Ein fremder Planet, eine Frau und ein Mann in einer Bodenstation, in der fast alle Mitglieder einer interstellaren Mission niedergemetzelt wurden. Wer hat dies getan? Ein Alien? Wieder einmal?
Amazon Prime hat sich mit 10 Mio. US-Dollar die Rechte an einem Film gesichert, der gerade mal zwei Millionen im Kino einspielte und mit einem Budget auskommen musste, das A-Movie-Produktionen für ihre Portokasse bereitstellen. Das muss nicht schlecht sein, wenn Story und Atmosphäre stimmig sind. In dem Science-Fiction-Horrorfilm „Ash“ gelingt dies dem Rapper „Flying Lotus“ (Steven Ellison) mit seinem ersten fiktionalen Film garantiert nicht. Im Gegenteil. Erzähltechnisch ist der Film eine Katastrophe. Ästhetisch kann er durch schöne fremdartige Bilder und einen guten Soundtrack ein wenig punkten. Die krude Story rettet dies nicht.
Die ersten sechzig Minuten kann man sich ersparen
Als die Astronautin Riya (Eiza González) erwacht, findet sie sich in einem Alptraum wieder. Alle Mitglieder der Bodenstation wurden bestialisch abgeschlachtet. Überall liegen zerfetzte Leichen. Aber Riya kann sich an nichts erinnern. Ihre Amnesie verhindert dagegen nicht, dass sie mit schrecklichen Bildern gepeinigt wird, die Fragmente des Gemetzels zeigen. Riya klebt sich mehrfach ein Pflaster an den Hals, das offenbar die schrecklichen Bilder unterdrücken kann. Nur werden die zeitlichen Abstände immer kürzer.
Nach einer halben Stunde taucht Brion (Aaron Paul, „Breaking Bad“, „Westworld“) in der Bodenstation auf. Brion, zumindest behauptet er dies, ist mit einem Raumgleiter zur Bodenstation geflogen, um Riya so schnell wie möglich zurück zur Raumstation zu fliegen, die den Exo-Planeten umkreist. Doch Riya will zuvor eine Erklärung für die blutigen Ereignisse finden.
„Space Horror“ heißt das Genre, das in der in Raumschiffen oder Raumstationen spielt, manchmal auch auf Exo-Planeten, aber in der Regel mit einer geringen Anzahl von Handlungsorten auskommt. Anders gesagt: dieses Subgenre kann preiswert produziert werden. Das kann, wie gesagt, spannend sein, wenn der dramatische Output stimmt. Doch „Ash“ und sein Macher Flying Lotus und auch nicht der schweizerische Drehbuchautor Jonni Remmler finden einen Zugang zu den beiden Hauptfiguren, die eine weitere halbe Stunde weitgehend sinnfrei verplappern. So bleiben für den Zuschauer nur ungeklärte Fragen übrig. Hat Riya ihre Kollegen brutal geschlachtet? War es Brion? Oder taucht noch ein extraterrestrisches Alien auf?
Am Ende sind es alle gewesen. Ein Parasit hat die Crew der Raumstation befallen und verwandelt alle in monströse Kreaturen. Ein Mix aus Zombies, dem John Carpenter-Monster in „The Thing“ und aus einigen Bauteilen der „Alien“-Saga. Riya kann aus unerfindlichen Gründen nicht völlig von dem Parasiten kontrolliert werden. Und das Alien spricht daher zu ihr – in einem der schlechtesten Monologe, den der Rezensent in den letzten Jahren ertragen musste. Der Planet würde seiner Spezies gehören, er sei ihre Investition, palavert der Parasit in Riyas Gehirn. Die Menschen seien nicht effektiv, eine untergehende Spezies und sowieso sei es eine Ehre für die kontaminierte Crew, an der Existenz seiner Rasse teilzuhaben, erklärt das Chef-Monster. Und das zeigt dann auf unwiderstehliche Weise, dass Aliens besser die Klappe halten sollten.
Wiederholung des Immergleichen
Das Genre „Space Horror“ hat spätestens mit Ridley Scott die Integration des Horrorfilms in ein Science-Fiction-Narrativ vollzogen. Scotts Klassiker „Alien“ führte danach kaum überraschend zu einer Flut von miesen B-Movies, aber auch zu passablen Ablegern wie dem Kultklassiker „Event Horizon“ oder „Life“ (2017). Im Wesentlichen ging es den Filmemachern aber nicht um SF, sondern um möglichst blutige Geschichten. Und damit auch um eine Wiederholung des Immergleichen. Ärgerlich sind daher auch die Logikfehler in „Ash“, der zunehmend hektischer wird. So wird Brion in Riyas späteren Flashbacks als Mitglied der ursprünglichen Crew gezeigt, zu Beginn des Films taucht er in Riyas schauerlichen Visionen nicht auf.
Als Genrefilm ist „Ash“ eine unverdauliche Mixtur aus Zitaten und Genre-Vorbilder. Immer wieder zeigt Flying Lotus mit einsekündigen Cut-Ins und Jumpscares den Horror des Gemetzels und die Metamorphose vom Menschen zum mutierenden Moster à la John Carpenters „The Thing“. Am Ende muss sich der Zuschauer ausgiebig den tatsächlichen Ablauf des Gemetzels in voller Länge anschauen. Überraschungen hat der Film aber nicht mehr zu bieten.
„Ash“ ist ein Film ohne Substanz, ein Splatterfilm voller Zitate, der offenbar eine Zielgruppe adressieren wollte, die sich Ekeleffekte gerne anschaut und ansonsten Dialogpassagen im schneller Vorlauf erledigt. Dies ging aber gründlich in die Hose. In bekannten Online-Foren wurde der Film von den Genrefans gnadenlos verrissen.
Visuell hat der Film einiges zu bieten, dazu gehören auch die strangen Bilder des fremden Planeten im Mario Bava-Style, die verfremdenden Neonfarben in der Raumstation und die Settings, die vom Regisseur „Flying Lotus“, seinem Kameramann Richard Bluck und dem Effekt-Team durchaus beeindruckend kreiert wurden.
Problematisch ist allerdings der atmosphärisch gelungene Soundtrack von Flying Lotus, der sich an den Filmen von John Carpenter orientiert hat. Leider favorisiert die Abmischung von Sprache und Musik den Sound, der einen Teil der Dialoge bis an die Grenze der Hörbarkeit zukleistert.
Die beiden Hauptdarsteller gaben ihr Bestes, um den streckeweise langweiligen Film einigermaßen akzeptabel über die Runden zu bringen. Eiza González zeigt ihre Emotionen überwiegend mimisch, es ist ja zunächst niemand da, mit dem man reden kann. Das gelingt der mexikanischen Schauspielerin gut. Der mittlerweile 46-jährige Aaron Paul hat nach „El Camino: A Breaking Bad Movie“ (2019) nur zwei Independent Movies gedreht, war in Serien aber etwas präsenter („Westworld“ 2020-22 und „Better Call Saul“, zwei Episoden 2022). Ein Karriereknick? In „Ash“ zieht er alle Register. Nicht einfach, wenn die Dialoge trivial sind.
Am Ende gibt es kein Entkommen. Riya fliegt mit dem Raumgleiter zur Raumstation. Aber muss nur lange genug die Credits anschauen, um zu erfahren, was sie dort erwartet. Natürlich eine Volte, die man bereits hundertfach gesehen hat.
Note: BigDoc = 5
Journalisten-Poesie
„Wie in einem Third-Person-Shooter treibt Ellison seine Zuschauerschaft durch ein kosmisches Horrorszenario lovecraftschen Ausmaßes, das sich jeder erzählökonomischen Stringenz entzieht, um sich stattdessen in einem tranceartigen Sog aus visueller Desorientierung und klanglicher Ekstase zu verlieren – ein Kino der Entgrenzung, das weniger erzählt, als erlebt wird.“ (Quelle).
Sorry, aber das ist stilistisch hübsch zu lesen, aber es ist - gelinde gesagt - nicht zielführend. Third-Person-Shooter ist ein Begriff, der explizit die Perspektive eines Gamers beschreibt. Zeigen die Bilder das Geschehen (wie eine Kamera) von außen, dann ist dies der Gegensatz zum Ego-Shooter, der die Perspektive des Spielers einnimmt. In der Filmtheorie spielt der Begriff so gut wie keine Rolle. Er gehört in die Welt der Computerspiele.
Lovecraft: H.P. Lovecraft (1890-1937) wird immer wieder gerne von Autoren zitiert oder erwähnt, wenn man dem Leser suggerieren will, dass man über eine Expertise in Sachen Horrorliteratur verfügt. Allerdings war Lovecraft kein Anhänger von Leichen und Blut. Von seinen Monster berichtete er vage mit unklaren Adjektiven, mehr andeutend als beschreibend. Das lag daran, dass seine Figuren augenblicklich wahnsinnig wurden, wenn sie den dunklen Mächten gegenüberstanden. Das können Lovecraft-Leser aber nur nachempfinden, wenn sie ihrer Phantasie folgen und nicht mit naturalistischen Beschreibungen gelangweilt werden.
Erzählökonomische Stringenz: Stringenz bedeutet 'logische Folgerichtigkeit', während Filme oder Serien erzählökonomisch handeln, wenn sie die Geschichte effizient erzählen und Überflüssiges weglassen. Folgt man dem klassischen Dreiakter, dann sollte die Einleitung (Akt 1) zügig erzählt werden. US-Produktionen (Film, Serie) sind bekannt dafür, dass sie dies in ca. 10 Minuten abwickeln. Insofern hat der Autor Recht: „Ash“ entzieht sich dieser Erzählökonomie. Allerdings sollte er erklären, was diese narrative Technik mit Stringenz zu tun hat.
Weniger erzählt, als erlebt: das bedeutet, dass der Zuschauer sich nicht mit der Stringenz auseineinandersetzen soll/wird, sondern dessen (ästhetische) Gestaltung erlebt, ohne sich um die Handlungslogik kümmern zu müssen. Wenn man das als Erzählstil mag, dann ist es tatsächlich ein Kino der Entgrenzung. Ich mag es nicht.
„Der amerikanische Musikproduzent und inzwischen auch Filmemacher Flying Lotus (bekannt als FlyLo) präsentiert mit „Ash“ einen Science-Fiction-Horrorfilm, der keinerlei Anzeichen von Originalität bietet. Natürlich lassen sich Filmschaffende seit Anbeginn des Kinos von anderen Werken inspirieren. Doch wenn das Endprodukt nichts weiter zu bieten hat als eine auf Hochglanz polierte Horror-Atmosphäre, entsteht eine gewaltige Lücke, die sich nicht füllen lässt“ (Shikhar Verma, Quelle, Übersetzung aus dem Englischen von ChatGPT).
Ash – USA 2025 – Laufzeit: 95 Minuten – Streaming: Amazon Prime – Regie: Steven Ellison – Buch: Jonni Remmler – Soundtrack: Flying Lotos aka Steven Ellison – D.: Eiza González, Aaron Paul.