Dienstag, 7. April 2009

Tropic Thunder

USA 2008 - Regie: Ben Stiller - Darsteller: Ben Stiller, Jack Black, Robert Downey Jr., Steve Coogan, Jay Baruchel, Danny McBride, Brandon T. Jackson, Bill Hader, Nick Nolte, Brandon Soo Hoo, Reggie Lee - FSK: ab 16 - Länge: 107 min.

Um es gleich klar zu machen: Der Film ist kompletter Fake. Ich meine jetzt nicht explizit „Tropic Thunder“, sondern den Film im Allgemeinen. Also die ganze Palette: Phänomenologisch oder rezeptionspsychologisch betrachtet, meinetwegen auch als phänomenale Erlebnisrealität und so weiter und so fort.
Mal abgesehen von dem bekloppten Aufwand, den es kostet, so viel theoretischen Überbau auf so etwas Simples wie einen Kinofilm zu kippen, kann man das alles auch einfacher haben, indem man sich noch einmal Bunuels „Das obskure Objekt der Begierde“ anschaut. Dabei erfährt man recht unmittelbar, wie und warum Kino im Kopf entsteht.
Wechseln wir aber nicht das Thema. Bevor wir uns „Tropic Thunder“ zuwenden, möchte ich an Folgendes erinnern: Mühelos kann jedermann im Kino gleichzeitig zwei Dinge realisieren, die ihm normalerweise eine Einweisung in die Nervenklinik in Aussicht stellen würden. Erstens erlebt man in einer Art von Erste-Person-Perspektive die fiktive ‚Welt’ des Films als temporären Präsens und nimmt gleichzeitig das Ganze als Konstruktion wahr, als handmade oder gar als Zeichensystem, das eine Reihe intertextueller Beziehungen bereithält. Da der Kinogänger letzteres mühelos mit ersterem in Übereinstimmung bringen kann, ohne jemals eine Zeile über die Ideen der Strukturalisten, Konstruktivisten und Dekonstruktivisten gelesen zu haben, bleibt ihm die Rolle eines Delinquenten erspart, die er in einer öffentlichen Einrichtung zwangsläufig einnehmen müsste, wenn es irgend jemand daran gelegen wäre, seine kirre gewordenen Nerven einigermaßen zu rehabilitieren.
Vor diesem Hintergrund ist es mir zeitweilig unverständlich, wie jemand überhaupt einen Film sehen kann, ohne komplett verrückt zu werden.

Hat man sich aber die Sichtweise Jacques Derridas angeeignet und betrachtet sowieso erst mal alles als ‚Text’ und den Film erst recht, dann eröffnet dieser Klassiker des Dekonstruktivismus dem Zuschauer eine neue Perspektive, die insofern zu ungemütlichen Konsequenzen führen kann, als der ‚Text’ (und damit auch der konkrete Film, den man eben gesehen hat), geradezu eine überwältigende Vielzahl von (Deutungs-)Perspektiven bereithält, die gleichzeitig vorhanden sind und häufig in Konflikt zueinander stehen. Und da man bei der Suche nach den diesen Perspektiven zugrunde liegenden Begriffen immer nur ungesichertes Terrain betritt und niemals den Schluss vertreten kann, dass dieses oder jenes gesicherte Bedeutung besitzt, wird alles in einen kontingenten Nebel gehüllt.

Komisch: den meisten Leuten schmeckt diese Erkenntnis im Kino nicht, obwohl sie im wirklichen Leben ständig das Gefühl haben, ihnen würde der Boden unter den Füßen weggezogen, weil es fast nichts mehr gibt, was man als gesichert annehmen darf. Auch deswegen, weil es immer wieder einen Blödhammel gibt, der besserwisserisch alles umdeutet. Richtig: aber dies erlaubt mir, „Tropic Thunder“ einerseits als ‚einfache Kinokost’ zu goutieren, andererseits darf ich diesen Film mit einem Begriffsapparat überziehen, der mich dem Verdacht aussetzt, dass ich rhetorisch Amok laufe. Tja, so ist das mit den post-modernen Philosophien: Everything goes.

Stranger than Fiction
Normalerweise fängt eine Filmkritik mit einem blendenden Gedanken an, der den Leser stimulieren soll weiterzulesen, in Wirklichkeit aber nur die Aufgabe hat, ihn soweit zu manipulieren, dass er die folgende Synopsis nicht mehr vorurteilsfrei lesen kann. Kleiner Witz. Gut, diesmal keine Tricks. Kommen wir zum Inhalt.
Der gar nicht einfach zu beschreiben ist, da man am Anfang nicht weiß, ob man im Hauptfilm oder in der Werbung ist, aber man müsste schon ganz schön belämmert sein, wenn man die Trailershow am Anfang nicht als das identifiziert, was sie in Anlehnung an die Grindhouse-Persiflage von Tarantino/Rodriguez in „Death Proof/Planet Terror“ ist – nämlich ein grandioser Fake, in dem Filme wie „Starship Troopers“ und „Brokeback Mountain“ kräftig durch den Kakao gezogen werden (übrigens mit einem schönen Cameo-Auftritt von Toby Maguire) und wir auch mitkregen, wes Geistes Kinde unsere späteren Helden sind.

Nun aber wirklich zum Inhalt: Produzent Ben Stiller und seine Koproduzenten beschließen (nachdem sie das erforderliche Geld aufgetrieben haben) auf Hawaii und in Los Angeles den Film „Tropic Thunder“ zu drehen, dessen Drehbuch Ben Stiller geschrieben hat. Regisseur Ben Stiller erzeugt alle Elemente eines Textes, der uns in dem Film „Tropic Thunder“ gleich zu Anfang zeigt, dass ein Team von US-Infanteristen in einem südostasiatischen Dschungel von Feinden umzingelt ist und um sein Leben kämpft. Da aber eine bestimmte Einstellung so konnotiert ist, dass sich – entsprechendes Wissen vorausgesetzt – die Erinnerung an eine Szene aus dem Film „Platoon“ über die als Action denotierte Einstellung legt, wird innerhalb der intertextuellen Beziehungen diese Einstellung mit der Bedeutungsperspektive „Persiflage“ decodiert. Dass dies richtig zu sein scheint, wird deutlich, als ein Gegenschuss auf ein Team um den Regisseur Damien Cockburn zeigt, dass wir einen Film im Film sehen: In „Tropic Thunder“ wird ein Film namens „Tropic Thunder“ gedreht.
Da wir uns bei diesem Kunstgriff auf Tradiertes verlassen können („Last Action Hero“, „Stranger than Fiction“ u.a.), können wir diese Erzählebene als das denotieren, was ich weiter oben als temporären Präsens bezeichnet habe. Vorsicht, nicht vergessen: dazu müssen wir uns, wie schon ausgeführt, ein wenig beschummeln, was wir aber ziemlich gut im Kino gelernt haben, und mal ganz ehrlich – Spaß macht das ja auch ein wenig.

Also: Cockburn dreht mit den Schauspielern Tugg Speedman, Kirk Lazarus und Jeff Portnoy einen Actionfilm, der bereits nach fünf Tagen den Drehplan um einen Monat überschritten hat. Unter anderem auch deswegen, weil sich die Stars über banale szenische Details unterhalten, während im Hintergrund bei einem pyrotechnischen Effekt 2 Mio. Dollar in die Lust geblasen werden, während keine einzige Kamera läuft (F.F. Coppola, der heute 70 Jahre alt geworden ist, wird sich freuen). Dies bringt den Produzenten Lee Grossman (nicht erkennbar: Tom Cruise) derart auf die Palme, dass er auf Anraten des martialischen Kriegsveteranen Four Leaf Tayback (Nick Nolte) den gesamten Sauhaufen in den tiefsten Dschungel verbannt, wo unter semi-dokumentarischen Bedingungen der Film zu Ende gedreht werden soll. Dort tritt allerdings Cockburn ziemlich kopflos auf eine Landmine, was dazu führt, dass sich seine Haltung in einen physischen Zustand verwandelt. Allein auf sich gestellt, versuchen die Schauspieler sich so zu verhalten, wie es die Fiktion von ihnen verlangt. Allein Lazarus ist skeptisch. Als das Team dann auf einen Drogenclan stoßen, der mit echter Munition auf sie schießt und bald darauf Speedman in ihr Lager entführt, wird aus der ‚echten’ Fiktion ein falscher Fuffziger.

Futter für die Cinephilen: Was uns der Dekonstruktivismus zu sagen hat
Wenn sich Figuren ihrer Fiktionalität bewusst sind, so nennt man dies eine narrative Metalepse. Im vorliegenden Fall muss man den Spieß wohl umdrehen, weil die (hoffentlich) realen Schauspieler Ben Stiller (Tugg Speedman), Robert Downey junior (Kirk Lazarus) und Jack Black (Jeff Portnoy) andere Schauspieler spielen, die wiederum bestimmte Rollen spielen und alles tun, um die Realität ganz im Sinne der vom Drehbuch entwickelten Fiktion wahrzunehmen. Dabei schleppen sie, semiotisch gesprochen, einen Rucksack voller Konnotationen mit sich herum.

Oupps, oupps, oupps. Jetzt wird’s haarig. Ich denke, wenn wir jetzt nicht eine Portion Humor entwickeln, dann könnte die ganze Sache ziemlich schnell eskalieren. Zum Glück ist das einfach, denn Jack Black („High Fidelity“, „School of Rock“ und nicht zu vergessen mein Lieblingsfilm „Nacho Libre“, der hier im Blog bereits besprochen wurde) verkörpert jenen gelinde gesagt rustikalen Humor, der sich in der Figur des Jeff Portnoy als durchaus angemessene Hyperbel wiederfindet. Querverweis: die Hyperbel ist an sich eine rhetorische Figur, die durch Übertreibung ihre Bedeutung unübersehbar vorführt. Wohl an: hier ist sie schamlos trashig, die Hyperbel, denn Portnoy ist der heroinanhängige Star von Filmen, deren Publikum sich an den schier unbegrenzten Furz-Fähigkeiten seines Helden erfreut, was uns – entsprechendes Wissen vorausgesetzt – wieder einen kleinen Querverweis aufs Schwachmaten-Kino à la Eddie Murphy in The Nutty Professor gestattet, aber auch auf Close Encounters of the Third Kind, spätestens dann nämlich, wenn der vom Entzug gepeinigte Portnoy in einem Drogencamp einen aus Heroin geformten Berg findet, der uns allen ziemlich vertraut sein sollte.

Robert Downey junior gibt dagegen den Cinephilen das ihnen gebührende Futter: er ist Kirk Lazarus, ein australischer Filmstar, der sich für seine Rolle in „Tropic Thunder“, also jenen Film, der in „Tropic Thunder“ gedreht wird, eine komplette Hautneupigmentierung verpassen ließ, damit er überzeugend einen Farbigen spielen kann. Ha, hier wird – entsprechendes Wissen vorausgesetzt – cool das Method Acting durch den Kakao gezogen, aber so raffiniert, dass man nur über die Namensgebung und ein gutes Gedächtnis die Querverbindung zur Figur des Dr. Lazarus (Alan Rickman) in „Galaxy Quest“ erkennen kann. Schöner Witz, da Alan Rickman in der Rolle des Alexander Dane die fiktive Rolle des Dr. Lazarus zutiefst verachtet und erst durch die Not der Stunde gezwungen wird, sie als wahren Ausdruck seines Wesens vollständig anzunehmen, was erstens wieder eine umgekehrte narrative Metalepse ist und zweitens dafür gesorgt hat, dass „Galaxy Quest“ im Blog in meiner Liste der Top Fifty auftaucht und drittens so viel Spaß macht, dass ich mir diesen Film schon fünfmal angeschaut habe. Abgesehen davon verarscht Robert Downey junior auch kräftig Russell Crowe, was auch sehr viel Spaß macht, da Crowe für seine Rolle in „Der Mann, der niemals lebte“ über 30 Kilo zunahm, wobei ich nicht weiß, ob er damit Robert de Niro in "Raging Bull" getoppt hat.

Ben Stiller als Produzent, Drehbuchautor, Regisseur und Darsteller hat in dem Film durchaus das Sahnehäubchen an Land gezogen, denn die Figur des Tugg Speedman erlaubt ihm eine Reihe deftiger Scherze, die jene tiefe Sehnsucht aller heruntergekommenen B-Movie-Stars ins Bild setzt, nämlich davon träumen, einmal genauso wie William Dafoe erschossen zu werden, um dafür einen OSCAR zu erhalten (den Dafoe übrigens nicht bekam). Stattdessen muss Speedman in einem Melodrama wie „Simple Jack“ agieren, in dem er einen Volltrottel mimt, der so vertrottelt ist, dass man dafür garantiert keinen OSCAR erhält. Denn, so erklärt, Downey/Lazarus dem verblüfften Stiller/Speedman, um wie Dustin Hoffman in „Rain Man“ ausgezeichnet zu werden, müsse man schon einen Behinderten spielen, der etwas kann. Ein schöner Dialog, denn dies zeigt einerseits, dass Political Correctness deshalb Schwachsinn ist, weil sich sowieso keiner daran hält, dass aus diesem Grund einige Filme gemacht werden, die auch gelegentlich einen OSCAR bekommen, und dass man sich im wirklichen Leben für diesen Querschläger die barsche Kritik der amerikanischen Down-Syndrome-Group abholt, die (und das ist wahr) dem Film Hasstiraden gegen Behinderte vorwarf. Wer uns soviel zu sagen hat, der hat wirklich die Paraderolle an Land gezogen.

So, ich habe mit bescheidenen Mitteln und etwas verblichenen Restkenntnissen des Dekonstruktivismus das gemacht, was Derrida und Konsorten „eine sinnkritische Einklammerung der Sinn- und Verweisungsbeziehungen der Elemente eines Textes“ genannt haben. Wenn man beschließt, ein Dekonstruktivist zu werden, dann wird alles noch schwieriger, wenn man sich gründlich eingearbeitet hat. Aber gottlob ist dies ein anderes Thema. Festzuhalten bleibt, dass das Aufdröseln der intertextuellen Beziehungen nicht immer zu einem gesicherten Erkenntnisgewinn führt, aber immerhin zeigt, dass man eine Menge Filme gesehen hat. Das ist doch was, oder?
Wenn man dann noch am Ende dieser Kritik in der Lage ist, sich an den Anfang zu erinnern und damit an die Ambivalenz bei der Wahrnehmung von Fiktionen, dann sollte man auch den letzten Brocken schlucken und zur Kenntnis nehmen, das all die Filme-im-Film und all die Metalepsen und umgekehrten Metalepsen den Rezipienten wahrlich ent-täuschen, und zwar in dem Doppelsinn, dass erstens das, was er verstanden zu haben meinte, eine Täuschung war und zweitens das Ganze als Täuschung sichtbar wurde, was zu der gewiss nicht neuen Erkenntnis führt, dass Texte (Filme) nicht nur in ihren inneren, ideengeschichtlichen Struktur, sondern auch in ihrem Bezug auf andere Texte (Filme) zu verstehen sind.

Bringt uns das wirklich weiter? Ich weiß nicht so recht. Allerdings hat mir etwas wirklich Spaß gemacht: ich weiß zwar nicht, ob sich Ben Stiller jemals mit diesem ganzen Kram auseinandergesetzt hat, aber auch so ist es ihm gelungen, die Dekonstruktivisten auf die Schippe zu nehmen. Am Ende zeigt er nämlich, dass man alle Kinoillusionen zwar wirkungsvoll entzaubern kann, dass die Ent-Täuschung aber dann ein Ende hat, wenn’s 'wirklich' um das Eingemachte geht: Drücken wir nicht Tugg Speedman die Daumen, wenn er über eine Brücke rennt, die gleich gesprengt wird? Und wünschen wir uns nicht, dass er heroisch von Kirk Lazarus gerettet wird?

Und jetzt, da wir wissen, wie unsere Reflexe funktionieren, wissen wir endlich auch, wie Kino in unseren Köpfen funktioniert und dass wir dort auch in Zukunft jede Menge Spaß haben werden.

Noten: Klawer = 2,5, Mr. Mendez = 3,5, BigDoc = 2, Melonie = 2,5

Damit ist "Tropic Thunder" vorläufig auf Platz 5 der Bestenliste gelandet. Im übrigen möchte ich Francis Ford Coppola zum Geburtstag gratulieren: Der Macher des "Paten" und "Apocalypse Now" wird heute 70.  Wie der Wahnsinn des Colonel Kurtz von Stiller persifliert wird, ist schon köstlich - ob das als Hommage verstanden werden soll, bleibt jedem selbst überlassen. Noch eine Anmerkung: aus vielen und nicht nur den oben genannten Gründen halte ich Stillers Mediensatire für eine der besten Komödien der letzten Jahre. Gelegentlich wandelt Stiller am Rande der Klamotte, aber das ist Geschmackssache. Wenn ich ehrlich bin: "Stranger than Fiction" spielt in einer etwas höheren Liga und der ziemlich unterschätzte und fast schon vergessene "Last Action Hero" bleibt für mich die Number One im Reich der Metalepsen.