salim, den Anführer eines globalen Terroristenring, aufspüren. Al-Salim ist für verheerende Anschläge in London und Amsterdam verantwortlich. Ferris’ Job ist dabei durchaus physisch zu verstehen und bedeutet nicht nur reden, genau hinschauen und auswerten, sondern rennen, schießen, töten und gelegentlich auch foltern. Ferris ist kein sauberer Held und Ridley Scott zeigt dies sehr früh mit einigen schnellen Flashbacks.
Der eigentliche Analyst sitzt zeitgleich in den Staaten und koordiniert die Einsätze. Ed Hoffman (Russell Crowe) erinnert dabei nicht nur funktional an die Jack Ryan-Figur, sondern passt als erzkonservativer, gelegentlich zynischer Stratege auch ideologisch in die patriotische Romanwelt des Tom Clancy, die durch ihre Verfilmungen idealistisch gegen den Strich gebürstet wurde. Für Hoffman sind die USA nicht nur von Feinden umstellt, sondern auch von fremden, unverständlichen Kulturen, und jede Form von Vertrauen gegenüber muslimischen Verbündeten oder das Befolgen essentieller moralischer Werte bedeuten einen Verlust an Effizienz und sind im Kern lediglich pure Sentimentalität. Man weiß nie, ob Hoffman verschlagen oder lediglich dumm ist. Ferris dagegen ist zu nah an den Menschen, insbesondere an seinen Informanten, um unberührt zu bleiben, wenn er seine Zuträger aus taktischen Gründen verheizen oder eigenhändig liquidieren muss. Auch ihm traut man nie den richtigen Durchblick zu. Sympathieträger sind beide nicht.

Der Wahn der Technik
Scott zeigt den Konflikt zwischen diesen Männern als Ergebnis einer technikzentrierten Kommunikation. Der Zuschauer sieht immer wieder die Bilder der AWACS-Aufklärer, die jeden gefährlichen Einsatz des Field Agents minuziös mit hochauflösenden Bildern dokumentieren, die Hoffmann live auf einem metergroßen Leinwand zugespielt werden. Man kennt derartige Satellitenbilder auch aus anderen Filmen, aber nun sind sie so rattenscharf, dass Hoffmann ohne weiteres den Schweiß in den Gesichtern der Sterbenden sehen kann. Scott zeigt clever, dass dieser Zuwachs an visueller Information keine Steigerung der Empathie nach sich zieht.
Auch sonst hält sich Hoffman den Human Touch sehr effektiv vom Leibe. Er läuft permanent mit einem Headset durch die Gegend und gibt cool seine Befehle, die nicht selten tödlich enden, während er sich gleichzeitig um seine Kinder kümmert. Scott gelingen hier Bilder einer grandios irrwitzigen medialen Präsenz, zumal Hoffmans dichtes Netzwerk aus simultan ablaufenden Aktionen seinem Untergebenen Ferris unverständlich bleibt - der Informationsfluss ist einseitig und geplante Einsätze scheitern, weil Hoffman ohne Erklärung zugunsten neuer taktischer Einsichten umdisponiert, ohne Ferris ins Bild zu setzen. Kein Wunder, dass es sehr schnell handgreiflich zugeht, wenn Hoffman und Ferris sich ausnahmsweise leibhaftig gegenüber stehen.

Die Fremdheit der Anderen
„Body of lies“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von David Ignatius, einem Journalisten der „Washington Post“. Wir erinnern uns: Journalisten der „Post“ waren maßgeblich an der Enthüllung der Watergate-Skandals beteiligt. Inwieweit Ignatius, an dessen Roman sich das Drehbuch von William Monahan zumindest orientierte, gut recherchiert hat, wird dem Kinogänger wohl verborgen bleiben. Das dürfte aber nicht ganz so bedeutend sein. Viel wichtiger ist bei einem Genrefilm die Frage, inwieweit ein Regisseur bereit ist, konventionelle Sichtweisen hinter sich zu lassen und tradierte Plots zugunsten einer unverbrauchten Sichtweise aufzugeben.
„Body of lies“ zeigt dies, indem er die Effizienz der Agency konterkariert. Dies geschieht, als Ferris den jordanischen Geheimdienstchef Hani (Mark Strong) kennen lernt. Hani ist die Verkörperung klassischer Tugenden: statt auf technische Netzwerke setzt er auf persönliche Kontakte, perfekt kontrollierte Schläfer, aber auch auf Vertrauen und Geduld. Eigenschaften, die einem latent paranoiden Zyniker wie Hoffman per se als verdächtig vorkommen müssen. Zudem tritt Hani elegant auf, umgibt sich mit ebenso eleganten Frauen und unterscheidet sich auch durch seine messerscharfe Intelligenz von seinen technologisch überlegenen Partnern.
Als Ferris und Hoffman bei der Suche nach Al-Salim nicht weiterkommen, entschließen sich beide zu einem riskanten Coup: sie erfinden eine fiktive Terrororganisation, lassen einen getürkten Anschlag durchführen und lenken durch geschickt gefakte Informationen die Aufmerksamkeit Al-Salims auf einen unschuldigen Architekten (der nicht mehr als ein ‚Body of lies' ist), um den Terrorchef aus der Reserve zu locken. Doch statt Al-Salim dingfest zu machen, fliegt die Aktion auf, was auch die Beziehung zu Hani massiv beschädigt. Der erfolgreiche coup de grâce gelingt am Ende dem Jordanier, der mit einer raffinierten Aktion beweist, dass er mit seinen altbackenen Methoden der Technologie der Amerikaner überlegen ist. Deren Verachtung für eine ihnen unverständliche Kultur und deren Menschen lässt sie am Ende verblüffend scheitern. Eine witzige Pointe, die besonders dann zündet, wenn man etwas über Samuel Huntingtons Analyse des Clash of Civilizations gelesen hat. Dieser Zusammenstoß findet tatsächlich in den Köpfen von Ferris und Hoffman statt, misslingt aber, weil die Möglichkeit einer differenzierten und respektvollen Wahrnehmung andersartiger Kulturen nicht als überlebenswichtige Option erkannt wird.

Ridley Scott gelingt es nicht immer, diese Aspekte dramaturgisch und dialogisch adäquat umzusetzen. Der genretypische Mix aus Action und undurchsichtigen Verschwörungen verschleiert mehr als er aufdeckt, zudem hetzt Scott seine Figuren in einen schnellen Szenenwechsel, der erstaunlich flach bleibt, weil erst spät erkennbar wird, wohin der Film steuert. Über weite Strecken erinnert „Body of lies“ an „Syriana“, den aus meiner Sicht allerdings deutlich besseren Film von Stephen Gaghan. „Syriana“ ist zwar schwieriger zu sehen, zeigt aber präziser bis in die soziokulturellen Verästelungen den Zusammenhang zwischen Globalisierung und dem Clash of Civilizations auf.

In der Besetzung der Hauptrollen hat Scott ins Schwarze getroffen: Russell Crowe spielt den kaltschnäuzigen Analysten gekonnt als intelligenten Buchhalter ohne Moral und ohne ihn zu dämonisieren. Mark Strong als jordanischer Geheimdienstchef agiert überraschend auf Augenhöhe, während di Caprio zwar kein Fehlgriff ist, aber nicht ganz an die Glaubwürdigkeit der ähnlich gelagerten Figur George Clooneys in „Syriana“ heranreicht.
„Body of lies“ gehört insgesamt zwar nicht zu den besten Filmen Ridley Scotts, ist aber intelligent genug, um einige genretypische Erwartungen zu durchkreuzen. "Those to whom evil is done/ do evil in return" – dieser ambivalente Satz von H.W. Auden leitet den Film ein und man sollte ruhig darüber nachdenken, welche Konnotationen er enthält.

Technik
Der Film lag dem Filmclub auf einer sehr gut gemasterten bluray vor. Die Vorzüge der exzellenten Bildqualität kamen besonders dort adäquat zum Zuge, wo die hohe Auflösung der Satellitenkameras sichtbar gemacht werden musste. Dies sieht perfekt aus und zeigt, dass die Bluray bei der Umsetzung bestimmter Stilmittel ihre Qualitäten ausspielen kann.
Das Bonusmaterial kann durchweg überzeugen. Ein Beispiel: Etwas aufgesetzt wirkt in der Kinofassung die Liebesgeschichte zwischen Ferris und einer iranischen Krankenschwester. Dies liegt allerdings am finalen Schnitt von „Body of lies“, der fatalerweise auf eine Reihe wichtiger Szenen verzichtet, die man auf der Bluray im Bonusmaterial findet. Erst dort erkennt man die dramaturgische Bedeutung dieser Beziehung, die Ferris endgültig als ewig fremden Wanderer zwischen den Kulturen outet. Da auch alle anderen „Deleted Scenes“ meiner Meinung nach in den Film gehören, wäre ein Director’s Cut in diesem Fall die angemessene Lösung gewesen.

Bemerkenswert gut ist auch das restliche Bonusmaterial auf der Bluray, das sich nicht auf Tricks und Technik beschränkt, sondern auch darüber Auskunft gibt, dass „Body of lies“ zumindest in einer Hinsicht bemerkenswert authentisch ist: die Erfolge des jordanischen Geheimdienstes im Anti-Terror-Kampf sind tatsächlich legendär und keiner weiß so recht, warum die Haschemiten so gut sind!

Noten: Mr. Mendez = 3, Melonie = 3, BigDoc=3