Mittwoch, 14. August 2024

Flashback-Kritik: Warum man Tim Robbins' Film „Bob Roberts“ unbedingt sehen sollte

Unter dem Label Flashback-Kritik werden in diesem Blog ältere Arbeiten von mir veröffentlicht. Nicht alles, was alt und betagt ist, ist aus der Zeit gefallen. Manches kehrt nach Jahrzehnten zurück und erweist sich als prophetisch.

Tim Robbins‘ grandioser Film „Bob Roberts“ ist 32 Jahre alt, aber erschreckend aktuell. Erzählt wird die Geschichte eines Politikers, der als ultrarechter „konservativer Rebell“ mit allen Mitteln Senator werden will. Bob Roberts tritt als Folk-Sänger auf und begeistert seine Anhänger mit menschenverachtenden Songs. Er manipuliert erfolgreich die Medien, ein Mann, der lügt und keine Skrupel kennt. „Bob Roberts“ spielt im Jahr 1992. Zu diesem Zeitpunkt saß ein Mann namens Donald Trump auf einem Schuldenberg von mehr als 3 Milliarden US-Dollar. Die folgende Kritik beschäftigt sich mit einem fiktiven Politiker. Ähnlichkeiten mit realen Politikern sind natürlich purer Zufall.

Bob Roberts

Auch wenn im Moment politische Themen in Film- und Fernsehproduktionen en vogue sind, sollte daraus nicht voreilig auf eine „Politisierung“ des amerikanischen Kinos geschlossen werden. Immerhin aber ist „Bob Roberts“ in den Vereinigten Staaten erfolgreich in den Kinos gelaufen. Die Kritiker und das Publikum honorierten Tim Robbins‘ bissige Politattacke offenbar.

Infamie und üble Tricks

In Tim Robbins‘ Regiedebüt funktioniert der Wahlkampf als Mischung aus Show, Medienzirkus und Infamie. Man schreibt das Jahr 1990, die Bush-Administration bereitet gerade die „Operation Wüstensturm“ vor. Roberts (Tim Robbins), der als Börsenspekulant Millionen gemacht hat, wird als populärer Sänger der Neuen Rechten aussichtsreicher Kandidat für den Senatorensitz des Bundesstaates Pennsylvania. Als Liebling des weißen Mittelstands verkauft er das Image des „konservativen Rebellen“ so smart, dass in der Liedern, die er vor ausverkauften Hallen vorträgt, die Demagogie stets auch etwas Heiter-Fröhliches erhält.
„Drugs stink. They make me sick. Those that sell’em and those that do’em. Sting’em up from the highest tree.“ Hängen sollen sie, die Dealer und Süchtigen, und in erzreaktionärer Verdrehung eines alten Bob Dylan-Titels lautet Roberts‘ Botschaft an die Massen: „The times are a-changing back.“
Schluss mit dem Liberalismus, weniger Steuern, weniger Sozialprogramme, die Ärmel aufkrempeln und das Glück gehört den Tüchtigen. Dieser Appell an die traditionellen amerikanischen Werte ist nicht nur die hinreichend bekannte Beschwörung des anti-liberalen Sozial-Darwinismus, sondern wird auch unüberhörbar von einer wenig subtilen Pogromstimmung begleitet.

Tim Robbins, der den Typ des engelhaft-teuflischen Zynikers so virtuos verkörperte, dass einem beim Zuschauen das Frösteln überkam, spielt seinen Titelhelden überzeugend. Roberts Gegenspieler ist der demokratische Senator Brickley Paste (Gore Vidal), dessen von sachlicher Überzeugungskraft getragene soziale Programmatik seltsam antiquiert wirkt angesichts des brutalen Elans, mit dem sich Roberts und sein Beraterstab in die Medien drängen, Talkshows und Unterhaltungssendungen manipulieren und kritische Journalisten ausschalten.

Als Störenfried  des unaufhaltsamen Siegeszugs bleibt nur noch der farbige Journalist Bugs Raplin (Giancarlo Esposito) übrig, der Beweise für Bob Roberts Verstrickung in Finanzmanipulationen und Drogengeschäfte zusammenträgt. Während einer Wahlkampfveranstaltung fällt ein Schuss,  Bob Roberts bricht zusammen und Raplin wird als Attentäter verhaftet.
Die Sympathien für den im Rollstuhl sitzenden Märtyrer geben schließlich den Ausschlag über die letzten Prozentpunkte. Robert wird Senator, während seine hysterischen Anhänger vor dem Fenster seines Hotelzimmers die gerade bekanntgewordene Ermordung Raplins feiern. In einer der letzten Einstellungen des Films zeigt ein Zoom auf den wippenden Fuß des angeblich gelähmten Senators, dass das Attentat der letzte üble Trick in einem skrupellosen Wahlkampf war. „Bob Roberts“, sagt eine Gegenspielerin des Kandidaten, „ist Nixon. Nur schlauer.“

Eine fiktive Reportage

Tim Robbins Regiedebüt wurde hierzulande als Politsatire angekündigt. Wer dagegen einige der von den Bush-Strategen produzierten Videoclips sehen konnte, die regional gegen Clinton eingesetzt wurden, konnte unschwer erkennen, dass die Wirklichkeit fast mühelos die Satire überholt hat. „Bob Roberts“ ist nicht nur die Geschichte eines besonders bösartigen Wahlkampfes, sondern ein Film, der auch in filmhistorischer Hinsicht Beachtung verdient. Tim Robbins ist es gelungen, eine Facette der politischen Kultur Amerikas ähnlich wirkungsvoll zu sezieren wie Michael Ritchies und Robert Redfords „The Candidate“ (1972), der als einer der Höhepunkte des politisch motivierten Films gilt. Vergleichbar mit Richties dokumentarisch-beobachtenden und an das Cinéma vérité erinnernden Stil wählt Robbins eine Aufnahmetechnik, die die Geste des fiktiven Erzählens stark zurücknimmt.

„Bob Roberts“ gibt sich als Mischung aus Reportage und Dokumentarfilm, als „work in Progress“, in der die wackelnde und oft unkontrolliert schwenkende Kamera zum Zeugen und Voyeur, letztlich sogar zum Medium der Anklage und Entlarvung gemacht wird, ohne direkt eine „Message“ zu vermitteln.
Dies funktioniert, wenn das Subjekt fiktiv bleibt, also anders als in Oliver Stones „JFK“, der Dokumentarisches, Fiktion und Dokufiction so raffiniert verschachtelte, dass Fakten, Suggestionen und Mythos nur schwer voneinander zu trennen waren. Das Mittel der fiktiven Reportage bleibt bei Robbins dagegen glaubhaft, weil er ein passiven point of view einnimmt und den Zuschauer dadurch viel intensiver die fast physische Präsenz von Demagogie spüren lässt.

Die Verfügbarkeit der populären Kultur

„Was machen wir jetzt?“, fragt Robert Redford als siegreicher Senator Bill McKay in „The Candidate“. Die Frage hat nichts mit Optimismus und Aufbruchsstimmung zu tun, sondern mit Resignation und der Erkenntnis, dass die Glattpolierer und politischen Mainstream-Designer wenig von ihrem Kandidaten übriggelassen haben. Wer sich heute noch einmal „The Candidate“ anschaut und weiß, dass Michael Ritchie und Robert Redford 1972 mit ihrem Film die Absicht verfolgten, die Delegierten des Parteitages der Demokraten positiv zu beeinflussen, mag beiden vielleicht eine gewisse Naivität unterstellen.

Natürlich misslang ihr Vorhaben, weil aufklärerischer Impetus allein nicht reicht, um Filme zum direkten Medium der Politik zu machen. Aber das politische Scheitern von „The Candidate“ zeigt in der Rückschau durchaus, dass der Film als ästhetisches Instrument der Diagnose ausreichend sensitiv war, gerade weil die perfekte Beeinflussung der Wähler und die geschickte Manipulation der Werbe- und Nachrichtenmedien, deren Darstellung in „The Candidate“ noch ganz auf  dem Stand der Zeit war, auf den heutigen Beobachter nur noch so schwach wirkt, als stecke das Ganze noch in den Kinderschuhen.

„Bob Roberts“ demonstriert mit seiner aggressiven Bildsprache, wie sich die Verzahnung von politischer Kultur  und Medienästhetik, damit auch die Mittel, der Suggestion und Verführung, weiterentwickelt haben. Der zeitliche Sprung von der Wochenschauästhetik der Wahlkampfwerbung in „The Candidate“ zu den faschistoiden Videoclips in „Bob Roberts“ steckt dabei den medialen Erfahrungshorizont des Zuschauers ab. Die ästhetische Transformation, die in diesem Sprung stattgefunden hat, ist deswegen so aufschlussreich, weil es Robbins gelingt, ein Psychogramm des konservativen Wählers zu entwickeln, dessen Ängste mit einfachen Mitteln der Video- und Popkultur an die die Schwelle zu reaktionären Gewalt getrieben werden.

Die Verfügbarkeit der populären Kultur für politische Demagogen, ihre Beliebigkeit und Durchlässigkeit, ist in „Bob Roberts“ daher leicht nachzuvollziehen. Ihre Entmythologisierung könnte eine vergleichende Analyse beider Filme zur Grundlage für eine Sensibilisierung in Sachen politischer Kultur machen, von der auch wir gegenwärtig mehr denn je profitieren könnten.


Bob Roberts – USA 1992 – Regie, Drehbuch: Tim Robbins – Laufzeit: 105 Minuten – FSK: ab 12 Jahren – D.: Tim Robbins, Giancarlo Esposito, Gore Vidal, Alan Rickman, David Strathairn, Susan Sarandon


Die Kritik wurde 1992 veröffentlicht. Aktuell wird der Film von keinem Anbieter gestreamt. VHS-Cassetten von Tim Robbins' Film werden allerdings angeboten. Zu bizarr hohen Preisen.