Sonntag, 7. März 2021

Greenland

Dem neuen Film von Gerard Butler war in den Kinos nur eine kurze Zeit vergönnt. In den USA wurde der Kinostart mehrfach verschoben. Am Ende sorgte die Corona-Pandemie dafür, dass „Greenland“ per Video on Demand vermarktet wird. In Deutschland ist er bei mehreren Streaming-Anbietern zu sehen.
Erzählt wird die Geschichte einer Familie, die versucht, vor dem Einschlag eines riesigen Meteors eine unterirdische Bunkeranlage in Grönland zu erreichen, die von der US-Regierung für den Fall eines globalen Massensterbens gebaut wurde. „Greenland“ ist kein herkömmlicher Katastrophenfilm, sondern ein emotionales Familiendrama, das über weite Strecken sehenswert ist. Auch wegen Gerard Butler und Morena Baccarin, die ihre Rollen sehr glaubwürdig spielen.

Wer glaubt, dass Gerard Butler nur zur B-Liga der mit Testosteron abgefüllten Macho-Stars in Hollywood gehört, der irrt sich gewaltig. Und zwar aus zwei Gründen. Einer ist verblüffend: der britische Schauspieler gehört laut einem Ranking des Magazins „People With Money“ nicht nur zu den bestbezahltesten Stars des Jahres 2021, nein, er führt diese Liste mit 58 Mio. Dollar sogar an. 
Doch stopp! Alles erstunken und erlogen. Denn der Quelle, dem Satiremagazin „mediamass“, darf man kein Wort glauben. Wer es dennoch tut, verbreitet anschließend in den Social Media die ‚Fakten‘, dass Greta Thunberg pro Jahr 75 Mio. US-Dollar mit Kosmetika und einer eigenen Wodka-Marke erwirtschaftet. Manche glauben es nur zu gerne…
Der andere Grund ist aber wahr. Der 51-jährige Gerard Butler („Olympus Has Fallen“) hat sich eine kleine Nische in der Riege der Tough Guys erobert, die von Dwayne Johnson (87,5 Mio.) angeführt wird. Und zwar aufgrund seiner grüblerisch-väterlichen Attitüde, mit der er seiner Figur auch in „Greenland“ einen familien-kompatiblen Touch gibt.

Ein Familienfilm mit vertrauten Mustern und neuen Akzenten

In dem Film des ehemaligen Stuntman Ric Roman Waugh (Regie in „Angel Has Fallen“) wird ein Meteor unwiderruflich auf der Erde einschlagen und ein globales Massensterben auslösen. Gerard Butler spielt in dem ausbrechenden Chaos einen von Schuldgefühlen zerfressenen Vater, der nur noch ein Ziel kennt: seine Familie vor dem bevorstehenden Weltuntergang zu retten. „Greenland“ rückt diesen Konflikt in den Mittelpunkt, die Vorboten des Untergangs sind beinahe nur Staffage. Das unterscheidet den Film von anderen Weltuntergangsszenarien der letzten beiden Dekaden.
„Greenland“ ist also im Kern ein Familienfilm. 
Der Super-Gau findet nur nebenbei statt, denn die von Butler gespielte Hauptfigur John Garrity hat alle Hände voll damit zu tun, sich mit seiner Familie zu versöhnen und sie in einen unterirdischen Bunker der Regierung zu bringen. „It becomes this fight for survival, but with a family you’re already grounded with and care about. It becomes this road trip to save themselves, and also what they experience along the way and how is the rest of humanity dealing with this”, beschrieb Butler die moralische Botschaft des Films in einem Interview.

Die riesige Bunkeranlage liegt in Grönland und wer Englisch kann, weiß, woher der Filmtitel kommt. Und nein: „Greenland“ ist kein Öko-Thriller, denn neun Jahre nach dem Inferno treten die Überlebenden vor die Tore der Anlage – und da ist nix mehr mit Öko. Nur Schutt und Asche. Immerhin hört man Vögel zwitschern.

Natürlich rettet Gerard Butler seine Familie. Das ist kein Spoiler, sondern ungeschriebenes Genre-Gesetz. Warum „Greenland“ dann doch recht spannend ist, ist verblüffend und bedarf einer Erklärung. Ganz sicher liegt es nicht daran, dass alles vorhersehbar ist. Oder doch?

Zumindest die Grundpfeiler der Geschichte sind nicht neu, sie entsprechen vertrauten Mustern. John Garrity ist als Hochbau-Ingenieur ein Spezialist seines Faches. Leider hat er sich einen Seitensprung gestattet, was irgendwie nicht zu Butlers Figurentypus passt und auch nicht zu seiner fiktiven bildhübschen Frau Allison (Morena Baccarin: „V - Die Besucher“, „Homeland“). Thematisiert wird Johns Fehltritt in dem Film aber nur am Rande.
Zur beschädigten Familie gehört auch der kleine Nathan (Roger Dale Floyd), der Typ 1-Diabetiker ist. Während einer Geburtstagsparty für Nathan erfahren die Garritys, dass kleine Bruchstücke eines Kometen auf der Erde einschlagen werden. Schlimmer soll es nicht werden, das Ganze ist eher ein TV-Event für die ganze Familie.

Bedrohlich wird die Situation erst, als John eine Messenger-Nachricht von der Homeland Security erhält: Zusammen mit seiner Familie gehört er zu einem illustren Kreis von Auserwählten, die an einen sicheren Ort evakuiert werden sollen. Dann schlägt ein größerer Brocken des Kometen nicht wie angekündigt im Meer ein, sondern verwüstet die Stadt Tampa (Florida) und das Meiste im Umkreis von einigen hundert Kilometern. Sofort brechen die Garritys fluchtartig auf und lassen verstörte und verzweifelte Nachbarn zurück. Auch die Bitte, eines der Kinder mitzunehmen, muss John zurückweisen. Das Ziel ist die Robins Air Force Base, wo bereits zahlreiche Flugzeuge auf die Survivor warten sollen. Identifiziert werden die Auserwählten mithilfe eines Armbands. Nun muss der Ehebrecher beweisen, dass er es wert ist, die Rolle als Familienoberhaupt zu übernehmen.

Der Rest ist tatsächlich vorhersehbar, denn alles Erwartbare geht schief. Auf den Straßen tobt und plündert der Mob, die Highways sind verstopft. Und als die Familie die Air Base erreicht, lässt man ausgerechnet das Insulin für Nathan im Wagen liegen. John rennt zum Wagen zurück, gleichzeitig erfährt Allison, dass chronisch Kranke nicht evakuiert werden. Dann stürmt der bewaffnete Mob die Base. Es wird geballert, Kerosintanks werden getroffen und die Flugzeuge explodieren in einem Feuerball. Die Familie wird getrennt. Allison will sich nun nach Lexington (Kentucky) durchschlagen, wo ihr Vater Dale lebt. John findet später eine Nachricht seiner Frau im Auto und will ihr folgen – die Odyssee beginnt.

Unweigerliche Katastrophen

Erzählfloskeln gehören zu Katastrophenfilmen wie das Salz zur Suppe. Noch vor einigen Jahrzehnten galten sie noch als ein Nebengenre des Science-Fiction-Films. In den 1950er-Jahren erzählten die sogenannten Doomsday (Jüngstes Gericht) -Filme wie „Five“ (Arch Obeler, 1951) dem Zeitgeist folgend weniger von Meteoren oder Asteroiden, sondern vom atomaren Weltuntergang. Und von Menschen, die nichts dazugelernt hatten: Fast alle gehen in „Five“ aufgrund ihrer Schwächen zugrunde. Überleben dürfen die moralisch Tugendhaften.


Auch in Stanley Kramers „On the Beach“ (Das letzte Ufer, 1959) war das Menschenbild pessimistisch, aber mehr noch das Ende des Films. Nach einem Atomkrieg ist nur ein Teil Australiens nicht zerstört worden, aber die die Überlebenden werden durch radioaktive Wolken bedroht. Trotz aller Versuche wird keine Rettung gefunden, der Staat verteilt Selbstmord-Pillen an die Bevölkerung, während sich die Protagonisten in Kramers Film jeweils auf individuelle Weise umbringen. Düsterer ging es nicht.

„On the Beach“ veränderte das Genre nachhaltig. In der Post-Doomsday-Ära interessierten sich die Filmemacher einige Jahre später noch intensiver für soziale und politische Subthemen. „In den fünfziger Jahren wurde von unausweichlichen Katastrophe berichtet, in den sechziger Jahren wurde gezeigt, wie sie von Menschen selbst angerichtet wird,“ schrieben Bernhard Roloff und Georg Seeßlen 1980 rückblickend.

In den 1970er-Jahren löste sich das Genre von diesen Implikationen und kehrte zu seiner Rummelplatz-Geschichte zurück. Teure Filme mit einem großen Aufgebot an Stars (Allstarfilm) sollten die Antwort auf die New Generation sein, also jene Regisseure, die mit neuen Geschichten und neuer Ästhetik das alte Kino herausforderten. Die etablierten Studios reagierten mit spektakulären Effekten, bei der Figurenzeichnung griff man tief in die Mottenkiste der Stereotypien.
Zu den Topoi gehörten in dieser Dekade, dem Golden Age des Katastrophenfilms, wieder einmal Figuren, die aufgrund ihrer moralischen Defizite den Helden immer wieder ins Handwerk pfuschten. Auch die Tapferen folgten bekannten Mustern: es gab den ungehörten Warner vor dem großen Unglück, den heldenhaften Retter, der eine Gruppe von Hilflosen in Sicherheit bringt, den Selbstlosen, der bereit ist, sich für andere zu opfern. 

Gleichzeitig war die analoge Tricktechnik so weit entwickelt, dass die Zerstörungsszenarien einigermaßen realistisch gezeigt werden konnten. Auch wenn am Ende die Welt unterging: Alles endete für die Hauptfiguren gut. Ein Hoffnungsschimmer musste sein, auch die Aussicht auf eine vertraute Normalität. Gerade in Corona-Zeiten hört sich dies vertraut an. Filmhistoriker sprachen daher von „restaurativen Happy-Ends“, die davon ablenken sollten, dass die Effekte im Mittelpunkt standen.

Das Revival des Katastrophenfilms in den letzten drei Dekaden kam ebenfalls ohne stereotype Figuren nicht aus. Dazu gehörten auch die gescheiterten Väter und Ehemänner wie die von John Cusack gespielte Hauptfigur in Roland Emmerichs „2012“ (2009) oder der von Maximilian Schell gespielte Vater, der in Mimi Leders „Deep Impact“ (1998) seine Frau und seine Tochter wegen einer Jüngeren verlässt und verzweifelt versucht, das Vertrauen seiner Tochter zurückzugewinnen.
Im klassischen Filmdrama oder im Melodram gehören diese Konflikte zum Sujet, sie sind das Thema der Geschichte. Im Katastrophenfilm sind sie der sich nie ganz auflösende Katalysator, der beim Publikum für eine emotionale Bindung sorgt.
Dass die Konflikte nicht nur durch familiäre Krisen, sondern auch durch menschliche Defizite wie Egoismus, Aggression, Hass, Vorurteile und moralischen Versagen ausgelöst werden, gehört daher auch in den Desaster-Filmen der jüngeren Vergangenheit zu den scheinbar unvermeidbaren Erzählfloskeln, auch wenn man diese zum x-ten Mal gesehen hat. Blockbuster gehen kein Risiko ein.

Auch in „Greenland“ funktioniert dies nicht anders, etwa wenn Allison und Nathan von Ralph und Judy Vento (David Denman, Hope Davis) mitgenommen werden. Die zunächst freundlichen Ventos gehören nicht zu den Auserwählten. Dann hat Ralph eine Idee: er zerrt Allison aus dem Wagen, raubt ihr das Armband und fährt mit Nathan davon. Aber Waugh und sein Drehbuchautor Chris Sparling zeigen keine skrupellose Bösewichter, sondern verzweifelte Menschen, die sich die Tat schönreden, weil sie glauben, dass Nathan bei ihnen eine größere Überlebenschance hat.

Auch John Garrity wird mit Gewalt konfrontiert, als ihm Nationalisten das Armband abnehmen wollen, weil ihrer Meinung nach nur gebürtige US-Amerikaner ein Recht auf Rettung haben. John ist aber Schotte. Es bleibt die einzige klitzekleine politische Anspielung, die sich Regisseur Ric Roman Waugh gestattet. Die Auseinandersetzung endet letal, auch John muss einen Angreifer töten.
In der letzten halben Stunde von
„Greenland“ zieht Ric Roman Waugh noch einmal alle Register. Zwar finden die Versprengten in Lexington bei Allisons Vater Dale (der 80-jährige Scott Glenn in einer schönen Nebenrolle) zusammen, aber es bleibt der Familie nur noch wenig Zeit, da der Komet in 24 Stunden in Europa einschlagen wird. John hatte zuvor erfahren, dass es in Kanada noch einige private Flüge nach Grönland geben wird. Sie brechen auf. Eigentlich ein letzter Versuch, der nicht gelingen kann.

Katastrophenfilm mit viel Terror und großer Effizienz

„Greenland“ ist kein gewöhnlicher Katastrophenfilm. Erst recht keiner, der die Geschichte nur benötigt, um eine Zerstörungsorgie zu zeigen. Der Film entwickelt deutlich mehr Aufmerksamkeit für psychologischen Aspekte und setzt dabei neue Akzente, ohne auf bekannte Muster zu verzichten. 

Ric Roman Waughs Film erzeugt dabei keine Spannung im herkömmlichen Sinne, sondern eine Form von Terror, der sich gefühlt gegen den Zuschauer richtet. Jede nur denkbare Katastrophe vollzieht sich mit gnadenloser Gesetzmäßigkeit, die emotional unter die Haut geht. Während Spannung eine reflektierende Distanz zur Handlung und den Figuren ermöglicht, ist Terror manipulativ. Terror und Distanz schließen sich aus, wie die Figuren des Films wird man als Zuschauer zum Getriebenen.
Zu ertragen ist dies nur aufgrund des für dieses Genre typischen Versprechens, dass alles Üble stattfinden muss, aber am Ende ein Happy-End auf die Figuren wartet. 
Dem geht aber eine Sünde voraus: der Voyeurismus. Mit wohligem Entsetzen kann man als Zuschauer der Zerstörung der Welt beiwohnen, ohne selbst in Gefahr zu geraten. Auch die Bilder vom Zusammenbruch der zivilen Ordnung lösen garantiert ambivalente Gefühle aus. Insgeheim kann sich jeder fragen, ob er im Ernstfall nicht auch zu jenen gehören würde, die die Supermärkte plündern würden. Besser ist, wenn man die Antwort für sich behält. Für diese „Guilty Pleasures“ muss der Zuschauer in einem guten Katastrophenfilme seine Absolution erhalten.
„Greenland“ entwickelt bei der Lossprechung des Zuschauers eine große Effizienz, obwohl Ric Roman Waugh das Rad nicht neu erfunden hat. Das liegt daran, dass Gerard Butler und Morena Baccarin ihre Figuren mit einer klischeefreien emotionalen Authentizität spielen. Und am Ende werden in „Greenland“ nicht nur die fiktiven Figuren geheilt, sondern auch die Zuschauer. Immerhin sind sie zwei Stunden bei der Stange geblieben. Auch wenn vieles erwartbar gewesen ist, so funktioniert es in „Greenland“ ziemlich gut. Gut, reden wir also nicht länger von Terror – anders formuliert: der Film ist unerträglich spannend.


Note: BigDoc = 2,5

 

Greenland – USA 2020 – Laufzeit: 120 Minuten – Regie: Ric Roman Waugh – D.: Gerard Butler, Morena Baccarin, Roger Dale Floyd, David Denman, Hope Davis Scott Glenn u.a.