Mittwoch, 21. August 2024

Civil War - Alex Garlands unentschlossener Film

Alex Garland ist ein anstrengender Filmemacher. „Ex machina“ (2015) war ein sehr differenzierter Film über eine KI, die überleben will. Über „Annihilation“ (2018) schrieb ich, dass der Film schön aussieht, aber schweigt. Die Note „2“ gab es für beide Filme. Garlands Mini-Serie „Devs“, die einige Kritiker als kulturgeschichtliches Highlight verorteten, entpuppte sich dagegen als pseudowissenschaftlicher Versuch mit banalen Erkenntnissen. Note: 4.

Fazit: Es wurde immer schwerer, dem auteur Alex Garland auf seinen verschlungenen Pfaden zu folgen. In seinem neuen Film „Civil War“ überschüttet Garland den Zuschauer nicht mit philosophischen Diskursen über Quantenphysik und freien Willen. Nein, im Gegenteil: Der Film verschweigt erneut etwas. Nämlich das Thema. Der Film hätte den Sinn und Unsinn von Kriegsfotografie verhandeln können. Das tut er nicht. Und obwohl die Analogie zu aktuellen Problemen in den USA den Zuschauer förmlich anspringt, lehnt Garland diesen Zusammenhang ziemlich deutlich ab. Unterm Strich ist das zu fade Kost.

Wer ist der Feind und warum?

„Civil War“ bleibt 109 lange Minuten ein Mysterium. In den USA tobt ein Bürgerkrieg. Und am Ende fragt man sich: Warum das alles? Der Zuschauer erfährt es nicht.
Gleich zu Beginn konnte man allerdings hoffen, dass der von Nick Offerman martialisch gespielte US-Präsident Licht ins Dunkel bringt. Er übt eine Ansprache, ringt um Sätze, doch die beschränken sich auf fade Durchhalteparolen. Denn die Ankündigung eines historisch einmaligen Siegs entpuppt sich schnell als hohle Phrase. Die Truppen des Feindes sind auf dem Vormarsch. Und sie wollen keine Verhandlungen, sondern die Liquidation des Staatsoberhauptes.

Doch wer ist hier Feind und wer ist verantwortlich für den Bürgerkrieg, der die USA zerreißt? Regisseur Alex Garland („Ex Machina“; „Devs“), der auch das Drehbuch geschrieben hat, weigert sich, dem Gemetzel eine historische Dimension zu geben. Was der Zuschauer erfährt: Texas und Kalifornien sind ein Bündnis eingegangen, das quasi der Austritt aus den Vereinigten Statten zum Ziel hat: die Western Federation. Also Sezession und eine merkwürdige Zweckgemeinschaft zwischen dem konservativen Texas und einem liberal-multikulturellen Staat, der einst die Heimat der Hippies und der 1960er-Jahre-Revolte gewesen ist. Wie dieses Bündnis entstanden ist und welche politischen Dissonanzen dazu geführt haben, bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen. Eine triviale Beliebigkeit hält dadurch Einzug in den Film und das Einzige, das man eilig aus dem Köcher der vielen Interpretationen holen kann, wird in dem Film totgeschwiegen. „Civil War“ will um keinen Preis darauf reduziert werden, eine post-trumpistische Dystopie zu sein. Meint Garland.

Also eine Fiktion ohne erzählerisches Fundament. Nun könnte man vermuten, dass die Figuren in ihren Dialogen wenigstens ansatzweise Hinweise geben, die den brutalen Konflikt erklären. Doch weit gefehlt. Die Kriegsfotografen Lee (Kirsten Dunst) und ihr Kollege Joel (Wagner Moura) wollen unbedingt nach Washington D.C. - ein letztes Interview mit dem US-Präsidenten ist das Ziel. Joel hat einige gallige Fragen in petto und Lee will Fotos schießen, von denen man nicht weiß, ob sie nach dem zivilisatorischen Kollaps der USA jemals gedruckt werden. Und beide wissen, dass die Reise ihr Tod sein kann. Denn in D.C. werden alle Journalisten umgehend erschossen.

Die Reisegruppe wird wenig später größer. Mit von der Partie ist nun auch die junge Jessie Cullen (Cailee Spaeny), die die offenbar landesweit berühmte Lee zu ihrem Vorbild gemacht hat und nun selbst mit einer alten NIKON-Kamera Fotos vom Kriegsgeschehen macht. Später stößt auch Lees Mentor, der kriegserfahrene Sammy (Stephen McKinley Henderson) zur Gruppe. Aber die Gespräche des Quartetts deuten zwar das Eine oder Andere an, bleiben aber letztlich doch ein Rätsel. Es scheint so, als würden die vier Protagonisten in einer Blase leben, in der man sich über politische oder gar ethische Probleme schon längst nicht mehr unterhalten muss. Stattdessen sind Lee, Joel und Jessie meist an vorderster Front, wenn es richtig kracht. Und wenn die Soldaten der Western Federation ein Haus stürmen, sind die drei mit schussbereiter Kamera dabei. Und ihre Kameras sehen zumindest symbolisch so aus, als seien auch sie Waffen. "Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, bist du nicht nah genug dran", sagte der berühmte Kriegsfotograf Robert Capa.

Abgebrühte Figuren in einer Blase des Schweigens

Abgesehen von diesen gelungenen Momentaufnahmen verwandelt sich der Film im Hauptteil in ein Road Movie. „Civil War“ erinnert dabei an Joseph Conrads „Herz der Finsternis“, obwohl Garlands Film nicht zu dieser Deutung einlädt. Sinn macht es trotzdem, denn Hannah Arendt bewertete den brutalen rassistischen Kolonialismus, den der anonyme Erzähler bei seiner Reise in Afrika erfährt, als komplex: Der Irrsinn in Conrads Roman würde das Entsetzen über die schrecklichen Massenmorde mühelos übertreffen.
Das Entsetzen vermag nach Gründen zu suchen. Vor dem Irrsinn kann man dagegen nur noch kapitulieren. Oder um sein Leben betteln, wie die Schlüsselszene des Films zeigen wird. Denn mit den Mördern, so Arendt, sei ein Gespräch ebenso wenig möglich wie mit den Ethnologen, die einen wissenschaftlich-neutrale Position einnehmen.
Ersetzt man in Garlands Film die Ethnologen durch die drei Kriegsfotografen, so wird schnell klar, dass sich deren neutrale Professionalität bereits meilenweit von emotionalen Reaktionen auf das Grauen entfernt hat. Das ist kein wissenschaftlicher Ethos, sondern Abgebrütheit. Von Entsetzen also keine Spur. Nur Jessie scheint anfänglich einen letzten Rest von Empathie zu besitzen. Denn der pure Nihilismus, den sie erleben, wird immer unerklärlicher. So entdecken sie an einer Tankstelle eine bewaffnete Gruppe, die zwei Männer gefoltert und danach an die Decke gehängt haben, wo sie zuckend und stöhnend sterben. Natürlich hat einer der Täter kein Problem damit, mit seinen Opfern von Lee fotografiert zu werden. Und Jessie ärgert sich, nicht selbst daran gedacht zu haben.

Überhaupt scheint parallel zum Sezessionskrieg eine Verrohung entstanden zu sein, in denen alle möglichen Gruppierungen auf andere schießen, die kurz zuvor ihre Nachbarn gewesen sind. Wer sich ergibt, wird sofort erschossen – und Jessie wird immer risikobereiter, um zum perfekten Schuss zu kommen. Sie lernt schnell. Nur eine von dreißig Aufnahmen gelänge, erklärt Lee. Was als gelungen bezeichnet werden kann, verschweigt sie allerdings der Novizin.

Der eigene Tod macht alles anders

Über weite Strecken scheint in Garlands Film eine lineare Form der Figurenentwicklung stattzufinden, die ohne dramatische Konflikte der Protagonisten zurechtkommt. Ganz ist dies nicht der Fall. Der Kipppunkt ist erreicht, als Lee, Joel, Jessie und Sammy mit ihren Kollegen Tony und Bohai gemeinsam weiterfahren. Dann geraten Tony und Bohai in eine Falle, als sie zwei Männer entdecken, die gerade zahllose Tote von der Ladefläche eines Lkw in ein Massengrab schütten. Lee und Joel wollen Trotz Sammys Warnung mit dem Anführer (Jesse Plemons) einen Deal aushandeln, doch der ist eher daran interessiert, ob die ungebetenen Zuschauer wahre Amerikaner sind. Beinahe gleichgültig erschießt er erst Tony und dann Bohai, als dieser sich als Chinese outet. Doch Sammy überfährt die beiden Männer und rettet die Überlebenden, stirbt aber wenig später an einer Schusswunde.
Diese Schlüsselszene ist die einzige dramatische Wendung in „Civil War“. Die Figuren haben ihrem eigenen Tod unmittelbar ins Auge geschaut und Lee, die danach stark traumatisiert ist, hat die Erfahrung gemacht, dass dies schrecklicher ist als fremde Menschen beim Sterben zu fotografieren.

Am Ende erreichen Lee, Joel und Jessie D.C. und sind beim Sturm des Weißen Hauses mitten in der Gruppe der Federation-Soldaten. Im Kugelhagel fotografieren sie den erbitterten Widerstand der Secret Service-Agenten. Lee wird erschossen, als sie der mittlerweile nicht mehr zu kontrollierenden Jessie das Leben rettet, aber stehenbleibt (warum eigentlich?), nachdem sie die junge Frau aus der Schusslinie gestoßen hat. Die fotografiert am Boden liegend und völlig ungerührt die von vielen Kugeln getroffene Lee: 1 von Dreißig! Genauso ungerührt wird Jessie wenig später die Liquidation des US-Präsidenten „schießen“. Jessie ist nun bereit, an Lees Stelle zu treten.

Kein Film über Amerika, meint Alex Garland

„Civil War“ ist ein deutungsoffener Film am Rande der Beliebigkeit. Die Reise durch ein dystopisches Land, in dem der völlig enthemmte Wahnsinn und die viehische Lust am Töten eine Rückkehr zu einer zivilen Ordnung undenkbar machen, führt die Protagonisten zu keiner ethischen Reflexion ihres Handelns. Ein filmischer Diskurs über die Kriegsfotografie, in der der Tod für lange Zeit tabu war, findet nicht statt. Weder wird die Gier nach Authentizität zum Thema, noch ein Kodex, der mit den Mitteln der Fotografie die Aufklärung der Betrachter im Fokus hat.

Von Embedded Journalism, der häufig die Journalisten zu einem Sprachrohr der Regierung macht, kann in Garlands Film auch nicht die Rede sein. Die Kriegsfotografen werden nicht beeinflusst und nur beiläufig zur Notiz genommen, egal, was gerade passiert. Dass die abgebrühte Lee dann doch innerlich kollabiert, ist der unmittelbaren Konfrontation mit dem eigenen Tod geschuldet. Das Einzige, was der Zuschauer erfährt, ist die Transformation der jungen Jessie, die am Ende das Entsetzen abgeschüttelt hat und völlig empathiefrei nach dem besten Schuss sucht. Das ist allerdings eine trostlose Erkenntnis.

Etwas wenig für einen Film, der dem Zuschauer keine narrativen Ankerpunkte für einen eigenen Diskurs bietet. Daran ändert auch die psychologische Interpretation der Hauptfigur nichts, wie es Barbara Schweizerhof für epd-Film versucht hat. „(In) ihrem müden Blick sieht man alles an: Wie viel Verbrechen diese Frau bezeugen kann, wie illusionslos sie darüber ist, was Menschen einander antun. Und das ohnmächtige Schuldgefühl, die Aufnahmen von diesen Taten mit eigener Untätigkeit erkauft zu haben“, schreibt die Kritikerin über die Hauptfigur. Leider war das Schuldgefühl nicht im Gesicht von Kirsten Dunst zu erkennen.

Und der Regisseur? „Civil War“ sei kein Film über Amerika, beschrieb Alex Garland seine Intentionen. Vielmehr gehe es um den gesellschaftlichen Kollaps, der jederzeit und überall stattfinden kann. Diese universelle Deutung ist mager. Erst recht, wenn man an die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA denkt und die gewaltbereiten Ankündigungen eines der beiden Kandidaten.
„Natürlich ist das ein Film über Amerika. Aber es ist ein unpolitischer Film. Und als solcher ist er viel zu egal“, schrieb Andreas Scheiner in der Neuen Zürcher Zeitung. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zuschauer weltweiter Katastrophen zu sein, sei eine essentielle Erfahrung der Moderne, stellte Susan Sontag fest. "Erstaunen oder Verwunderung angesichts menschlicher Grausamkeit zu empfinden, ist kein Zeichen menschlicher Reife. Ab einem bestimmten Alter hat niemand mehr das Recht auf eine solche Unschuld und Oberflächlichkeit, auf diesen Grad an Ignoranz und Amnesie", schrieb Sontag vor vielen Jahren über die Kriegsfotografie.
Soll Kriegsfotografie dann doch Position beziehen? Wie auch immer: „Erstaunen“ und „Verwunderung“ können wie auch "Ignoranz" und "Amnesie" in Garlands Film mühelos durch moralische Gleichgültigkeit ersetzt werden. Und das ist dann wirklich viel zu egal für einen Film, der nicht ins Innere der Figuren schaut. Gerade das ist die Essenz eines guten Films.

Note: BigDoc, Klawer = 4

Civil War – GB, USA 2024 – Buch und Regie: Alex Garland – Kamera Rob Hardy (der bei allen Filmen Garlands hinter der Kamera stand) – Laufzeit 109 Minuten – FSK: ab 16 - D.: Kirsten Dunst, Wagner Moura, Cailee Spaeny, Stephen McKinley Henderson, Jesse Plemons, Nick Offermann