Superman ist in der Geschichte der Comics der erste Superheld gewesen. Kein Wunder, dass der Held mit dem roten Umhang ein gefundenes Fressen für die Kinoindustrie wurde und geblieben ist. Das heißt aber nicht, dass die Filme und ihrer Helden nichts zu sagen haben.
In einer Zeit, in der die Kinokonzerne eher behäbig das Bewährte immer wieder aufpolieren und als Neues verkaufen, ist man als Kritiker eher nicht am Was, sondern am Wie interessiert. Und das Wie ist eindeutig: Die neue DCU-Version des Regisseurs James Gunn ist kein alter Wein in neuen Flaschen, sondern die erfrischende Umdeutung eines Superhelden, die keinen Hehl daraus macht, mehr als nur Unterhaltung sein zu wollen.
Das Franchise definiert sich neu
Mit dem Worldbuilding ist es selten einfach. Die Comic-Nerds kennen sich aus mit den Figuren und könnten mühelos auch die Backstorys der Nebenfiguren detailliert erzählen. Ihr Wissen beziehen sie aus einer Parallelwelt, den Comics, und die wiederum werden mittlerweile als eigenständige Kunstform goutiert.
Der durch Comic-Know-how unbelastete Kinogänger kann dagegen Superhelden-Filme als Actiongewitter konsumieren, sollte dabei aber besser verdrängen, dass er zum Heer der Ahnungslosen gehört. Es sei denn, er wühlt sich durch die megalangen Dossiers in der Wikipedia, wo man alles über den DCU-Kosmos erfährt. Comics, Filme, Serien. Was die Frustration eher steigert als mildert. Das soll sich ändern, jedenfalls ist das der neue Kurs von DC-Studios und Warner Bros. Superman ist für alle da. Oder eben nicht, wie die Rezeption des neuen Films gezeigt hat.
Also ein Neustart. Wieder einmal. Im neuen DC-Worldbuilding gehört James Gunns Film („Guardians of the Galaxy”, 1-3) zum DC Universe (DCU), dem Nachfolger des DC Comic Universe (DCEU), das 2023 von Warner Bros. eingestellt wurde. Das DCU gehört zu den Soft Reboots, die sich prinzipiell enger auf die Kernelemente der Comics beziehen und deren Kontinuität respektieren, ansonsten aber neue Elemente in die Geschichten integrieren. Dies soll Zuschauern, die sich im DC-Comic-Kosmos nicht auskennen, den Zugang erleichtern. James Gunn ist, nachdem er jahrelang für MARVEL gearbeitet hat, im neuen DCU dabei pikanterweise das Gegenstück zum Thinktank Kevin Feige (MARVEL) geworden. Unterstützt wird er beim Aufbau des Franchise vom Produzenten Peter Safran. Auf deren Planungsliste steht bereits ein halbes Dutzend von Projekten, mit denen der Konkurrent MARVEL überrundet werden soll. Diesmal aber bitteschön erfolgreich.
Ein gelungener Neustart des Franchise
„Superman“ ist der erste Film des neuen DCU. Um es vorwegzunehmen: es ist deutlich besser gelungen als Marvels „Fantastic Four“. Und das liegt nicht nur an den spektakulären Fights der sogenannten Metawesen, auch nicht daran, dass der Film nicht so düster ist wie viele DCEU-Filme, sondern daran, dass der dramatische und moralische Anteil der Geschichte erwachsener ist.
An den Rändern der Story geht es fast noch spannender zu, denn die moralische Agenda Supermans steht auf dem Spiel. Und die besteht darin, dass er von seinen Eltern vom Planeten Krypton auf die Erde gebracht wurde, um den Menschen zu dienen und deren Zivilisation besser zu machen. Dies verleiht dem Superhelden in Gunns Film eine tragische Note, denn die fiktiven Menschen in der Metropole Metropolis bewundern Superman zwar als Dienstleister, der Katastrophen mit seinen Superkräften verhindert. Aber sie verwandeln sich augenblicklich in einen wütenden Pöbel, wenn sie medial mit Lügen über die angeblich wahren Absichten des „Aliens“ manipuliert werden. Dazu gehört ein Fingerschnips. Und ein Troll-Farm. Im Mittelpunkt steht daher (natürlich) der ewige Kampf Supermans mit seinem Erzfeind Lex Luthor.
Superman ist erstaunlich schwach
Gleich zu Beginn begibt sich Superman (der relativ unbekannte David Corenswet spielt seine Rolle mit viel Präsenz) auf vermintes Terrain. Erstaunlich: die Vorgeschichte wird nicht gezeigt, sondern etwas umständlich aus dem Off und mit eingeblendeten Textinserts erklärt. Das geschieht im Zeitraffer, eine Origin Story hat der Film nicht. Superman verhinderte, so der Prolog, dass der aggressive Staat Boravia – ein Verbündeter der USA – in das unterlegene Nachbarland Jarhanpur einmarschieren kann. Ein Aha-Effekt: Die Boravianer sprechen mit russischem Akzent und auch ihre Uniformen sieht man nicht zum ersten Mal. Und Vasil Ghurkos (Zlatko Buric), der faschistische Diktator von Boravia, will „Lachen voller Blut auf den Straßen“ sehen, bevor er sich die Rohstoff-Ressourcen des Landes aneignet. Daraufhin schrottet Superman die Panzer von Boravia.
Wenn Superman, der tagsüber als Journalist Clark Kent für den Daily Planet arbeitet, seiner Freundin Lois Lane (Rachel Brosnahan - „The Marvelous Mrs. Maisel“ - passt mit ihrer Eigenwilligkeit als selbstbestimmte Frau und Journalistin sehr gut zu ihrem Partner) in einem Interview seine Motive als Superman erklärt, erinnert dies unüberhörbar an den Ukraine-Krieg. Nur dass die USA den Aggressor nicht passiv, sondern sehr konkret unterstützen. Das ist eine Schlüsselszene, die 12 Minuten Screentime bekommt.
Kein Wunder, denn die US-Regierung wird von einem Tech-Millionär manipuliert. Von Lex Luther (Nicholas Hoult spielt den hochintelligenten Widerpart von Superman explizit narzisstisch), dem übelsten Schurken der USA. Und der hat einen Deal mit Boravia gemacht: Ihm gehört die nach der Eroberung von Jarhanpur die Hälfte des unterworfenen Landes. Nur ging dies dank Superman völlig schief.
Dafür will sich Luthor rächen. Mit einer gewaltigen Medienkampagne und einem Fake Video beschuldigt er Superman, nichts anderes zu wollen, als die Erde zu unterwerfen und ihr allmächtiger Beherrscher zu werden. Dafür setzt er in seinem Taschenuniversum, einer Parallelwelt en miniature, eine Troll-Farm mit Tausenden von intelligenten Affen ein, die lustvoll kreischend die Social Media mit Fake News überschütten. Prompt wenden sich die Menschen von ihrem Beschützer, der nun ein „Alien“ ist, ab. Und Luthors Propaganda? Die hört sich gewaltig nach „ethnischer Homogenität“ an. Obwohl Superman beteuert, dass er ein Mensch ist.
Feindpropaganda sollte einen Superhelden aber nicht aufhalten. Tut es aber, denn Superman ist in dem Reboot erstaunlich schwach und weit davon entfernt, seine Metakräfte erfolgreich einzusetzen. Ein „Man of Steel“ ist er nicht. Gleich zu Beginn des Films landet er krachend in der Nähe seiner „Festung der Einsamkeit“, nachdem er eine Tracht Prügel durch den „Hammer von Boravia“ einstecken musste. Der „Hammer“ ist in Wirklichkeit das Metawesen Ultraman (ebenfalls gespielt von Corenswet), ein von Luthor designter Klon von Superman. Deutlich stärker, aber dümmer als sein Alter Ego. Er besiegt Superman. Der wird nach seiner Bruchlandung von seinem undisziplinierten, aber superstarken Hund „Krypto“ in die Festung geschleift, um von einem Dutzend Robotern repariert zu werden.
Auch sonst dekonstruiert James Gunn das Klischee vom allmächtigen Superhelden, der scheinbar unbezwingbar ist. Immer wieder ist Superman auf die Hilfe anderer Superhelden angewiesen. Zum Beispiel auf die Justice Gang (Green Lantern, Mister Terrific, Hawkgirl), die ihm dabei helfen, das gigantische Monster Kaiju zu bezwingen.
Ansonsten läuft einiges schief. Nachdem sich Superman freiwillig einem Verhör durch die US-Regierung stellt, läuft er naiv in eine Falle und landet im Luthors Taschenuniversum, wo er ausgiebig gefoltert wird. Aus eigener Kraft kann er sich nicht retten, aber Mr. Terrific ist zur Stelle, während Green Lantern und und Hawkgirl die zweite Invasion Boravias im Alleingang verhindern. Eins ist nun klar: Wenn Superman seinen Erzfeind Lex Luthor bezwingen will, muss er zuvor Ultraman ausschalten. Und das ist beinahe unmöglich.
Superman – zu woke?
Insgesamt tut die Neuausrichtung der Hauptfigur dem Film gut. Nicht nur, weil es den Superhelden als verletzlich zeigt, sondern weil er stattdessen seine eigentliche Stärke in den Fokus rückt: den moralischen Kompass. Ein Teil der Comic-Fans und der Comic-Verfilmungen haben kein Problem mit hehren moralischen Thesen, lehnen aber eine Politisierung der Figuren und Themen ab. Andere sehen in der aktuellen Realität das Referenzmaterial der Comics und ihrer Verfilmungen. Zu recht, denn die Narrative der Comics sind trotz ihrer Vereinfachung subversiv, auch wenn sie sich in den Nischen eines Produkts der Mainstream-Unterhaltung verstecken.
Oder auch nicht. So griff der ehemalige Superman-Darsteller Dean Cain ziemlich ruppig James Gunn für dessen Interpretation von Superman an, weil der Film sich gegen die Trump’sche Migrationspolitik richten würde: „Wie woke will Hollywood diese Figur machen?“ Cain kritisierte zudem, dass Supermans Credo „Wahrheit, Gerechtigkeit und die amerikanische Art“ in „Wahrheit, Gerechtigkeit und ein besseres Morgen“ verändert wurde.
Gunn hatte zuvor in einem Interview mit der Times den Film als Geschichte Amerikas und die Rolle seines Superhelden so beschrieben: „Er ist ein Einwanderer, der von anderswo kam und nun in dem Land lebt. Für mich ist es aber vor allem eine Geschichte, die zeigt, dass grundlegende menschliche Güte ein Wert ist und etwas, das wir verloren haben.“ Eindeutiger kann eine Kritik an der Migrationspolitik der Trump-Administration nicht sein.
Egal, ob man den Film von James Gunn politisch deuten will oder nicht – die Reaktion auf ihn ist nun einmal definitiv politisch. So griff der konservative Sender Fox News Gunn frontal an: „Wir gehen nicht ins Kino, um belehrt zu werden oder eine Ideologie übergestülpt zu bekommen.“ Aussagen, die man auch in deutschen Foren häufig genug lesen kann, auch dann, wenn der „Tatort“ wieder einmal ein sozialpolitisches Thema als Background etabliert.
Das hat eine Vorgeschichte. 2017 stellte sich James Gunn explizit gegen Donald Trump: „Ich habe mich nie politisch geäußert, aber wir stecken in einer nationalen Krise. Der Präsident greift Journalismus und Fakten an - im Stil von Hitler und Putin.“
Disney wollte James Gunn danach feuern, ließ ihn nach einer Entschuldigung aber „Guardians of the Galaxy“ drehen. Danach wechselte Gunn das Lager: er ging zu DC.
Das hat eine bemerkenswerte Wirkung. DC galt bislang eher als stockkonservative Comic-Schmiede, während MARVEL nachgesagt wurde, dass es demokratisch-liberal sei. Scheinbar hat sich das geändert.
Elisabeth Grenier interpretierte diese Debatte mit einem Hinweis auf den Begriff „Alien“: „Superman ist also, strenggenommen, ein ‚undokumentierter Fremder‘, im US-Amerikanischen ‚undocumented alien‘. Ein Begriff, der im politischen Sprachgebrauch abwertend verwendet wird - hier aber als Teil einer Migrationsbiografie sichtbar wird.“
Der von Joe Biden gecancelte Begriff „Alien“ wurde von der Trump-Administration wieder eingeführt. Dass Lex Luthors Propagandamaschine ihn gezielt aufgreift, ist sicher kein Zufall. Und so stellt in James Gunns Film die Frage(n) aller Fragen: Was ist gut und was ist böse? Und was hat das mit uns zu tun?
Wer das nicht mag, kommt trotzdem auf seine Kosten. Dank „Krypto“, dem Hund. Er ist der eigentliche Held des Films. Zumindest dann, wenn die Noten für Humor vergeben werden. Aber dabei sollte man nicht vergessen, dass Eskapismus nur dann funktioniert, wenn die Realität nicht kaputt ist.
Note: BigDoc = 2
Superman – USA 2025 – DC Studios – Regie und Buch: James Gunn – Produktion: Peter Safran, James Gunn - D.: David Corenswet, Rachel Brosnahan, Nicholas Hoult, Zlatko Buric, María Gabriela de Faría, Edi Gathegi, Isabela Merced, Nathan Fillion, Skyler Gisondo, Frank Grillo – Laufzeit: 130 Minuten.