Freitag, 25. April 2025

„Paradise“ auf Disney+ - Wenn die Welt untergeht

Wer immer noch nicht die Nase voll hat und sich unverdrossen dystopische Thriller anschauen möchte, ist in Dan Fogelmans „Paradise“ gut aufgehoben. Die achtteilige Serie mischt Elemente des Politthrillers mit Weltuntergangsszenarien, die der von Disney+ gestreamten Hulu-Serie einen Hauch von Science-Fiktion mit auf die Reise geben.

Freunde des Sub-Genres „Wir leben im Bunker und wissen nicht, was draußen los“ werden nach „Silo“ und „Fallout“ mit einer Geschichte belohnt, die geerdet ist und dem Zuschauer keinen überkandidelten Plot zumutet. Trotz einer clever verschachtelten Erzählung ist „Paradise“ in Teilen aber zu klischeehaft und auch einige Logiklöcher sorgen für ein begrenztes Vergnügen. Sehenswert ist allerdings der Cast, der dafür sorgt, dass Fogelmans Serie leicht über dem Durchschnitt liegt. Und der fulminante Schlussspurt, der die Spannungskurve mächtig anzieht.

Das Beste kommt zum Schluss

Nicht jeder wird es mögen: Dan Fogelman orientiert sich nämlich am scheinbar unvermeidlichen Muss eines Thrillers, nämlich die Geschichte komplex zu erzählen. Mit einer linearen Erzählweise hat Fogelman („This Is Us“) daher nichts am Hut, mit Flashbacks schon etwas mehr. Uns so kommt das Beste ganz zum Schluss.
Erst in „The Day“, der vorletzten Episode, wird enthüllt, warum einige Tausend Menschen tief unter der Erdoberfläche in einem Bunker leben. Sie haben sich vor dem Weltuntergang gerettet. In der Antarktis kam es zur Eruption eines Supervulkans, der die bereits durch den Klimawandel belasteten Eisschichten bersten ließ und sie in Wasser verwandelte. Das Ergebnis: ein Super-Tsunami rast um die Welt und zerstört alles, was nicht mindestens 300 m über dem Wasserspiegel liegt. Also so ziemlich alles. Melbourne und Vancouver werden ausgelöscht, während man im White House verstört vor den Monitoren steht und dem Weltuntergang zuschaut.

Und als ob dies nicht reichen würde, tobt urplötzlich ein Atomkrieg zwischen China und Russland: es geht um die Eroberung von Ressourcen. Wer schießt schließlich sein gesamtes Arsenal an Atombomben auf die USA? Geschenkt. Das sei eine natürliche Reaktion, wird dem US-Präsidenten Cal Bradford (James Marsden, „Westworld“) erklärt. Alle würden so handeln, sonst würde es die Gegenseite tun. Ist das logisch? Geschenkt.
Bradford ist jedenfalls anderer Meinung: kein atomarer Gegenschlag. Er aktiviert stattdessen ein geheimes EMP-Netzwerk, das die weltweite Elektronik ausknipst, aber auch einige der Atombomben aufhält. Danach flieht Bradford, der zuvor in einem Anfall von Ehrlichkeit die US-Bürger auffordert, sich von den Ihren zu verabschieden, mit Teilen seines Staffs in einen tief unter der Erdoberfläche liegenden Bunker. Jene, die zurückbleiben müssen, sind nicht sonderlich amused. Einige werden vom Secret Service erschossen. Spätestens in der vorletzten Episoden zelebriert Showrunner Fogelman genüsslich die moralische Verkommenheit einer Spezies, die es offenbar nicht besser verdient hat.

Zurück zu den Anfängen. In „Wildcat is Down“ weiß der Zuschauer all dies nicht. Er wird in ein idyllisches Vorstadt-Szenario versetzt, das an die gemütlichen Kleinstädte der Vereinigten Staaten erinnert. Erst als angekündigt wird, dass man die Dämmerung um zwei Stunden verschieben wird, dämmert es einem: aha, wir sind tief unter der Erde, wo alles durch raffinierte Hi-Tec-Programme gestaltet wird. Auch die Wahl der Wolken oder das simulierte Wetter. Wird jemand beerdigt, verwandelt man den sonnigen Sommertag sekundenschnell in tristes Grau.
Das Problem: der Präsident („Wildcat“) ist tot. Er liegt erschlagen in seiner Suite und sein persönlicher Secret Service-Leibwächter Xavier Collins (Sterling K. Brown) soll nun den Täter finden. Kurz steht er selbst unter Verdacht, dann richtet sich Collins Fokus auf Nicole Robinson (Krys Marshall), eine hochrangige Secret Service-Agentin, die eine heimlich Beziehung mit dem Präsidenten hatte. Hat sie den Präsidenten umgebracht?

Kampf gegen die Eliten: Klischee oder doppelbödiger Plot?

Die Whodunit-Geschichte folgt von nun an einer einfacher Regel: Wer ist der Feind? Natürlich sind es am Ende üble Verschwörer, die im unterirdischen Bunker alle Reste von Demokratie aushebeln wollen, allerdings nicht an der Ermordung des Präsidenten beteiligt waren. „Paradise“ bietet also eine Verschwörungstheorie an, die man dutzendfach in den klassischen Paranoia Movies der 1970er-Jahre gesehen hat. Klischee? Ja, aber momentan leider sehr aktuell. Aber es gibt ein Problem: Die Verschwörungstheorien sind längst nicht mehr ein Vehikel linksorientierter Systemkritiker, auch die Rechtspopulisten haben dieses Narrativ gekapert.

Konnte man vor über fünfzig Jahren in Filmen wie Alan J. Pakulas 
The Parallax View“ und erst recht in Pakulas All the President's Men" (Die Unbestechlichen, 1976) politische Ambitionen entdecken, wurde in den folgenden Jahrzehnten die Erzählung vom 'Staat im Staat' zu einem routiniert gebrauchten dramaturgischen Gestaltungsmittel. Etwa in Antoine Fuquas Shooter" (2007), wo eine Verschwörung lediglich zeigen sollte, wie ohnmächtig die Hauptfigur im Kampf 'Einer gegen Alle' ist. Auch Serien wie die 4. Staffel von "Jack Ryan" (2023) erzählten von heimlichen Mächten in der CIA, die völlig korrupt sind, bis der Held einen fast aussichtslosen Kampf gewinnen kann. Das alles wirkte wie ein Textbaustein, an den man sich mittlerweile achselzuckend gewöhnt hatte.

Vor zwanzig Jahren sah die Rezeption noch anders aus. Für die Neuverfilmung von „The Manchurian Candidate“ (2004) konnte Regisseur Jonathan Demme die kritische Position seines Films noch so erklären: „Wer stellt heute eine Weltbedrohung dar? In den Fünfzigern, als Richard Condons Roman entstand, war das vielleicht der Kommunismus, heute sind es Großkonzerne, die internationale Konflikte schüren.“
Demmes Erklärung hatte 2004 visionäre Qualitäten, denn in „The Manchurian Candidate“ will die mächtige Elite richtig Kohle machen – mit einem dämlichen und gefügigen Präsidenten, der alles willenlos abnickt.
Der SPIEGEL-Kritiker Daniel Haas sah dies vor 21 Jahren ähnlich: „Demme wendet das Terrormotiv in eine Kapitalismus-Kritik: Es sind die Global Players, die mit Geld die Demokratie zerstören. Doch dies gelingt nur durch den moralischen Rigorismus einer politischen Klasse, der im Kampf um die ‚richtigen‘ Werte jedes Mittel recht ist.“

Haas deutete damit indirekt aber auch an, dass Verschwörungstheorien offen sind für völlig entgegengesetzte politische Positionen. Aktuell gehört der Kampf gegen die elitären Universitäten, die "Professoren" (J.D. Vance) und die 'woken' Medien zu den zentralen MAGA-Themen und zum Kulturkampf der Rechten. Und war es nicht Donald Trump, der bereits in seiner ersten Amtszeit gegen die Eliten wetterte? Vor diesem Hintergrund sind Verschwörungstheorien ziemlich beliebig und deutungsoffen geworden.

Rezeptionsästhetisch steht der Zuschauer, aber auch der Kritiker, vor einem Dilemma. Während er ideologiekritisch anti-elitären Reflexen folgen möchte, muss er sich gleichzeitig von der rechtspopulistischen Instrumentalisierung des Elite-Bashings abgrenzen. Der rechts orientierte Zuschauer könnte dagegen lapidar schlussfolgern, dass er die Gefährlichkeit der Eliten mitsamt ihrer Umdeutung zum Deep State dank Trump längst erkannt hat. Wenn die Verschwörung der Eliten immer wieder auf dem Medien-Teller landet, muss man sich nicht wundern, dass es immer besser schmeckt, wenn man seine eigenen Zutaten ins Essen mischt.

Dan Fogelman erspart uns dieses Dilemma nicht. In „Paradise“ lässt sich die Verschwörungstheorie irgendwo zwischen Klischee und Zeitgeist nieder. Gelungen ist das nicht, misslungen aber auch nicht.

Der Cast ist das Beste an der Serie

Angeführt werden die Menschen im Bunker schon längst nicht mehr von ihrem Präsidenten, sondern von der reichsten Frau der Welt: Samantha „Sinatra“ Redmond (Julianne Nicholson). Sie hat im Bunker das Sagen und will verhindern, dass jemand herausfindet, ob an der Erdoberfläche noch Leben möglich ist. Wer dies versucht, wird von Killern unverzüglich liquidiert.

Ist Redmond für die Ermordung des Präsidenten verantwortlich? Xavier Collins nimmt sie bald ins Visier, verzettelt sich aber in den Geheimnissen der anderen Protagonisten, die fast alle eine zwielichtige Backstory haben. Um diese zu entschlüsseln, anzählt Fogelman die Geschichte nicht linear, sondern deckt mit Flashbacks Schicht für Schicht dieser Geheimnisse auf. Die Rückblenden machen den Kreis der Verdächtigen nicht geringer.
So wird deutlich, dass Collins Verhältnis zu Bradford zerstört wurde, nachdem es dem Präsident nicht gelang, Collins Frau Teri (Enuka Okuma) aus Atlanta zu evakuieren. Collins Kinder konnten dagegen gerettet werden. Sterling K. Brown, dessen Performance von einigen Kritikern gefeiert wurde, spielt den Secret Service-Agenten mit einer stoischen Mimik, die seine Figur entschlossen, aber auch langweilig macht. Richtig warm wird man mit Xavier Collins nicht. Da war Gerald Butler in seine „Fallen“-Filmen deutlich interessanter. Auch mimisch.

James Marsden agiert dagegen facettenreicher. Flashbacks zeigen ihn als jungen Mann, der Lehrer werden will, von seinem stinkreichen Vater aber gezwungen wird, in die Politik zu gehen, um dem Familienunternehmen alle Wege zu öffnen. Marsden schafft es sogar mit der väterlichen Kriegskasse Präsident zu werden. Glücklich macht es den scheinbar eloquenten Mann nicht. Er ist ein Präsident, der zu oft ein Whiskey-Glas in der Hand hält und mit Popsongs aus den 1980er-Jahren seinen Frust bekämpft. Denn Bradford kann sich mit seiner politischen Karriere nicht identifizieren, zeigt aber am Ende eine moralische Qualität, die man nicht erwartet hat. Das wird von Marsden sehr gut gespielt.

Schillernd spielt Julianne Nicholson (Primetime Emmy Award für die Supporting Actress in „Mare of Easttown”) die Rolle der Königin im Bunker. Samantha Redmond war die Einzige, die die Warnung der Wissenschaft vor dem ökologischen Kollaps der Erde ernst nahm und umgehend einen unterirdischen Bunker bauen ließ. Redmond, die sich als „Mutter“ bezeichnet, nahm dabei in Kauf, dass unzählige Bauarbeiter aufgrund des kontaminierten Untergrunds ums Leben kamen. Während der globalen Krise plädierte sie für einen atomaren Gegenschlag der USA, damit der Gegenschlag der amerikanische Bevölkerung ein Leben in einer verwüsteten Welt erspart. Redmond ist aber keine Beschützerin einer neuen Zivilisation, sondern sorgt dafür, dass eine Handvoll von Milliardären im Bunker weiterhin ein privilegiertes Leben führen kann. Ihrem Gegenpart Collins ist sie fast immer einen Schritt voraus. Auch als Collins einen gewaltsamen Umsturz organisiert. Redmond enthüllt ihm, dass seine Frau noch lebt – und erpresst ihn erfolgreich. Starke Performance von Julianne Nicholson, deren Figur sich empathisch mit Menschen unterhalten kann, während sie bereits deren Liquidation beschlossen hat.

Beinahe tragisch ist dagegen ihr Handlanger Jon Beavers („Horizon: An American Saga) als Agent William Pace. Pace ist ein enger Freund von Collins, gleichzeitig aber auch ein Auftragskiller mit dunkler Vergangenheit. Collins Kinder lieben ihn als „Onkel Billy“. Im Bunker ist Pace dagegen Redmonds Mann fürs Grobe: „Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich jemanden töten will.“ Als Pace sich seiner Rolle entledigen will, lässt Redmond ihn von der Secret Service-Agentin Jane Driscoll (Nicole Brydon Bloom) vergiften. Am Ende wird es ausgerechnet Driscoll sein, die Redmond endgültig stürzt: Redmond hatte sich geweigert, ihrer Killerin die Spielkonsole des toten Präsidenten auszuhändigen. Das ist schwarzer Humor vom Feinsten.

Starkes Finale und ein offenes Ende

Natürlich findet Collins am Ende den Mörder des Präsidenten. Ein riskantes Ende, denn dafür wird in der letzten Folge eine (fast) neue Figur eingeführt. Das ist in Krimis nicht selten ein billiger Trick, der schiefgehen kann. In „Paradise“ klappt dies aus zwei Gründen: zum einen wird das Motiv des Täters in einer brillanten Pre-Title-Sequence erklärt, lange bevor die Whodunit-Frage beantwortet wird; zum anderen fällt der unterirdischen Elite der Preis auf die Füße, den Unschuldigen bezahlen mussten, damit andere den Weltuntergang überleben können.

Gefallen hat mir besonders pathetisch-mysteriöse Score des indischen Komponisten Siddhartha Khosla und der Soundtrack der Serie, der sich (natürlich) an den Präferenzen des toten Präsidenten orientiert. Zu hören sind „Another Day in Paradise“ von Phil Collins, das programmatische „We Built This City“ von Starship und zudem von Aron Wright und Jill Andrews, „Eye of the Tiger” von Tommee Profitt und der von Raign gecoverte Song „Knocking on Heaven’s Door.“

Tricktechnisch hat „Paradise“ nicht punkten können. Tsunamis sah man bei Roland Emmerich eindrucksvoller. Alles eine Frage des Budgets. Aber der außerordentlich gute Cast, die Settings, die sehr emotionale Musik und die enorme Temposteigerung in der letzten Episoden heben die Serie am Ende dann doch über den Durchschnitt. Auch quotentechnisch war „Paradise“ ein Hit. Disney+ verzeichnete sieben Millionen Abrufe in der ersten neun Tagen.

Das Genre neu erfunden hat Dan Fogelman aber nicht. Von dystopischen Serien wie „The Last of Us“ ist „Paradise“ weit entfernt, auch weil „The Last of Us“ origineller ist und weitgehend auf bekannte Genre-Topoi verzichtet.
Wie die bereits georderte zweite Staffel von 
„Paradise“ die Geschichte weitererzählt, dürfte daher spannend werden, denn „Paradise“ hinterlässt am Ende den Eindruck, dass alles auserzählt ist. Aber egal, es wird schon klappen. Xavier Collins muss ja noch seine Frau retten.

Note: BigDoc = 2,5


Paradise – USA 2025 – Network: Hulu – Showrunner: Dan Fogelman – 8 Episoden – Buch: Glenn Ficarra & Katie French u.a. – Regie: Nadra Widatalla – D.: Sterling K. Brown, Julianne Nicholson, James Mardsen, Jon Beavers u.a.