Donnerstag, 18. Februar 2021

George A. Romeros „Dawn of the Dead“ in 4 K – und das auch noch legal!

Ist “Dawn of the Dead” Trash, der verboten und beschlagnahmt werden muss? Zumindest in Deutschland lautete die Antwort: Ja! Jahrzehntelang war George A. Romeros Kultklassiker über wandelnde Tote auf dem Index. Erst 2019 wurde die Indizierung aufgehoben, was natürlich das miese Geschäft mit verstümmelten Bootleg-Versionen auf der Stelle zerstörte. Gut so.
Nun hat Koch Media Home Entertainment Romeros Meisterwerk gleich in mehreren Editionen remastered auf den Markt gebracht, darunter auch eine deutschsynchronisierte native 4 K-Fassung des Argento-Cuts. Im Folgenden gehe ich nicht nur auf die Bedeutung des Films ein, sondern auch auf die Special Edition, die den Romero-Fans alle relevanten Schnittversionen des Films anbietet.

“When there's no more room in hell, the dead will walk the earth.”

„Dawn of the Dead“ wurde 1978 gedreht und kam 1979 in die US-Kino. Soweit ich mich erinnern kann, erreichte „Zombie“ 1980 die deutschen Kinos. Der Verleihtitel der deutschen Constantin Film war natürlich sehr plakativ, prägte sich aber ein und wurde zu einem Synonym für ein neues Genre. Dass ich im Kino die leicht gekürzte Argento-Fassung sah, wusste ich nicht. Und dass es später diverse Filmfassungen geben würde, ahnte ich damals erst recht nicht.
George A. Romeros Films war ein Schlag in die Magengrube. Ich sah den Film in der Mittagsnachts-Vorstellung eines Kinos mit alten Plüschsesseln, die angenehm an bessere Kinotage erinnerten. Das Kino war bis auf den letzten Sitz rappelvoll. Es durfte sogar geraucht werden. Hinten gab es eine Bar mit Drehstühlen. In der nächsten Nacht war ich wieder da. Diesmal gönnte ich mir an der Bar einige Kaltgetränke und auch Härteres, was im Drehstuhl schnell problematisch werden kann. Aber bestimmte Filme musste man einfach angeschickert sehen. Als Hitchcocks „Vertigo“ in die Kinos kann, versuchte ich es mit Sekt. Das klappte famos. Aber Sekt und Romero? Niemals.

Nach zwei Bier und zwei Asbach funktionierte „Zombie“ noch besser als beim ersten Mal. Man hatte ja nicht geglaubt, was man zu sehen bekam. Beim zweiten Mal war es gewiss: ja, diesen Film gab es wirklich. Er fräste sich förmlich ins Gehirn, blieb dort bis heute, wohl auch dank der hysterischen Musik von „The Goblin“, die Dario Argento der europäischen Fassung untergeschoben hatte. Und als ich im Kino saß, wusste ich, dass ich es mit einer verbotenen Frucht zu tun hatte.
Warum eigentlich? Jüngere Romero-Fans werden das nicht so leicht verstehen können. Man muss schon etwas über die kulturellen Bedingungen wissen, die in diesen Zeiten darüber entschieden, was gutes Kino ist und was nicht, was en vogue war und was in die Schmuddelecke gehörte. Und Romeros Film roch nach Schmuddelecke, aber vor allen Dingen war er eins: eine ungeheure Provokation. So etwas hatte man im Horrorfilm-Genre noch nicht zu sehen bekommen. 

Wer sich für das Kino begeistert, hat zuvor als Kind Seherfahrungen gemacht, die die Weichen für den weiteren Filmkonsum stellen. Bei mir war es der Hollywood-Schinken „El Cid“ (1961), den ich als Kind in Begleitung eines Elternteils sehen durfte. Anthony Manns Film war ein Blockbuster, obwohl es diesen Begriff damals noch nicht gab. Der Historienfilm beeindruckte mich, weil der von Charlton Heston gespielte Held am Ende tot auf seinem Pferd in die entscheidende Schlacht ritt. 
Andererseits konnte ich mich auch für die Schmonzette „Ich denke oft an Piroschka“ von Kurt Hoffmann (1955) erwärmen, sodass das Gruselige und das Melodramatische von Kindesbeinen an dafür sorgten, dass ich später mit Godard und Truffaut nicht so recht warm wurde.

Meine Kinojugend verbrachte ich im 2. Rang eines Kinos, das wöchentlich einen Filmkunsttag anbot. Dort konnte man zwar nicht für eine Handvoll Dollar, aber für einige Groschen Filme wie Melvilles „Der eiskalte Engel“ sehen. Diese Nachmittagsvorstellungen waren häufig leer. Wenn jemand nur das Wort „Kunstfilm“ hörte, suchte er damals schnell das Weite.
Im Katholischen Filmdienst konnte man dann nachlesen, was von den modernen Machwerken zu halten sei und dass die meisten Filme nicht einmal für Erwachsene zuträglich seien, sondern nur für solche, die ein reifes moralisches Grundgerüst ihr Eigen nennen konnten.
Darüber verfügte ich nicht, sodass mein Kinospaß ungehemmte Züge annahm. Die neuen Filme waren attraktiv, man spürte die Zunahme der Grenzüberschreitungen, es waren spannende Erfahrungen. Später lernte ich den passenden Begriff dafür: Guilty Pleasures.

Als „Zombie“ in die Kinos kam, waren die kuscheligen Kinozeiten der 1950er- und 1960er-Jahre längst vorbei. In den USA hatte eine neue Generation von New-Wave-Regisseuren für inhaltlich und ästhetische Regelbrüche gesorgt, der Hays Code (die amerikanische Filmzensur) war 1967 abgeschafft worden. Sex und Gewalt wurden Kino offener und dratischer gezeigt. Ganz neu war das nicht: einige Spaghetti-Western hatten 16 Jahre zuvor für neue Formen der Gewaltdarstellung gesorgt. 1968 schockte Sergio Corbucci mit seinem bitterbösen „Leichen pflastern seinen Weg“ die Filmgemeinde noch ein wenig, aber die Kinogänger waren längst keine Gemeinde der Seligen mehr. Auch weil es in den 1970er-Jahren in den Bahnhofskinos pseudo-dokumentarische Schmuddelfilme über Kannibalen und ähnliche Zeitgenossen gab. Nein, unschuldig war keiner mehr.
In den 1970er Jahren wurde das filmische Erzählen radikal umgebaut. Steven Spielberg schuf mit „Der weiße Hai“ einen der ersten Blockbuster, George Lucas zog zwei Jahre mit „Krieg der Sterne“ nach. Martin Scorseses düsterer „Taxi Driver“ wurde zu einem Meilenstein der Filmgeschichte. Ebenso wie Michael Ciminos „Deer Hunter“, von den Filmen Stanley Kubricks ganz zu schweigen. 

In Deutschland kämpfte man mit den Folgen der Öl- und Wirtschaftskrise, der Terror der RAF beherrschte die Schlagzeilen. Im deutschen TV glänzte Rainer Erler mit „Das blaue Palais“ - Wissenschafts-Thriller im Serienformat -, auch TV-Mehrteiler (so hießen damals die Mini-Serien)
sorgten für Furore im gemütlichen Familienkreis und Literaturverfilmungen wie Eberhard Fechners „Tadellöser & Wolff“ lockten die Zuschauer in Massen vor die Glotze. Im „Tatort“ provozierte Götz George als „Schimanski“ und die DDR erfand den „Polizeiruf 110“, um den Westen zu zeigen, wo der kriminalistische Hammer hängt. Es gab also sehr viel Neues zu verdauen. Die durch die „Feuerzangenbowle“ und die Heimatfilme der 1950er-Jahre sozialisierte Kriegsgeneration kam aber häufig mit der neuen Ästhetik des Kino- und Fernsehprogramms nicht klar. Für die Jüngeren war besonders die „New Wave“ des US-Kinos dagegen eine Erlösung. Wer kennt eigentlich noch Peter Bogdanovic?

Doch der ruppige Naturalismus von George R. Romero war eine andere Hausnummer. Dieser Stil hatte sich 1968 in „The Night of the Living Dead” angedeutet. „Dawn of the Dead“ legte noch eine Schippe drauf. Man war geschockt, aber man ahnte auch, dass Romeros Film mehr war als ein billiger Horrorreißer à la
Die Nacht der reitenden Leichen, mit dem der Verleih eine schnelle Mark machen wollte. Selbst der Katholische Filmdienst ließ sich von Romeros Film hinreißen: „Die naturalistische Kraßheit der Inszenierung attackiert bewußt die Übelkeitsschwelle des Zuschauers; durch raffinierte Publikumslenkung erreicht Romero ein Höchstmaß an Suggestion und Irritation. Nebenbei läßt der Film durchblicken, daß er als Metapher für die selbstzerstörerische Konsumgesellschaft gedacht sei.“

Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen kritischen Ansatz beim ersten oder beim zweiten Mal bereits spürte.
„Dawn of the Dead“ bot zunächst andere Schrecken: ein hektische Diskussion in einem Fernsehstudio zeigte in den ersten Minuten, dass die Gesellschaft schlicht und ergreifend vor dem Kollaps steht. Die Toten wandern durch die Städte und fressen die Lebenden auf, das Kriegsrecht ist verhängt worden und die Menschen sollen sich in Sicherheitsunterkünften sammeln. 
Ein Studiogast, der die sofortige Termination der Untoten verlangt, wird von der Studiocrew niedergebrüllt und vom Moderator der Sendung aggressiv angefahren. 

Wenn man „Dawn“ in Corona-Zeiten sieht, interpretiert man diese Szene mittlerweile anders, denn die Wütenden, die sich dem vermeintlich Offensichtlichen verweigern, erinnern einen doch sehr an die Querdenker, die sich ebenfalls mit blanker Wut den Fakten entziehen.
Dass die Plage durch die Untoten pandemische Züge annahm, war 1980 aber kein Thema. Witzig war allerdings, dass der humanitäre Widerstand der Studiocrew gegen die Vernichtung von Untoten die späteren Argumente der deutschen Zensur vorwegnahm.
Diese Assoziationen  zeigen, dass das Allegorische in Romeros Filmen auf zeitlose Weise offen ist für Neudeutungen. Das gilt für alle Allegorien und auch für alle späteren Zombiefilme Romeros. Und wenn Francine in der Shopping Mall in einer letzten Talkshows einen Zombie-Pandemie Experten sieht, der verzweifelt mehr Logik und Rationalität verlangt und der Moderator ihm mit dem Satz „Das können sie von Menschen nicht erwarten!“ in die Parade fährt, erkennt man, dass „Dawn“ mit all seinen Facetten besonders in Corona-Zeiten noch nicht auserzählt ist.

Obwohl es vermutlich eine Virus-Pandemie war, die die Toten auf schauerliche Weise reanimiert, war „Dawn of the Dead” zunächst kein post-apokalyptischer Film. Er kündigt aber die Apokalypse an und hielt die schnell grassierende Anarchie mit atemlosen Bildern fest. Trügerisch war eine Sequenz, die andeutet, dass sich die Gesellschaft zunächst gegen die wandelnden Leichen wehren kann. Stephen, der „Flyboy“ (David Emge), Peter (Ken Foree), Roger (Scott H. Reiniger) und Francine (Gaylen Ross) beobachten nämlich bei ihrer Flucht mit dem Helikopter, wie einige Dutzend Rednecks das Abschießen von Zombies zu einem Volksfest mit Bier und Barbecue machen.
Zuvor hatte Romero bei der Erstürmung eines Hauses durch die Nationalgarde, in dem Portorikaner ihre Toten beschützen wollen, dass die großen Metropolen unmittelbar vor dem Zusammenbruch stehen. Romero skizziert überdeutlich den Rassismus, der einige Trooper motiviert. So läuft der Soldat Wooley (James A. Baffico) nach der Erstürmung Amok und wird von Peter erschossen. Danach verwandelt sich die schlecht koordinierte Aktion in pures Chaos, die Soldaten werden von den Untoten überrannt, im Keller erschießen Roger und Peter Zombies, die sich in Leichensäcken winden, während andere Zombies genüsslich an menschlichen Knochen nagen. Schließlich erschießt sich ein junger Soldat, der den Irrsein nicht mehr ertragen kann.
Schockierend waren in de 1980er-Jahren natürlich die Splatter-Einlagen, die Romero zelebrierte. Dass ein Untoter seiner Frau ein großes Stück Fleisch aus Schulter und Arm herausbeißt, war übel, aber noch verstörender war, dass sich Mitglieder der Nationalgarde gegenseitig erschossen oder verzweifelt Suizid verübten. Atmosphärisch ging auch aufgrund der pushenden Musik viel stärker die Erkenntnis unter die Haut, dass es keine Rettung geben würde. Die Gesellschaft wird unweigerlich untergehen und Helden gibt es nicht mehr. Auch die Hauptfiguren hatten wenig zu erwarten. Präziser konnte man den gesellschaftlichen Zerfall nicht skizzieren. Doch dann landeten Stephen und Francine, Peter und Roger auf dem Dach einer Shopping Mall.

Ist „Dawn“ Gesellschaftskritik oder Satire? Oder beides?

Natürlich ging es Romero in dem Film weniger um die Untoten, sondern mehr um die Überlebenden und damit um die Frage, die sich bereits in „Night of the Living Dead“ stellte und später dann auch in der AMC-Serie „The Walking Dead“: Was macht eine Apokalypse aus uns und unseren moralischen Werten? Können wir solidarisch handeln oder triggern uns egoistische Motive, die erst durch einen gesellschaftlichen Kollaps sichtbar werden? Wie organisieren wir uns ökonomisch in einer Krise, die die Ökonomie zerstört?

Die Protagonisten in „Night of the Living Dead” hatten bis auf die farbige Hauptfigur überwiegend versagt, in „Dawn“ ist die Sache nicht ganz so einfach. Roger ist der hedonistische Spaßtyp, nicht sonderlich intelligent, aber risikobereit. Dann wird er gebissen, aber auf dem Sterbelager schreit er: „We’ve got it all!“ Damit war natürlich das Leben im Überfluss gemeint, das die Shopping Mall versprach.
Ähnliches muss auch „Flyboy“ Stephen durch den Kopf gegangen sein, als eine Rockerbande die Mall plündert. Gegen alle Vereinbarungen beginnt er auf die Eindringlinge zu schießen, was zu seinem Tod führt.
Die Rockersequenz sollte man nicht unterschätzen. Durch sie entlädt sich ein konzeptloser Konsumrausch, den die vier Überlebenden einfach aussitzen konnten. Die Bande rafft nämlich planlos Sachen zusammen, deren Wert für das Überleben in der Zombie-Apokalypse gering ist: Geld, billigen Modeschmuck, Klamotten. Ansonsten frönen die Rocker dem Zombie-Killing, wenn sie nicht gerade slapstickartig den Untoten Torten ins Gesicht schmeißen. Nur sieht Stephen das ganz anders, er kann nicht einmal den Verlust von Ramsch ertragen und beginnt zu schießen – er ist das perfekte Beispiel für einen spießigen Kleinbürger, der das hart Erarbeitete nicht hergeben will.

Während Stephen und Roger aus unterschiedlichen Gründen scheitern, hat Romero die Fähigkeit zur Reflexion den anderen beiden Hauptfiguren zugeschrieben. Peter erkennt klar, dass das Quartett im Kern auch nur aus Plünderern besteht. Er denkt strategisch und ist sich im Klaren darüber, dass Pragmatismus und Weitsicht darüber entscheiden, wie lange man überlebt. Und Francine, die schwanger ist, führt einen emanzipatorischen Selbstbehauptungskampf in der männerdominierten Gruppe, den man aktuell sicher aufmerksamer bewerten wird als vor 40 Jahren. Francine lernt, den Helikopter zu fliegen, irgendwann kann sie auch gut schießen, aber entscheidend ist, dass sie ihren Freund Peter zunehmend realistischer einschätzt und konsequent einen Heiratsantrag zurückweist. Es ist typisch für den inhärenten Moralismus von Romero, dass er am Ende Francine und Peter am Leben lässt (im ersten Drehbuchentwurf überlebt niemand).

George A. Romero hat auch später seine Figuren in moralischer Hinsicht lehrstückhaft entwickelt, was nicht immer so gut wie in „Dawn“ funktionierte, aber überwiegend konnte Romero in seinen Filmen eine zu starke Formelhaftigkeit vermeiden. Das änderte nur wenig daran, dass die
„Dawn of the Dead“ unterstellte Sozialkritik nicht leicht zu beschreiben ist. Simple Analogieschlüsse, wie sie „Neue Constantin Film“ im Presseheft lieferte, lieferten andere Deutungen ab, hatten aber einen schalen Geschmack: „In der Brutalisierung, dem Fehlen jeder menschlichen Regung bei den Zombies, (…) zeigt sich die Brutalisierung des Menschen.“ Das klang hilflos.

Romero selbst sah in der Shopping Mall dagegen den „Inbegriff des modernen amerikanischen Konsumterrors“, sprach seinem Film aber sozialkritische Intentionen ab: „Es ist ein Film über die Gier – der Lebenden sowie der lebenden Toten, die ja schließlich ein Teil unserer selbst sind. Vor allen Dingen ist es auch ein phantastischer Film (…) schon als Kind wurde ich von Phantasien angeregt, die schon immer und auch heute noch der beste Motor für eine Geschichte sind“ (Presseheft Constantin Film).

Trotzdem ließen einige satirische Elemente, etwa den Spaß, den Roger und Peter beim Plündern haben, erkennen, dass Romero den spielerische Umgang mit dem verbotenen Überfluss auf die Schippe nehmen wollte. Die satirischen Elemente sollte man aber besser nicht überschätzen, auch wenn einige witzige Einfälle dazu einladen. Romero hatte eher, was noch zu zeigen sein wird, ein hartes Drama im Sinn.
Aber der leicht anti-kapitalitische Duktus des Films war nicht mehr wegzureden. George A. Romero lernte schnell, dass er seinen Kopf nicht ohne Weiteres aus der Schlinge ziehen konnte. Zu bedeutend waren die Deutungen der Filmkritik für seine Arbeit und seine Reputation als Künstler. Seine späteren Zombiefilme lieferten daher genau das ab, was wohlwollende und an kräftiger Sozialkritik interessierte Kritiker von ihm erwarteten.
Als Romero dann 2005 „Land of the Dead“ in einem Interview seinen neuen Film interpretierte, hörte sich alles anders an als fast drei Jahrzehnte zuvor: „Es geht um das Ignorieren von Problemen. Es geht um Armut, Aids und Obdachlosigkeit. In meinem Verständnis sollten Filme immer die Zeit reflektieren, in der sie gedreht werden. Das gilt besonders für die sozialpolitischen und gesellschaftlichen Aspekte. Und die Schere zwischen Arm und Reich wird nun mal immer größer in Amerika… Das ist ja das, worum es heutzutage geht in Bushs Amerika.“

Aber auch ohne dieses Statement konnte man allerdings in „Night“ sehen, dass Romero doch wohl von Anfang an einige Ideen hatte, die viel mit Rassismus und sozialer Ungerechtigkeit zu tun hatten und die er später relativierte, bevor er sich zu seinem Image bekannte. Oft genug wurden diese Ideen holzschnittartig umgesetzt, aber mit einem erzählerischen Talent, das allerdings erheblichen Schwankungen unterlag. „Land of the Dead“ (2005), übrigens ein üppig finanzierte Studiofilm, war eher schwach. „Diary of the Dead” (2007) halte ich für eine außergewöhnlich gelungene Auseinandersetzung mit Medien, Internet und Fake News, so als hätte Romero geahnt, was uns heute beschäftigen würde.
Vermutlich wird Romero als Schöpfer von „Dawn“ im Gedächtnis der Zuschauer dauerhaft überleben, zum Künstler von Format wurde er aber durch „Diary of the Dead”. Seine Filme waren und blieben aber bis heute Projektionsflächen für Deutungen unterschiedlichster Art.

Kunst oder Trash? Oder: Die Freuden der Zensur

Schauen wir uns eine steile These an: Wäre „Dawn of the Dead“ das, was Jugendschützer in ihm sahen, nämlich eine sinnlose Aneinanderreihung von Gräueltaten, wäre die Indizierung früher aufgehoben worden – aber die Attacke auf die kapitalistischen Konsumtempel war einfach zu viel, sie brach Romeros Film das Genick.
Das ist vermutlich Humbug, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Jugendschützer erkannten, dass „Dawn“ kein triviales C-Movie war, sondern das der Regisseur und Autor möglicherweise einer ideologiekritischen Idee folgte. Vielleicht waren ja Figuren, die sich schamlos Waren aneigneten, ohne dafür zu bezahlen, das eigentliche Ärgernis.

Dass
„Dawn“ ins Räderwerk der Zensur geraten würde, war zunächst nicht abzusehen. Die Wucht, mit der „Dawn of the Dead“ den Zuschauer in der ersten halbe Stunde überrannte, war Anfang der 1980er-Jahre beispiellos. Ein mieser Splatterfilm hätte kaum diese Naturgewalt entfesseln können. Erst recht nicht am Anfang dieser Dekade. Allein in Deutschland sahen drei Millionen den Film. Fast 200 Mio. US-Dollar spielte „Dawn“ inflationsbereinigt ein, und dies bei Produktionskosten von 500.000 Dollar. Damit hatten im ersten Anlauf 5% aller Deutschen „Dawn“ gesehen – der Film war zum Kultklassiker geworden.

Angesichts der nachfolgenden Zensurgeschichte, die „Dawn“ bis 2019 begleitete, und auch angesichts der angewiderten Reaktionen einiger Kritiker war die enthusiastische Kritik des amerikanischen Kritikerpapstes Roger Ebert im Jahre 1979 eine faustdicke Überraschung: „Dawn of the Dead is one of the best horror films ever made (…). It is gruesome, sickening, disgusting, violent, brutal and appalling. It is also (excuse me for a second while I find my other list) brilliantly crafted, funny, droll, and savagely merciless in its satiric view of the American consumer society. Nobody ever said art had to be in good taste.“

Ebert zufolge war
nicht der als „Schundfilm“ und Trash titulierte Film verkommen und verdorben, sondern vielmehr eine Geschichte über die Verkommen- und Verdorbenheit: die wahre Amoralität sei bei den Überlebenden zu finden, befand Ebert. Sie haben so viel, aber wollen immer mehr („Now look who's fighting over the bones!“).

„Zombies im Warenhaus“ hieß der Film eine Zeitlang. Ein idiotischer Titel, der wenigstens die Schlüsselrolle des Hauptteils punktgenau traf. Aber es ging im Warenhaus nicht um die Zombies, die beinahe instinktiv zu dem Konsumtempel zurückkehrten, der zu Lebzeiten einer ihre Lebensmittelpunkte gewesen war. Es ging um die Überlebenden, die sich einen typischen Kindertraum erfüllten – einmal eine Nacht im Kaufhaus verbringen zu dürfen und sich alles nehmen, was man sich wünscht. Diese Konsumorgie dürfte auch bei den Zuschauern intuitiv eine große Sympathie für die Protagonisten erzeugt haben.

Dass die Shopping Mall zuvor von Untoten gereinigt werden musste, half später der Zensur, den Film als faschistisch zu verurteilen. Immerhin sahen die Untoten zum Teil noch wie Menschen aus, waren aber tatsächlich fleischfressende Monster. Das korrigierte Romero zwar in „Day of the Dead“, in „Dawn“ konnte man keine Zweifel an der Natur der Zombies haben.
Drei Jahre nach dem Kinostart war die Messe gelesen. „Dawn“ wurde attackiert, weil er Jugendliche dazu auffordere, soziale Konflikte mit Gewalt zu lösen. Dabei gelangten die Jugendlichen gar nicht in den ab 18 Jahren freigegebenen Film. Andere Kritiker verglichen die Überlebenden, die sich im Warenhaus eingenistet hatten, mit den weißen Aggressoren, die die Indianer vernichteten. Wiederum andere sahen Nazis am Werk, die Zombies wurden posthum und stellvertretend zu Opfern des Holocaust erklärt. Und als sich einige Vorwürfe schnell als absurd entpuppten, erklärte man die Zombies ganz einfach zu menschlichen Wesen, die per Genozid ausgelöscht wurden. 

Als Romeros Horrorfilm dann in den bundesdeutschen Videotheken auftauchte, schritt die Bundesprüfstelle ein. Die Begründung der Indizierung war ein Witz. Besonders eine Passage war an Boshaftigkeit nicht mehr zu überbieten: „Die wenigen Zwischenhandlungen, in denen keine Brutalitäten geschildert werden, dienen lediglich dazu, die Darstellung neuer Gewaltszenen vorzubereiten.“ Dass das Gegenteil der Fall war, konnte jeder mühelos erkennen.

Dennoch wurde „Dawn“ in speziellen Bereichen der Videotheken weiter verliehen, ehe der Film 1991 der Film vom Amtsgericht Bochum beschlagnahmt wurde. Selbst extrem verstümmelte Fassungen des Romero-Films konnten sich dieser Praxis nicht entziehen. Eine umfassende und lesenswerte Retrospektive des Themas gibt es auf schnittberichte.com.
Kaum zehn Jahre später kam es ab 2010 zu der abstrusen Situation, dass die AMC-Serie „The Walking Dead“ in beinahe jeder Folge härtere Splatterszenen zeigte als in „Dawn“ und die Serie nicht nur bei SKY, sondern auch im deutschen TV präsentiert wurde. Dass sich Kinder damit vergnügen konnten, wurde allein schon deshalb möglich, weil auch auf YouTube immer wieder die aktuellen Folgen auftauchten, bevor der jeweilige Account gelöscht werden konnte.
Um nicht falsch verstanden zu werden: 2013 untersuchte ich die Dilemmata des Jugendmedienschutzes und kam zu dem Schluss: „Persönlich mache ich keinen Hehl daraus, dass ich ein Romero-Fan bin und auch „The Walking Dead“ in meine Top Five aufgenommen habe. Trotzdem glaube ich, dass TWD nicht ins Fernsehen gehört: die Serie ist ein Angebot für Erwachsene, Ausstrahlungen nach 23.00 Uhr bieten nicht die geringste Kontrolle für die Eltern und sind ein hilfloser Fake, da Medienforscher ermittelt haben, dass bereits 8-10-Jährige sowohl über einen PC als auch über ein TV-Gerät verfügen. Kontrollen gehen auch deshalb an den Realitäten vorbei, weil Kinder technisch in der Lage sind, im Internet uneingeschränkt auf nicht altersgerechte Inhalte zuzugreifen.“ Dies konnte durch einige Studien der Medienforschung belegt werden.

Tatsächlich hatte die Zunahme der brutalen und sadistischen Kino-Machwerke à la „Saw“ gezeigt, dass bei der Darstellung exzessiver Gewalt die letzten Hemmschwellen gefallen waren. Umso absurder erschien Anfang des neuen Jahrtausends die gnadenlose Konsequenz, mit der „Dawn of the Dead“ immer wieder auf dem Index landete. Und das, obwohl der erste Film des Regisseurs mittlerweile vom Museum of Modern Art in den Katalog der wichtigsten Kunstwerke aufgenommen woren war.

Die Beschlagnahme des Films hatte allerdings auch ihre guten Seiten, denn Zensur verstärkt die Mythologisierung eines Kunstwerkes um ein Vielfaches. „Dawn of the Dead“ wie auch „Day of the Dead”, Romeros dritter und vermutlich bester Teil der Zombie-Trilogie, wurden zu begehrten Sammlerobjekten. Und wer Bescheid wusste, reiste ins liberale Holland nach Amsterdam und deckte sich dort mit all den Filmen ein, die in Deutschland aus den Regalen gefegt worden waren. Dies gehörte zu den Freuden der Zensur, die man bald zu schätzen wusste.

Die Special Edition von Koch Media

Nun also liegt der Kultklassiker in einer Box vor, die alle relevanten Schnittfassungen enthält. Zunächst ein Hinweis: in deutscher Synchronisation gibt es nur den Argento-Cut, also die europäische Fassung. Romeros Theatrical Cut (US-Kinofassung) und die Extended Cannes-Cut sind deutsch untertitelte Original-Fassungen.
Folgende Editionen sind zu haben:
Bluray im Keep Case, VHS-Edition, Mediabook mit Ultra HD und Special Edition.

Die Special Edition beinhaltet: eine UHD Bluray mit dem ungeschnittenen Argento-Cut, sechs normale Blurays (Argento-Cut, Vollbild Argento-Cut, US-Kinofassung, Extended Cannes-Cut sowie zwei Blurays mit sehr viel Bonus-Material).
Zudem enthält die Special Edition eine Soundtrack-CD, ein sehr gut geschriebenes 27-seitiges Booklet, zwei Filmplakate, sechs Artcards und einen Nachdruck des deutschen Constantin-Pressehefts.

Die Bildqualität des Argento-Cuts ist gut bis sehr gut. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass die Bluray dieser Schnittfassung sogar besser ist als die 4K-Fassung, obwohl das technisch nicht möglich sein sollte. Mit satten Farben, eine überzeugenden Schärfe und einem kräftigen Schwarz überzeugt auch die US-Kinofassung. Die UHD-Version bietet dagegen keinen Zuwachs an Qualität, was eigentlich nicht überrascht, weil UHD-Auflösungen überschätzt werden. Die volle Wirkung im Farbspektrum, den Schwarzwerten und bei der Bildschärfe wird nur dann erreicht, wenn das Ausgangsmaterial bereits digital in 4 K produziert wurde. Zudem handelt es sich bei der 4K-Fassung von „Dawn“ um natives 4K. Also ohne HDR.

Deutlich schlechter ist die Bildqualität des Extended Cannes-Cuts, der eher wie eine durchschnittliche DVD aussieht, wobei sogar gut gemasterte DVDs von älteren Filmen den Cannes-Cut locker in die Schranken weisen.

Wer sich inhaltlich für die Schnittfassungen interessiert, wird allerdings erstaunliche Entdeckungen machen. Der Argento-Cut ist dafür bekannt, dass einige satirische Elemente fehlen. Interessant ist, dass auch einige Splatterszenen fehlen, die man nun im Extended Cannes-Cut sehen kann. Diese Fassung enthält auch Szenen, die in einigen Bootleg-Versionen enthalten sind.

Am interessantesten ist jedoch die Musik. Während der Extended Cannes-Cut offenkundig einen notdürftig zusammengeschusterten Soundtrack enthält, zeigt die US-Kinofassung, dass es Romero darum ging, auch musikalisch eine düster-dramatische Grundstimmung zu erzeugen, die nur wenig mit Argentos Stil zu tun hat. Zwar tauchen auch in Romeros Cut die „Goblins“ auf, aber man hat durchgehend das Gefühl, ein pessimistisches Drama zu sehen und keine comichafte, ironisierende Geschichte, wie sie Argento erzählt. Im Prinzip sieht man einen anderen Film. Das nur zur Schlüsselfunktion der Filmmusik, die man in der Special Edition lehrbuchreif vorgeführt bekommt.
Zusammengefasst ist die Special Edition von Koch Media das Nonplusultra, das auch allen Filmenthusiasten empfohlen werden kann, die kein UHD-Equipment besitzen. Besser wird man Romeros Film für lange Zeit nicht zu sehen bekommen.