Dienstag, 5. November 2013

The Walking Dead – Season 3 - Teil 2: Der leidige Jugendschutz

Gehört „The Walking Dead“ ins Fernsehen? In Teil 1 wurde untersucht, was sich unter dem neuen Showrunner Glen Mazzara alles geändert hat. Dieser Beitrag wird auf die Probleme der Ausstrahlung im Pay- und Free-TV und die veränderten Standards im Jugendschutz eingehen. Im letzten Beitrag wird Ende November geprüft, ob TWD diesmal Hi-Def ist oder nicht.

Die Standards der Medienaufsicht und des Jugendschutzes befinden sich auf dem Rückzug. Anything goes.
Schauen wir uns zunächst filmgeschichtlich um. Seit 35 Jahren gilt der Klassiker „Dawn of the Dead“ in Deutschland als absolutes No Go. In Deutschland ist George A. Romeros Film, der Ur-Vater des modernen Zombiefilms, nach wie vor indiziert. Da hilft es nur wenig, dass das Museum of Modern Art den Film in seine Sammlung aufgenommen hat und der verstorbene Kritikerzar Roger Ebert ihn als Kunst adelte. 

Wer sich heute die Long Version (139 Minuten) oder die „20th Anniversary Edition“ von „Dawn of the Dead“ anschauen will, muss wohl oder übel im Ausland einkaufen. Was er dann zu sehen bekommt, ist geradezu harmlos im Vergleich zu dem, was in TWD und damit im TV zu sehen ist. 

Das ist paradox: Während „Dawn of the Dead“ aufgrund von § 131 des STGB wegen „Gewaltverherrlichung“ indiziert ist, dürfen die expliziteren Szenen von „The Walking Dead“ (TWD) ungeschoren im Free TV ausgestrahlt werden (vgl. auch Teil 1).
Dazu passt übrigens, dass die ebenfalls extrem blutrünstige Horrorserie „Hannibal“ vor ihrer Free-TV-Ausstrahlung rund um die Uhr und befristet kostenfrei bei einem kommerziellen Anbieter online abgerufen werden kann. Müssen Eltern befürchten, dass sich Kinder nach der Schule und vor Schularbeiten erst einmal Body Horror reinziehen?


Jugendschutz adé - die Nachfrage regelt das Angebot

Dies ist zunächst einmal eine Feststellung und keine Kritik. Aber es zeigt, dass eine medienpädagogische oder gar moralische Debatte über die Grenzen der Gewaltdarstellung fast zwangsläufig an den ökonomischen Determinanten der modernen Serienkultur zerschellen muss. Denn unabhängig von der inhaltlichen Würdigung von TWD ist die Serie auch ein wirtschaftliches Phänomen, da nicht nur die Fans der Comics, sondern auch die TV-Zuschauer einen riesigen Nachholbedarf an Ekel, Gore und Splatter anmelden und damit mittels Nachfrage auch das Angebot regulieren.
Ein riesiger Markt ist entstanden. Und Deutschland ist inmitten dieser Erfolgsgeschichte das einzige Land, in dem Kürzungen und Schnitte von TWD
überhaupt noch erwogen werden (1).

Dies spiegelt sich in den hitzigen Debatten über den Jugendschutz wider. Interessant ist hier der Unterschied zwischen Pay- und Free-TV. Den gibt es nämlich nicht. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) unterscheidet nicht zwischen Pay-TV mit PIN und Free-TV. Als TWD 3 im vergangenen Jahr auf FOX lief, erteilte die FSF (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen) deshalb eine Freigabe ab 18 Jahren und nur unter Schnittauflagen. Beantragt hatte FOX eine verschlüsselte Freigabe ab 16 Jahren (mit PIN-Abfrage), was eine Ausstrahlung vor 23.00 Uhr erlaubt hätte.

Die FSK änderte mit Staffel 3 indes ihre Politik und erteilte nunmehr der ungekürzten Serie eine Altersfreigabe ab 18 Jahren. RTL 2 konnte daher ein Jahr später ab 23 Uhr die 3. Staffel ungekürzt ausstrahlen und nur die Episoden, die früher liefen, wurden vermutlich gekürzt (2). Ein weiterer Schritt in der Liberalisierung des Medienmarktes. 


Lesenswert ist in diesem Zusammenhang eine immer noch aktuelle Arbeit des Medienwissenschaftlers Stefan Höltgen, der in seiner Arbeit „The Dead Walk“
(2000) auf eine interessante Dynamik hingewiesen hat. Mit „The Night of the Living Dead“ wurde, so Höltgen, eine ökonomische Dynamik in Gang gesetzt, die folgerichtig zu gewollten Tabubrüchen im post-modernen Horrorfilm führte: „...zukünftig musste sich jeder Streifen, der ökonomisch etwas gelten wollte, an der ‚Machart’ von NIGHT OF THE LIVING DEAD messen lassen. Hinter diese Grenze zurück zu fallen, war gleichbedeutend damit, einen Flop zu riskieren. Das bedeutete also: ‚Härter’ (sprich: ekliger) sein als NIGHT OF THE LIVING DEAD. Das ‚Prinzip des Fortschritts’ war damit als notwendiges Genreprinzip des Horrorfilms etabliert“. 

Fazit: die Narration passt sich dem Markt an, das Fernsehen dem Markt, und an beiden Ende zieht auch der TV-Konsument am Strick.


Die Medienforschung hinkt hinterher

Für Fans, die schnell den Vorwurf der Zensur parat haben, kommt natürlich nur uncut in Frage und die ganze Diskussion über Jugendschutz ist obsolet. Alle Anderen, denen das Thema nicht egal ist, reagieren ratlos oder zynisch. Was die Mitglieder in den diversen bundesdeutschen Prüfstellen übersehen, ist die unschwer feststellbare Tatsache, dass auch die marginal gekürzten Fassungen von TWD bereits alles hinter sich lassen, was bislang im Fernsehen denkbar gewesen ist.
Höltgen, der vor 13 Jahren nicht glauben wollte, dass nach „Day of the Dead“ eine weitere Steigerung des Grauens denkbar sei, ist mittlerweile im akademischen Bereich sesshaft geworden und musste bereits 2010 nachlegen, um die epigonalen Folgeprodukte der zurückliegenden Dekade abzuarbeiten (3). Ich bin gespannt, wie er auf die Jahre nach 2010 reagieren wird...

Persönlich mache ich keinen Hehl daraus, dass ich ein Romero-Fan bin und auch „The Walking Dead“ in meine Top Five aufgenommen habe. Trotzdem glaube ich, dass TWD nicht ins Fernsehen gehört: die Serie ist ein Angebot für Erwachsene, Ausstrahlungen nach 23.00 Uhr bieten nicht die geringste Kontrolle für die Eltern und sind ein hilfloser Fake, da Medienforscher ermittelt haben, dass bereits 8-10-Jährige sowohl über einen PC als auch über ein TV-Gerät verfügen. Kontrollen gehen auch deshalb an den Realitäten vorbei, weil Kinder technisch in der Lage sind, im Internet uneingeschränkt auf nicht altersgerechte Inhalte zuzugreifen.
 

Tatsächlich ist der beinahe überregulierte Jugendschutz in Deutschland (4) bereits auf dem Rückzug. Auch die Medienwirkungsforschung hat Probleme, den immer kürzeren Taktraten in der Weiterentwicklung von medialen Contents und deren Wirkung zu folgen. Einige Arbeiten vor 2010 wirken angesichts der Entwicklung der letzten Jahre geradezu altbacken.

In der Studie „Medien und Gewalt“ (5) von Prof. Dr. Michael Kunczik und Dr. Astrid Zipfel (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) erlebt man ein Beispiel für das hilflose Herumrudern in punkto Jugendschutz. Die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellte Studie untersuchte vor einigen Jahren die Zusammenhänge zwischen der Mediennutzung und der daraus resultierenden Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen. Beabsichtigt war ein umfassender Überblick über den Stand der Medienwirkungsforschung. Dabei wurden deutsch- und englischsprachige Untersuchungen ausgewertet, die zwischen 2004 und 2009 stattgefunden haben.

Natürlich ungeachtet der Tatsache, dass sich die Medienkultur und die digitalen Zugriffsmöglichkeiten fast im Jahrestakt ändern, boten die Wissenschaftler am Ende ein Abstract an, das man nicht einmal in einer studentischen Hausarbeit durchgehen lassen darf: „Brutale Filme schädigen Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung nicht unbedingt in jedem Falle. Es gibt also allen Grund, sich gelassen und unaufgeregt dem Thema zu widmen und einzelne Grenzüberschreitungen und Verbotsübertretungen von Kindern und Jugendlichen nicht zu dramatisieren (...) Nach den Erkenntnissen der Wissenschaft kann der Konsum von Mediengewalt einen Einfluss auf die Aggressivität von Kindern und Jugendlichen haben (...) Dies sind gute Gründe ... Kindern ... geeignete Alternativen anzubieten.“


Gewalt in den Medien macht Kinder dumm

Das hört sich – gelinde gesagt – etwas hilflos an. Flötenunterricht statt TWD im Kinderzimmer?
Interessant ist in diesem Zusammenhang aber nicht nur die Frage nach der latenten Steigerung der Gewalttätigkeit durch den Konsum explizit gewalttätiger Medienprodukte, sondern auch deren Wirkung auf die kognitive Entwicklung und die Beeinträchtigung der schulischen Lernleistungen von Kindern und Jugendlichen. 

In einer Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (6) kamen Christian Pfeiffer et al. vor einigen Jahren zu einem deutlichen Ergebnis. Die Studie spricht Klartext, sie kann sehr einfach zusammengefasst werden:
•    Kinder und Jugendliche in bildungsfernen Milieus haben einen größeren Medienkonsum als Kinder in gutbürgerlichen Familien;
•    gewalttätige Medieninhalte machen dumm und vergesslich,
•    die schulischen Leistungen sinken;
•    Kinder und Jugendliche, die in Medien permanenten Gewalterfahrungen ausgesetzt sind, sind selbst gewaltbereiter und ändern auch ihre sozialen Rollenmodelle entsprechend.

Das sind die Parameter, die dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche zu Medien- und damit auch zu Bildungsverlierern werden. Besonders betroffen sind laut Pfeiffer die Jungen, da Mädchen andere Medienpräferenzen haben. Pfeiffers Studie (übrigens eine Langzeituntersuchung) konnte meines Wissens weder widerlegt noch in ihrer Kernaussage eingeschränkt werden. Sie wirft ein Licht auf die Folgen, die scheinbar widerstandslos akzeptiert werden, wenn extreme Gewaltdarstellungen wie in „The Walking Dead“ nachts über den Bildschirm flimmern.


Was kann man besser machen?

Man kann zwar auf eine TV-Ausstrahlung verzichten wollen, was angesichts der wirtschaftlichen Interessen der TV-Anbieter eine unrealistische Forderung bleibt. Der Jugendschutz hat sich zudem schrittweise angepasst. Cut-Versionen sind ebenfalls sinnlos, weil auch das, was übrig bleibt, neue Maßstäbe in punkto Gewaltdarstellung setzt. Außerdem kann sich jeder die US-Uncut-Versionen mühelos im Internet anschauen. Auch Kinder.

Und eine generelle Indizierung, wie man sie im Falle von „Dawn of the Dead“ immer noch praktiziert, ist angesichts der künstlerischen Qualität der Serie ein Affront. Zensur ist kein Ausweg. 


Was bleibt, ist die übliche Regulierung des Abverkaufs über entsprechende Altersfreigaben. Und die immer zaghafter klingenden Aufforderungen der Medienpädagogen, den Kindern doch bitteschön spannendere Alternativen zu bieten. Sie verpuffen wohl weitgehend folgenlos.

Als ich vor der Veröffentlichung dieses Beitrags das Ganze mit einem befreundeten Medienwissenschaftler diskutierte, stand das Ergebnis rasch fest: Jugendmedienschutz ist Rumeierei, der Kampf ist bereits verloren. 

Wir werden uns mit diesem Papiertiger abfinden müssen. Den „Schwarzen Peter“ erhalten die Eltern und die Lehrer. Die Zeche bezahlen die Kinder und Jugendlichen.



Teil 3 beschäftigt sich mit dem Bluray-Release von „The Walking Dead“

(1) http://www.digitalfernsehen.de/Fox-Erneute-Diskussion-um-Jugendschutz-im-Pay-TV-begruessenswert.94846.0.html
(2) http://www.schnittberichte.com/news.php?ID=6349
(3) http://digital-b.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/13538
(4) http://technolex.de/prof-dr-marc-liesching-medienrecht-und-jugendschutz-ueberblick/#more-2625
(5) http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/Jugendmedienschutz-Medienerziehung/film-fernsehen,did=106672.html
(6) http://www.woboge.schulen-re.de/jo15/images/stories/woboge/Internes/medienkonsum,%20schulleistungen%20und%20jugendgewalt.pdf