Freitag, 3. April 2009

The Oxford Murders

Spanien / Frankreich 2008, R.: Álex de la Iglesia, B: Álex de la Iglesia, Guillermo Martínez (Roman), D: Elijah Wood (Martin), John Hurt (Arthur Seldom).

Der spanische Regisseur Álex de la Iglesia dürfte in Deutschland nur einem Insider-Publikum bekannt sein. In seinem Heimatland ist er seit 1995 Kult: Mit El día de la bestia legte er einen in Deutschland auf DVD erhältlichen Horrorfilm vor, der in der Tat durch eine eminente Dichte und originelle Erzählweise überrascht. Ich habe ihn als sehr eindrucksvolle Erfahrung im Gedächtnis. Kultig ist auch das 1997 produzierte Road-Movie „Perdita Durango“ mit Javier Bardem, ein Film, der das Image eines Splatter-Movies à la Tarantino hat und entsprechend auf DVD vermarktet wird, häufig in Kombination mit anderen kongenialen Streifen. Kurz gesagt: de la Iglesia wird in Spanien mit Preisen zugeschüttet, besitzt aber hierzulande lediglich den Bekanntheitsgrad eines akademischen Fachartikels.
Mit „The Oxford Murders“ verfilmte der Spanier nun einen ebenfalls preisgekrönten Roman, nämlich die Pythagoras-Morde von Guillermo Martínez. Der Roman wurde 2003 mit dem Planeta-Preis für Argentinien ausgezeichnet. In den Kinos landete „The Oxford Murders“ nicht – es handelt sich um eine der Direct-to-DVD-Produktionen, über die man gelegentlich nur als Geheimtipp etwas erfährt. Dies zu bedauern, wäre allerdings ziemlich töricht, da eine Vermarktung jenseits des Kinos schon längst nicht mehr ein Hinweis auf fehlende Qualität ist.

Der on location in Oxford gedrehte Film ist ein klassischer Whodonit-Krimi mit einem kräftigen Schuss Agatha Christi: Der junge Mathematikstudent Martin (Elijah Wood) will in Oxford seine Doktorarbeit zu schreiben. Am liebsten bei seinem wissenschaftlichen Vorbild Arthur Seldom (John Hurt), der sich allerdings in die Forschung zurückgezogen hat. Nicht ohne Hintergedanken mietet sich der Doktorand bei Mrs. Eagleton und deren Tochter ein, wohl wissend, dass Seldom eine besondere Beziehung zu den beiden Damen hat, die tief in die Vergangenheit der Familie zurückführt. Als bald darauf Mrs. Eagleton von Seldom und Martin tot aufgefunden wird, verrät nur eine kleine Nuance, dass der Todesfall ein Mord war. Immerhin erlangt Martin auf diese Weise die Aufmerksamkeit des berühmten Mathematikers und Philosophen, mit dem zusammen er nun das Rätsel lösen will, denn weitere Morde folgen und der Killer kündigt den Hobby-Detektiven seinen nächsten Mord jeweils mit geheimnisvollen Symbolen an. Ein kryptisches Katz- und Mausspiel, das nicht ohne Witz ist, hat sich der junge Wittgenstein doch sehr mit Krytographie beschäftigt.
Wittgenstein? Who the hell ist Wittgenstein?
Wait and see...

Als Krimi funktioniert das Ganze auf ordentlichem Niveau: nicht immer packend, aber auch nicht völlig daneben. Dafür hat der Film andere Qualitäten, die ihn als komödiantischen Philosophie-Diskurs outen. Seldom, der sich als Wittgenstein-Anhänger darauf beruft, dass es keine in letzter Schlüssigkeit beweisbare Wahrheit gibt, sieht sich mit einem jungen Enthusiasten konfrontiert, der seinerseits der Logik der Mathematik den Vorzug einräumt und alle Rätsel für grundsätzlich lösbar hält. Und so wird in dem Film nicht nur über Wittgenstein lässig verhandelt, sondern auch Gödel und Heisenberg kommen ins Spiel, was unter normalen Umständen jeden Produzenten in den Wahnsinn treiben würde, denn Pointen, die sich nur einem einigermaßen an der Wittgensteinschen Sprachlogik, den Unvorsehbarkeiten der Quantenphysik und den bizarren Kausalitäten der Chaostheorie geschulten Publikum erschließen, sind Kassengift pur. Wenn man aber weiß, dass de la Iglesia es einfach nicht übers Herz bringt, einfach nur Mainstream abzuliefern, hat an den Dialogen zwischen dem zerknittert-pessimistischen Mathematik- und Philosophiegenie und seinem jungen Novizen durchaus Spaß, zumal „The Oxford Murders“ ziemlich witzig zeigt, dass alles Räsonieren über die Verfasstheit der Welt auch die klügsten Köpfe nicht davon befreit, in dieser zu leben. Das kann ein Dilemma sein, erst recht, wenn das profane Leben nicht immer erkennen läßt, dass man mit philosophischem Know-How elementare Überlebensfragen besser meistern kann. Am Ende zählen nur die Tatsachen, und dies hat uns eben jener Ludwig Wittgenstein mitzuteilen versucht: „Die Welt ist die Summe aller Tatsachen.“

Von der deutschsprachigen Kritik ist der Film hierzulande kaum zur Kenntnis genommen worden. Und die wenigen, die etwas schrieben, mokierten sich meistens über die mageren Schauspielkünste von Elijah Wood, dem man nicht so recht eine Affäre mit einer prallen Krankenschwester zutrauen mag. Aber auch hier hilft Wittgenstein: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Noten: BigDoc = 1,5, Klawer = 2,5, Mr. Mendez = 2,5, Melonie = 3