Samstag, 3. April 2021

Clara (A Billion Stars – Im Universum ist man nicht allein)

Akash Sherman ist zweifellos ein Talent. Der kanadische Autor und Filmemacher heimste bereits als 16-Jähriger seinen ersten Festivalpreis ein. 2011 wurde sein Kurzfilm „For them, for You“ beim Future of Cinema Film Festival in Michigan mit zwei Preisen ausgezeichnet.
Dass Sherman sich im Science-Fiction-Genre gut aufgehoben fühlt, zeigte vier Jahre später sein erster Film „The Rocket List“. Der erzählt von einer Handvoll Jugendlicher, die angesichts des bevorstehenden Weltuntergangs wichtige Artefakte der menschlichen Kultur in einer Zeitkapsel bewahren wollen. Das 2018 produzierte Drama „Clara“ besteht aus viel Science, am Ende aus noch mehr Fiction und kann mittlerweile gestreamt werden. Es lohnt sich, aber mit Einschränkungen.


Liebe = null

Dr. Isaac Bruno (Patrick J. Adams, Co-Star in “Suits”) arbeitet nach seiner Promotion als Post-Doc an der Ontario University in Toronto. Der Astrophysiker hat sich vollständig der Suche nach außerirdischem Leben verschrieben: er wertet die Daten des Transiting Exoplante Survey Satellite (TESS) aus, der in Intervallen umfangreiche Daten von 30 bis 300 Lichtjahren entfernten Sternen zur Erde schickt. Signifikante Lichtschwankungen sollen den Forschern die Existenz von Exoplaneten verraten, die eine Sonne umkreisen. Befinden sich diese in der sogenannten habitablen Zone, könnten sie sogar Leben beheimaten – von einer Amöbe bis hin zu einer interstellaren Zivilisation. Als Bruno sich ein schmales Zeitfenster ertrickst, um mit einem Teleskop in Chile eigene Daten abzurufen, wird er von der Universität suspendiert.

In Akash Shermans Film ist die Hauptfigur ein Nerd mit Verlusttrauma. Zwei Jahre zuvor verloren Bruno und seine Frau Rebecca (Kristen Hager, „Life“) ihr erstes Kind. Die Ehe zerbrach und nun beantwortet der Post-Doc die Fragen seiner Studenten nach der komplizierten Sinnhaftigkeit seiner Suche nach Aliens damit, dass für ihn die Suche nach menschlicher Liebe noch sinnloser sei. Dass sei keine Meinung. Bruno schreibt aus dem Handgelenk eine komplexe Formel aufs Whiteboard. Das Ergebnis: Liebe = null. Alles sauber berechnet.

Beliebter wird man dadurch nicht. Emotional erkaltet und distanziert aufzutreten, ist ein Problem, wenn man in der Lehre bestehen will. In „Clara“ (der deutsche Verleihtitel „A Billion Stars – Im Universum ist man nicht allein“ ist nicht die schlechteste Wahl) verlangt die Psychologie der misanthropischen Hauptfigur natürlich nach einem emotionalen Antagonisten – und diese Rolle wird die Weltenbummlerin Clara (die 36-jährige Troian Bellisario ist seit 2016 mit Patrick J. Adams verheiratet) übernehmen. Denn Issac Bruno sucht nach einer Assistentin, die ihn für freie Kost und Logis bei der Arbeit unterstützt. Clara und ihr Collie, die weder Referenzen vorweisen können noch irgendwelche Kenntnisse über Physik und Astronomie besitzen, erhalten mangels Alternativen den Job und tatsächlich gelingt Issac und Clara bei der Untersuchung von M-Klasse-Zwergsternen die Entdeckung eines Exoplaneten in einer habitablen Zone. Ihr Pech ist, dass ein indischer Astronom die gleiche Entdeckung gemacht und einige Stunden früher offiziell angemeldet hat.

Sci-Fi und ein bitter-süßes Drama

„Clara“ konnte bei der Kritik nicht punkten. Der Film wurde sogar heftig verrissen: zu trivial sei der Plot, zu uninteressant und unglaubwürdig die Darsteller. Der Kritiker des „Hollywood Reporter“ beklagte sich sogar über das fachchinesische Geschwurbel der Figuren. Das gibt es allerdings nicht. Im Gegenteil: „Clara“ ist sehr anschaulich und akribisch bei der Beschreibung der recht langweiligen Wissenschaftsroutine, bei der endlos Datenblätter gesichtet werden, um die Stecknadel im Heuhaufen zu finden.
Dabei bedient sich Akash Sherman, der zusammen mit James Ewasiuk des Script geschrieben hat, keineswegs platt und ungeschickt bei den üblichen Genre-Konventionen. Natürlich war zu erwarten, dass Clara frischen Wind in das fast schon monomanische Leben des Nerds bringen wird. Isaac verbringt sein Leben vor dem Laptop, Clara war bereits auf allen Kontinenten unterwegs und beherrscht mehrere Sprachen, was sich nützlich erweist, als sie mit Charme und Chuzpe für den geschassten Astrophysiker einige Stunden Nutzungszeit beim Paranal-Observatorium in Chile ergaunert. Allerdings auf Kosten von Issacs engem Freund Dr. Charlie Durant (Ennis Esmer), dessen Job an der Ontario University durch die fragwürdige Aktion gefährdet wird.

Patrick J. Adams und Troian Bellisario spielen nuanciert und glaubwürdig ihre Rollen als Nerd und Muse. Das liegt auch daran, dass Sherman und sein Co-Autor gut recherchiert haben und sehr kenntnisreich ein realistisches Bild der aktuellen Astrophysik zeichnen, das zunächst meilenweit von Klischees und pseudo-wissenschaftlichen Hypothesen entfernt ist. Dass „Clara“ als Mix aus Sci-Fi und bitter-süßem romantischem Drama eine sehenswerte erste Filmstunde hinlegt, ist also das Ergebnis sehenswerter Schauspielkunst im Rahmen einer glaubwürdigen Story.
Akash Sherman erfindet dabei zu keinem Zeitpunkt das filmische Rad neu. So ist in „Clara“ eine romantische Beziehung zwischen Issac und Clara vorhersehbar. Und die funktioniert deswegen, weil Clara das wissenschaftliche Weltbild Isaacs kräftig durchschüttelt und ihm zeigt, dass es auch einen emotionalen und naiv staunenden Zugang zur Natur und damit auch zum eigenen Leben gibt. Spiritualität vs. Empirische Wissenschaft, Gefühl vs. Zahlenketten, mystische Verbindungen vs. Quantenverschränkung.


Dass Isaac seine traumatischen Erfahrungen mit einer streng-orthodoxen Wissenschaftlichkeit bezwingen will, dürfte auch psychologisch mindertalentierten Zuschauern nach einer halben Stunde klar sein. Aber antagonistische Lebensentwürfe haben auch andere Romantic Movies dauerhaft im Plot-Fundus. In „Clara“ repräsentiert die Spiritualität Claras den Gegenpol zu Isaacs eindimensionaler Sichtweise auf sein Leben und die Welt, symbolisch verkörpert durch eine Handvoll Steine, die Clara mit sich führt und die eine quasi-magische Rolle in dem Film spielen werden. Ob dies filmisch rund laufen, hängt von der Originalität der erzählerischen Mittel ab.

Am Ende siegt die Esoterik

Die funktionieren in der letzten halben Stunde nicht mehr, denn „Clara“ läuft am Ende doch kräftig aus dem Ruder. Zunächst fällt Isaac plötzlich ein, dass es Sinn machen könne, nach Exoplaneten zu suchen, die sich eben nicht in einer habitablen Zone befinden. Es ist die Suche nach den falschen Bedingungen. 
Damit stellt Isaac alles auf den Kopf, was ihm heilig war und ausgerechnet die magischen Steine Claras und Isaacs innerer Zugang zum Universum sollen nun darüber bestimmen, wo die Suche beginnen soll. Aber Isaac bricht dieses vom Zufall bestimmte Procedere wütend ab: „Man kann nichts beweisen auf der Grundlage von Gefühlen.“ 
Clara bricht während des Streits zusammen und im Krankenhaus erfährt Isaac, dass Clara aufgrund einer Autoimmunerkrankung nicht mehr lange zu leben hat.

Erzähllogisch ist eine zweite Verlusterfahrung der Hauptfigur nachvollziehbar, wenn sie eine Katharsis auslöst. Die sollte aber realistisch ausfallen. Akash Sherman lässt aber die Mystik triumphieren, denn Claras spirituelle Methode behält Recht – auf eine Weise, die niemand für möglich gehalten hat. Schon gar nicht Isaac, der schließlich mehr findet als er gesucht hatte.

„Me personally, as the writer of the film, I love science. I really do”, resümierte Sherman in einem Interview. „But, there also is that kind of spirituality in thinking that there might be something out there. And that we’re not alone.“
Dass Akash Sherman und James Ewasiuk diesen uralten Traum der Science-Fiction in einem hastigen Filmende erzählen, bei dem auch nicht mehr das Pacing in dem zuvor ruhig inszenierten Film funktioniert, ist ärgerlich. Dass dabei elementare Gesetze der Physik geopfert werden, ist noch ärgerlicher, eben weil „Clara“ zuvor sehr dezidiert seriöse wissenschaftliche Erkenntnisse in den Mittelpunkt stellte.
Shermans Film führt diesen Ansatz in großen Finale ad absurdum, dürfte damit aber ein esoterisch angehauchtes Publikum perfekt bedient haben, erst recht, weil der angeschlagenen Hauptfigur die Tränen des Glücks übers Gesicht laufen. Und dabei spielt ausgerechnet Bob Dylan die entscheidende Rolle.

„Clara“ ist über weite Strecken ein sehenswerter Film, der sich im Kern mit Fragen beschäftigt, die Robert Zemeckis in „Contact“ auf seine Weise beantwortete: Ebenfalls sehr spekulativ und nicht immer wissenschafts-basiert. Auch Zemeckis Hauptfigur wird von einem Verlusttrauma gepeinigt und muss die Frage nach dem Sinn des Lebens beanworten. Aber Sinn ist meistens nur ein Gefühl, das böse Gefühle in die Flucht schlägt.
Wie die von Jodie Foster gespielte Agnostikerin Ellie Arroway allerdings eine eigene glaubwürdige Antwort auf den Disput zwischen Wissenschaft und Religion findet, das erzählte Zemeckis in „Contact“ auch ziemlich melodramatisch, aber deutlich intelligenter. Die Astrophysikerin bezieht nämlich ihr entscheidendes Argument vom Scholastiker Wilhelm von Ockham: Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem (Es sind nicht mehr Dinge anzunehmen als notwendig). Das hätte auch Akash Sherman beherzigen sollen. Manchmal ist weniger halt mehr.


Note: BigDoc = 2


Clara (A Billion Stars – Im Universum ist man nicht allein) – Regie: Akash Sherman – Buch: Akash Sherman und James Ewasiuk – Kamera: Matt Lyon – Laufzeit: 105 Minuten – D.: Patrick J. Adams, Troian Bellisario, Ennis Esmer, Kristen Hager.